Samstag, 15. Dezember 2012

„Ein Schiff im Sandsturm“


Ägyptens zehn Millionen Kopten fürchten einen wachsenden Trend zur „Säuberung der Gesellschaft von Christen“
von Birgit Cerha

„Ich glaube, ohne göttliche Intervention, die sichtbar und stark ist, treiben wir einer Konfrontation entgegen, die gravierende Auswirkungen für Ägypten haben wird.“ Der charismatische Koptenbischof Bieman aus der oberägyptischen Provinz Qena macht sich keine großen Sorgen über das langfristige Schicksal der Christen am Nil. „Doch ich bin tief beunruhigt über die allernächste Zukunft.“ Wie andere geistliche Führer einer der ältesten christlichen Kirchen, sieht Bischof Bieman Ägypten unter dem islamistischen Präsidenten Mursi unaufhaltsam auf dem Weg zu einer islamischen Diktatur, die die zehn Millionen Kopten zu „Bürgern zweiter Klasse“ , ohne Schutz durch Gesetz und staatliche Institutionen  verdammen werde.
Die Kopten rühmen sich ihres historisch gewachsenen Durchhaltevermögens und ihrer Leidensfähigkeit, die beinahe Teil ihres Glaubens geworden sind.  Die frühe Geschichte der Kirche, die Zeit des Römischen Reiches im ersten Jahrhundert n.Chr., ist getaucht in das Blut ihrer Märtyrer. Sie hat sich so tief in das Bewusstsein der Kopten eingeprägt, dass sogar ihr Kalender mit dem „Jahr der Märtyrer“  284 n.Chr.beginnt, jenem Jahr, in dem der brutalste aller römischen Kaiser, Diocletian, die Macht antrat und eine gnadenlose Christenverfolgung begann, die 800.000 Kopten das Leben gekostet haben soll. Auch später, bis heute, blieben die Kopten eine Bevölkerungsgruppe in Opposition. Doch nach Jahrzehnten relativen Schutzes durch autokratische Herrscher, befürchten viele nun den Beginn eines  „neuen Zeitalters des Martyriums“ .
Als Kopten und Muslime gemeinsam wochenlang gegen den „Pharao“ Mubarak und für ein freies, Ägypten demonstrierten, erwachten unter den so langge unterdrückten Christen  Visionen einer sicheren und gleichberechtigten Existenz. Doch diese Hoffnungen zerstoben all zu rasch. Folgt Ägypten dem Beispiel des Iraks, wo sich die von dem Despoten Saddam Hussein geschützte christliche Minderheit nach dessen Sturz 2003 dramatisch dezimierte? Dasselbe droht nun auch den Glaubensbrüdern in Syrien.
Eine Studie von Mariz Tadros vom britischen „Institute of Development Studies“ belegt eine dramatische Zunahme von Gewaltakten gegen Kopten durch radikale Islamisten der salafistischen Strömung seit dem Sturz Mubaraks vor fast zwei Jahren. Versprechen Mursis, dass Ägyptens Christen  als voll gleichberechtigte Bürger behandelt, nicht länger am Bau von Kirchen behindert würden, erscheint vielen Kopten unterdessen als nichts als ein Lippenbekenntnis. Die Entwicklung weist in die entgegengesetzte Richtung.  Auf Polizeischutz kirchlicher Einrichtungen, Aufklärung von einer wachsenden Serie von Gewaltakten gegen sie, können die Kopten heute weit weniger zählen als unter Mubarak. Die lange unterdrückten Salafisten agieren mit wachsendem Selbstbewußtsein uneingeschränkt und haben die christliche Minderheit zu ihrem Hauptziel erwählt. Fälle von Kirchenschändungen, Attacken gegen Christen, Überfälle auf Geschäfte, Entführungen christlicher Mädchen, die zum Islam gezwungen werden, nehmen rasant zu. Radikale muslimische Geistliche ermahnen die Gläubigen, ja nicht mit Christen Freundschaften zu schließen und islamistische Propaganda  treibt einen Keil immer tiefer  in die ägyptische Gesellschaft, indem sie behauptet, die überwältigende Mehrheit der Demonstranten gegen Mursis autokratischen Stil seien Kopten, die sich auf Anordnung der Kirch gegen den Staat „verschworen“ hätten. Fakten entlarven die Lüge.
Was Tadros aber „extrem beunruhigt“ ist das neue Phänomen “nicht-provozierte Gewalt“. Sie bezieht sich auf das Bemühen islamistischer Gruppen, ihre Anhänger zu mobilisieren, um Christen aus ihren Dörfern zu verjagen, selbst wenn kein Konflikt mit muslimischen Mitbürgern vorangegangen war. „Wir erleben heute einen wachsenden Trend zur ‚Säuberung der Gesellschaft‘ von Christen.“
Die Kirchenführung unter dem neugewählten Papst Tawadros II.        versucht, sich vollends aus der Politik heraus zu halten, anderseits jedoch das von seinem vor einem halben Jahr verstorbenen Vorgänger Papst Shenuda, mit den höchsten sunnitischen Gelehrten der Al-Azhar in Kairo initiierte Versöhnungsprojekt, „Familienheim“ voranzutreiben. Mursi versprach – bisher nur verbal – Unterstützung. „Ägyptens Problem ist nicht der Islam, sondern Extremismus“, betont Bischof Raphael, Sekretär der Heiligen Synode.  „Das hauptproblem“ sei die fehlende „Kultur der Toleranz“ in jedem Bereich…“ Verfassung und Gesetze könnten dies nicht ändern. Diese Haltung bedroht nicht nur die religiösen Minderheiten, sondern auch die große Mehrheit der gemäßigten Muslime. Die Kopten sehen sich nach den Worten des Menschenrechtsaktivisten Emad el Erian in dieser turbulenten Phase des Übergangs in eine neue  politische Ära „wie ein Schiff in einem Sandsturm“. Sie  fürchten um ihre Zukunft in Ägypten. Manche kehren dem Land den Rücken, doch die große Mehrheit ist entschlossen, in der Heimat ihrer Urväter auszuharren, treu dem Wort Shenudas: „Es sind nicht die Kopten, die in Ägypten leben, Ägypten lebt in jedem von ihnen.“

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