Sonntag, 23. Dezember 2012

Verfassungsreferendum zeigt tiefe Spaltung Ägyptens


Mit einem mehrheitlichen „Ja“ erzielt Präsident Mursi einen „Pyrrussieg“ – Dem Land drohen neue Konfrontationen

von Birgit Cerha
Ägyptens Moslembrüder haben noch jede Wahl seit dem Sturz Präsident Mubaraks vor fast zwei Jahren gewonnen. Das mehrheitliche „Ja“ zu dem von ihnen und Präsident Mursi propagierten,  hochumstrittenen Verfassungsentwurf beim Referendum am 15. und 22. Dezember überrascht deshalb nicht. Nach dem bisher offiziell noch nicht bestätigten Ergebnis stimmten vergangenen Samstag bei der Abstimmung in überwiegend von Islamisten dominierten ländlichen Regionen 71 Prozent für den Verfassungsentwurf, der nach Überzeugung der Opposition Ägypten den Weg zu einem theokratischen Staat ebnet, und nur 29 Prozent votierten mit „Nein“. Die beiden Wahlrunden erbringen damit ein Gesamtergebnis von etwa  64 Prozent „Ja“ und 33 Prozent „Nein“-Stimmen und Mursi und seine Moslembruderschaft feiern einen Triumph.

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Samstag, 15. Dezember 2012

„Ein Schiff im Sandsturm“


Ägyptens zehn Millionen Kopten fürchten einen wachsenden Trend zur „Säuberung der Gesellschaft von Christen“
von Birgit Cerha

„Ich glaube, ohne göttliche Intervention, die sichtbar und stark ist, treiben wir einer Konfrontation entgegen, die gravierende Auswirkungen für Ägypten haben wird.“ Der charismatische Koptenbischof Bieman aus der oberägyptischen Provinz Qena macht sich keine großen Sorgen über das langfristige Schicksal der Christen am Nil. „Doch ich bin tief beunruhigt über die allernächste Zukunft.“ Wie andere geistliche Führer einer der ältesten christlichen Kirchen, sieht Bischof Bieman Ägypten unter dem islamistischen Präsidenten Mursi unaufhaltsam auf dem Weg zu einer islamischen Diktatur, die die zehn Millionen Kopten zu „Bürgern zweiter Klasse“ , ohne Schutz durch Gesetz und staatliche Institutionen  verdammen werde.

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Freitag, 14. Dezember 2012

LEXIKON: Ägypten: Eine Verfassung mit vielen Möglichkeiten

Die zahlreichen vagen Formulierungen des Dokuments öffnen Machtmißbrauch und islamistischer Autokratie Tür und Tor
 
von Birgit Cerha
 
Der nun zur Abstimmung stehende Verfassungsentwurf „gehört“ laut Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei „in den Mistkübel der Geschichte“.  Präsident Mursis Anhänger werten ihn als das beste Dokument in der Geschichte Ägyptens, da es nicht von einer Expertenelite, sondern von einem gewählten Gremium geschrieben worden sei, das den wahren Willen des Volkes  repräsentiere.

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Hochspannung vor Verfassungsreferendum in Ägypten

Das Land ist – unversöhnlich – tief gespalten, die Opposition im Dilemma und kein Ausweg aus der Krise zeichnet sich ab
 
von Birgit Cerha
 
„Der echte Ägypter sagt Nein zum Verfassungsentwurf“,.  Solch schwarze Aufschriften an Plakat- und Häuserwänden in Kairo und anderen ägyptischen Städten konkurrieren mit der Werbung für „die beste Konstitution in der Geschichte Ägyptens“. Eine emphatische, fast hysterische Kampagne der zwei unversöhnlichen Lager, in die Ägypten 22 Monate nach Beginn einer so hoffnungsvollen Revolution für Würde und Freiheit heute gespalten ist, reißt das Land noch weiter auseinander. Präsident Mursi und seine hochorganisierten islamistischen Anhänger verbinden mit Hilfe der Moscheen den Samstag zur Volkabstimmung stehenden Verfassungsentwurf mit dem Glauben an Allah. Die Gegner, die nach groben Schätzungen wohl auch rund 50 Prozent der Bevölkerung hinter sich haben dürften, fürchten den erneuten Rückfall in Despotie, die sie nach all dem Leid der vergangenen Jahrzehnten unter allen Umständen verhindern wollen.

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Mittwoch, 12. Dezember 2012

Kommentar: Zu spät für Syrien

von Birgit Cerha

Nach 20 blutigen Monaten und mindestens 40.000 Toten findet die internationale Gemeinschaft – der Westen und die arabische Welt – eine Alternative für das von allen Seiten  terrorisierte Syrien. Die vor wenigen Wochen aus der Taufe gehobene „Syrische nationale Koalition“ (SNK) gilt nun als „legitime Vertreterin“ des syrischen Volkes. Vor eineinhalb Jahren hätte dies wohl die Hoffnung auf eine politische Lösung genährt. Sie ist längst verflogen.  Längst hat die sich stetig steigernde Grausamkeit ihre Eigengesetzlichkeit gewonnen.

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Internationale Gemeinschaft verschärft Druck auf Assad


130 Staaten anerkennen syrisches Oppositionsbündnis – Welche Optionen bleiben dem schwer bedrängten Diktator?
von Birgit Cerha
Während militante syrische Rebellen immer näher an das Herz des Regimes heranrücken, verschärft die internationale Gemeinschaft den diplomatischen Druck auf die Diktatur Bashar el Assads. Vertreter von 130 Staaten beschlossen bei dem Treffen der „Freunde Syriens“ im marokkanischen Marrakesch , dem Beispiel Großbritanniens, Frankreichs, anderer EU-Länder und zuletzt auch der USA zu folgen und das neugegründete Oppositionsbündnis der „Syrischen Nationalen Koalition“ als legitime Vertretung des syrischen Volkes zu akzeptieren. Zugleich fordern sie Assads Rücktritt und warnen eindringlich vor dem Einsatz chemischer Waffen gegen die syrische Bevölkerung.

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Sonntag, 9. Dezember 2012

Mursis Schachzug beschwichtigt Opposition nicht

 Verzicht auf Sondervollmachten kommt zu spät – Ägyptens Streitkräfte  melden sich angesichts anhaltender Konfrontation als starke Kraft zurück
 
von Birgit Cerha
 
Über dem Zentrum von Kairo kreisten Sonntag F-16 Jets der ägyptischen Luftwaffe. Diese seltene Aktion der Streitkräfte, die sich nach ihrer Entmachtung durch Präsident Mursi vor einem halben Jahr aus der politischen Szene zurückgezogen hatten, verleihen der unverhohlenen Warnung der Offiziere vom Samstag zusätzliches Gewicht. Die Armeeführung hatte sich erstmals seit Juli wieder zu Wort gemeldet und in einer insbesondere gegen Mursi gerichteten Warnung eine Intervention angedroht, sollten Mursi und seine Moslembrüder den Streit mit ihren Gegnern nicht durch Dialog schlichten und so verhindern, dass Ägypten „in ein finsteres Tunnel mit katastrophalen Folgen“ schlittere. „Das ist etwas, was wir nicht zulassen werden“, hieß es in einer Erklärung der Militärs.

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Donnerstag, 6. Dezember 2012

Ägypten droht ernste Gefahr

Mursis Anhänger attackieren die Opposition, während sich die Fronten in dem tief gespaltenen Land dramatisch verhärten
 
von Birgit Cerha
 
Panzer schützen Ägyptens ersten demokratisch gewählten Präsidenten nach der blutigsten Nacht, die Kairo seit der Revolution gegen Diktator Mubarak vor fast zwei Jahren erlebt hat. Die schwerste Staatskrise seit dem Sturz Mubaraks verheißt den Ägyptern eine turbulente – manche befürchten gar blutige – Zukunft. Das Volk ist in zwei Lager gespalten, die staatlichen Strukturen brechen  auseinander (die  Justiz ist ebenso gespalten, wie die staatlichen Medien) während ein sich stetig steigernder Hass gegeneinander die Chance auf Kompromiß und eine friedliche Lösung zusehends zunichte  macht.

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Freitag, 30. November 2012

Mursis Fehlkalkulationen

Kommentar von Birgit Cerha
Er wollte, dass Ägypten nicht zum Nullpunkt zurücktaumelt, zugleich sich und seine Islamisten aus den Fängen einer von Mubarak eingesetzten Justiz befreien und nach fast zwei Jahren dramatischer Turbulenzen das Land endlich wieder zu der für die ökonomische Erholung so entscheidenden Stabilität führen. Vielleicht sind Mursis Absichten redlich. Die Methoden aber sind zweifellos despotisch und der Verfassungsentwurf öffnet das Tor zu einem islamistischen Staat, der die von vielen Ägyptern so heiß erkämpften Grundsätze demokratischer Freiheit und menschlicher Würde mit Füßen treten könnte. Mursi sah sich in der Zwickmühle.

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Ägyptens Islamisten peitschen Verfassung durch

Versammlung billigt Entwurf, der den Weg zu einem „Gottesstaat“ ebnet und eine tiefe Kluft im Land aufreißt
von Birgit Cerha
Hinter einer eilig errichteten Betonmauer zum Schutz vor zornigen Demonstranten billigten die Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung in einer eilig einberufenen Marathonsitzung in der Nacht auf Freitag den Entwurf einer neuen Verfassung. Die Mauer symbolisiert eine dramatische Verhärtung der Fronten in der um die Gestaltung ihrer Zukunft ringenden ägyptischen Bevölkerung.

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Dienstag, 27. November 2012

Ägypten „auf des Messers Schneide"


Lässt sich der Weg zu einer neuen, einer islamistischen, Diktatur am Nil noch blockieren?
 
von Birgit Cerha

Ägypten stand Montag auf des „Messers Schneide“. Noch nie, seit Beginn der Revolution gegen Diktator Mubarak am 25. Januar 2011 war das Land so alarmierend tief polarisiert wie heute. Ein „Marsch von Millionen“, zu dem Islamistische Kräfte, angeführt von den Anhängern Präsident Mursis auf der einen und einer Opposition aus Linken, Säkularisten, Liberalen und Sympathisanten des alten Regimes auf der anderen Seite droht heute, Dienstag das Ringen um ein neues politisches System am Nil gefährlich zu eskalieren. Zwar rufen die Demonstranten, die sich seit vier Tagen auf dem Kairoer Tahrir-Platz versammelt haben, um gegen die neuen „pharaonischen Dekrete“ zu demonstrieren, die Mursi vergangenen Donnerstag erlassen hatte, wieder, wie vor fast zwei Jahren, nach dem „Sturz des Regimes“, diesmal eines vom Volk gewählten.

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Freitag, 23. November 2012

Mursi erhebt sich zum „neuen Pharao“

Ägyptens Präsident beschneidet die Macht der Justiz und ebnet den Weg zu absoluter Herrschaft – Moslembrüder rüsten sich für die Konfrontation
von Birgit Cerha

Die Führung der Moslembruderschaft, die Mohammed Mursi den Weg zum Präsidenten Ägyptens geebnet hatte, appelliert an ihre aktivsten Mitglieder, keine Auslandsreisen anzutreten und sich für die Konfrontation mit säkularen Gegnern zu rüsten. Kein Zweifel, Ägypten rückt 21 Monate nach dem Sturz Mubaraks neuen Turbulenzen immer näher und entfernt sich zugleich dramatisch dem von vielen der jungen Revolutionäre so heiß ersehnten Ziel der Freiheit, Würde und Demokratie.

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Montag, 19. November 2012

Irak: Die ersten Spuren von Luxus

von Birgit Cerha

„Nun schaut mal, auch wir verdienen ein besseres Leben“, wehrt die junge irakische Ökonomin sorgenvolle Einwände ab. Auch sie will sich, wie so manche andere irakische Frauen, endlich wieder  Eitelkeit leisten und einen Hauch von Luxus.  Und sie reibt sich freudig die Hände ob der Aussicht, dass „Paris Gallery“, die in Dubai stationierte Luxuskette für Parfums, Kosmetiker aller Art und Schmuck, an den Tigris ziehen und in wenigen Monaten in Bagdad, innerhalb der nächsten drei Jahre auch an anderen Orten des Iraks insgesamt fünf Filialen eröffnen wird.

