Montag, 30. August 2010

ÄGYPTEN: Countdown zum „Neubeginn“

In Ägypten hat der Kampf um das Leben nach dem Tod des „Pharao“ begonnen – Stabilität gegen Veränderung

von Birgit Cerha

Die Schlachtlinien sind gezogen, die Waffen gezückt. Wenn Ägyptens 82-jähriger Präsident Hosni Mubarak nach einem Besuch Frankreichs zum Nahost-Gipfel in die USA reist, dann erzielt er damit einen doppelten Erfolg. Nach Jahren innen- und außenpolitischer Stagnation, bedingt durch Krankheit und sein zunehmendes Alter, kann der Rais (wie man den Präsidenten in Ägypten nennt) sein volksreichstes arabisches Land wieder als diplomatischen Führer in den nahöstlichen Turbulenzen präsentieren. Mindestens ebenso wichtig ist die Botschaft, die diese Reise dem Volk daheim vermitteln soll. Wer mag angesichts der physischen Strapazen, des dichten Arbeitsprogramms, das Mubarak nun vor der Weltöffentlichkeit absolviert, noch daran glauben, dass der „Pharao“ dem Tode nahe stünde.
Seit Monaten bemüht sich die Propaganda des Regimes energisch, Gerüchte zu entkräften, Mubarak sei an Krebs erkrankt, hätte nur noch wenige Monate zu leben. Täglich erscheinen im staatlichen Fernsehen unzählige Bilder, die den Präsidenten in Erfüllung seiner offiziellen Pflichten, bei Ordenverleihungen, Eröffnung von Projekten, Kabinettssitzungen und staatlichen Empfängen einer Öffentlichkeit präsentieren, die sich – in typisch ägyptischer Manier - bereits eifrig Witze über das Ableben ihres Herrschers erzählt. Und um die letzten Zweifel zu zerstreuen, hat die alles dominierende „Nationale Demokratische Partei“ (NDP) nun ihre Entschlossenheit bekundet, Hosni Mubarak für eine sechste Amtsperiode für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr zu nominieren, sollte er sich dazu bereit finden.

Der Rais selbst hüllt sich in Schweigen. Ärzte, die ihn jüngst in Deutschland einer Gallenblasenoperation unterzogen hatten, bezeugen seinen Heilungsprozess. Dennoch wurden in den vergangenen Monaten Journalisten, die sich in Spekulationen über seine Gesundheit ergingen, mit Gefängnis bedroht. Der Gesundheitszustand des Präsidenten ist in der Öffentlichkeit tabu. Das Volk ist verunsichert. Als Orientierung bleibt ihm nur die Erinnerung an die wiederholte Beteuerung seines Führers, er werde „bis zu seinem letzten Atemzug“ die staatliche Verantwortung tragen. Und über die Nachfolge befragt, pflegt Mubarak gerne zu antworten: „Das weiß nur Allah allein.“

Seit 29 Jahren herrscht der ehemalige Luftwaffenoffizier über das Land der Pharaonen. Veränderung, Reformen, demokratischer Öffnung hatte er sich – verbal – verschrieben. Doch das Land versank in Autokratie mit brutalen Auswüchsen, einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, politischer und sozialer Lethargie, gepriesen jedoch von westlichen Mächten, insbesondere dem größten finanziellen Gönner, USA, als eine „Oase der Ruhe“ in der nahöstlichen Welt bedrohlicher Turbulenzen.

Und was nun, wenn diese nahöstliche „Ikone“ dahinschwindet? „Ägypten ist zu groß und geostrategisch zu wichtig, um einen Sturz in Radikalismus, ins Chaos zuzulassen“, meint ein Politologe in Kairo. Stets ängstlich um seine allumfassende Macht besorgt, hatte Mubarak seit seinem Aufstieg zur Spitze des Staates 1981 Rivalen ausgeschaltet, bevor sie ihm gefährlich werden konnten und keinen Vizepräsidenten, damit auch keinen klaren Nachfolger bestellt. Laut Verfassung übernimmt im Falle einer zeitlich begrenzten Vakanz der Vizepräsident oder der Premierminister die Staatsgeschäfte. Ägyptens gegenwärtiger Regierungschef ‚Ahmed Nazif gilt als Beamter, dem jegliche Befähigung zum Staatsmann fehlt. Im Falle permanenter Vakanz muß der Parlamentssprecher als Staatspräsident agieren, bis innerhalb von maximal 60 Tagen einer neuer Präsident gewählt wird.

Zwar meinen viele Ägypter immer noch, die NDP, die staatliche Elite werde die Nachfolge in ihren Kreisen regeln. Doch solche Kalkulationen der Führer des Landes wurden zu Jahresbeginn empfindlich gestört, durch den begeisterten Empfang, den viele Ägypter insbesondere der Mittelschichte dem heimkehrenden ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und Friedensnobelpreisträger, Mohammed el Baradei, bereiteten. Die unter seiner Führung gegründete „Nationale Front für Veränderung“ weckte insbesondere unter der frustrierten Intelligenz und unter der Jugend die Hoffnung auf eine demokratische Alternative, während seit Jahren der Verdacht, Mubarak wolle seinen Sohn Gamal an die Spitze des Staates hieven auf heftigen Widerstand stößt.

Ein Jahr vor den für September angesetzten Wahlen hat nun offen der Kampf um die Macht am Nil begonnen. Und er trägt seltsame Blüten. Während der aufgeschlossene Modernist und Demokrat Baradei sich demonstrativ von den vom Regime zugelassenen und vom Volk ungeliebten Oppositionsparteien distanziert, lässt er sich aktiv von den offiziell nur geduldeten Moslembrüdern unterstützen. Sie verhalfen ihm innerhalb eines Monats zu 770.000 Unterschriften unter einen Forderungskatalog, der vor allem faire Wahlen, die Zulassung unabhängiger Kandidaten (wie Baradei) und die Aufhebung der drei Jahrzehnte alten Notstandsgesetze umfasst. Die Petition wird die Dominanz der NDP kaum brechen können, doch erreicht sie eine Million Unterschriften und mehr, dann würde das in den vergangenen Jahren äußerst schwache ägyptische Reformlager eindrucksvoll an Glaubwürdigkeit gewinnen.“Solche Zahlen könnte das Regime nicht mehr leicht ignorieren“, meint dazu Nabil Abdel Fattah vom Al Ahram Zentrum für soziale und historische Studien. Es würde den Beginn einer „neuen sozio-politischen Bewegung“ markieren.

Bisher weisen NDP-Sprecher die Forderungen nach Verfassungsreform mit der Begründung zurück: „Das ägyptische Volk will Stabilität.“ Und diese Stablilität soll ein Kandidat aus ihren Reihen garantieren. Ob dies der über 80jährige Präsident oder dessen 46-jähriger Sohn Gamal sein könnte, ist allerdings höchst fraglich. Der ehemalige Banker Gamal, der seit fast einem Jahrzehnt ökonomische Liberalisierung vorantreibt und seit einigen Jahren das Ppolitische Komitee der NDP leitet hat bis heute seine Kandidatur für das höchste Staatsamt nicht angemeldet. Und seit dem Erscheinen el-Baradeis auf der politischen Szene sank auch Gamals Präsenz. Eine von der NDP organisierte Umfrage über die Akzeptanz des Präsidentensprösslings in der Bevölkerung ergab nach informierten Kreisen eine derart niedrige Popularitätsrate, dass man ihr Ergebnis lieber geheim hält. Doch in einflussreichen Kreisen der Elite, insbesondere in pro-westlichen Wirtschaftskreisen, die von seinen Reformen profitiert, findet Gamal engagierte Anhänger. Diese haben nun – offenbar als Gegenaktion gegen Baradeis Bemühungen – eine Werbekampagne für den jüngeren Mubarak gestartet. In weiten Teilen Kairos und anderen Städten sind Wände seit einem Monat mit dem Konterfei des sympathischen jungen Mannes bepflastert, der als seriöser, kompetenter Manager gilt und den Ägyptern eine „neue Ära“ verheißt. Die Werbekampagne, von der sich die NDP offiziell distanziert, um nicht die Last eines möglichen Scheiterns tragen zu müssen, zeigt erstaunliche Absurditäten. So bietet sich dieses, im Präsidentenpalast großgezogene Kind der Privilegien als Führer an, der die Träume der Armen erfüllt. Während er sich auf Plakaten dem Slogan „Ein Neuanfang für Ägypten“ verpflichtet, setzt er sich dafür ein, die Macht der herrschenden Elite zu beschneiden.

In den Augen kritischer Ägypter zielt diese Kampagne vor allem darauf ab, Gamals Popularität zu steigern. Sollte dies wirklich der Beginn ernsthafter Versuche sein, Gamals Kandidatur zu lancieren, „dann“, so meint Shadi Taha von der oppositionellen Al-Ghad-Partei, „zeigt dies einen bemerkenswerten Mangel an Vertrauen in den Mann, der Ägyptens nächster Präsident sein könnte“.

Amr el-Shobaki vom Al Ahram Zentrum für politische und strategische Studien meint in der Pro-Gamal-Kampagne einen Machtkampf innerhalb der NDP zu erkennen. Mit Hilfe der Poster hofften Anhänger des „Sohnes“ Unterstützung für ihn in der Partei zu gewinnen Denn nicht allgemeine Wahlen, sondern interne Arrangements machen Ägyptens neuen Präsidenten. In diesen Arrangements spielt Hosni Mubarak die Schlüsselrolle. Bis heute hat er nicht offen Gamals Kandidatur befürwortet, offenbar besorgt, dass es ihm an entscheidender Unterstützung in den Schlüssel-Institutionen des Staates – insbesondere in den Sicherheitskräften – mangelt.

In diesem Tauziehen geht es keineswegs nur um Macht. Es geht um die Frage einer von einem immer stärker werdenden Teil der Bevölkerung ersehnten demokratischen Wandel – den glaubwürdig el-Baradei erstrebt – gegen Stabilität Ägyptens als Bollwerk gegen (islamistischen) Radikalismus in der Region, ein Ziel, das bisher für Mubaraks wichtigsten Verbündeten USA höchst Priorität besaß.

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Montag, 23. August 2010

IRAK: „Sie überlassen uns voll unseren Problemen“

Nach dem Rückzug der US-Kampftruppen, können die irakischen Sicherheitskräfte ihr zerrüttetes Land selbst stabilisieren?

von Birgit Cerha

„Ich mache mir große Sorgen. Sie haben uns viel zu früh den Rücken gekehrt und uns voll unseren Problemen überlassen.“ Alarmiert fasst eine irakische Intellektuelle weit verbreitete Gefühle zusammen: Enttäuschung über den Rückzug der US-Kampftruppen, Bitterkeit und Angst vor einem neuen Trauma. Manche halten gar den nun vollzogenen Rückzug der US-Kampftruppen aus dem Zweistromland „für unverantwortlich“, motiviert ausschließlich durch interne politische Erwägungen und „nicht die Entwicklungen vor Ort“, klagt etwa der kurdische Abgeordnete Mahmud Othman.

