Freitag, 30. November 2012

Mursis Fehlkalkulationen

Kommentar von Birgit Cerha
Er wollte, dass Ägypten nicht zum Nullpunkt zurücktaumelt, zugleich sich und seine Islamisten aus den Fängen einer von Mubarak eingesetzten Justiz befreien und nach fast zwei Jahren dramatischer Turbulenzen das Land endlich wieder zu der für die ökonomische Erholung so entscheidenden Stabilität führen. Vielleicht sind Mursis Absichten redlich. Die Methoden aber sind zweifellos despotisch und der Verfassungsentwurf öffnet das Tor zu einem islamistischen Staat, der die von vielen Ägyptern so heiß erkämpften Grundsätze demokratischer Freiheit und menschlicher Würde mit Füßen treten könnte. Mursi sah sich in der Zwickmühle.
In Wahrheit ging es ihm wohl primär darum, den Übergangsprozess aus der Sackgasse zu führen, die momentane Zerstrittenheit seiner gefährlichsten Gegner, den Salafisten, zu nützen, um so rasch wie möglich nach Billigung der Verfassung durch das Volk ein neues Parlament wählen zu lassen. Denn je länger er als Präsident die bereits Monate währende politische Stagnation überwacht, desto tiefer sackt seine Popularität und die seiner Moslembrüder im Volk ab und sie könnten damit die Macht vollends verspielen. So riskiert Mursi ganz bewußt eine Eskalation am Nil. Es ist eine tragische Fehlkalkulation, die nicht nur ihm die Macht, sondern den Ägyptern die ersehnte Ruhe, die Würde und die Freiheiten kosten könnte, um die sie so bitter gerungen haben.

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