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Sonntag, 18. November 2012

Gaza und die neue arabische Ordnung


Die radikalen Veränderungen in der strategischen Landschaft stärken Hamas und bieten Ägypten neue Chancen auf die einst verlorene Führungsrolle
 
von Birgit Cerha
Die Arabische Liga entsendet eine Delegation in den Kriegsschauplatz Gaza, um ihre „Solidarität mit den Palästinensern“ zu dokumentieren. Eine Arbeitsgruppe, so beschlossen die Außenminister auf ihrer Dringlichkeitssitzung Sonntag in Kairo, soll auch „die Sinnhaftigkeit“ des Festhaltens der arabischen Führer an ihrer 2002 vorgeschlagenen Friedensinitiative überprüfen. Die Liga hatte vor einem Jahrzehnt Israel diplomatische Anerkennung als Gegenleistung für dessen Rückzug aus allen noch besetzten Gebieten und einer angemessenen Lösung der palästinensischen Flüchtlingsfrage angeboten. Dieser Plan hatte seither den Eckpfeiler arabischer Politik gegenüber Israel gebildet.

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Mittwoch, 14. November 2012

Irak findet keinen Frieden


Extremisten und frustrierte Bevölkerungsgruppen nützen die Schwäche eines zutiefst korrupten Regimes, um das Land für ihre Zwecke ins Chaos zu stürzen

von Birgit Cerha
  
Und wieder, wie fast jeden Monat, sucht eine großangelegte Serie von Attentaten den Irak heim. Das Terrormuster ist stets dasselbe: in Autos oder an Straßenrändern versteckte Sprengsätze, die fast gleichzeitig in mehreren Landesteilen explodieren. Zuletzt starben Mittwoch in Bagdad, Kirkuk, Hawija und Hilla mindestens 21 Menschen.  Ziel der Gewalt sind meist Angehörige der schiitischen Bevölkerungsmehrheit.

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Dienstag, 13. November 2012

Syriens Opposition schließt sich zusammen


Neuer Dachverband hofft mehr Glaubwürdigkeit und internationale Anerkennung, die den Weg zu intensiver, auch militärischer, Unterstützung ebnet
von Birgit Cerha

(Bild: Moaz al-Khatib) 
 „Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Bildung einer breiten und repräsentativen Opposition, die die ganze Vielfalt der syrischen Bevölkerung spiegelt.“ Mit diesen Worten fasst der britische Außenminister William Haig die Hoffnung vieler seiner westlichen Amtskollegen zusammen, dass sich ein Ausweg aus dem 20-monatigen syrischen Dilemma finden könnte: eine seriöse und glaubwürdige Alternative zum Regime Assad, die eine breite internationale Unterstützung möglich macht.

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Donnerstag, 8. November 2012

Islamische Welt: Seufzer der Erleichterung für Obama


Der Enthusiasmus ist geschwunden, viele hoffen nun auf größere Unterstützung in der zweiten Amtsperiode

von Birgit Cerha

Menschen im Iran und in der arabischen Welt reagierten in den sozialen Netzwerken Mittwoch mit einer Mischung aus Erleichterung und Vorsicht auf die Wiederwahl Barack Obamas. Der unterlegene Gegenkandidat  Romney erschien vielen als ein Schreckgespenst, das der islamischen Welt durch eine entschlossen selbstbehauptende Politik noch viel mehr Qualen aufbürden würde. Obama hingegen verhieß in seiner Siegesrede der Welt, das heißt vornehmlich dem Mittleren Osten das Ende eines zehnjährigen Krieges.

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Sonntag, 4. November 2012

Für die Araber ist Obama das „kleinere Übel“

Gleichgültig wer die Wahlen in den USA gewinnt, Washingtons Beziehungen zum Mittleren Osten werden sich verändern
von Birgit Cerha
Barak Obama der hochbegabte Rhetoriker, berührte die arabische Seele, als er vor drei Jahren in zwei programmatischen Reden in Kairo und Istanbul den Menschen der Region einen „Neubeginn“ verhieß, einen radikalen Bruch mit dem vergifteten Erbe des 11. Septembers 2001, das unter seinem Vorgänger Bush zur Invasion des Iraks führte, zum internationalen Krieg gegen den Terror und in die blutige Sackgasse des Palästinenserkonflikts.

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Sonntag, 28. Oktober 2012

Waffen für Syriens Rebellen bringen keinen Frieden

Der Krieg in Syrien tobt weiter ohne Ausicht auf ein baldiges Ende. Trotz so mancher Geländegewinne der Rebellen herrscht seit Monaten ein militärisches Patt, in dem es nur Verlierer, nur Tote, nur terrorisierte Zivilisten gibt. In dieser Situation werden die Rufe nach entschlossener Bewaffnung der Gegner des Diktators Bashar el Assad im Westen immer lauter. Ohnedies schafft es die "Freie syrische Armee" dank intensiver Hilfe ihrer Schutzmacht Türkei, sich durch Waffenschmuggel, insbesondere auch aus den Golfstaaten Saudi-Arabien und Katar, sowie Libyen u.a. ihr Arsenal mit immer schlagkräftigerem Tötungsgerät aufzustocken. Aber ganz offiziell erwägen inzwischen Frankreich und vor allem Kreise in den USA eine massive militärische Unterstützung der militanten Opposition, die über mein einheitliches Kommando verfügt, zutiefst zersplittert und von allerlei radikalen, islamistischen, terroristischen und auch kriminellen Elementen - viele davon keine Syrer - unterwandert ist. 


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Freitag, 26. Oktober 2012

Verliert Assad Aleppo?

Langsam, sehr langsam gewinnen die syrischen Rebellen an Kraft – Doch das Regime kann noch die wichtigsten Positionen halten – Ein hoffnungsloses Patt

von Birgit Cerha
Die islamische Welt begann ihr großes Eid al-Adha-Fest, doch in Syrien ist ungeachtet eines vom Regime verkündeten viertägigen Waffenstillstandes der Kriegslärm nicht verstummt. Der Feuerpause droht das Schicksal ihrer letzten Vorgängerin, die im April bereits nach einem Tag zusammenbrach. Ein wenig ruhiger war es Freitag aber wenigstens in einigen Teilen des Landes, wo humanitäre Helfer nach den vielen Wochen ununterbrochener erbitterter Kämpfe wenigstens eine kurze Chance erhielten, Bedürftigen beizustehen.


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Donnerstag, 25. Oktober 2012

Syrische Wunschträume

von Birgit Cerha


Kann ein viertägiger Waffenstillstand das gequälte Syrien aus seinem Todesrausch reißen? Das wohl hofft der UN-Vermittler Lakhdar Brahimi. Schweigen die Waffen wenigstens kurze Zeit, könnte ein politischer Prozess zur Beendigung des Gemetzels beginnen. Doch für die Kämpfer auf beiden Seiten ist offenbar – trotz geschätzten 30.000 Toten – noch nicht genügend Blut geflossen, um dem Schutz von Menschenleben die allerhöchste Priorität einzuräumen. Die katastrophal zersplitterte Opposition beharrt auf dem Sturz des Diktators und dieser besitzt immer noch beträchtliche Kraft in seinem Überlebenskampf. Trotz wichtiger Geländegewinne der Rebellen in der Wirtschaftsmetropole Aleppo dürfte der Ausweg aus einem monatelangen militärischen Patt noch nicht gefunden sein.

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Mittwoch, 10. Oktober 2012

Iran: Der sanfte Massentod


Die internationalen Sanktionen gegen den Iran treffen mehr und mehr die Ärmsten und Schwächsten, halten die Jugend als Geiseln, indem sie ihr die Zukunft verbauen und die wehrlose Bevölkerung in Ohnmacht und Verzweiflung treiben. Kann die internationale Gemeinschaft, kann der Westen tatenlos und gleichgültig zusehen, wie die politischen Führer ein ganzes 80-Millionen-Volk in die Verzweiflung treiben? "Die heraufziehende Katastrophe", so mahnt der iranische Chemiker Muhammad Sahimi, "wird zu einem ethischen und moralischen Problem für die gesamte Weltgemeinschaft".
Erschreckende Details der beginnenden Katastrophe sind in dem Artikel "Killing them Softly: The Stark Impact of Sanctions on the Lives of Ordinary Iranians" nachzulesen.


http://www.icanpeacework.org/wp-content/uploads/2010/01/ICANIransanctionssummer12.pdf

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LEXIKON: Sanktionen gegen den Iran

Internationale Sanktionen gegen den Iran sind so alt wie die „Islamische Republik“. Die Amerikaner verhängten und verschärften sie, nachdem radikale Anhänger von Revolutionsführer Khomeini 1979 die US-Botschaft besetzt hatten. Ungeachtet dieses Drucks hielten sie 52 US-Diplomaten 444 Tage lang als Geiseln. Das Embargo, konzentriert weitgehend auf den Rüstungssektor, berührte die Bevölkerung allerdings kaum. Geschäftsleute, einfache Bürger, der Mittelstand wurden seit 1995 jedoch mehr und mehr getroffen, seit der damalige US-Präsident Clinton Sanktionen gegen den Öl- und Gassektor verhängte und nun auch zunehmend der Finanzbereich gelähmt wurde. Während in den vergangenen Monaten die Wohlhabenden in ohnmächtigem Schock die Schrumpfung ihrer Ersparnisse verfolgen und sich mehr und mehr der Masse der Armen anschließen, sind die sozial Schwachen, jene, die den geringsten Einfluss auf die Politik des Landes auszuüben vermögen, die Hauptopfer.
Westliche Länder, allen voran die USA, haben seit 2006 die Sanktionen graduell verschärft und auch begonnen, auf Einzelpersonen, insbesondere in den Revolutionsgarden, dem Rückgrat des Regimes, zu zielen. Mit einem Geldwäschevorwurf gegen die iranische Zentralbank und das gesamte Bankwesen des Landes konnten die USA ausländische Regierungen dazu anhalten, ihre Verbindungen zu den Banken ebenfalls zu lösen, wodurch auch für die iranische Privatwirtschaft das internationale Handelsgeschäft völlig gelähmt wurde. Die Sanktionen zielen vor allem auch auf die Schiffahrtsindustrie. Das letzte nicht-iranische Unternehmen, das sich noch bereitgefunden hatte, Tanker mit iranischem Öl zu versichern, beugte sich nun massivem US-Druck und zog sich aus dem Geschäft zurück.
Wiewohl bereits in fast totale ökonomische und politische Isolation getrieben, haben die Sanktionen das iranische Regime eher in seiner Entschlossenheit bestärkt, mit dem Atomprogramm, (für „friedliche Zwecke“, wie Teheran betont) fortzufahren. Unabhängige Experten sind davon überzeugt, dass es dem Iran derzeit nicht darum geht, Atomwaffen herzustellen, sondern sich nur das Know-how für eine eventuelle spätere Produktion zu erwerben.
Vor allem die amerikanischen Sanktionen aber enthalten keinerlei Anreiz für Teheran, sich auf Zugeständnisse einzulassen. Denn der Gesetzestext geht weit über das Atomprogramm hinaus und ist eher dazu angetan, die Herrscher der „Islamischen Republik“ in ihrer Unnachgiebigkeit zu bestärken und nicht mit den USA zu kooperieren. Denn die ökonomischen Strafmaßnahmen gegen den Iran können erst aufgehoben werden, wenn der US-Präsident dem Kongreß darüber informiert, dass das iranische Regime

- Alle politischen Gefangenen freigelassen hat
- Alle Methoden der Gewalt gegen iranische Bürger, die sich in friedlicher Weise politisch engagieren, stoppt;
- Eine transparente Untersuchung der Tötung von und Gewaltanwendung gegen friedliche politische Aktivisten (gemeint ist während der monatelangen Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2009) einleitet und die Verantwortlichen vor Gericht stellt;
- Reformen zur Errichtung eines unabhängigen Justizsystems einzuleiten.

So dringend notwendig solche Maßnahmen auch wären, komplizieren diese Forderungen die Suche nach einer Lösung im Atomkonflikt in gravierender Weise, da sie mit dem iranischen Atomprogramm in keinerlei Zusammenhang stehen. Zudem sind sogar wichtige US-Verbündete in der Region weit davon entfernt, solche Bedingungen zu erfüllen, allen voran Saudi-Arabien und Bahrain, die während des „Arabischen Frühlings“ ähnlich brutal gegen friedliche Demonstranten losgegangen waren und einige von ihnen immer noch in Haft halten, wie die „Islamische Republik“.
Solche Doppelmoral und die zynische Bereitschaft des Westens, auch noch so große Opfer unter einer ohnedies durch ein repressives Regime gequälten Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen, führt – wie die Vergangenheit bereits zeigte – zu einer Verhärtung der iranischen Position und treibt die amerika-freundlichste Bevölkerung des Mittleren Ostens mehr und mehr ins Lager der Feinde der Supermacht.