Immerhin, so sinniert der Künstler Ghalib al-Mansuri düster, „die Iraker schmachten weiterhin in der Hölle“. Er meint damit nicht nur die jüngste Serie von Anschlägen, die 500 Toten, die der erneut aufgeflammte Terror allein im Juli forderte. Er meint auch die anhaltende Unfähigkeit des Staates, lebenswichtigen Dienstleistungen zu liefern: ausreichend Strom, sauberes Wasser, Müllabfuhr.

Die totale politische Paralyse (sechs Monate nach den Parlamentswahlen immer noch keine Regierung) verstärkt die weit verbreiteten Gefühle der Unsicherheit, vertieft die Kluft zwischen der politischen Elite und dem Volk, das sich des Eindrucks kaum noch entziehen kann, seine demokratisch gewählten Führer sorgten sich nur um ihre eigene Macht und ihre Privilegien. Je länger diese Situation anhält, desto mehr droht dieser Staat seine Legitimität zu verlieren.

Ein Beispiel mag die enormen Gefahren dieser politischen Paralyse eindrucksvoll zu illustrieren. „Nun herrscht hier das Gesetz des Rechts“, triumphierte ein hoher Regierungsvertreter jüngst, als die Amerikaner in einer feierlichen Zeremonie der irakischen Führung die Kontrolle über die letzten von ihnen festgehaltenen Gefangenen übergaben. Fünf Tage später entkamen vier der gefährlichsten Häftlinge. Und mit ihnen, Terroristen des irakischen Al-Kaida Zweiges „Islamischer Staat des Iraks“, verschwand auch der Gefängnisaufseher.

David Kilcullen, einst Berater der US-Kontra-Guerilla im Irak, stimmt dennoch der politischen Führung in Bagdad zu: Die von den USA aufgebauten „Regierungstruppen sind heute in der Lage, für die Sicherheit des Landes zu sorgen“. Immerhin hätten sie dies seit Juni 2009 bewiesen, seit sich die US-Truppen aus den Städten zurückzogen. Hatten sie nicht im Februar für ruhige Parlamentswahlen gesorgt? Waren ihnen nicht jüngst auch triumphale Schläge gegen den Widerstand gelungen? So wurde im April ein Komplott zur Kamikaze-Attacke der heiligsten schiitischen Stätten in Kerbala und Nadschaf mit gekaperten Flugzeugen vereitelt. Wenig später stärkte die Tötung von drei irakischen Al-Kaida Führern mit Hilfe von US-Einheiten das Selbstbewusstsein der heimischen Sicherheitskräfte.

Doch Skepsis ist angebracht. Fast 20 Mrd. Dollar hatten die Amerikaner zum Aufbau der Armee- und Polizeieinheiten von 400.000 Mann investiert. Training und Ausrüstung geben Hoffnung. Nicht aber die Loyalität zum irakischen Staat. Die Sicherheitskräfte seien trotz massiver Säuberungen „immer noch durchsetzt von Terroristen“, klagt Ex-Premier Iyad Allawi. Die Loyalität zu diversen nach Religionszugehörigkeit orientierten Bewegungen oder gewalttätigen Widerstandsgruppen ist überwältigend stark.

Um den enormen Herausforderungen gewachsen zu sein, will das Verteidigungsministerium die Streitkräfte von derzeit 260.000 auf 300.000 aufstocken. An interessierte Rekruten fehlt es in einem Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent nicht. Doch wie andere staatliche Institutionen ist auch die Führung der Sicherheitskräfte von Korruption und Nepotismus verseucht. Der parlamentarische Sicherheitsexperte Ammar Tohme wird nicht müde, die Missstände anzuprangern, allen voran die Praxis von „Schmiergeldzahlungen von Soldaten an ihre Offiziere, um militärischen Verpflichtungen, insbesondere in Fällen verstärkter Gewalt, zu entgehen“.

Das offene Eingeständnis des Generalstabschefs Babaker Zebari, dass seine Einheiten aus eigener Kraft derzeit die Sicherheit nicht garantieren könnten („die US-Armee muss bis 2020“ bleiben) gibt Anlass zu heftigen Diskussionen. Hat der General nur die Verteidigung des Iraks gegenüber Feinden von außen gemeint? Kein Zweifel, die Lufthoheit werden die Iraker noch jahrelang nur mit Hilfe der Amerikaner, die mit 50.000 Mann bis 2011 weiterhin als „Berater“ bereitstehen, sichern können, da sie vorerst keine eigene Luftwaffe besitzen. Hier zeigt sich ein gravierendes Hemmnis beim Aufbau einer schlagkräftigen Streitkraft. Abdul Karim al-Samaraei, Vizepräsident des parlamentarischen Sicherheitskomitees, bestätigt Behauptungen aus Militärkreisen, dass „mächtige politische Parteien“ den Aufbau einer starken Streitkraft zu verhindern suchten. Gemeint sind die Kurden, jahrzehntelang Opfer genozidartiger Kampagnen durch die irakische Armee, aber auch pro-iranische Schiiten, die sich an der Sorge des einstigen Kriegsgegners vor einem militärisch erstarkenden Irak orientieren. Nationale Versöhnung hat im Irak nicht einmal begonnen. Im Gegenteil: Hass und Misstrauen wachsen.

Die Gefahren für Iraks Stabilität sind vielfältig. Al-Kaida ist zwar empfindlich geschwächt, doch – so US-General Patrick Higgins – „ihre Zellenstruktur ist weiterhin intakt“ und sie umwirbt eifrig frustrierte arabisch-sunnitische „Söhne des Iraks“, die von den USA für den Anti-Terror-Kampf engagiert worden waren und nun, verzweifelt um Existenz ringend, vielfach vergeblich auf die versprochene Anstellung und Bezahlung durch den Staat warten.

Ungelöst und potentiell höchst explosiv sind die Konflikte zwischen Kurden und irakischen Arabern. Durch gemeinsame Patrouillen mit kurdischen Peschmergas und Regierungssoldaten versuchen US-Einheiten auch weiterhin Zusammenstöße in den von Kurden beanspruchten „umstrittenen Gebieten“ südlich des autonomen Kurdistan, insbesondere in der Ölstadt Kirkuk, zu verhindern. Auch nach sieben Jahren liegt eine politische Lösung in weiter Ferne. Der Streit um Kirkuk verhindert auch die Verabschiedung eines für ausländische Investitionen entscheidenden Ölgesetzes, wie eine Regelung des Verfassungsstreits: Die Kurden beharren auf einer Föderation mit einer schwachen Zentralregierung. Die arabischen Sunniten und viele Schiiten lehnen dies ab.

Instabilität und der Streit um ein Ölgesetz haben die Sanierung der Ölfelder und Ausweitung der Produktion mit Hilfe internationaler Konzerne verzögert. Während die Kurdische Regionalregierung sich schon vor Jahren zum Alleingang entschloss, hat Bagdad Ende 2009 ebenfalls Service-Verträge für die Produktion im Süden abgeschlossen. Dennoch rechnen Experten nicht damit, dass der Irak seine Ölförderung vor 2013 entscheidend über den Vorkriegsstand von etwas mehr als zwei Mio.Barrel im Tag steigern kann. Eine internationale Auktion für die Ausbeutung von zwei Gasfeldern ist für den 1. Oktober angesetzt.

Öl und Gas liefern 90 Prozent der staatlichen Einkünfte. Dank eines Rückgangs der Gewalt in der ersten Jahreshälfte konnten in anderen Bereichen, Einzelhandel und Kleinindustrie, schwache Fortschritte erzielt werden. Insgesamt wuchs die Wirtschaft im vergangenen Jahr um fünf Prozent. Dramatisch ist aber der Kollaps der Landwirtschaft, teilweise bedingt durch gravierende Trockenheit, die Tausenden Bauern ihre Existenz raubt. Insgesamt leben schon jetzt 23 Prozent der Bevölkerung – etwa sieben Millionen Menschen – unter der Armutsgrenze von 2,2 Dollar pro Tag.

Iraks Gesellschaft ist von Kriegen und Sanktionen schwer gezeichnet. Die Jugend – fast 50 Prozent der Bevölkerung ist unter 19 Jahre alt – hat nur Chaos kennen gelernt. Der Irak, der sich einst des höchsten Bildungsniveaus in der arabischen Welt rühmen konnte, weist heute die höchste Analphabetenrate (26 Prozent) unter Frauen in der Region auf. 300.000 der Zehn- bis 18-Jährigen ging niemals zur Schule. 65 Prozent der Jugend steht Computern ratlos gegenüber. „Ein großer Teil der männlichen Bevölkerung kann nur mit Waffen arbeiten. Sie können sehr gut töten“, klagt Yanar Mohammed von der Organisation „Frauen-Freiheit im Irak“.

Höchst alarmiert stellt auch die US-Botschaft in Bagdad fest: Wenn der Staat das Bildungssystem nicht endlich neu aufbaue, werde sich die heranwachsende Generation als das größte Hindernis für Frieden, Stabilität und Wirtschaftswachstum erweisen.

Bildquelle: Atlantic Council

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Samstag, 21. August 2010

Am Persischen Golf steigen die Kriegsängste

Inmitten eskalierender Drohungen von allen Seiten und gigantischen Aufrüstungsplänen treibt Teheran sein Atomprogramm voran – Doch Washington versucht zu beschwichtigen

Die Menschheit sei an einem gefährlichen Kreuzpunkt angelangt. Vorbereitungen für einen Angriff auf den Iran hätten ein „fortgeschrittenes Stadium“ erreicht. Hi-Tech-Waffensysteme, darunter auch Atomsprengköpfe stünden voll einsatzbereit. Vorbereitungen für einen „Dritten Weltkrieg“ liefen auf Hochtouren, warnt die in Kanada stationierte unabhängige Forschungsgruppe „Global Research“. Tatsächlich steigt im Mittleren Osten die Hochspannung. Ein Bericht der New York Times, nach dem die US-.Regierung Israel davon überzeugt habe, dass der Iran mindestens ein weiteres Jahr für die Entwicklung einer Atomwaffe benötige können die Wogen der Nervosität kaum glätten.
Unabhängige Diplomaten und Militärexperten sind ohnedies seit längerem davon überzeugt, dass die „Islamische Republik“ noch Jahre benötige, um eigene Atomwaffen zu produzieren. Die Gefahr werde instrumentalisiert, um die aufsteigende iranische Regionalmacht zurückzudrängen und einzuschüchtern.