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„…noch mehr Schmerzen in den Straßen“

Die internationale Sanktionen gegen den Iran treffen nicht das Regime, sondern zunehmend die Schwächsten der Bevölkerung – Dennoch erwägt der Westen eine weitere Verschärfung

von Birgit Cerha

Die Schraube soll noch fester angezogen werden. Deutschland, Frankreich und Großbritannien wollen beim EU-Außenministertreffen am 15. Oktober eine weitere Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen den Iran durchsetzen. Zugleich erstrebt Washington noch massivere Restriktionen für Irans Finanz- und Energiesektor und die Schiffahrts-Industrie. De facto sollen alle Export- und Importtransaktionen des iranischen Bankensystems vollends blockiert werden. Ohne Skrupel spricht der britische Staatssekretär für Verteidigung, Philip Hammond, die Absicht seiner Regierung und jener anderer EU-Staaten aus, den Druck auf den Iran so zu verstärken, dass “noch mehr Schmerzen in den Straßen“ einen das Regime ernsthaft gefährdenden Volksaufstand provozierten.
Einst suchten westliche Regierung zum Euphemismus „intelligenter“ Sanktionen Zuflucht, die nur das Regime in Teheran schmerzen und damit zwingen sollten sein Atomprogramm aufzugeben. Inzwischen aber bekennen sich so manche westliche Politiker, wie Hammond, bereits offen zu der erschreckend zynischen und höchst fragwürdigen Kalkulation, durch ein radikales Wirtschaftsembargo die Unzufriedenheit in der Bevölkerung in einem Maße zu schüren, dass die Iraner es wagen, sich gegen ihr skrupellos repressives Regime, ungeachtet vergangener blutiger Fehlschläge solcher Rebellionen, erneut zu erheben und es zumindest zum Einlenken in der Atomfrage zu zwingen, noch besser aber gleich ganz von der Macht zu jagen. Die Straßenproteste und Streiks der mächtigen Bazar-Händler nach einem dramatischen Kurssturz der Landeswährung Anfang Oktober haben die Verfechter dieses harten Kurses im Westen entscheidend ermutigt. Moralische Einwände gegen eine solche Politik werden mit dem Argument vom Tisch gewischt, Leid (auf die iranische Bevölkerung beschränkt) durch Sanktionen sei immer noch besser als Tod durch einen Krieg mit unabsehbaren Folgen.
Dass aber das Leid in einem zunehmend schockierendem Ausmaß die einfachen Menschen im Lande, ja vor allem die Schwächsten trifft, zeigt sich immer deutlicher. Ungeachtet der staatlichen Subventionen für Grundnahrungsmittel, die den Armen im Land das Überleben sichern, sind die Preise für Waren wie Milch, Brot, Reis, Gemüse oder Yogurt seit Jahresbeginn um mehr als 100 Prozent in die Höhe geschnellt.

Amerikanische Gesetze etwa verbieten ausdrücklich Sanktionen gegen Nahrungsmittel, Medikamente und Güter für den humanitären Bedarf. Während der Export solcher Waren in den Iran zwar technisch gestattet ist, haben die Sanktionen gegen iranische Banken fast alle Finanzkanäle für derartige Transaktionen blockiert. Iranische Geschäftsleute bekommen für Importe keine Akkreditive mehr. Hinzu kommt ein dramatischer Kursverlust des Rial, der Anfang Oktober von 10.500 gegenüber dem Dollar vor einem Jahr auf 37.500 stürzte – aus einer Kombination von Sanktionen und hausgemachter Misswirtschaft.

Selbst vor dieser jüngsten Krise lag die Inflationsrate bei etwa 30 Prozent, nun – so befürchten unabhängige Ökonomen – drohe dem Land eine Hyperinflation, in der die Preise vollends ausser Kontrolle geraten – eine Entwicklung, die schließlich zu einer totalen Zerstörung der Wirtschaft führen könnte. Täglich gehen schon jetzt Firmen bankrott, die Arbeitslosigkeit liegt nach Schätzungen bei über 40 Prozent. Nach jüngsten Berichten hat der Industriesektor in diesem Jahr rund 800.000 Arbeiter entlassen, jene, die ihre Jobs noch behalten konnten, sehen sich mit einer existenzbedrohenden Schrumpfung der Löhne konfrontiert. 10.000 Fabriksarbeiter appellierten jüngst in einem offenen Brief an das Regime, ihre unter das Existenzminimum abgesunkenen Löhne zu erhöhen. In dieser Bevölkerungsschichte rekrutiert das Regime seit 1979 seine Hausmacht.

Selbst Öl, das bis zu 90 Prozent der Exporterträge lieferte, bringt kaum noch Devisen. Irans Ölprdoduktion ist als Folge der Sanktionen, amerikanischen Drucks auf asiatische Käufer, sich nach anderen Quellen umzusehen, innerhalb eines Jahres um fast 65 Prozent gesunken, liegt nun mit etwa eine Million Barrel im Tag auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahrzehnten. Und die wichtigen asiatischen Abnehmer, insbesondere China und Indien zahlen fast nur noch in Ware und erzwingen einen niedrigen Gegenwert.

Die Sanktionen treffen vor allem auch die Mittelschicht, jene Bevölkerungskreise, aus der Aktivisten der Zivilgesellschaft hervorgehen, jene, die schließlich eine demokrat9ische Alternative zum repressiven „Gottesstaat“ schaffen können. In dem sich stetig verschärfenden Überlebenskampf, verlieren sie zunehmend die Kraft und Energie sich für politische Reformen, Systemveränderung, die Rechte des einzelnen einzusetzen.

Am dramatischsten aber erweisen sich die Sanktionen auf dem Gesundheitssektor. Iran kann keine lebenswichtige Medikamente mehr importieren. Vor allem diverse Krebskrankheiten, Aids, , Hämophilie, unter der mindestens zehntausende Jugendliche und erwachsene Männer leiden oder Multiple Sklerose müssen weitgehend unbehandelt bleiben. Die entsprechenden Medikamente auf dem Schwarzmarkt höchstens für eine kleine Bevölkerungsschicht mehr erschwinglich. Schon jetzt sterben etwa 70.000 Iraner jährlich an Krebs und alle zwölf Monate kommen etwa 80.000 neue Krebsfälle hinzu. Gesundheitsexperten befürchten, der Iran werde bis 2015 von einem „Krebs-Tsunami“ erschüttert. Die Sanktionen bedeuten damit den langsamen Tod von Zehntausenden Iranern, während das Regime und dessen wichtigste Stütze, die für das Atomprogramm verantwortlichen Revolutionsgarden völlig unberührt bleiben. . Die psychischen Folgen steigender Existenz- und Kriegsängste werden sich erst langfristig zeigen. Die wahre Tragödie für 80 Millionen Iraner, die die Welt als Geisel hält, steht erst am Anfang.

Keineswegs nur Experten hatten von anderen Beispielen, wie etwa Burma oder dem Irak längst verstanden, dass internationale Sanktionen, die direkt auf Einzelpersonen und dann auf das gesamte Finanzsystem zielen, wie im Iran, diese politischen Führer nicht einmal wirklich irritieren, geschweige denn von ihren Methoden und Zielen abhalten. Die Familie des irakischen Diktators Saddam Hussein konnte das zwölfjährige Embargo nutzen, um ihren unermesslichen Reichtum noch zu vergrößern, ihr Leben in Luxus voll zu genießen und zugleich das verzweifelte Volk noch stärker unter seine Knute zu zwingen. Nach einer Studie des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF, eine der verlässlichsten über die Folgen der Sanktionen im Irak, bezahlten rund 500.000 Kinder die zwölfjährigen Sanktionen mit ihrem Leben, andere mit ihrer Zukunft – eine alarmierende Aussicht, auch angesichts der Tatsache, dass Irans Bevölkerung dreimal so hoch ist. Nur wenige im Westen haben sich je mit diesem enormen ethischen und moralischen Problem ernsthaft auseinandergesetzt. Vielmehr wiederholt die internationale Gemeinschaft diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit nun im Iran – und dies auch noch ohne geringste Aussicht, ihr deklariertes Ziel - Abkehr vom Atomprogramm – durch solch gigantischen Preis auch zu erreichen.

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Dienstag, 9. Oktober 2012

Mursis Generalamnestie für „Revolutionäre“

Ägyptens Präsident setzt wichtigen Schritt – Doch viele Hürden liegen noch auf dem Weg zu demokratischen Freiheiten und zur Achtung der Menschenrechte

von Birgit Cerha
Ägypten feiere „einen der wichtigsten Siege der Revolution“, frohlockt Mohammed Gadallah, Rechtsberater Präsident Mohammed Mursis, der eben, zum Abschluss seiner ersten hundert Tage an der Spitze des Landes eine Generalamnestie erlassen hat. Diese gilt für alle politischen Gefangenen, die den Volksaufstand gegen den im Februar 2011 gestürzten Präsidenten Mubarak unterstützt hatten und Zwischen dem 25. Januar 2011 und dem 30. Juni 2012 (dem offiziellen Machtantritt Mursis) festgenommen worden waren. Ausgenommen sind nur jene, die wegen Totschlags in Haft sitzen.
Mehr als 12.000 Menschen wurden nach Angaben der Gruppe „Not o Military Trials“ von Militärgerichten abgeurteilt und mindestens 5000 Menschen sitzen noch aus politischen Gründen in Gefängnissen. Wieviele Häftlinge tatsächlich freikommen, bleibt vorerst unklar.

Ägyptische Menschenrechtsaktivisten begrüßen „diesen großen Schritt“, halten ihn jedoch für keineswegs ausreichend, um die jahrzehntelange Ära der Repression am Nil auch tatsächlich zu beenden. Anwälte kritisieren vor allem die vage Formulierung des Amnestie-Dekrets, das zudem nicht sofort die Freilassung aller der Gefangenen vorsieht, sondern Generalstaatsanwalt und Militärankläger auffordert, binnen einen Monats eine Liste jener vorzulegen, die in den Genuss der Amnestie fallen sollen. Damit bleibt die Phrase „Unterstützung der Revolution“ der Interpretation vorbehalten.

Mursis erste hundert Tage haben viele Ägypter insbesondere im Bereich der Menschenrechte und demokratischer Freiheiten enttäuscht. Wiewohl der Präsident selbst als Aktivist der massiv von Ägyptens Herrschern seit den 50er Jahren verfolgten Moslembrüder die Gefängnisse und Folterkammern des Landes am eigenen Leib kennengelernt hatte, setzte er bisher nicht die von den demokratischen Revolutionären radikalen Schritte, um gravierenden Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen. Bei seiner Machtübernahme versprach Mursi, das alarmierende Sicherheitsvakuum, das der Sturz Mubaraks aufgerissen hatte, zu beenden. Tatsächlich kehrte die Polizei wieder in voller Stärke in die Straßen der Städte zurück. Doch ihr Wiedererscheinen wurde nicht von den so dringend nötigen substantiellen Reformen im Innenministerium begleitet. Die wachsende Sorge vieler Bürger vor einer Rückkehr von Willkür und Brutalität der Sicherheitskräfte wurde in den vergangenen Wochen durch sich mehrende Zwischenfälle genährt.

Menschenrechtsaktivisten beklagen, dass Mursi nichts unternommen hat, um die Polizeimentalität zu verändern. Dafür spricht auch die Wahl Ahmed Gamal Eddins zum neuen Innenminister. Gamal Eddin hatte unter seinem wegen brutaler Repressionen und Folter zutiefst verhaßten Vorgänger Al-Adly als Sicherheitschef für den Süd-Sinai und Oberägypten gedient, eine Region, in der die Sicherheitskräfte traditionell mit besonderer Brutalität vorgingen. Und tatsächlich mehren sich auch jetzt erneut Berichte von Mißhandlungen in Gefängnissen. Kritiker beklagen auch, dass das Innenministerium – wie in der Vergangenheit – seine Hauptaufgabe im Schutz des Systems und nicht der Bevölkerung sieht. Truppen bewachen Regierungsgebäude und nicht etwa von Kriminellen bedrohte Supermärkte.