Dennoch: die Kriegsgefahr wächst. Zwar beschwichtigen diplomatische Kreise, Israel habe sich von den Amerikanern von der Notwendigkeit überzeugen lassen, der Diplomatie und der jüngst in Kraft getretenen vierten Sanktionsrunde gegen den Iran noch eine Chance zu geben. Immerhin äußert Irans Präsident Ahmadinedschad wieder verstärkt den Wunsch nach einem Dialog mit den USA und andere Hardliner, wie Mohammed-Javad Laridschani, Berater des „Geistlichen Führers“ Khamenei, deuten gar offen die Möglichkeit an, „wenn notwendig, werden wir mit dem Teufel (USA) in der feurigen Höhle der Hölle“ verhandeln. Zugleich aber stehen die Zeichen auf Sturm. Heute, Samstag, soll das erste iranische Atomkraftwerk in Betriebe gehen. Ein Sprecher der russischen Atomenergiebehörde verkündete, die Bestückung des von den Russen fertig gestellten Reaktors Bushehr mit Brennstoff solle nun begonnen werden. Bis zur völligen Inbetriebnahme werde es allerdings noch etwa zehn Wochen dauern. Laut iranischer Atomenergiebehörde sollen insgesamt 165 Brennstäbe installiert werden. Die erste Kernspaltung in der 1000-Megawatt-Anlage soll Anfang Oktober erfolgen. Bushehr, das unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gebaut wurde, steht jedoch nicht im Zentrum des Atomstreits zwischen Teheran und der internationalen Gemeinschaft.

Kern des Konflikts ist ein eigenes iranisches Programm zur Urananreicherung, das Teheran entschlossen vorantreibt. So verkündete der Chef der iranischen Atomorganisation, Ali Akbar Salehi eben, dass – ungeachtet des Sanktionsdrucks – mit dem Bau der ersten von zehn geplanten Uran-Anreicherungsanlagen spätestens Anfang nächsten Jahres begonnen werden solle.

Solch stolze Entschlossenheit steigert wachsende Ängste auf der arabischen Seite des Persischen Golfs. Dort zeigen Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erstmals offen ihre Bereitschaft, sich selbst militärischen Aktionen zum Stopp eines befürchteten iranischen Atomwaffenprogramms anzuschließen. Am Golf befürchtet man weniger, dass der Iran Nuklearwaffen tatsächlich einsetzen könnte, sondern dass ihn deren Besitz vielmehr dazu ermutigen werde, weit aggressiver als bisher seine Dominanz über die Region herzustellen. Immerhin beherbergen fast alle arabischen Golfstaaten schiitische Minderheiten, die im Konfliktfall mit Teheran sympathisieren könnten.

Die wachsende Unsicherheit hat einen gigantischen Rüstungswettlauf vom Zaum gebrochen. So haben die Saudis ein Waffenpaket – das größte in der Geschichte der USA – in Höhe von 60 Mrd. Dollar in Washington bestellt, Abu Dhabi kauft neue amerikanische und französische Kampf-Jets und Kuwait 200 amerikanische Abwehrraketen. Zugleich brüstet sich der Iran seiner höchst effizienten heimischen Rüstungsindustrie. Verteidigungsminister Vahidi verkündete den Produktionsbeginn eines Langstrecken-Raketen Verteidigungssystems und droht zugleich mit der Bereitschaft, Israel zu zerstören, sollte es einen Angriff auf iranische Atomanlagen wagen. Und die Revolutionsgarden, so einer ihrer Sprecher, hielten sich bereit, „überall in der Welt energisch der Dummheit der amerikanischen und zionistischen Regime zu begegnen“.

Wenig glaubwürdige Gerüchte, Saudi-Arabien hätte Israel die Erlaubnis erteilt im Falle eines Angriffs auf den Iran über saudisches Hoheitsgebiet zu fliegen, und von Riad allerdings heftig dementierte Berichte der iranische Nachrichtenagentur Fars, die israelische Luftwaffe hätte militärische Geräte in der saudischen Wüste, nahe der Grenze zu Jordanien, gelagert, heizen die Spannungen auf. „Gulf Daily“ meldete, Israel hätte Kampfflugzeuge in Georgien und Aserbaidschan stationiert, um aus größerer Nähe leichter den Nord-Iran zu attackieren. Und selbst Al-Kaida schließt sich der Hysterie an. Deren stellvertretende Führer im Jemen, Said al Shehri erklärte eben in einer Audionachricht die Bereitschaft, sich einem „von den Juden gegen den Iran“ begonnen Krieg mit den Methoden des Terrornetzwerkes anzuschließen.

Unabhängige Beobachter halten die Eskalation der Propaganda und Kriegstreiberei allerdings für höchst gefährlich. Denn sie berge das Risiko, dass politische Führer von ihrer eigenen Rhetorik übermannt und tatsächlich zu den Waffen greifen würden.

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Donnerstag, 12. August 2010

IRAK: Al Kaida versucht ein Come-back im Irak

Anhaltendes Machtvakuum eröffnet Extremistengruppen neuen Aktionsraum, während US-Truppen ihren Abzug vorantreiben

von Birgit Cerha


Nur zwei Wochen bevor die USA die geplante Truppenreduktion im Irak von 140.000 auf 50.000 Mann abgeschlossen haben, gesteht der neue Kommandant der US-Einheiten, General Higgins, offen ein: Extremistengruppen „sind sehr lebendig. Die „Zellen-Struktur der al-Kaida im Irak“ sei immer noch „weitgehend intakt“. Ab September werden die unterdessen mit US-Hilfe auf 650.000 Mann aufgestockten irakischen Sicherheitskräfte für die Herstellung der Ruhe allein verantwortlich sein. Die verbleibenden amerikanischen Einheiten stehen ihnen lediglich mit Rat und Training zur Seite und werden nur in Sonderfällen , gemeinsam mit den Irakern, Anti-Terror-Aktionen durchführen.

Doch ernste Zweifel bestehen an der Effizienz der irakischen Sicherheitskräfte. Sie seien in einigen Aspekten für ihre Mission bereit, in anderen „weisen sie absolute Schwächen“ auf, meint Joost Hiltermann, Irak-Experte der International Crisis Group. Ihre Operationsfähigkeit gegen Terroristen sei recht zufrieden stellend, jedoch nicht die Logistik und besondere Schwäche wiesen sie im Geheimdienst-Sektor auf, wo esan Koordination zwischen den verschiedenen Diensten und der korrekten Auswertung von Informationen mangle. Vor allem aber verfügen die Iraker über keine Luftwaffe.

Unter der Bevölkerung wächst unterdessen wieder die Nervosität. Nicht nur ist sieben Jahre nach Kriegsende die Stromversorgung immer noch nicht ausreichend gesichert, um die nötige Erleichterung in der brütenden Sommerhitze zu schaffen. Die Gewalt zeigt wieder alarmierend steigende Tendenz. Juli war der blutigste seit zwei Jahren. Experten weisen darauf hin, dass Al-Kaida dank erfolgreicher Anti-Terror-Kampagnen nicht mehr wie früher zu koordinierten Selbstmordattentaten in der Lage ist dennoch aber fast täglich zuschlagen.

Wie erwartet, nützen die Widerstandsgruppen das Machtvakuum, in das die Unfähigkeit der irakischen Politiker, sich nach den Parlamentswahlen im Februar zur Bildung einer Regierung zu einigen, das Land gestürzt haben. Ihr Ziel ist es, die Bevölkerung insbesondere Bagdads massiv einzuschüchtern, um sie von der in den vergangenen acht Monaten so erfolgreichen Kooperation mit den Sicherheitskräften abzuschrecken. Die Extremisten versuchten, „die amtierende Regierung und die Sicherheitskräfte zu diskreditieren“, um wieder verstärkt in Bagdad und anderen Regionen Fuß zu fassen, erläutert der stellvertretende Kommandant der US-Truppen im Zentralirak, General Baker. Die Entscheidung der Bagdader Verkehrspolizei, künftig Kalaschnikows zu tragen, nachdem zwölf ihrer Beamten in einer Woche ermordet worden waren, untermauert solche Behauptung.

Besonders beunruhigt eine intensive Werbekampagne der Al-Kaida unter ihren einst abgesprungenen arabisch-sunnitischen Verbündeten. Diese etwa 100.000 Mann zählenden „Söhne des Iraks“, hatten anfänglich mit Al-Kaida gekämpft, dann jedoch die Seiten gewechselt, mit US-Unterstützung ihre Waffen gegen Al-Kaida gerichtet und entscheidend zu einem Abflauen der Gewalt beigetragen. Sie erhielten Waffen und Geld zunächst von den USA und sollten seit mehr als einem Jahr von der irakischen Regierung weiter bezahlt und in die Streitkräfte bzw. die Bürokratie integriert werden. Doch diese Zusagen werden bis heute nicht eingehalten. Viele „Söhne des Iraks“ sind frustriert, fürchten um ihre Existenz und lassen sich deshalb durch finanzielle Lockungen der Al-Kaida oft willig abwerben, dies umso mehr, als sie zunehmend zwischen die Fronten gerieten: auf der einen Seite Al-Kaida, die Rache für den „Verrat“ übt, auf der anderen die von Schiiten dominierte amtierende Regierung, die diesen einstigen sunnitischen Kämpfern nicht traut.

Dramatisch verschärft wird die Situation durch den Zank der Politiker, die auch in sieben Monaten einer Lösung der Regierungskrise nicht näher kamen. Der knappe Wahlsieger, die von Sunniten unterstützte „Iraqiyya“ träumt immer noch von einer Regierung unter Führung ihres laizistischen Schiiten Allawi, vielleicht in Koalition mit der pro-iranischen „“Irakischen Nationalen Allianz“ (INA). Diese würde aber – unter massiven Einfluss Teherans – einen Bund mit der „Rechts-Staats-Partei“ vorziehen, allerdings ohne deren Chef und bisherigen Premier Maliki. Dieser hingegen will von Rückzug aus der Politik nichts wissen und die von den Amerikanern bevorzugte Variante – Koalition zwischen Allawi und Maliki – erscheint bisher diesen beiden Erzrivalen undenkbar. Eine Kompromisslösung wird wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen und danach kann es immer noch Monate dauern, bis eine funktionierende Regierung auf den Beinen steht.

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Dienstag, 10. August 2010

IRAN zieht den „Sicherheitsgürtel“ enger

Teheran führt eine „Achse des Widerstandes“, die in Zukunft geschlossen agieren soll – Ziel: Änderung des Status quo in der Levante

von Birgit Cerha

„Die Macht des Widerstandes (gemeint ist die schiitische Hisbollah) und die Einheit der libanesische Armee lassen nicht zu, dass das zionistische Regime auch nur einen Baum fällt.“ Die Zeiten seien endgültig vorüber, in denen „das zionistische Regime ohne Angst bis an die Grenzen Beiruts vorstoßen konnte“. Damit bekräftigte Said Jalili, Chef des iranischen „Nationalen Sicherheitsrates“ bei einem demonstrativen Besuch des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah.Teherans Position in der sich verschärfenden Libanon-Krise. Und er fügte hinzu: „Libanon, Irak und Afghanistan sind Irans Sicherheitsgürtel.“

Die Iraner scheuen keine Mühe, um diplomatisch ihre Macht in der Levante zu verteidigen. Seit der jüngste Versöhnungsgipfel zwischen den beiden Erzrivalen um Einfluss im Libanon, Syriens Präsident Assad und Saudi-Arabiens König Abdullah in Beirut iranische Ängste weckte, Riad könnte die für Irans strategischen Interessen im Libanon so entscheidenden engen Bande zwischen Damaskus und Teheran sprengen, überstürzt sich die Diplomatie des „Gottesstaates“.
Eilig entsandte Khamenei nicht nur Jalili, sondern auch seinen höchsten außenpolitischen Berater, Ex-Außenminister Velayati, nur mit besonders kritischen Missionen beauftragt, nach Beirut. Er stellte damit klar, dass in einer für Irans geostrategische Ambitionen äußerst gefährlichen Situation das Libanon-Dossier nicht mehr Präsident Ahmadinedschad überlassen werden kann. Immerhin geht es um nicht weniger als Teherans strategische Position in der Levante. So zitierten die Iraner denn auch Libanons Außenminister Ali Al-Shami nach Teheran, wo sein Amtskollege Mottaki klarstellte, dass „das libanesische Volk und der Widerstand das Recht besitzen, jede Aggression (gemeint ist der jüngste von einem libanesischen Soldaten provozierte den blutigsten Schusswechsel mit israelischen Soldaten an der gemeinsamen Grenze seit 2006) zu beenden“.

Kein Zweifel, die „Islamische Republik“ setzt alles daran, ihrem wichtigsten Bundesgenossen in der Levante, dem schwer bedrängten Hisbollah-Chef Nasrallah, den Rücken zu stärken. Die Iraner stellen klar, eine „Achse des Widerstandes“ (Iran, Syrien, Hisbollah und Hamas) würde im Falle eines Krieges erstmals „gemeinsam und nicht individuell handeln“. Hanif Qaffari, Analyst in der radikalen Teheraner Tageszeitung „Resalat“ stellt fest: „Solange die Gefahr einer israelischen Militärattacke gegen den Libanon besteht, und das wird immer der Fall sein, muss Hisbollah zur Verteidigung über Waffen verfügen. In einer künftigen Konfrontation im Mittleren Osten wird es zwei Fronten geben: Iran, Syrien Hisbollah und Hamas auf der einen, Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und die USA auf der anderen Seite. Tatsächlich haben Iran und seine Bundesgenossen seit dem katastrophalen israelischen Libanon-Feldzug 2006 (siehe Lexikon), in dem Syrien Iran und Hamas tatenlos zusahen, ihre Sicherheits-Bande verstärkt und präsentieren sich immer häufiger als eine Einheitsfront. Dies, obwohl jeder entschieden darauf hinweist, dass er seine eigenen, unabhängigen Interessen und Ziele verfolgt.

In der US-Administration zeigt man sich zunehmend alarmiert darüber, dass Iran, Syrien und Hisbollah in bisher einzigartiger Weise ihre militärischen Systeme zu integrieren suchen. Dazu zählt verstärkter Austausch von Geheimdienstinformationen, Waffenlieferungen, gemeinsames Training.

Auch politisch stellen sich die Iraner demonstrativ hinter Nasrallah. Man werde – so wird offiziell immer wieder betont – nicht zulassen, dass das internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Libanons Ex-Premier Hariri Hisbollah.-Mitglieder anklage. Dass Hisbollah mit dem Attentat von 2005 absolut nichts zu tun habe, versuchte Nasrallah durch eine Serie von Videoaufnahmen israelischer Aufklärungsflugzeuge über dem Libanon zu beweisen. Danach seien die Mörder in Israel zu suchen. Als Indiz dafür sollen u.a. detaillierte Aufnahmen des Zentrums von Beirut dienen, wo gewaltige Bomben 23 Menschen in den Tod rissen. Israel – so behauptet Nasrallah in seinen etwas verwirrenden Darstellungen – hätte von langer Hand geplant, den Mord Hisbollah in die Schuhe zu schieben. Die israelische Regierung wies unterdessen den Versuch, sie an den Pranger zu stellen als „lächerlich“ zurück.

Nasrallah sieht die Vorwürfe gegen seine Organisation als Kampagne, die militärisch bisher unbesiegbare Hisbollah nun mit anderen Methoden auszuschalten. In dieser kritischen Situation kann er nun voll mit Teherans Solidarität und Unterstützung rechnen.
Irans Nervosität über die jüngsten Entwicklungen lässt sich aus der zentralen Bedeutung erklären, die Hisbollah in der geostrategischen Planung Teherans seit ihrer Geburtsstunde 1982 bis heute besitzt. Im Schock der damaligen israelischen Invasion, der der Libanon hilflos ausgeliefert war, hatten Abgesandte Ayatollah Khomeinis die revolutionäre Schiitenorganisation mit dem Ziel aus der Taufe gehoben, nicht nur schiitische Bevölkerungsgruppe des Libanons aus Armut und Diskriminierung zu reißen, sondern die islamische Revolution über die Grenzen des Irans hinaus zu tragen. Seither hat sich eine Partnerschaft zum gegenseitigen Vorteil entwickelt und ein großer Teil der libanesischen Schiiten blickt dankbar nach Teheran, das über die Hisbollah beachtliche finanzielle und soziale Hilfe leistete und immer noch leistet und den Schiiten auch im libanesischen Staat zu einer zentralen politischen Rolle verhalf.

Irans Hauptziel in der Levante ist die Änderung des Status quo, um seinen als natürlich empfundenen Anspruch auf geostrategische Vormachtstellung zu untermauern. Immerhin profitiert der schiitische „Gottesstaat“, weit mehr als sein jüngst höchst aktiver geopolitischer Rivale Türkei, eindrucksvoll von dem sich stetig verstärkenden Gefühl politischer Ohnmacht, der anhaltenden Frustration in der arabischen Welt über die Unfähigkeit der USA, die Krisen der Region, insbesondere das Palästinenserproblem zu lösen. Nach einer eben von der US-Denkfabrik „Brookings“ und dem Meinungsforschungsinstitut „Zogby“ veröffentlichten Umfrage aus fünf arabischen Ländern (Ägypten, Jordanien, Libanon, Saudi-.Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten) sank die Sympathie für US-Präsident Obama seit dem Frühjahr 2009 von 45 auf 20 Prozent, während die Zahl jener Araber, die das Recht des Irans auf ein eigenes Atomprogramm verteidigen um 24 Prozent anstieg. 57 Prozent zeigten sich davon überzeugt, dass sich iranischer Besitz von Atomwaffen für den gesamten Mittleren Osten als positiv erweisen würde, eine Verdoppelung des Prozentsatzes gegenüber dem Vorjahr.

Immer enger wird der Iran nicht nur mit dem Libanon, sondern auch mit anderen Konfliktzentren in der Region verstrickt, mit dem arabisch-israelischen Friedensprozess (durch verstärkte Unterstützung der palästinensischen Hamas), vor allem aber mit den Nachbarn Irak und Afghanistan. Zum vierten Mal in zwei Jahren traf Ahmadinedschad Ende Juli zu einem Dreiergipfel mit den Präsidenten Afghanistans und Tadschikistans zusammen, begierig, den Amerikanern die Botschaft zu vermitteln: Die „Islamische Republik“ kann heute ihre Macht von der Levante bis nach Südwestasien ausspielen. Um eine Lösung in dem monatelangen Tauziehen zur Bildung einer neuen irakischen Regierung zu finden, führen nach informierten Kreisen die Amerikaner mit den Iranern intensive Geheimverhandlungen. Dabei, so Geheimdienstkreise, setzt Teheran die Hisbollah, der „Stock“, den es stets gegen Israel schwingen kann, wiederholt als Druckmittel ein.

Zentrales Anliegen Teherans ist dabei die Anerkennung der regionalen Vormachtstellung durch die USA. So sind es denn auch geostrategische, und nicht ideologische oder religiöse Motive, die Irans Hass auf Israel nähren, auf die einzige Großmacht in der Region, noch dazu von der einzigen Supermacht gestützt. Umgekehrt liegen die Wurzeln israelischer Obsession mit iranischer Atommacht weniger in der befürchteten Weitergabe von Nuklearwaffen an Hisbollah oder Hamas, als in der Zerstörung seiner jahrzehntelangen Verteidigungsstrategie. Iran hat dabei mittels Hisbollah bereits Fortschritte erzielt, die Teheran noch weiter ausbauen könnte, wenn es durch den Erwerb von Atomwaffen indirekt der Widerstandsfront eine Sicherheitsgarantie bietet und damit zu Attacken gegen Israel ermutigt.

Israels Verteidigungsstrategie beschränkt sich nicht nur darauf, einem Gegner unverhältnismäßig hohen Schaden zuzufügen, wie bereits wiederholt und zuletzt 2006 im Libanon oder gegenüber den Palästinensern in Gaza eindrucksvoll demonstriert. Um den Schutz des Judenstaates zu garantieren, setzten israelische Strategen traditionell auf die Fähigkeit, potentielle Feinde fast straflos, d.h. mit geringsten eigenen Verlusten, und wenn möglich präventiv vernichtend zu schlagen. Die bloße Existenz iranischer Atomwaffen, auch wenn diese nicht eingesetzt würden, zwänge Israel über Jahre hinweg zu militärischer Zurückhaltung.

Dank intensiver Aufrüstung durch Teheran und Damaskus hat Hisbollah inzwischen ein Abschreckungspotential entwickelt, das den Libanon erstmals in seiner Geschichte aus seiner verzweifelten Rolle als hilfloses „ewiges Opfer“ befreit und ihm eine Verteidigungschance bietet. Keiner der Kontrahenten, weder Israel, noch Hisbollah oder die Libanesen und schon gar nicht Iran sind derzeit an einem blutigen Konflikt mit unabsehbaren Folgen weit über die Grenzen der Levante hinaus interessiert. Für Teheran geht es vor allem darum, die starke Schlagkraft der Hisbollah nicht zuletzt für den Fall eines israelischen Angriffs auf seine Atomanlagen zu sichern. Für Israel aber, so betont ein hoher israelischer Beamter gegenüber der „International Crisis Group“, sei letztlich „ein Krieg im Norden der einzige Weg, um die Achse des Übels zu vernichten.