Auch die Achtung der Meinungsfreiheit, unter deren Verletzung Mursis Moslembruderschaft in der Ära Mubarak und davor bitter zu leiden hatte, läßt im neuen Ägypten viel zu wünschen übrig. Wie einst unter Mubarak wurden auch in den vergangenen Wochen Journalisten wegen „Beleidigung“ des Präsidenten festgenommen oder eingeschüchtert. Drastisch sprang vor allem aber auch die Zahl jener in die Höhe, die wegen „Mißachtung der Religion“ verfolgt werden. So wurden jüngst sogar ein neun- und ein zehnjähriges koptisches Kind festgenommen, weil sie angeblich Verse des Korans zerrissen hatten. „Human Rights Watch“ zeigt sich zutiefst besorgt über einen – allerdings noch nicht vollendeten – Entwurf einer neuen Verfassung, der eine schwere Bedrohung grundlegender Menschenrechte – mangelnder Schutz gegen Folter, Diskriminierung von Frauen, für Meinungs- und Religionsfreiheit – befürchten läßt.

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Donnerstag, 4. Oktober 2012

Ankaras gefährliches Muskelspiel

Die Billigung von Militäroperationen außerhalb der Grenzen durch das türkische Parlament kann die Krise entschärfen oder zu unabsehbare Konsequenzen führen

von Birgit Cerha

Das türkische Parlament, so Kommentatoren in Ankara, hätte gar keine andere Wahl gehabt, als nach der Tötung von zwei Frauen und drei Kindern im Grenzort Akcakale durch syrische Granaten das Eindringen der Armee in syrisches Territorium zu billigen. Ankara müsse seine“ militärische Abschreckungskraft“ demonstrieren. Doch die Entscheidung des Parlaments sei „keine Kriegserklärung“. Besonnene Kräfte hoffen, dass die nun parlamentarisch bekundete Entschlossenheit der Türken, Vergeltung für derartige Grenzzwischenfälle zu üben, die Situation – zumindest vorläufig – entspannen könnte, nachdem die türkische Luftwaffe zwei Tage lang syrische Positionen attackiert und mindestens fünf syrische Soldaten getötet hatte.
Dennoch, die Gefahr von Fehlkalkulationen, vor allem aber Provokationen, die zu einem offenen Krieg zwischen Syrien und der Türkei mit unabsehbaren Konsequenzen für die gesamte Region führen könnten, ist damit keineswegs gebannt. Die türkische Armee kann jederzeit, ohne nochmals das Parlament zu befragen, die syrische Grenze überschreiten.

Das syrische Regime versucht seit Mittwoch intensiv zu beschwichtigen. Ein Krieg mit der Türkei ist das letzte, was der schwerbedrängte Präsident Assad noch riskieren kann. Dennoch bleibt die Frage offen, ob die syrische Armee bei weiteren Attacken der türkischen Luftwaffe nicht doch zurückschlägt und so eine Eskalation unvermeidlich wird.

Bisher ist ungeklärt, ob die Granaten Mittwoch nicht von Angehörigen der „Freien syrischen Armee“ (FSA) oder anderen von der Türkei unterstützten Rebellen gegen Assad abgefeuert worden waren, entweder im Zuge seit Wochen tobender Kämpfe um die Kontrolle des wichtigen Grenzübergangs Tel Abyad, oder um eine gezielte Provokation der FSA. Die Rebellen fordern seit langem eine, auch vom türkischen Premier Erdogan geplante „Schutzzone“ für Flüchtlinge auf syrischem Gebiet, die nach libyschem Vorbild aus der Luft vor Angriffen der syrischen Armee abgeschirmt werden sollte – ein Szenario, das die Türken nicht allein durchsetzen wollen, für das ihnen jedoch – bisher – die internationale Unterstützung fehlt.

Ankara steckt in einer schweren Zwickmühle. Der Flüchtlingsstrom hat mit fast 100.000 Menschen die von Erdogan schon lange festgelegte Grenze der Aufnahmekapazität beinahe erreicht. Hält er weiter an, sei eine „Schutzzone“ die einzige Möglichkeit, den verzweifelten Menschen zu helfen, stellte der Premier schon lange klar. Doch Ankaras Motive beschränken sich keineswegs auf das Humanitäre.

Erdogan hegt offenes Interesse an einem Sturz Assads, um die geostrategische Position der Türkei entscheidend auszubauen, und ist de facto schon lange in diesen Krieg verwickelt, unterhält Ausbildungslager für syrische Rebellen, die insbesondere aus manchen arabischen Ländern, aber auch dem Westen teils intensive Hilfe bekommen.
Zudem hat der schwer bedrängte Assad vor einigen Monaten der kurdischen Minderheit in Nord-Syrien erstmals Freiraum zu einer beginnenden Selbstverwaltung gegeben. In diesem an die Türkei grenzenden Territorium bekamen so mit der türkisch-kurdischen Guerillaorganisation PKK sympathisierende Gruppen Aufwind. Eine Stärkung der kurdischen Bewegung in Syrien steigert den Druck auf die Türkei, endlich ihr eigenes Kurdenproblem – auf demokratische Weise – zu lösen. Zugleich aber beginnt die PKK sich in Syrien ein neues Sprungbrett für Attacken gegen türkische Ziele zu schaffen. Hier liegt die Hauptsorge der türkischen Armee. Die Entscheidung des Parlaments zum Militäreinsatz in Syrien ermöglicht den Türken nun vor allem auch Aktionen gegen die PKK in Syrien, so wie sie es seit Jahrzehnten im Nord-Irak ungestört mit ungezählten zivilen Opfern tut.

Dennoch, ein offener Krieg mit Syrien im Alleingang birgt für Ankara enorme Risiken. Eine überwältigende Bevölkerungsmehrheit lehnt ein solches Engagement entschieden ab und die internationale Unterstützung fehlt weitgehend. In der arabischen Welt drängt nur Katar auf Intervention, nachdem Saudi-Arabien, wichtigster Helfer der Rebellen, nun einen Kompromiss mit Assads Schutzmacht Iran sucht. Vor allem aber bleibt Russland entschlossen, Assad nicht fallen zu lassen und Erdogan kann es sich nicht leisten, Präsident Putin vor den Kopf zu stoßen. In der Türkei leben mindestens 100.000 Russen, unter ihnen hochqualifizierte Experten in strategischen Projekten. Zudem ist die Türkei der zweitgrößte Kunde des russischen Gaslieferanten Gazprom. Das gesamte türkische Energiesystem stützt sich zu einem großen Teil auf Gas aus Rußland und dem Iran.

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Sonntag, 16. September 2012

Die langfristigen Folgen der Film-Krawalle

Durch ihre zwiespältige Haltung zu den Protesten, riskieren islamische Führer eine schwere Krise mit dem Westen, dessen Hilfe sie dringend benötigen

von Birgit Cerha
Der Zorn hat sich entladen. Die absurden Proteste über das anti-islamische Schmähvideo beginnen abzuebben. Doch die Folgen können die Welt verändern. In Tunesien und Sudan reduziert Washington seinen diplomatischen Stab auf das absolute Minimum, in anderen Ländern der Region gleichen die US-Botschaften bereits Festungen an der neuen Frontlinie in einem von der radikalen westlichen Rechten und gewalttätigen Islamisten heraufbeschworenen Krieg der Kulturen. Stoppen die USA tatsächlich ihr nun vielleicht so gefährdetes friedliches Demokratie-Engagement im Herzen der islamischen Welt, dann drohen Brücken zu bersten und Spannungen gefährlich zu eskalieren.
Hintergründe und Ursachen der absurden und doch so tragischen Krawalle der vergangenen Tage fußen keineswegs nur in einem latenten, sich angeblich stetig steigernden Anti-Amerikanismus. Sie sind weit vielfältiger. Jüngste Statistiken lassen zwar erkennen, dass ungeachtet der Bemühungen US-Präsident Obamas um Verständigung und Aussöhnung mit der islamischen Welt nur 15 Prozent der Bevölkerung islamischer Staaten positiv zu den USA stehen. 2009 waren es noch 25 Prozent. Die Ursachen dafür sind die anhaltende Israel-Unterstützung Washingtons im Palästinenserkonflikt, die US-Kriege im Mittleren Osten und der jahrzehntelange Bund der USA mit Despoten der Region. Obamas politische Korrekturversuche gelten weithin als zu spät und zu wenig.

Anderseits ist aber etwa Ägyptens junge Generation weit weniger religiös als der Älteren, 35 Prozent der Ägypter setzen sich für ein Beibehalten der engen Beziehungen zu den USA ein, während sogar 20 Prozent eine Stärkung der Bande erstreben. In Libyen und Tunesien liegen die Sympathien für die Supermacht noch weit höher.

In vielen Ländern, wie etwa im Sudan, hat das schockierende Mohammed-Video diversen Randgruppen von radikalen Unzufriedenen die Chance geboten, ihren Frustrationen wegen Armut etwa, Unterdrückung oder anderen Interessen gewaltsam Luft zu lassen. In Libyen, Tunesien, im Jemen und vor allem auch in Ägypten spielt der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung, ein immer noch anhaltendes Sicherheitsvakuum als Folge des „arabischen Frühlings“ eine entscheidende Rolle. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Zwiespältigkeit der neuen Herrscher in Ägypten, wo Präsident Mubarak und seine Moslembruderschaft als Folge einer toxischen Mischung von Schwäche, Angst, Opportunismus und Komplizenschaft erst nach zwei Tagen die sonst so gar nicht repressionsscheuen Sicherheitskräfte zum Einschreiten gegen die Gewalt rief und diese spät und nur zaghaft kritisierte, wohl aus Angst, von radikaleren islamischen Gruppen, wie den Salafisten, politisch überflügelt zu werden. Der Mehrheit der sich nach Ruhe und Stabilität sehnenden Ägypter aber dürfte nicht entgangen sein, dass die salafistische Nour-Partei, ja sogar die der Gewalt abgeschworene einstige Terrororganisation „Gamaa al Islamiya“ weit energischer als der Präsident die Attacken auf westliche Botschaften als „illegal und gegen islamisches Recht“ kritisierten.

Mursi erweist sich damit als höchst zweifelhafter Bündnispartner der Supermacht. Obama stellte dies auch unverhohlen klar. Wiewohl ihm und anderen westlichen Führern in der Frage des Films nach den Grundprinzipien der Meinungsfreiheit die Hände gebunden sind, besitzen die USA und europäische Staaten starke Druckmittel, um Mursi zu staatsmännischem Verhalten zu zwingen. An erster Stelle stehen US-Militär- und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe, westliche Investitionen, die die dahinsiechende Wirtschaft ebenso wie den anhaltenden Touristenstrom so dringend benötigt. Vor allem aber geht es auch um den Bündnisstatus, gegenseitige Beistandshilfe zwischen den USA und Ägypten, den Obama nun drohend offen in Zweifel zieht. Mursi könnte damit mittelfristig seine Macht riskieren. Gelingt es ihm nicht, die Wirtschaft nach den Turbulenzen des „Arabischen Frühlings“ wieder anzukurbeln, die wachsende Not der armen Massen zu lindern – Voraussetzung dafür ist die Hilfe des Westens -, riskiert er offenen Konflikt mit den USA dann könnte sich rasch der Zorn vieler Ägypter gegen ihn selbst richten.

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Freitag, 14. September 2012

Ein Zusammenprall von Fanatismus und Zweckmäßigkeit

Was steckt wirklich hinter dem hysterischen Aufruhr über den Propheten Mohammed beleidigende Filmausschnitte? – Höchste islamische Führer beschwichtigen

von Birgit Cerha
Wie befürchtet, breitete sich Freitag der hysterische Aufruhr über einen in den USA produzierten Amateurfilm, der den Propheten Mohammed in primitivster und verabscheuungswürdiger Weise beleidigt und bisher nur in YouTube in kurzen Ausschnitten zu sehen ist, weiter aus. Während im sudanesischen Khartum westliche Botschaften angegriffen wurden, verhinderte die Polizei in Kairo eine Wiederholung der Attacken auf die US-Botschaft vom Mittwoch. Unterdessen erheben sich unter den politischen und religiösen Führern der arabischen Welt mehr und mehr Stimmen der Mäßigung. Während der Film einhellig verdammt wird, kritisiert Ägyptens Präsident Mursi, ebenso wie das Königshaus Saudi-Arabiens, das die Wiege des Islams beherbergt, entschieden die Attacken auf westliche Botschaften, die vier Menschenleben gekostet haben.
Auf Internetseiten wie „Onislam“ mahnen Prediger Muslime, ihre Emotionen zu kontrollieren. „Mit eurem Kreischen und Brüllen schadet ihr nur euch selbst“, wettert Nouman Ali Khan und er klagt, die Proteste hätten – wie 2006 beim Aufschrei gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen – bewiesen, dass sich Muslime als „emotionale Schachfiguren“ missbrauchen ließen. Auch die höchste sunnitische Lehranstalt, die Al-Azhar Universität in Kairo, mahnt zur Mäßigung. Reaktionen auf Verunglimpfungen des Islam müßten die Fakten klarstellen und dürften nicht Unschuldige treffen. Viele der Protestierenden hatten die Filmausschnitte gar nicht gesehen.

Unterdessen analysieren arabische Intellektuelle Ursachen und Hintergründe dieser hysterischen Protestwelle. Der Chefredakteur der Kairoer „Al Ahram“, Hani Shukrallah, sieht das Motiv der bis heute unbekannten Produzenten dieses als Provokation geplanten Films, gewaltsame Reaktionen in der islamischen Welt auszulösen, um Muslime als irrational, intolerant und barbarisch zu „entlarven“ und damit „dem rassistischen anti-muslimischen Diskurs im Westen neue Nahrung“ zu geben, Islamfeinden verstärkte Argumente zu liefern. Shukrallah sieht einen klaren Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen in den USA, wo die christliche Rechte Präsident Obama „wenn nicht als „Anti-Christen, so doch zumindest als einen islamischen Maulwurf im Weißen Haus“ verdächtigt.

Shukrallah erinnert daran, dass es Obama schon bald nach seinem Amtsantritt vor vier Jahren gelungen war, das Feuer des „Zusammenpralls der Kulturen“, die sein Vorgänger George Bush und Al-Kaida-Chef Bin Laden voll entfacht hatten, stark einzudämmen. Durch ein Wiederaufflammen dieses Konflikts, so meint der prominente Journalist, erhoffen sich die republikanischen Gegner des Präsidenten eine entscheidende Wahlhilfe.

Zugleich schwärzen die zornigen Demonstranten die Bilder der neuen arabischen Helden an, die so mutig im „Arabischen Frühling“ für Freiheit, Würde und Menschenrechte“ gekämpft und Despoten vor allem in Tunesien, Libyen und Ägypten zu Fall gebracht hatten. Nun gebe wieder „Fanatismus, Ignoranz und Dummheit“ den Ton an und die Hoffnungen der Provokateure haben sich mehr als erfüllt.

Doch die Dramatik der Demonstrationen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Akteure nur eine kleine Minderheit in ihren Ländern repräsentieren, meist sind es radikale Islamisten, darunter etwa auch Anhänger der im ägyptischen Parlament vertretenen Salafisten, durch gemäßigtere Muslime der Moslembruderschaft an den Rand gedrängt, die die hochwillkommene Chance ergriffen, sich wieder auf die politische Bühne zu drängen. Vor allem in Ägypten und Tunesien ist das Machtvakuum nach den Revolutionen noch nicht voll überwunden und fühlen sich die gemäßigten und demokratisch gewählten Herrscher ratlos im Umgang mit ihren radikalen Gesinnungsgenossen.

Der Groß-Imam von Al-Azhar, Ahmed Al-Tayeb, appelliert deshalb an die Vernunft der Muslime. Sie müßten dieses filmische Machwerk ignorieren und sich lieber darauf konzentrieren, in der Kommunikation mit dem Westen den „wahren Islam“ darzulegen.

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Donnerstag, 13. September 2012

„….als ob uns die Nacht verschluckte“

Mit seiner Reise in den Libanon will der Papst die massiv bedrängten arabischen Christen zum Ausharren überreden

von Birgit Cerha
„Noch nie hat ein Papst eine Reise in einer derart dramatischen Situation angetreten.“ Seit der jüngst nach drei Jahrzehnten wegen seiner Unterstützung für die Rebellen aus Syrien ausgewiesene Priester Paolo Dall‘Oglio diese Bewunderung für den Mut Benedikts XVI. aussprach, haben sich die Turbulenzen in der arabischen Welt drastisch verschärft. Wenn der Papst heute, Freitag, seinen dreitägigen Besuch im Libanon beginnt, erwartet Ägypten anti-amerikanische Massenproteste radikaler islamistischer Salafisten, während auch in anderen Ländern erboßte Muslime ihrem Zorn über den Propheten Mohammed schwer beleidigende Filmausschnitte im YouTube teils gewaltsam Luft machen. Gerüchte, dass der Produzent des Amateurfilms ein in den USA lebender ägyptischer Kopte sein könnte, drohen die ohnedies latente Spannungen zwischen den im Orient lebenden Christen und radikalen Islamisten gefährlich zu verschärfen.
Im Libanon, der 18 verschiedene Religionsgemeinschaft beherbergt, von denen die christlichen 40 Prozent stellen, herrscht ein labiles Machtgleichgewicht, dass allerdings durch das Blutbad im benachbarten Syrien höchst gefährdet ist. Sogar die Christen sind in Anhänger und erbitterte Gegner des syrischen Präsidenten Assad gespalten. Dem Papst aber wollen alle politischen Kräfte einen herzlichen Empfang bereiten, in der Hoffnung, er werde in seinen Botschaft die gefährdete Koexistenz der verschiedenen religiösen Gruppen stärken. “Der Himmel sinkt auf die Erde herab“, lautet ein überschwängliches Plakat zum Empfang des Papstes, dessen Besuch selbst Hassan Nasrallah, der Chef der von den Amerikanern als Terrororganisation gebrandmarkten schiitischen Hisbollah „historische“ Bedeutung beimisst. Die gemäßigtere schiitische „Amal“ bezeichnet den Papstbesuch gar als „Geschenk an den Libanon“ und der sunnitische Großmufti, Raschid Kabbani mahnt in tiefer Sorge über die Folgen der rapiden politischen Veränderungen in der Region, das Christen und Muslime nicht glauben sollten, sie säßen in „getrennten Booten“.

Während Benedikt XVI. nach Vatikankreisen keine klare Partei im Syrienkonflikt ergreifen wird, ist sein zentrales Anliegen, die schwer bedrängten Christen der arabischen Welt zum Ausharren in der Urheimat des Christentums zu überreden. Denn ihre Zahlen schrumpfen dramatisch.

Nach Schätzungen leben heute in der arabischen Welt 15 Millionen Christen. Genaue Zahlen allerdings kennt niemand, da offizielle Statistiken meist aus politischem Eigeninteresse niedrigere Angaben machen als die christlichen Gemeinschaften selbst. Ein jahrzehntelanger Schrumpfungsprozess hat sich durch den vor eineinhalb Jahren begonnenen „Arabischen Frühling“ radikal beschleunigt. Im Libanon fand der stärkste Exodus während des 15-jährigen Bürgerkrieges (1975 bis 1990) statt, der an die 7000.000 Christen in die Flucht trieb und 100.000 folgten ihnen seither. Die Zahl dieser Volksgruppe sank damit auf etwa 1,4 Millionen. In Ägypten und Syrien stellen die Christen zehn Prozent der Bevölkerung, acht bzw. 2,3 Millionen Menschen, in Jordanien leben derzeit kaum 200.000 Christen (etwa drei Prozent). Besonders dramatisch entwickelte sich der Exodus im Irak, eine der Wiegen der alten christlichen Kirchen. Seit dem Krieg gegen Diktator Saddam Hussein 2003 ist die Zahl der Christen von 1,4 Millionen auf höchstens 300.000 geschrumpft. Und die Attacken radikaler Islamisten auf diese weitgehend schutzlose Bevölkerungsgruppe halten unvermindert an, während die Welt schweigend zusieht. „Es ist als ob uns die Nacht verschluckte“, klagt ein irakischer Christ.

Dass das Grauen des Iraks auch sie heimsuchen könnte, befürchten nun Syriens Christen, die sich bisher aus dem Kampf gegen das Regime, das sie traditionell geschützt hatte, heraushielten. Doch sie geraten zunehmend zur Zielscheibe islamistischer Gegner Assads. In Damaskus und Aleppo begannen sie deshalb in letzter Verzweiflung bewaffnete Milizgruppen zum eigenen Schutz zu bilden.

Wo der „Arabische Frühling“ die Diktatoren hinwegfegte, in Tunesien und Ägypten, hat er bis heute nicht volle demokratische Freiheiten installiert. Er hat vielmehr radikalen islamistischen Gruppen neuen Freiraum beschert und bedroht damit die christlichen Minderheiten noch mehr als zuvor. Mehr als 100.000 Kopten flüchteten allein in den ersten neun Monaten nach dem Sturz Präsident Mubaraks im März 2011, und der Exodus angesichts zunehmender Attacken auf christliche Ziele an.

Und dennoch sind nicht alle Zeichen der Hoffnung geschwunden. Islamwissenschafter der Al-Azhar-Universität in Kairo, der höchsten sunnitischen Lehranstalt, haben ein „Bill of Rights“ von Rechten und Grundfreiheiten für die islamische Welt verfaßt, das die Freiheit von Religion, Meinung, wissenschaftlicher Forschung und Kunst betont und diese in den Verfassungen aller arabischen Staaten verankert sehen will.

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Montag, 10. September 2012

Wie stark ist Al-Kaida heute?

Siegesmeldungen im internationalen Krieg gegen das Terrornetzwerk sind verfrüht – im blutigen Chaos Syriens öffnen sich neue Möglichkeiten.

von Birgit Cerha

Unzählige Male seit die Türme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 Tausende Menschen unter sich begruben und die Spuren des spektakulärsten Terroraktes der jüngsten Geschichte zur Al-Kaida Osama Bin Ladens führten,haben westliche Politiker und so manche Experten das Ende des Terrornetzwerkes verkündet. Schon Jahre vor seiner Ermordung durch ein US-Sonderkommando in seinem pakistanischen Versteck im Mai 2011 galt Bin Laden gemeinhin als irrelevant, isoliert, inaktiv.

Solche Weisheiten erwiesen sich unterdessen als unrichtig, wie 17 in amerikanische Hände gelangte Al-Kaida-Dokumente erkennen lassen. Bin Laden war bis zuletzt in Al-Kaida Operationen verwickelt, wiewohl die Kommunikation zwischen der Zentrale in Pakistan und Aktivisten weltweit vor allem aus Sicherheitsgründen stark begrenzt war. Mit Bin Ladens Tod verlor die Al-Kaida eine Führungsfigur, die sie bis heute nicht ersetzen konnte. Seinem Nachfolger und langjährigen strategischen Kopf des Netzwerkes, dem ägyptischen Arzt Ayman al Zawaheri fehlt das Charisma Bin Ladens, dem es gelungen war, viele junge Männer in der arabischen, aber auch der westlichen Welt und in Südasien mitzureißen und neue Geldquellen zu erschließen. Heute ist die Al-Kaida Zentrale verarmt, da Zawaheri nicht, wie Bin Laden, die Brieftaschen reicher Golfaraber zu öffnen vermag

Durch massiven militärischen Druck der US-Streitkräfte, der von US-Präsident Obama angeordneten Ermordung führender Al-Kaida Prediger und Aktivisten, wie den Anwar al Awlaki im Jemen und den religiösen Vordenker des Netzwerkes, Abu Jahja al Libi hat die Al-Kaida an Schlagkraft eingebüßt. Laut „National Counter Terrorism Center“ liegt die Zahl der weltweiten Terrorakte weit unter jenen des Spitzenjahres 2006. Der letzte erfolgreiche Anschlag in einem westlichen Land fand 2005 in London statt. Zwischen Juli 2011 und Juli 2012 wurden 86 Komplotte westliche Interessen bekannt, nur zwei waren erfolgreich, ein Anschlag auf eine jüdische Schule in Frankreich und ein Attentat in Belgien.

Dennoch: die Terrorbewegung ist viel zu kompliziert, um ihr Ende zu prophezeien. Bin Laden, von Größenwahn getrieben, hatte mit seinem Ruf zum globalen Jihad das Ideal eines utopischen Weltstaates verfolgt, der den radikalen Gesetzen der Sharia, des islamischen Rechts, unterworfen ist. Attacken gegen westliche, vor allem amerikanische Ziele dienten ihm dabei nach Einschätzung der amerikanischen Terrorexpertin Mary Habeck nur als Mittel zum Zweck. Amerikaner sollten dort attackiert werden, wo sie sich diesen Zielen der Al-Kaida entgegenstellten – in Afghanistan, in Saudi-Arabien, im Irak. Terrorattacken in Europa und in den USA sollten vor allem zur Einschüchterung dienen, um den Westn davon abzuhalten, sich in die Angelegenheiten der islamischen Welt einzumischen. Teil dieser Strategie ist freilich auch, Terrorchancen insbesondere im Bereich der Zivilluftfahrt zu ergreifen, wo sie sich bieten.