Bild: Iraner demonstrieren für Nasrallah.
Quelle: Spiegel Online

Erschienen in Kurzfassung in „Die Furche“ am 12.08.2010
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Donnerstag, 5. August 2010

IRAN: Neue Front gegen Ahmadinedschad

Innerhalb des iranischen Regimes verschärft sich der Machtkampf – Auch ein geschwächter Khamenei ringt um seine Autorität

von Birgit Cerha

Irans offizielle und halboffizielle Medien sind nun – einen Tag nach der Verwirrung um einen angeblichen Attentatsversuch auf Präsident Ahmadinedschad, voll auf Linie eingestimmt. Es war nicht eine „Attacke“, wie das Präsidentenamt zuerst gemeldet hatte, sondern ein in überschwänglicher Begeisterung über den Präsidentenbesuch gezündeter Feuerwerkskörper, der nahe Ahmadinedschads Konvoi in Hamedan zur Explosion gekommen war. Alle anderen Versionen sind aus den Medien verschwunden.

Unterdessen sind unabhängige Analysten zu der Ansicht gelangt, dass der Zwischenfall vom Mittwoch in Zusammenhang mit einem sich stetig verschärfenden Machtkampf als Folge der manipulierten Präsidentenwahlen im Vorjahr steht.Und dabei spielt die reformorientierte „grüne“ Opposition ebenso wenig eine Rolle, wie die alten Feinde der Teheraner Herrscher, die „Volksmudschaheddin“, die in den frühen 80er Jahren fast die ganze islamische Führung ermordet hatten. Hauptkontrahenten sind die pragmatischen Konservativen, im Volksmund „Prinzipalisten“ genannt. Führende Politiker dieser Fraktion, darunter vorrangig Parlamentspräsident Ali Laridschani, der einflussreiche Abgeordnete Ahmad Tavakoli und der der ehemalige Kommandant der Revolutionsgarden und Präsidentschaftskandidat im Vorjahr, Mohsen Rezai, schlossen sich zur Führung einer „Vereinten Front“ gegen Ahmadinedschad zusammen. Hauptstrategie ist, den „Geistlichen Führer“ Khamenei, der sich seit einem Jahr uneingeschränkt hinter den Präsidenten gestellt hat, davon zu überzeugen, dass Ahmadinedschads radikale und polarisierende Politik die Stabilität der „Islamischen Republik“ ernsthaft gefährdet und er sich deshalb von ihm distanzieren solle.

Laridschani, Sohn eines Ayatollahs, der enge Beziehungen zur hohen islamischen Geistlichkeit unterhält, ist es offenbar gelungen, seine neue Front durch führende Gottesmänner zu stärken, die seit den massiven Repressionen als Folge der Wahlproteste im Vorjahr tiefes Unbehagen gegenüber dem Präsidenten, aber auch Khamenei empfinden. Besonders erzürnt hat viele Geistliche Anfang Juni eine Gedenkfeier für Revolutionsführer Khomeini, bei der dessen Enkel Hassan von Ahmadinedschads Anhängern brutal an einer Rede gehindert wurde. Hassan Khomeini, der weithin Respekt genießt, hatte sich offen den Protesten gegen die Präsidentschaftswahl angeschlossen.

Laridschani und seine Gesinnungsgenossen quält die Sorge, den Säuberungen reformorientierter Politiker und Intellektueller, die die iranischen Gefängnisse füllen, könnten ähnliche Aktionen gegen die „Prinzipalisten“ folgen, um die Macht der radikalen Autokraten um Ahmadinedschad auch langfristig zu zementieren. Da das Maximalziel – Sturz Ahmadinedschads – kaum zu erreichen sein dürfte, erstreben sie eine entscheidende Schwächung der Position des Präsidenten, um in drei Jahren die Wahl eines der ihren zu sichern. Nicht Ideologie, die grundsätzliche politische Ausrichtung der „Islamischen Republik“ ist hier die Frage, sondern schiere Macht.

Zugleich lassen Khameneis jüngste Manöver erkennen, dass auch der „Geistliche Führer“ um seine Autorität fürchtet. So sah er sich jüngst genötigt, eine eigene „Fetwa“ (islamisches Rechtsgutachten) zu erlassen, in dem er, dem laut Verfassung ohnedies die höchste Macht im „Gottesstaat“ zusteht, dem Volk unbedingten Gehorsam befiehlt. In den vergangenen Wochen hatten mehrere Ayatollahs in Briefen an ihn offen seine Qualifikation zur Führung der „Islamischen Republik“ infrage gestellt.

Ein weiterer Hinweis auf die Schwächung seiner Position lässt sich aus der Entscheidung Khameneis erkennen, 60 „Freitagsprediger“ in Pension zu schicken. Das ist die größte personelle Veränderung dieser Institution seit Gründung der „Islamischen Republik“ 1979. Die Freitagsprediger, die Khamenei direkt unterstehen, besitzen seit der Revolution enormen politischen Einfluss.

Bildquelle: http://www.porttakal.com

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Mittwoch, 4. August 2010

IRAN: Ein „Kinderspielzeug“ oder viel mehr?

von Birgit Cerha

Hatte ihn Mehdi, der „verborgene Imam“, vor einem wütenden Attentäter beschützt? War es ein „Feuerwerkskörper“, ein Kinderspielzeug gewesen, mit dem seine Anhänger ihre Freude über seinen Besuch bekundeten, wie ein iranischer Präsidentensprecher dem Volk weiszumachen sucht? Oder war es gar der verzweifelte – und gescheiterte – Versuch eines angesichts wachsender Probleme in die Enge getriebenen Präsidenten, ein feindliches Komplott zu erfinden, um vor allem den bedrohlichen Widerstand gegen ihn innerhalb des Regimes zu brechen?
Ob die Wahrheit über Berichte und Dementis um einen angeblichen Attentatsversuch auf Präsident Ahmadinedschad je ans Tageslicht kommt, ist höchst fraglich. Tatsache ist, dass die Ereignisse vom Mittwoch, insbesondere die widersprüchlichen Reaktionen in Teherans Führung, auf tiefe Verwirrung und Unsicherheit in den Präsidentenstuben der „Islamischen Republik“ schließen lassen. Von allen Seiten nimmt der Druck auf Ahmadinedschad dramatische Formen an. Die Hausmacht der sozial Minderbemittelten bröckelt mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise und den sozialen Auswirkungen der neuen internationalen Sanktionen ab. Ein Jahr brutalster Repressionen steigert den Zorn und die Zahl jener, die nichts mehr zu verlieren haben und innerhalb des Regimes braut sich ein Komplott der starken Gruppe der pragmatischen Konservativen zusammen, die Ahmadinedschad seit Monaten zu entmachten sucht. War es wirklich ein Attentatsversuch, der erste auf ein führendes Mitglied des Regimes seit den 80er Jahren, dann besitzen die Ereignisse von Hamedan höchste Bedeutung.
Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 05.08.2010
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IRAN: Verwirrung um Attentatsversuch auf Ahmadinedschad

Vor dem Hintergrund wachsenden Drucks von außen gerät Irans Präsident immer stärker in die Isolation

von Birgit Cerha

Das offizielle Teheran wies Mittwoch energisch Berichte zurück, Präsident Ahmadinedschad sei bei einem Besuch der west-iranischen Provinz Hamedan nur knapp einem Attentatsversuch entkommen. Im Präsidentenamt in Teheran bezichtigte man rasch westliche Medien, ein derartiges Gerücht in die Welt gesetzt zu haben. In Wahrheit war es die Ahmadinedschad nahe stehende Website „Khabaronline“ gewesen, die als erste die Nachricht verbreitet hatte. Danach sei ein selbstgebauter Sprengsatz in der Nähe eines Fahrzeuges mit iranischen Journalisten explodiert, die den Präsidenten auf seiner Reise begleitet hatten. Ahmadinedschad selbst sei unverletzt geblieben. Der Attentäter sei festgenommen worden.
Den ersten Berichten folgte eine Bestätigung durch das Präsidentenamt, doch bald darauf ein Dementi, das Ahmadinedschad selbst einige Stunden später bekräftigte. Es habe sich lediglich um einen Feuerwerkskörper gehandelt, hieß es schließlich aus dem Präsidentenbüro. Solch krasse Widersprüche lösten völlige Verwirrung und viel Skepsis aus. Ungeachtet der offiziellen Dementi veröffentlichte „Raja news“, eine Website erzkonservativer Parlamentarier, die in der Vergangenheit Ahmadinedschad sowohl kritisiert als auch unterstützt hatte, weiterhin die Meldung über den Attentatsversuch. Iraner weisen darauf hin, dass Ahmadinedschad erst tags zuvor in einer offiziellen Rede behauptet hatte, seine „zionistischen“ Feinde (gemeint ist Israel) hätten Agenten ins Land geschickt, um ihn zu ermorden.

Iraner glauben offiziellen Erklärungen des Regimes schon lange nicht mehr, insbesondere wenn es sich um angebliche Komplotte gegen die herrschenden „Gottesmänner“ handelt. So hatte eine Behauptung Ahmadinedschads, die Amerikaner hätten bei seinem Besuch im Irak im Vorjahr versucht, ihn zu entführen, weithin ironische Reaktionen ausgelöst. Anderseits ist bekannt, dass der Präsident, der intensiv Reisen in die Provinzen unternimmt, um dort unter dem einfachen Volk um Anhänger zu werben, seiner persönlichen Sicherheit nur geringe Bedeutung beimisst, nicht zuletzt auch, um besser direkten Kontakt mit der Bevölkerung zu pflegen. Während sich dies in einigen Landesteilen, etwa in dem weiter nordwestliche gelegenen Kurdistan, im südwestlichen von einer zutiefst unzufriedenen arabischen Minderheit bewohnten Khusistan und vor allem im südöstlichen Rebellengebiet von Sistan-Belutschistan ungeachtet massiver Repressionen als äußerst gefährlich erweisen könnte, gilt die Region um Hamedan als stabil, erzkonservativ, von keinen der unterdrückten Minderheiten bewohnt. In Hamedan leben vielen Anhänger des Präsidenten.