Bin Laden aber hatte erkannt, dass er angesichts des massiven militärischen Drucks vor allem der USA das Terrornetzwerk dezentralisieren muss, um sein Überleben zu sichern. So entwickelten sich in zahlreichen Ländern Al-Kaida-Ableger, die oft nationale, lokale Ziele verfolgen und in Eigeninitiative handeln und es entstanden neue Gravitationszentren des Jihad. Neben Nord- und Südwasiristan, im unzugänglichen pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, in dem sich vermutlich Zawaheri und andere Al-Kaida-Führer verstecken,, unterhalten Gleichgesinnte immer noch Aktionszentren im Irak, vor allem aber im Jemen, wo sie ganze Ortschaften unter ihre Kontrolle brachten.

Insbesondere aber gelang es dem Netzwerk, nicht nur seine Präsenz in Nordafrika auszweiten, sondern mehr und mehr Fuß in Westafrika zu fassen. Die in Nigeria und der Sahelzone aktive Boko Haram etwa wird für die Ermordung Hunderter Christen verantwortlich gemacht. Die Al-Schabab kontrolliert Teile Somalias und verübte schwere Bombenanschläge in anderen afrikanischen Ländern. Diese, wie auch andere Gruppen aber handeln meist nicht auf Anweisung der Al-Kaida Zentrale, sondern verfolgen ihre eigene nationale Agenda.

Ein neuer Typ von Jihadis tauchte unterdessen in Europa auf, Einzeltäter, wie Mohammed Merah, der im März in Toulouse sieben Menschen, darunter drei Kinder, an einer jüdischen Schule erschoß. Anlaß zur Sorge über Jihadi-Aktivismus bieten Entwicklungen in England oder Deutschland, wo junge kampfeswillige Männer sich Aktivisten im Sinai anschließen und mit radikalem Gedankengut infiziert wieder heimkehren dürften. Aus England schlossen sich Hunderte Muslime dem Kampf gegen das von radikalen Sunniten als häretisch verdammte Assad-Regime in Syrien an. Im Aufruhr der arabischen Welt gewinnen kampferprobte Jihadis unter kriegerisch unerfahrenen Rebellen neue Freunde, deren tatkräftige Unterstützung hochwillkommen ist. So bietet nun das blutige Chaos Syriens dem anderswo schwer bedrängten Al-Kaida Netzwerk eine hochwillkommene Chance, um eine neue Basis und ein neues Rekrutierungsfeld im Herzen der islamischen Welt aufzubauen.

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Mittwoch, 29. August 2012

Aussöhnung zwischen alten Feinden

Ägyptens Präsident gibt der “Islamischen Republik“ die Ehre und zeigt damit die Entschlossenheit zur Rückkehr in eine aktive Führungsrolle der Region

von Birgit Cerha


Zutiefst irritiert und in banger Erwartung der Folgen beobachten Kairos alte Bündnispartner in der arabischen Welt und im Westen den ersten Besuch eines ägyptischen Präsidenten in der „Islamischen Republik“. 33 Jahre lang hatte der gestürzte Präsident Mubarak den Iran politisch boykottiert und nur ein Minimum an diplomatieschen Beziehungen aufrechterhalten.  Nun gibt sein freigewählter Nachfolger Mohammed Mursi heute, Donnerstag, den Führern des schiitischen „Gottesstaates“ die Ehre, um ihnen persönlich beim Gipfel der Blockfreien Staaten die dreijährige Führung der Organisation zu übertragen.

„Schande für Ägyptens Präsidenten“, empört sich ein Kommentator in der „New York Times“ und wirft Mursi vor, dem iranischen Regime, das eine Demokratiebewegung vom Schlage jener, die ihn selbst nun in Ägypten  an die Macht gespült hat, brutal unterdrückt, „Legitimität verleiht“ und den demokratiehungrigen Iranern damit die Hoffnung raubt, doch noch eines Tages Ähnliches zu erringen. Dass Teheran die Vertreter aus 118 Ländern, darunter zahlreiche Präsidenten, vor allem aber auch jenen des wichtigsten arabischen Verbündeten Washingtons , Ägyptens, empfangen kann, schmerzt jene westlichen Führer, die seit Jahren um totale internationale Isolation des Irans wegen des umstrittenen Atomprogramms ringen. Iranische Politiker betrachten den Gipfel als „einen Misserfolg der USA“. Das gelte vor allem für Mursis Besuch, der „einen Meilenstein“ setze. Parlamentssprecher Ali Larijani rühmt die „Schlüsselrollen“, diese beiden, eng miteinander verbundenen Länder in der Geschichte der islamischen Zivilisation gespielt hätten.

Die „Islamische Revolution“ 1979 hatte die engen Bande zwischen beiden abrupt zerrissen. Revolutionsführer Khomeini verdammte den Friedensschluß zwischen Ägypten und Israel im selben Jahr als „Verrat des Islams“ und rief zum Sturz des damaligen Präsidenten Sadat auf. Dessen Mörder Khaled Islambouli 1981 ehrt das Regime bis heute, indem es eine Straße nach ihm benannte. Mubarak stufte den Iran als Gefahr für die regionale Stabilität ein und auch für die nationale Sicherheit Ägyptens.  Eine jüngst von Wikileaks publizierte US-Diplomatenbotschaft vom 28.4.2009 zitiert Mubarak, der den Iran als „die größte Gefahr für den Mittleren Osten“ einschätzt und die dominierende Sorge seiner Bündnispartner Saudi-Arabien und anderer Golfstaaten vor iranischem und schiitischem Expansionismus in der Region teilt. Diese Angst quält auch die radikale und sehr einflußreiche salafistische Bewegung in Ägypten, die den Schiismus als Häresie verdammt und die „Islamische Republik“ damit als Erzfeind. Mursi verrate mit seinem Besuch in Teheran die durch Irans Bündnispartner, den syrischen Präsidenten Assad, blutig verfolgten Sunniten in Syrien, empören sich Salafisten-Führer. Er schwäche die Allianz der Sunniten in der Konfrontation mit dem Schiismus. Mursi hingegen ist bestrebt, die Kluft zwischen den islamischen Glaubensrichtungen zu überbrücken.

Teheran hatte denn auch seinen Aufstieg zur Macht am Nil hoffnungsvoll begrüßt, und zum erstenmal seit 1979 durften jüngst zwei iranische Marineschiffe durch den Suezkanal fahren. Offensichtlich mit Blick auf Ägyptens alte Bündnispartner versucht das Regime unterdessen die Bedeutung von Mursis Besuch herunterzuspielen. Der Ägypter bliebe nur vier Stunden in Teheran, um seine Funktion auf dem Gipfel zu erfüllen, auf dem Heimflug aus China, wo er seine erste Visite in einem nicht-arabischen Land angetreten und sich Finanzhilfe gesichert hatte. Beide Reisen besitzen zweifellos starken Symbolcharakter. Während Mursi als Signal an Washington durch seine  Gespräche in Peking die Absicht unterstreicht, Chinas wachsende Rolle in der arabischen Welt – als Gegengewicht zu den USA – zu fördern, halten es diplomatische Kreise für wenig wahrscheinlich, dass der Ägypter rasch volle Beziehungen zum Iran aufnehmen werde.  Vorerst zeichnet sich noch keine klare politische Linie gegenüber dem Iran ab. Mursi  ist ein vorsichtiger Pragmatiker. Er kann es nicht riskieren, das Wohlwollen seiner strategischen Verbündeten und Finanziers – allen voran die USA und Saudi-Arabien – aufs Spiel zu setzen. Anderseits aber zeigt er Entschlossenheit, Ägyptens alte, von Mubarak lange vernachlässigte, Führungsrolle in der Region wieder aufzunehmen und sich dabei wohl mehr und mehr aus der totalen Abhängigkeit von den USA zu lösen. „Wir wollen ausgewogene Beziehungen mit jedem Land#“, erläutert denn auch sein Sprecher Yasser Ali. „Wir gehören keiner politischen Achse an.“  In solcher Funktion versucht Mursi schon jetzt eine neue Vermittlungsmission unter Einbindung des Iran für ein Ende des Blutbads in Syrien.




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Montag, 27. August 2012

Syrien: Jihadis gewinnen an Stärke im Kampf gegen Assad

Mit wachsendem blutigem Chaos in Syrien steigen die Chancen für das Al-Kaida Terrornetzwerk auf diesem strategisch so wichtigen Boden einen neuen „Hafen“ zu errichten

von Birgit Cerha
Und wieder dringen aus Syrien Schreckensmeldungen von Massentötungen. Fast 200 Leichen hat die Opposition nach eigenen Angaben in Darayya, nahe von Damaskus, entdeckt, massakriert durch die Armee Bashar el Assads. Wiewohl nicht durch unabhängige Quellen bestätigt, besitzt der Bericht Glaubwürdigkeit, entspricht es doch der jüngsten Strategie des Regimes, zurückeroberte Gebiete durch Massenexekutionen wieder vollends unter seine Kontrolle zu zwingen. Im Fall Darayya geht es um die endgültige Vertreibung der bewaffneten Rebellen aus den südlichen Vororten von Damaskus.
Der Kampf um die Macht in Syrien nimmt immer grauenvollere Ausmaße an und dabei häufen sich die Hinweise darauf, dass auch Assads Gegner zunehmend Verbrechen gegen die Menschlichkeit verüben. So kursieren Berichte, dass Kämpfer der „Freien syrischen Armee“ (FSA) in Zentralsyrien einen zivilen Bus mit Rekruten der regulären Streitkräfte gestoppt und die verängstigten Insassen vor die Wahl gestellt hätten, entweder ihre Eltern zu einer Spende von umgerechnet etwa 9000 Euro an die FSA zu überreden, oder sich selbst den Rebellen anzuschließen. In dem Dorf Rableh hatten Kämpfer der FSA die überwiegend christliche Bevölkerung von 12.000 Menschen als Schutzschilder festgehalten, obwohl die Armee das Dorf bereits aufgegeben hatte. Zudem häufen sich Meldungen, dass Zivilisten von FSA-Kämpfern willkürlich festgenommen, gefoltert und massenweise exekutiert würden.
Die Brutalität eskaliert mit zunehmender Bewaffnung der Opposition. Mehr und mehr mischen sich in die Kreise der Rebellen radikale Gruppen, die die hemmungslosen Methoden und – zumindest teilweise – auch die Ideologie extremer Islamisten vom Schlage des Al-Kaida-Netzwerkes übernehmen. Schon taucht die alarmierende Frage auf, ob Al-Kaida die Gunst ihres Schicksals nützt, um Syrien zum neuen Schlachtfeld im Kampf um ein Welt-Kalifat zu verwandeln.
Beängstigende Parallelen zum Irak drängen sich auf. Wie einst im Zweistromland Saddam Husseins, hatte das Terrornetzwerk in der säkularen syrischen Diktatur keine Basis, wiewohl Assad die Grenzen für den Einmarsch der Jihadis aus anderen arabischen Ländern in den Irak lange offen gehalten hatte. Im blutigen Chaos nach dem von den USA initiierten gewaltsamen Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 aber bot sich den Al-Kaida Terroristen die Chance, im Irak den Erzfeind USA mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Reiches zu bekämpfen. Die Gewalttäter fanden Unterstützung bei den ob ihres Machtverlustes frustrierten sunnitischen Stämmen des Iraks, bis auch diese die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen zahllose unschuldige Zivilisten, verbunden mit finanziellen Lockungen in die Kooperation mit den USA trieb. Von den vernichtenden Schlägen, die Washington durch einen verstärkten Militäreinsatz und die Hilfe sunnitischer Stammeskrieger dem Terrornetzwerk zufügte, konnte sich die Al-Kaida bis heute nicht erholen.
Syriens, seit Jahrzehnten weitgehend von der Macht ausgeschlossene sunnitische Bevölkerungsmehrheit ist zwar ähnlich frustriert, wie ihre irakischen Glaubensbrüder, doch radikal-islamistischem Gedankengut, wie es Al-Kaida verbreitet, kaum aufgeschlossen. So wartete Al-Kaida Chef Zawaheri zehn Monate der syrischen Rebellion ab, bis er im Januar erstmals seine Anhänger zur Unterstützung der sunnitischen Opposition gegen den „ungläubigen“ alawitischen Assad aufrief. Seither dringen kampferprobte Jihadisten aus dem Irak, aus Saudi-Arabien über die Türkei und aus Libyen in wachsenden Zahlen nach Syrien ein. Viele fassen zunächst auch im Libanon, im sunnitischen Grenzgebiet zu Syrien und in den Lagern der (sunnitischen) Palästinaflüchtlinge Fuß und Unterstützung für den Krieg auf syrischem Territorium. Zugleich wächst auch die Zahl syrischer Jihadigruppen. Einige von ihnen, wie die jüngst in Aleppo an die Öffentlichkeit getretene „Jabhat al-Nusra“ (al-Nusra Front zum Schutz der Menschen in der Levante“), wenden zwar die Methoden der Al-Kaida an, doch versuchen sich energisch von dem Terrornetz zu distanzieren. Ebenso will die FSA nach eigenen Aussagen nichts mit Al-Kaida zu tun haben. Dennoch besteht kein Zweifel, dass diese erfahrenen Krieger der militanten Opposition in ihrem ungleichen Kampf gegen die Übermacht der staatlichen Streitkräfte hoch willkommen sind.
Nach ‚Einschätzung von Experten haben die Entschlossenheit, Disziplin, Kampferfahrung und der religiöse Eifer der Jihadis die militante syrische Opposition in den vergangenen Monaten wesentlich gestärkt. Sie haben zugleich aber auch das Regime zu immer größeren Brutalitäten insbesondere gegen Sunniten provoziert. Somit dreht sich der Teufelskreis immer schneller. Denn mit wachsender Gewalt gewinnt der Anspruch der Al-Kaida, sich zur Schutztruppe der bedrängten syrischen Sunniten zu erheben, an Attraktivität. Und damit wächst die Chance des Terrornetzwerkes, auf syrischem Boden eine neue Basis aufzubauen, von der aus al-Kaida alle nationalen Grenzen durchstoßen und ein die gesamte Region – auch die derzeit Assads Gegner tatkräftig unterstützenden Golfstaaten – in ein Kalifat zwingen will. Ob Al-Kaida tatsächlich in Syrien eine Chance gewinnt, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob sie bei den vom Assad-Regime stets vernachlässigten sunnitischen Stämmen in den Grenzregionen zum Irak und zu Jordanien Unterschlupf und Kooperation finden. Der anhaltende Horror ist Al-Kaidas größte Hoffnung.