Der Zwischenfall wirft jedoch ein Schlaglicht auf die wachsenden Spannungen innerhalb der Führung. Ahmadinedschad gerät immer stärker unter Druck, nicht nur aus der Bevölkerung. Wochenlange Proteste der mächtigen Bazar-Händler gegen Steuererhöhungen setzten dem Präsidenten enorm zu. Zudem haben sich die pragmatischen Konservativen im Regime unter Führung von Parlamentspräsident Ali Laridschani nun zu einer Front gegen den Präsidenten zusammen geschlossen. Ihre Hauptwaffe ist die katastrophale Wirtschaftslage, die die neue UN-Sanktionsrunde noch weiter dramatisch verschärfen wird.

Bildquelle: http://www.inmyrightmind.com/images/ahmedinejad.jpg

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 05.08.2010
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Sonntag, 1. August 2010

SYRIEN/LIBANON: „Beschwichtigungs-Gipfel“ löst Libanons Probleme nicht


Syriens Rückkehr zur Dominanz über den Levantestaat soll den Iran fernhalten – Doch lässt sich damit ein erneuter blutiger Konflikt verhindern?


von Birgit Cerha

„Die Spannungen bestehen weiter. Syriens Präsident und der saudische König haben nur Zeit gewonnen“, fasst ein libanesischer Kommentator die Ergebnisse des Dreier-Gipfels zusammen, der Freitag zum ersten Mal seit mehr als vier Jahrzehnten einen saudischen König und einen syrischen Präsidenten nach Beirut brachte. Noch lassen sich die Auswirkungen der Gespräche mit Libanons Präsidenten nicht absehen. Libanesische Medien zeigen sich zurückhaltend. Immerhin hat der Chef der schiitischen Hisbollah, Nasrallah, erst für Dienstag eine erneute Stellungnahme zum Internationalen Tribunal angekündigt, das den Mord an Ex-Premier Rafiq Hariri von 2005 aufklären soll. Nasrallahs Worte werden Aufschluss darüber geben, ob der Syrer Assad und der saudische König Abdullah ein wenig Abkühlung in die explosive politische Hitze bringen konnten, die die Libanesen in Panik versetzt.
Die erstaunliche Eintracht, mit der Abdullah und Assad, noch vor zwei Jahren erbitterte Gegner im Ringen um dominierenden Einfluss über den Levantestaat, illustrierte deutlich die große Angst vor einem erneuten Krieg, der die gesamte Region ins Chaos stürzen könnte.

Ausgelöst hatten die Panik Berichte über eine bevorstehende Anklage von Mitgliedern der Hisbollah wegen Verwicklung in den Mord an Hariri durch das Internationale Tribunal. Nasrallah reagiert scharf, will unter keinen Umständen dulden, dass Angehörige seiner Organisation mit dem Attentat in Verbindung gebracht werden, bezichtigt das unter kanadischem Vorsitz geführte Tribunal im Dienste Israels zu stehen und wittert ein internationales Komplott zur Vernichtung seiner Organisation. Er kündigte deshalb jegliche Kooperation mit der UNO auf und schon kam es wiederholt zu blutigen Zwischenfällen zwischen Libanesen und UNIFIL, die das Grenzgebiet zu Israel absichern soll.

Öl in das Feuer eines sich stetig verschärfenden Wortkrieges zwischen Israel und Hisbollah goss zudem noch die Entdeckung von Öl- und Gasvorräten im israelischen und libanesischen Küstengebiet und die Schiitenorganisation stellte bereit klar, dass sie notfalls mit Gewalt Israel daran hindern werde, den Libanesen ihr „schwarzes Gold“ zu stehlen. All dies vor dem Hintergrund verstärkter israelischer Aufrüstung entlang der Grenze zum Libanon und Drohungen, im Falle einer Provokation durch Hisbollah libanesische Dörfer, ja die Infrastruktur des Nachbarn zu zerstören. Hisbollah wiederum verkündet, sie habe eine Liste von militärischen Zielen in Israel zusammengestellt, die sie gegebenenfalls attackieren wolle.

Dass der Dreiergipfel nun tatsächlich die Kriegsgefahr gebannt hat, erscheint höchst unwahrscheinlich. Immerhin aber haben Assad und Abdullah, deren gegensätzliche Strategie insbesondere seit dem Tod Hariris und den erzwungenen Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon nach drei Jahrzehnten das gequälte Land erneut an den Rand des Abgrunds getrieben hatte, nun die gemeinsame Entschlossenheit bekundet, die Stabilität des Libanons über alle anderen Interessen (d.h. vor allem auch Ergebnisse des Tribunals) zu stellen. Abdullah will eine Aufschiebung der Anklage durch das Tribunal zu erwirken versuchen, schränkte aber zugleich ein, dass es sich hier um eine internationale Institution handle und sein Einfluss begrenzt sei.

Der auch um enorme saudische Investitionen im Libanon bangende König erkannte, dass ein Beharren auf Aufklärung des Mordes an Saudi-Arabiens altem Verbündeten Hariri seinen Schützlingen, der pro-westlichen sunnitischen Minderheit, mehr schaden als nützen würde. Sie wären einer Konfrontation mit Hisbollah weder politisch noch militärisch gewachsen. Saad Hariri, Sohn des Ermordeten und seit dem Vorjahr dank der Annäherung zwischen Riad und Damaskus Premier einer Koalitionsregierung mit der Hisbollah, hat sich offenbar dieser Erkenntnis angeschlossen. Immerhin könnte Nasrallah die Koalition zu Fall bringen und einen Bürgerkrieg provozieren. So rang sich Saad zum Pragmatismus durch, besuchte bereits seit Dezember viermal Damaskus und empfing am Freitag jenen Mann, Bashar el Assad, in Beirut, von dem er 2007 gegenüber „Time“ behauptet hatte, er „gab den Befehl“ zur Ermordung seines Vaters.

Hintergrund der ungewöhnlichen arabischen Einigkeit sind aber geostrategische Interessen. Assad feierte eine triumphale politische Rückkehr in den Libanon – und dies auch noch mit dem demonstrativen Segen Saudi-Arabiens. Riad geht es vor allem darum, seinen geostrategischen Rivalen Iran aus dem Libanon fern zu halten. Was Assad über Syriens langjährigen Verbündeten in Teheran denkt, stellte er vor libanesischen Journalisten vor fünf Jahren klar: „Ihr Libanesen habt nur zwei Wahl-Möglichkeiten: Syrien oder Iran.“ Um sich wieder den dominierenden Einfluss über den Nachbarn zu sichern, hatte sich Damaskus seit 2005 verstärkt auf die von Teheran unterstützte Hisbollah gesetzt und damit automatisch den Einfluss Irans wesentlich gestärkt. Doch Syrien soll will nach Assads Vorstellungen, der Herr über dem Libanon und auch über Hisbollah sein. Iran solle die Schiitenorganisation nicht nach Belieben auch gegen arabische Interessen manipulieren können – etwa im Falle einer israelischen Attacke auf seine Atomanlagen. Ob Teheran dies tatenlos hinnimmt, erscheint höchst ungewiss.

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AFGHANISTAN: Was denken die Afghanen?

von Dr. Arnold Hottinger

Die zivilen Fachleute, die Beobachter und die Militärs sind sich alle einig darüber, dass der Krieg in Afghanistan nur "gewonnen" werden kann, wenn die afghanische Bevölkerung sich von den Taleban lossagt und entschlossen hinter die Regierung Karzai stellt. - Doch es ist keineswegs sicher, dass sie das tut. Vorläufig scheint sie sich eher in wachsendem Masse von der Regierung Karzai und den sie stützenden militärischen Kräften der NATO und amerikanischen Truppen abzuwenden, wenn nicht gar loszusagen. Natürlich ist es nicht leicht, einen Überblick darüber zu gewinnen, wie die afghanische Bevölkerung wirklich denkt. Dies aus zwei Hauptgründen, 1) die im Lande herrschende Gewalt, erlaubt es nicht Allen, vielleicht sogar nur einer kleinen relativ privilegierten Minderheit, ihre Meinung frei zu äussern; für Viele ist dies zu gefährlich. Und 2) herrschen gewaltige Unterschiede zwischen den Afghanen, so das man annehmen muss, es gäbe auch dementsprechend unterschiedliche Grundeinstellungen und Meinungen.
Tiefe Trennungslinien
Die Haupttrennungslinien verlaufen horizontal zwischen den Städtern und den Bewohnern des Landes, aber auch vertikal zwischen den unterschiedlichen "Stämmen", in Wirklichkeit handelt es sich um Ethnien, die den Vielvölkerstaat Afghanistan bewohnen, und die ihrerseits wieder in vielen Fällen in Stämme unterteilt sind. Die Landbewohner finden sich über ein riesiges, über gewaltige Strecken hin nicht bebaubares, Wüsten- und Bergland verstreut, isoliert in abgeschiedenen Dörfern oder aufgespaltet Wandergruppen, die sich durch unendliche Einsamkeiten bewegen, oftmals ohne Kontakt mit der Regierung von Kabul, die theoretisch ihre Regierung wäre, wenn sie sie überhaupt zur Kenntnis nähme.
Die Stadtbewohner leben in relativem Luxus für dünne Oberschichten von Privilegierten, oftmals Spekulanten und Geschäftemachern, und in grösster Armut für gewaltige Massen von Halbobdachlosen und Slumbewohnern. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich gegenwärtig immernoch weiter. Im grossen und ganzen sind die reicheren Leute auch jene, die mehr mit den „westlichen“ Werten und Lebensformen gemeinsam haben. Die ärmeren können sich das nicht leisten, die ärmsten am wenigsten. Sie sind die grosse, überwiegende Mehrzahl der Afghanen. Es ist nicht anzunehmen, dass bei all diesen sehr unterschiedlich situierten Menschen ähnliche politische Ausrichtungen und Einstellungen vorliegen.

Wachsende Abneigung gegen Nato und USA
Man gewinnt den Eindruck, dass es bisher den Nato-Truppen und den westlichen zivilen Hilfsorganisationen nicht gelungen ist, einen Stimmungsumschwung von den Taleban weg und hin zu den Alliierten und der in ihrem Schutz stehenden Karzai Regierung zu bewirken. Vielmehr herrscht der Eindruck vor, dass die Taleban im Begriff sind, wachsende Zahlen von Menschen für sich einzunehmen oder auf ihre Seite zu zwingen.
Dieser Eindruck bestand nicht, als im Jahre 2001 die amerikanischen Truppen mit Hilfe der Kämpfer von Ahmed Schah Mas'ud die Taleban aus dem Afghanistan vertrieben. Damals ging offenbar eine Welle der Erleichterung über das Land. Besonders in den Städten war sie spürbar. Die Afghanen schienen beglückt darüber, dass das Zwangsregime der Taleban gestürzt worden war. Was hat bewirkt, dass sich die Lage seither gewendet hat? - Man kann eine lange Kette von Gründen anführen.
Sicherheit steht oben an: es ist den amerikanischen und alliierten Truppen nicht gelungen, die Sicherheit der Afghanen zu garantieren. Im Gegenteil, seit 2001 hat sich diese beständig verschlechtert. Die Gründe: einerseits Fehler der Amerikaner und Nato Truppen, andrerseits Erfolge der Taleban, die aus ihren Asylpositionen aus Pakistan zurückkehren und weite Teile des Landes ganz oder teilweise unter ihre Herrschaft zu bringen vermochten.
Die westlichen Truppen waren von Beginn an viel zu wenige, um das ganze Land zu kontrollieren und abzusichern. Dass nicht mehr zur Verfügung standen, hing mit dem völlig sinnlosen Krieg zusammen, den Bush und seine neokonservativen Ratgeber und Mitarbeiter unbedingt im Irak entfachen wollten. Gerade weil die Dinge dort nicht nach den Wunschträumen der neokon Ideologen verliefen, bestand eine grosse Besorgnis um den irakischen Feldzug. Diese Sorgen drängten Afghanistan für lange Jahre in die Vergessenheit. Die dortigen Truppen und zivilen Behörden sahen sich gezwungen, mit den ausserhalb der Hauptstadt herrschenden und grossenteils sofort nach der Vertreibung der Taleban zurückgekehrten Warlords zu paktieren, indem sie ihnen praktisch die Herrschaft in den aussenliegenden Provinzen und Städten überliessen. Sie mussten aus Mangel an eigenem Personal zugeben, dass die Warlords ihre eigenen Milizen wiedereinstellten und für deren Unterhalt wie gewohnt das Land auszusaugen begannen.


Entscheidende Hilfe aus Pakistan für die Taleban Opposition
Die Macht der Besetzungstruppen war 9 Jahre lang weitgehend beschränkt auf die Hauptstadt, und sie ist es bis heute geblieben. Die Taleban aber, unterstützt vom pakistanischen Geheimdienst ISI fanden, nicht nur Asyl und Hilfsgelder in Pakistan sondern auch finanzielle und militärische Unterstützung für ihre Rückkehr als Guerilla Kämpfer nach Afghanistan bei den pakistanischen Geheimdiensten. Da Pakistan gleichzeitig als "Verbündeter Amerikas" viel Geld und Waffen erhielt und weil diese Gelder für Pakistan und für die pakistanische Armee lebenswichtig waren, spielte Pakistan stets ein doppeltes Spiel.
Wir wissen heute, teils aus Forschungen britischer Wissenschafter 1), teils aus vor kurzem bekannt gewordenen Tausenden von geheimen Armeepapieren der Amerikaner, die ins Internet gelangten 2) , dass die Zusammenarbeit von ISI mit den Taleban (deren Entstehung und Ausbreitung von 1994 an ja schon weitgehend auf ISI zurückging) auch nach der Niederlage von 2001 viel intensiver war, als es auch die best eingeweihten und in dieser Hinsicht klarsichtigsten Beobachter, wie etwa Ahmed Rashid 3), hatten durchblicken lassen.
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1) LSE : The Sun in the Sky: The Relationship between Pakistan's ISI and Afghan insurgents, Discussion Paper No : 18 (series 2)Author(s) : Matt Waldman, Date : June 2010 [PDF]
2) http://www.guardian.co.uk/world/series/afghanistan-the-war-logs Vgl. auch “Der Spiegel” und NYT http://www.nytimes.com/2010/07/26/world/asia/26warlogs.html?_r=4&pagewanted=all
3) Descent into Chaos, Allen Lane and Penguin, London 2008 p.370f, 401 und an vielen anderen Stellen, s. Index. Eine neuere Analyse von A. Rashid, s. A Decisive Year (2010) , Story from BBC NEWS: http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/south_asia/8424289.stm Published: 2010/01/04 10:28:57 GMT
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Die Amerikaner wussten über dieses Doppelspiel Bescheid. Wie unter anderem aus den geheim gehaltenen Militär- Papieren hervorgeht, die kürzlich von Wikileak veröffentlicht wurden. Doch sie liessen es sich nicht anmerken und ermahnten ihre pakistanischen Verbündeten nur hier und da in milden, "diplomatischen" Tönen. Offenbar waren und bleiben sie auf die Mitarbeit Pakistans so sehr angewiesen, dass es ihnen unmöglich ist, mit dem Land zu brechen, über das ihre meisten Nachschübe nach Afghanistan kommen - genauso wenig, ja noch weniger, als sie mit den afghanischen Warlords brechen konnten. Den pakistanischen ISI Offizieren war diese Lage natürlich bekannt. Sie bemühten sich deshalb, ihre Zusammenarbeit mit den afghanischen Taleban soweit wie möglich versteckt zu halten und wo notwendig verbal abzustreiten.
Auch den amerikanischen Geheimdienstleuten und Offizieren, sowie Diplomaten und Regierungsvertretern lag nichts daran, Gegebenheiten anzuprangern, die sie nicht ändern konnten. Doch die Macht der Taleban in den ländlichen Regionen Afghanistans wuchs beständig an. Sie waren über die Jahre hin mehr und mehr in der Lage, die afghanische Landbevölkerung zu bedrohen, und sie zögerten nicht, ihre Drohungen wahr zu machen, indem sie „Hinrichtungen“ durchführten, sooft sie vermuteter Kollaborateure mit den Amerikanern und Nato Truppen habhaft wurden. Die Bevölkerung weiter Gebiete musste damit rechnen, und muss es noch heute, dass gelegentlich tagsüber eine oder die andere Militärpatrouille der westlichen Besetzungsmächte vorbeikommen könnte. Leute, die weder die Sprache noch die Gebräuche der Bevölkerung auch nur im entferntesten kennen und die daher in keiner Hinsicht in ihren Dörfern Bescheid wissen, so dass ihrem Zugriff relativ leicht zu entkommen ist. Aber sie wussten auch, dass die Taleban in wachsendem Masse in der Lage waren, des Nachts in ihre Dörfer einzudringen und dort die Massnahmen zu ergreifen, die ihren Zielen dienten. Dies führte zu der Situation, die eine afghanische Abgeordnete schildert:
In early July(2010), one female MP from the southern region of Afghanistan told me, "we do not want our people to beheaded and their hands chopped off by the cruel militants, but the people are silent because they don't have any alternative. The government that should protect them rather leaves them behind and runs away.” Wazhma Frogh, in Wash. Post, 14.7. 10 “Afghanistan Politics Should be Local.”Siehe
(http://afpak.foreignpolicy.com/posts/2010/07/14/afghanistans_politics_should_be_local).

Die ethnischen Spannungen trugen dazu bei, die Rückkehr der Taleban zu fördern. Die Paschtunen bilden die knappe Mehrheit der afghanischen Bevölkerung (ca. 52%), und sie waren, seitdem es einen Staat Afghanistan gibt, das Staatsvolk. Das heisst, soweit es eine zentrale Regierung gab, sassen überwiegend Personen ihrer Gemeinschaft, ihrer Ethnie am Ruder des Staates. Sie regierten in Kabul, und Kabul war darauf einerseits bedacht, den paschtunischen Landsleuten in der Zentrale allerhand Vergünstigungen zukommen zu lassen und ihren andrerseits in ihren Landesteilen und unterschiedlichen Stämmen, sowie in ihrer „Landeshauptstadt“ Kandahar, eine gewisse Selbstständigkeit zu gewähren.
Der ganze nur nach äusserlich modernisierte und zentralisierte „Nationalstaat“ Afghanistan beruhte in Wirklichkeit auf Klientelstrukturen, die man auch patrimoniale Strukturen nennt, und die wichtigste und ausgedehnteste Patrimonialstruktur Afghanistans war die in paschtunischen Händen liegende Regierung von Kabul, in königlichen Zeiten so gut wie in diktatoralen Epochen.

Die zweitgrösste der afghanischen Ethnien, die Tajiken (gute 20 %), leben
entweder als Bauern in den Dörfern oder als Händler, Handwerker und
Geschäftsleute in den Städten. Sie waren und bleiben der beweglichste und
modernste Teil der Bevölkerung, auf Kontakte über das ganze Land und mit
dem Ausland angewiesen. Ihre Sprache, Dari, eine Form des Persischen, dient
allen Afghanen als Umgangssprache, die über die Sprachgrenzen hinweg
Verwendung findet. Ihre Position im Lande kann man als jene der
„Technokraten“ beschreiben, die notwendig waren, um das zentrale System, das
in paschtunischen Händen ruhte, zu finanzieren und die geschäftliche
Zirkulation im ganzen Land aufrecht zu erhalten. Diese Funktion verlieh den
Tajiken eine untergeordnete aber unentbehrliche Zweitposition.

Die übrigen Ethnien, Usbeken, Aymaqen, Hazara, und mehrere kleinere, sind
eher von lokaler Bedeutung. In den zehn Jahren der Guerilla gegen die
Sowjetunion kämpften die unterschiedlichen Gruppen der Guerilla getrennt
nach Ethnien. Sogar die Kommunistische Partei Afghanistans war ihrer Zeit in
zwei sich bitter bekämpfende Flügel gespalten. Einer war der paschtunische, der
andere jener der Tajiken. Jeder „Warlord“, auch Kommandant genannt,
zog mit Kämpfern seiner eigenen Ethnie in den Krieg, und nach der Vertreibung
der Russen, von 1989 bis 2001, kämpften Paschtunen, Tajiken und Hazara,
jeweilen unter Warlords ihrer Ethnie, gegeneinander.

Die Taleban waren um Kandahar herum entstanden und (mit entscheidend
wichtiger Unterstützung durch ISI) zuerst 1994 dort an die Macht gelangt. Sie
Sind bis heute primär Paschtunen geblieben. Auf die Paschtunen haben die pakistanischen Geheimdienste direkteren Zugriff als auf die anderen Ethnien, weil grosse Teile der paschtunischen Stämme in den pakistanischen Stammesgebieten jenseits der als Grenze dienenden Durand Linie leben.


Amerika stützte sich auf die Tajiken

Als 2001 die Amerikaner in den afghanischen Bürgerkrieg eingriffen, hatten die
Taleban fast das ganze Land unter ihre Herrschaft gebracht. Nur im Nordosten
hielt sich noch die Gruppierung des (wahrscheinlich von den Taleban oder von
al-Qa’eda, ihrem damaligen Verbündeten) durch Selbstmordbombenanschlag
ermordeten „Nationalhelden“ des afghanischen Jihad, Ahmed Schah Mas’ud,
gegen die Taleban. Die Amerikaner verliehen diesen tajikischen
Kämpfern Luft- und Waffenhilfe und konnten Ende 2001 dank ihrer Hilfe die
Taleban leicht aus dem Lande vertreiben.