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Montag, 13. August 2012

Mursis Coup gegen Ägyptens Junta

„Vollendet“ der islamistische Präsident tatsächlich die Revolution oder erhebt er sich zum neuen „Super-Aitokraten“?

von Birgit Cerha

[Bild: li. Tantawi, re. Mursi]
Nach 18 turbulenten Monaten könnte in Ägypten wieder eine Ära zuende gehen. Schon frohlocken die Anhänger des ersten freigewählten Staatsoberhauptes, Mohammed Mursi hätte mit seiner Absetzung der herrschenden Militärchefs und Annullierung der von diesen erlassenen Verfassungsbestimmungen die im Januar 2011 begonnene Revolution gegen die Diktatur Hosni Mubaraks „vollendet“. Denn bis jetzt hatte der Höchste Militärrat (SCAF) die absolute Macht ausgeübt.Als sich bei den Präsidentschaftswahlen im Juni der Sieg des Moslembruders Mursi abzeichnete, hatte SCAF im letzten Moment durch Ergänzungsbestimmungen der Verfassung das höchste Staatsamt jeder Macht entkleidet. Der Repräsentant der Erzfeinde des alten Regimes sollte so zum Strohmann der wahren Herrscher degradiert werden. Die offene Konfrontation zwischen den beiden stärksten Kräften im Land war damit programmiert.
Dass der farblose, doch jahrzehntelang so treue Diener der Moslembruderschaft so rasch, so entschlossen und so radikal agieren würde, hatte niemand erwartet. Ist es doch das erstemal in der Geschichte Ägyptens, dass ein Zivilist Entscheidungen des Militärcherfs annulliert. Dementsprechend groß sind, je nach politischer Orientierung, Schock und Verwirrung. Eine Vielzahl von Fragen bleibt offen, für andere bieten sich unbehagliche Antworten an.

Die Absetzung des SCAF-Chefs, Feldmarschall Tantawis, und dessen fast ebenso mächtigen Stabschefs Sami Enan, beide lange engste Vertraute Mubaraks, erleichtert all die vielen Ägypter, die – zurecht – befürchteten, ihr Land könne sich nicht aus den Fängen der Militärs befreien. Tantawi und Enan werden Mursi als „Berater“ zur Seite stehen. Die Entscheidung sei in friedlichem Einvernehmen getroffen worden, beteuert Mohamed al-Assar, das nun führende SCAF-Mitglied und neuer stellvertretender Verteidigungsminister. Doch werden Tantawi, Enan und die anderen abgesetzten Militärkommandanten diesen Machtverlust tatsächlich tatenlos hinnehmen, vielleicht mit dem Versprechen der Immunität. Denn, ebenso wie Mubarak und dessen Clique, wären auch Tantawi und Enan Gefängnis wegen gravierender Verletzung von Menschenrechten und Machtmissbrauchs gewiss.

Weit wichtiger als die Personalentscheidungen aber ist Mursis Annullierung der Verfasssungsbestimmungen vom Juni, durch die er die legislative Macht, die Kontrolle über das Budget und den Prozess zur Erarbeitung einer neuen Verfassung von SCAF auf das Präsidentenamt überträgt. Mursi vereint damit nicht nur die exekutive, sondern auch die legislative Macht in seiner Hand, da die Frage der Auflösung des Parlaments durch SCAF bis heute ungeklärt ist. Wird Mursi, sobald Ägypten wieder ein Parlament hat, die legislative Macht abgeben? Wird er sein Versprechen einhalten und Neuernennungen im Verfassungsgebenden Komitee vornehmen, damit nicht mehr nur die Islamisten dominieren, sondern alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind? Das Recht dazu hat er sich von SCAF gesichert. Oder folgt er, wie die breite Schar der Anti-Islamisten am Nil befürchten, einer „geheimen Agenda“ der Moslembrüder, in Ägypten eine islamische Republik zu errichten und dafür schon jetzt dem Land seine Gesetze und seine Verfassung aufzuoktroyieren?

Viele Rechtsexperten zweifeln die Legalität der Entscheidungen vom Sonntag an. Mursi hatte auf die Verfassung mit all ihren nun aufgehobenen Zusatzbestimmungen seinen Amtseid geschworen. Dazu gehört auch die Zustimmung, dass nur SCAF all diese Regeln aufheben darf. Er hat, wie Tantawi autokratisch agiert, auch wenn er seine Macht dem Volkswillen verdankt. Die Neuernannten, insbesondere Tantawis Nachfolger Abdel Fattah al-Sisi, gelten als fromme Muslime mit Sympathien für die Moslembruderschaft. Dass die erbitterten und immer noch einflußreichen Gegner der Islamisten diese Entwicklung tatenlos hinnehmen, erscheint höchst zweifelhaft.

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Donnerstag, 9. August 2012

Ägyptens Armee zeigt ihre Muskeln

Im Sinai öffnet sich eine neue blutige Front in Nahost, mit weitreichenden Folgen - Ein Test für Präsident Mursi und seine militärischen Gegenspieler

von Birgit Cerha
Ägyptens Militärführung entsandte Donnerstag Truppenverstärkungen auf die Halbinsel Sinai und dokumentiert damit ihre Entschlossenheit, die „Operation Adler“ gegen Terroristen und Kriminelle so lange zu eskalieren, bis auf dIm Sinai öffnet sich eine neue blutige Front in Nahost, mit weitreichenden Folgen - Ein Test für Präsident Mursi und seine militärischen Gegenspielerer an Israel und den palästinensischen Gaza-Streifen angrenzende Halbinsel Ruhe und Sicherheit eingekehrt ist. Auch Kampfflugzeuge und schwere Artillerie sind erstmals in diesem seit dem Friedensvertrag mit Israel 1979 de facto demilitarisierten Wüstenland im Einsatz.
Die Attacke einer Gruppe maskierter Männer in Beduinenkleidung, die Sonntag 16 ägyptische Soldaten im Nord-Sinai, an der Grenze zu Israel ermordeten, anschließend nach Israel eindrangen, wo Sicherheitskräfte einen blutigen Terroranschlag verhindern konnten und dabei acht Teroristen töteten, kam nicht unerwartet, löste aber vor allem in Ägypten einen schweren Schock aus. Sie entlarvt eine ganze Serie von Problemen mit möglicherweis großen Auswirkungen.Eine zentrale Sorge für die Stabilität der gesamten Region ist das Sicherheitsvakuum auf dem nur spärlich besiedelten Wüstengebiet, in dem Ägypten zwar im Vorjahr seine Militärpräsenz in einer Vereinbarung mit Israel erhöhte, jedoch die 800 Soldaten, die Kairo dort stationieren durfte, sind bei der Aufgabe, Terroristen, Kriminellen, Schmugglern das Handwerk zu legen und einen Flüchtlingsstrom aus Afrika fernzuhalten, hoffnungslos überfordert. Seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar 2011 hat das illegale Treiben auf der Halbinsel, darunter auch die Entführung ausländischer Touristen, drastisch zugenommen.

Nach blutigen Attacken von heimischen Beduinen unterstützter palästinensischer Extremisten , die etwa 2004 nahe des von Israelis beliebten Ferienortes Taba 34 Menschen getötet hatten, ordnete Mubarak massive Vergeltung an. 3000 Bewohner der Region wurden festgenommen und nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen brutal gefoltert, wiewohl sie nachweislich mit dem Anschlag nichts zu tun hatten. Diese scharfe Repression verhinderte in den darauffolgenden Jahren eine Wiederholung des Terrors, brachte aber die betroffene heimische Bevölkerung entschieden gegen das Regime im fernen Kairo auf. Wiewohl nach ersten Informationen offenbar keine Angehörigen der etwa 100.000 im Sinai lebenden Beduinen an den Terrorakten vom Sonntag und anschließenden Übergriffen auf Grenzposten beteiligt gewesen war, spielten die Beduinen in der Vergangenheit bei Gewaltakten eine nicht unwesentliche Rolle. Diese Bevölkerungsgruppe, die sich traditionell ihrem Stamm weit loyaler fühlt als dem ägyptischen Staat, der sie zudem seit Jahrzehnten ökonomisch sträflich vernachlässigt, ist nicht nur stark in Schmuggel verwickelt. Die Beduinen sind überwiegend traditionell religiös, wodurch auf der Halbinsel zunehmend aktive Jihadisten bei diesen Bewohnern leicht auch aktive Unterstützung finden.
Sowohl die Israelis, wie auch die ägyptische Militärführung sind davon überzeugt, dass „Globale Jihadisten“, möglicherweise mit Unterstützung aus Gaza, Sonntag, wie schon zuvor zuschlugen. Laut ägyptischer Militärführung halten sich bis zu 2000 Terroristen derzeit im Sinai auf und haben in den vergangenen eineinhalb Jahren mindestens 28 Mal die Gaspipeline von Ägypten nach Israel attackiert.

Die Beziehungen zwischen Israel und dem islamistischen Präsidenten Ägyptens stehen nun vor einem Test. Die Entschlossenheit, mit der Mursi reagierte und in Einklang mit dem Militär Operationen gegen mutmaßliche Terroristen startete, weckt die Hoffnung, dass auch das „neue Ägypten“ an sicheren Grenzen mit Israel interessiert ist. Doch dafür ist eine Revision der Verträge von Camp David, die Verstärkung ägyptischer Militärpräsenz, unerlässlich. Anderseits lassen Attacken aus der Luft, wie etwa jene auf die nahe von Gaza gelegene Stadt Touma, die wahllos Zivilisten treffen, eine verstärkte Solidarisierung der lokalen Bevölkerung mit Extremisten befürchten.

In Gaza versucht unterdessen die islamistische Hamas, die sich durch den Gesinnungsgenossen Mursi eine starke Annäherung der Palästinenser an Ägypten erhofft, alles um sich von derartiger Gewalt zu distanzieren, verstärkte ihre Bewaffneten an der Grenze zu Ägypten und begann mit der Schließung einiger der 1.200 Tunnels, durch die ein reger Schmuggel aller Arten von Waren, Waffen und Menschen zwischen Ägypten und Gaza betrieben wird.

Mursi wiederum, kaum eineinhalb Monate im Amt, bieten die dramatischen Entwicklungen im Sinai die Möglichkeit, im internen Machtkampf mit den Militärs an Boden zu gewinnen. Die beiden Rivalen demonstrierten durch die Entscheidung zu einer großen Militäroperation Einigkeit, zugleich nützte Mursi die Chance, den vor allem unter den Gegnern der alten Ordnung verhaßten militärischen Geheimdienstchef, der auf israelische Warnungen vor einem Anschlag nicht reagiert hatte, abzusetzen – eine Entscheidung, die führende Demokratie-Aktivisten als „revolutionär“ preisen und die Chancen erhöhen, dass der neue von der Hälfte der ägyptischen Bevölkerung entschieden abgelehnte Präsident seinen ersten großen Test bestehen könnte.

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Mittwoch, 8. August 2012

Syriens Palästinenser: Schutzlos und ohne Freunde

Allmählich zerreißen die alten Bande mit dem Assad-Regime – Neutralität erweist sich als schweres Dilemma

von Birgit Cerha

Yarmouk am Südrand der syrischen Hauptstadt Damaskus, gleicht einem elenden Arbeiterviertel. Riesige Wohnblocks, durch enge Straßenzüßge getrennt, reihen sich aneinander. 150.000 Palästinenser leben hier, fast ein Drittel der gesamten Flüchtlingsgemeinde, die Syrien seit Jahrzehnten beherbergt und deren Schicksal – ein wenig auch deren Wohl – offiziell zum zentralen Anliegen der Herrschaft der beiden Assads – des Vaters, wie des Sohnes – zählte. Durch den Einsatz für die Rechte der Palästinenser gewann Hafez el Assad einst die bedeutende geostrategische Rolle für sein kleines Land.
Seit Beginn der Rebellion gegenBashar vor 17 Monaten bemühten sich die Palästinenser um Neutralität. Doch nun ziehen sie die Kräfte des Krieges mehr und mehr in ihren Sog. Auch Yarmouk ist, wie andere Teile Syriens, von Tod und Zerstörung gezeichnet. Zuletzt starben Anfang August 20 Palästinenser im Kugelhagel, vermutlich von Rebellen verfolgenden syrischen Streitkräften abgefeuert. Ängstlich besorgt, nicht auch noch die Palästinenser gegen sich aufzubringen, hatte das Regime allerdings rasch „kriminelle Elemente“ für das Massaker verantwortlich gemacht. In der Nähe stationierte Rebellen suchen vor oder nach Attacken gegen Regierungssoldaten immer wieder unter den Palästinensern Schutz – eine Praxis, die der zunehmend in die Enge getriebene Diktator nicht länger dulden will.

Syriens Palästinenser „bleiben strikt neutral“ in diesem Krieg, bekräftigt Palästinenserpräsident Abbas erneut eine Strategie, an der diverse Fraktionsführer in Syrien verzweifelt seit Monaten festzuhalten suchen. Doch die überwiegend älteren Funktionäre haben längst den Bezug vor allem zur jüngeren Flüchtlingsgeneration verloren. Unter diesen Jungen wachsen mit jedem Gewaltakt gegen ihre Gemeinde die Solidaritätsgefühle mit ihren um Freiheit, Demokratie und ein Ende der Unterdrückung kämpfenden syrischen Altersgenossen.

Der Großteil der im ganzen Land zerstreuten Palästinenser , rund 500.000, sind Flüchtlinge und deren Nachkommen aus dem ersten Krieg gegen Israel 1948, die anderen fanden nach anderen Kriegen hier Aufnahme. Wie in anderen arabischen Ländern, erhielten sie auch in Syrien keine Staatsbürgerschaft, doch sie genießen weit mehr Rechte. Alle Arbeitsplätze, sogar in der Regierung, stehen ihnen offen, sie können kostenlos studieren und die sogar Militärlaufbahn ergreifen. Doch Enttäuschung über Vater, wie Sohn Assad, die die Palästinenserfrage primär für eigene, national-syrische Interessen missbrauchten und in Wahrheit nichts unternahmen, um die Flüchtlinge dem ersehnten eigenen Staat näher zu bringen, hat unter Palästinensern vor allem der jüngeren Generation Gefühle der Dankbarkeit gegenüber den Assads verdrängt und mitunter sogar durch das Gegenteil ersetzt. Denn die Politik des Regimes gegenüber den Flüchtlingen war stets von (nationalem) Eigeninteresse geprägt. Immer wieder heizte Damaskus interne palästinensische Konflikte an und schmiedete Komplotte zur Ermordung von Palästinenserführern, die nicht ihren Interessen zuwiderhandelten. Auch jetzt bleiben Flüchtlingen Repressionen des Staates nicht erspart. Einen Tag nach dem Massaker in Yarmouk schleppten syrische Sicherheitskräfte verwundete Palästinenser aus einem Krankenhaus ab. Seither fehlt von ihnen, wie zahllosen Syrern seit 17 Monaten, jede Spur. An die 300 Palästinenser dürften nach Schätzungen seit Beginn der Rebellion ums Leben gekommen sein. In syrischen Gefängnisse schmachten unzählige Palästinenser. „Wir sind Waisen“, klagt ein eben Freigelassener.
„Niemand bemerkt, ob wir gefangen genommen oder freigelassen werden.“ Und als Staatenlose fühlen sie sich grenzenlos verwundbar, werden sie voll in den Krieg hineingezogen, finden sie kein Land, das ihnen Schutz bietet. Die Ankündigung der Führung der „Freien syrischen Armee“, Palästinenser auf syrischem Boden, die auf der Seite des Regimes stünden, seien „legitime Ziele“- und damit kann de facto jeder der Flüchtlinge gemeint sein – lässt Schlimmes für die Zukunft befürchten.

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Dienstag, 7. August 2012

Syriens Drusen: Assads loyalste Bürger

Doch selbst unter dieser Minderheit wächst der Ärger über die Brutalitäten des Regimes in dessen verzweifelten Überlebenskampf

von Birgit Cerha
[Bild: Drusenhochbrug Sweida im Mount Hauran]

Während Teile Syriens in Flammen stehen, sich das syrische Regime und dessen Gegner für die „Entscheidungsschlachten“ in den Metropolen Damaskus und Aleppo rüsten, herrscht auf dem vulkanischen Plateau von Mount Hauran gespenstische Ruhe – und das schon seit vielen Monaten. Doch auch hier, im Kernland der Drusen, 40 km südlich von Damaskus gelegen, wächst das Unbehagen, ja die Empörung über die hemmungslose Brutalität, mit der der schwerbedrängte Diktator Bashar el Assad seinen Überlebenskampf führt. Doch noch haben sich die Drusen in dieser höchst unangenehmen Wahl zwischen dem Herrscher, dem sie so lange vertraut haben, und der Schar seiner Gegner, unter denen die so lange von der Minderheit gefürchteten radikalen Islamisten starken Einfluss haben, mehrheitlich nicht entschieden. Doch die regimekritischen Stimmen werden immer lauter.

Lange hatten sich Scheichs der Drusen persönlich eingesetzt, um auch im Jebel el-Druze, wie die Syrer das Kerngebiet der Minderheit nennen, sich schwach formierenden Demonstrationen gegen Assad zu zerstreuen. Die Gründe, warum die Drusen so lange dem Assad-Regime treu bleiben, sind vielfältig. In der Minderheit ist die Loyalität zum Regime, insbesondere aber zur Familie Assads besonders stark ausgeprägt, da der Vater des heutigen Präsidenten, Hafez, die Wiedergewinnung der von Israel 1967 besetzten Golanhöhen zu seinem zentralen politischen Anliegen erhoben hatte, eine politische Strategie, die der Sohn Bashar treu fortsetzte. Durch seine Besetzung des Golans hat Israel Tausende drusische Familien zerrissen. Etwa 20.000 Drusen leben heute, hermetisch getrennt von ihren Angehörigen in Syrien, unter israelischer Herrschaft jenseits der Waffenstillstandslinie und haben auch nach mehr als 40 Jahren die Hoffnung auf Wiedervereinigung nicht aufgegeben – eine Hoffnung, die Bashar, wie sein Vater, nährte.

Das lange Schweigen der Drusen hat aber auch andere, rein praktische Gründe. Hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit hat die junge Generation, die den Kern der Rebellion in anderen Bevölkerungsgruppen Syriens stellt, aus dem Mount Hauran weitgehend verjagt. Wer konnte, suchte im Ausland eine neue Existenz, andere fanden in den Streit- und Sicherheitskräften des Regimes, ja sogar in der gefürchteten alawitischen Todesschwadronen, den Shabiha, ein gar nicht kleines Einkommen. Vor allem aber sind es die Urängste vor einem Machtgewinn radikaler sunnitischer Muslime, die die große Mehrheit der Drusen in passives Abwarten drängen.
Die Drusen zählen mit etwa 300.000 Menschen zu den kleinsten Minderheiten Syriens.Sie verstehen sich als „spirituelle Cousins“ der herrschenden alawitischen Minderheit des Landes. Wie jene der Alawiten, hat sich ihre monotheistische Religion aus dem Islam entwickelt. Sie geht auf Sultan al-Hakim Biamrillah, den Herrscher der ägyptischen Fatimiden zurück. Sein Tod 1021 wird von einigen seiner Anhänger als Übergang in die Verborgenheit ausgelegt, aus der er nach tausend Jahren wieder kehren werde, um die Weltherrschaft anzutreten – ein Mythos, der von der Schia übernommen wurde. Ob Hakim aber tatsächlich als Gründer der Drusen betrachtet werden kann, ist unklar, denn die theologische Lehre, nach der er als Inkarnation Gottes gilt, wurde erst nach seinem Tod von von Hamza ibn-Ali und Mohammed al-Darazi, zwei von der Schia abgespaltenen Gelehrten entwickelt. Der Name Drusen leitet sich von Darazi ab, der als einer der ersten Vertreter dieser Glaubensrichtung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Alle Richtungen des Islams betrachten die Drusen als Nicht-Muslime. Die Drusen selbst sehen in ihrem Glauben, „Din al-Tawhid“ (Religion der göttlichen Einheit) bezeichnet, eine Neu-Interpretation der drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. Ihre Theologie stützt sich aber auch auf hinduistische und andere Philosophen, auf den ägyptischen Pharao Echnaton, den Griechen Sokrates, Plato und Aristoteles, wie Alexander den Großen. ‚Sie haben eine allegorische Interpretation des Korans mit eigener Doktrin verwoben. Es ist besonders ihr Glaube an Reinkarnation, die Seelenwanderung, die unter Muslimen derartige Ablehnung auslöste, dass sie die Drusen blutig verfolgten. Diese zogen sich zum Schutz in die Berge, insbesondere des heutigen Libanons und Syriens, zurück, wo sie sich von ihrer Umwelt über Jahrhunderte abschotteten, ihren Glauben und ihre religiösen Praktiken weitgehend geheim hielten und keine Missionierung betrieben.

Sie entwickelten ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sie durch ausgeprägtes martialisches Geschick in einer ihnen häufig feindlich gesinnten Umwelt zu schützen suchten. Zugleich erhoben sie die Anpassung an äußere politische Kräfte, ohne Aufgabe der eigenen Identität, zu den Grundprinzipien ihres Lebens. Dennoch zeichnen sich die Drusen durch einen starken Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit aus, haben sich so in der Geschichte durch mutigen Widerstand gegen Besatzungsmächte hervorgetan und damit mehr Freiheit erkämpft als andere Bevölkerungsgruppen in der Levante. Sie erhoben sich gegen die Osmanen und spielten eine wichtige Rolle in der „Großen Revolte“ gegen die französische Mandatsherrschaft (1925-27).

Der Libanon ist heute das einzige Land, in dem die Drusen eine aktive politische Rolle spielen. In Israel leben etwa 107.000 Drusen. Insgesamt gibt es weltweit nach Schätzungen nicht einmal eine Million Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft. In Syrien konnten sie unter der 40-jährigen Baath-Herrschaft relativ frei leben und Baschar el Assad hofierte sie seit vielen Jahren, insbesondere seit Beginn der Revolten im Vorjahr. Sicherheitskräfte vermieden alles, um Drusen zu attackieren oder zu schikanieren. Dennoch schlossen sich einige drusische Intellektuelle der Opposition an, sind sowohl in dem in der Türkei stationierten „Syrischen Nationalrat“, wie in der „Freien Syrischen Armee“ vertreten. Wenn unter der weniger gebildeten Bevölkerungsmehrheit der sich schon abzeichnende Stimmungsumschwung voll einsetzt, würde Assad eine potentiell kämpferische Stütze seines Regimes verlieren.

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