Schon Mas’ud war ein bitterer Feind von ISI gewesen. Solange er lebte und kommandierte, liess er keine Gelegenheit vorübergehen, ohne darauf hinzuweisen, dass er und seine Leute in Wirklichkeit nicht gegen die Taleban sondern gegen die Pakistani kämpften, die mit ISI hinter den Taleban standen und ihren Einsatz leiteten.

Diese Vorgeschichte ist wichtig, weil sie das Grundgefühl der Paschtunen erklärt. Die Niederlage der Taleban durch die Amerikaner und die Tajiken Mas’uds erscheint ihnen als eine Niederlage ihrer Ethnie, die durch sie ihrer angestammten Position als Staatsvolk in Afghanistan beraubt wurde. Eine Revanche der Taleban, wie sie gegenwärtig immer mächtiger in Erscheinung tritt, bedeutet für sie auch eine Rückkehr ihrer Ethnie in die, wie sie glauben, ihnen zustehende Zentralposition als Herren über die patrimoniale Zentrale von Kabul. Sie haben sich deshalb mit zunehmender Entschlossenheit hinter die Taleban gestellt. Für viele von ihnen steht nicht die islamistische Ideologie dieser Leute im Zentrum sondern ihre Zugehörigkeit zu den Paschtunen, deren Rückkehr zur Macht sie zu ermöglichen versprechen.

Auch Präsident Karzai ist Paschtune, und dies war ein Hauptgrund dafür, dass ihn die Amerikaner ursprünglich in die Präsidentenposition zu befördern suchten. Sie hofften dadurch die Abneigung der Paschtunen gegen die neue Ordnung in Afghanistan zu vermindern. Doch die Paschtunen sehen in dem Präsidenten und in seinem ganzen Stamm, dem der Popolzai, eher Kollaborateure als Vertreter ihrer Interessen. Dies schon deshalb weil ihre alten Rivalen und Feinde, die Tajiken Mas’uds, führende Positionen in der neuen Regierung erhielten.Auch der engere Klan Karzais gehört heute zu den grossen Gewinnmachern in Kabul. Karzai wird daher von seinen paschtunischen Landsleuten als eine Frontperson für die Tajiken und die Amerikaner abgelehnt.
Diese Konstellation bewirkt, dass die Taleban als Grundlage für ihre Werbung nicht nur auf ihre Ideologie, einen besonders eng verstandenen Islamismus, zählen können, sondern auch auf die ethnische Solidarität der Paschtunen, oder jedenfalls der grossen Mehrheit von ihnen. Nicht von ungefähr war der Hauptgegenspieler Karzais in den Präsidialwahlen von August 2009 der Tajike Abdullah Abdullah. Doch er ist nicht ein Angehöriger des der Regierung nahestehenden Tajiken Klans, der sich um Ahmad Schah Mas’ud geschart hatte, und seine Chancen eine Mehrheit zu gewinnen, waren trotz der geringen Beliebtheit des Präsidenten bei den meisten Afghanen schon aus diesem Grunde gering - ganz abgesehen von den massiven Wahlfälschungen, die von den Anhängern des Präsidenten organisiert wurden.



Fremde Soldaten sind Besetzungssoldaten

Ein weiterer Vorteil der Taleban im Ringen um die Loyalität der Afghanen liegt darin, dass die fremden Besetzungssoldaten, in erster Linie die Amerikaner, jedoch die Europäer schwerlich ganz ausgenommen, sich durch ihre Übergriffe gegenüber der afghanischen Zivilbevölkerung zunehmend verhasst machen. Absichtlich oder unabsichtlich – für die Afghanen ist dies nicht wesentlich, für sie zählen die Toten und Verwundeten – kommen immerwieder Bombardierungen und Beschiessungen von Zivilen vor mit tödlichen Folgen für bedeutende Zahlen von Frauen, Kindern und alten Leuten. Besonders verhasst sind die Drohnenschläge, die offiziell auf Gruppen von Aufständischen ausgehen, die aber de facto immerwieder zivile Gruppierungen und Ansammlungen treffen. Wahrscheinlich versucht die Taleban Propaganda die Opferzahlen zu übertreiben. Im Gegenzug übertreibt wohl die amerikanische Kriegspropaganda die angeblichen Erfolge der Drohnen bei der Tötung von vermuteten Anführern der Taleban. Dass auch auf der alliierten Seite die Fakten nicht notwendigerweise mit der Kriegspropaganda übereinstimmen, lehren die Dokumente der Wikileaks noch drastischer als wir es schon ohnehin wussten. Doch die Mordaktionen der Besetzungssoldaten durch Drohnen und Raketen kommen tatsächlich vor. Ihre Wirkung ist aufwühlend.

Die Oberkommandanten, zuerst McChrystal, später Petraeus, wussten dies, und sie haben wiederholt Befehle ausgegeben, nach denen solche „Fehlgriffe“ unbedingt vermieden werden müssten. Doch in der konkreten Situation der Soldaten, die sich in vielen Fällen gefährdet glauben und dann die energischsten Gegenmassnahmen ergreifen, über die sie verfügen, ist dies leicht zu befehlen und schwer zu befolgen. Bisher haben solche Befehle nicht viel gefruchtet. Die tödlichen Aktionen dauern an und ernten Hass und Verachtung von den Afghanen, die sie als feige und einer jeden kriegerischen Moral unwürdig einstufen. – Auch die Selbstmordbomben der Taleban widersprechen der traditionellen afghanischen Kampftradition. Zu Zeiten des Ringens gegen die Russen wurden sie nicht eingesetzt. Die Taleban haben von ihrer Wirksamkeit erst durch die Kämpfe der irakischen Aufständischen gegen die Amerikaner erfahren und diese Kampmethode von ihnen gelernt.

Ob die Bomben der Taleban gleich abstossend auf die Afghanen wirken, wie die Drohnen und Raketen der Amerikaner und Nato Truppen, bleibt offen. Die Taleban suchen in erster Linie Opfer aus, die sich bei der Regierung oder den fremden Truppen engagierten. Ihre Einsätze sind menschenverachtend aber nicht von der gleichen hochtechnologischen „Herablässigkeit“ wie die ferngesteuerten Geschosse und Bomben aus heiterem Himmel.


Korruption statt Entwicklungshilfe

Nicht nur die Amerikaner, auch die von ihnen gestützte Karzai Regierung und ihre ausübenden Organe machen sich in wachsendem Masse verhasst. Ihnen wird allesamt Korruption vorgeworfen, und dies sowohl von amerikanischer wie von afghanischer Seite. Milliarden von amerikanischen und europäischen Hilfsgeldern versickern in Afghanistan ohne Spuren zu hinterlassen. Geschichten gehen um, von Lastflugzeugen, die mit Dollarbündeln beladen das Land verlassen.
Von der afghanischen Polizei weiss die Bevölkerung, oder glaubt es zu wissen, dass sie sich mehr mit dem Aussaugen der Afghanen als mit ihrer Verteidigung gegen Gewalttäter abgibt. Die neu ausgehobenen Truppen, die von den Amerikanern und Europäern ausgebildet werden, aber gelegentlich auf ihre Ausbilder schiessen, gelten als unsicher, und niemand traut ihnen zu, dass sie ohne Unterstützung der Amerikaner zu kämpfen vermöchten. Von der zivilen Verwaltung wird angenommen, dass sie viel verspricht, aber in Wirklichkeit in die eigenen Taschen arbeitet.
Die Unsicherheit zwingt viele der zahlreichen NGOs und internationalen Wohltätigkeitsorganisationen, in Kabul zu bleiben und ihr Wirken nach aussen hin, soweit es überhaupt noch stattfindet, irgendwelchen afghanischen Helfern anzuvertrauen. Die beständige Klage der Landbevölkerung lautet: „für uns tut man nichts!“

Der Mohnanbau ist eine der wenigen Aktivitäten, die sich für die Bauern als rentabel erweisen. Natürlich für sie in viel geringerem Masse als für die Zwischenhändler und Schmuggler, die in einer Drogenmafia zusammengefasst sind, von der es heisst, sie reiche bis tief in die Regierung hinein und sie diene zugleich dazu, die Aktivitäten der Taleban weitgehend zu finanzieren. Die Rauschgiftstrassen ziehen westwärts sowohl durch die zentralasiatischen Staaten und Russland wie durch Iran und die Türkei. Ihrer ganzen Ausdehnung entlang nehmen die Zahlen der Süchtigen zu. Die iranische Regierung bekämpft den Schmuggel energisch und nicht ohne Blutvergiessen. Doch von einer Eindämmung kann nicht die Rede sein, eher vom Gegenteil. Endziel der beiden Schmuggelstrassen ist Europa. Der dortige Verbrauch wird im wesentlichen aus Afghanistan gespeist.


Positionsbezüge für „nach den Amerikanern“

Heute wird immer deutlicher, dass früher oder später die Amerikaner abziehen werden. Obama hat sich auf einen Beginn der Truppenreduktion im August 2011 festgelegt, aber Karzai erhielt kürzlich die Zustimmung der Amerikaner und Europäer für einen Plan, der vorsieht, dass die afghanische Regierung bis zum Jahr 2014 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernähme. Wie Afghanistan allerdings in vier Jahren wirklich aussehen wird, kann niemand voraussagen.
Der auf jeden Fall beschränkte Zeithorizont, der den amerikanischen Truppen im Lande gesetzt ist, bewirkt, dass sich schon heute alle Seiten in dem Ringen intensiv mit der Frage befassen: was geschieht nach den Amerikanern? - Seit über einem Jahr redet Karzai offen davon, dass er mit den Taleban verhandeln wolle. Daneben hat er Pläne entworfen und Gelder bereit gestellt, die für mögliche Überläufer aus dem Lager der Taleban bestimmt sind. Einige solche soll es in der Tat geben, jedoch bisher nur wenige. Neuerdings hat es auch Versuche gegeben, mit den alten Jihad Kommandanten aus der Zeit des Krieges gegen die Russen, Gulubuddin Hekmatyar und Jallaluddin Haqqani, ins Gespräch zu kommen, beide paschtunische War Lords, die heute als Verbündete der Taleban und enge Vertraute von ISI in Afghanistan gegen die Amerikaner kämpfen.

Resultate hat all dies jedoch bisher nicht gezeigt. Die Taleban und ihre Gönner und Freunde sehen sich als die gegenwärtigen Gewinner des Ringens, und sie sind daher nur daran interessiert, den Abzug der Amerikaner und der Nato-Truppen auszuhandeln, ohne irgendwelche Kompromisse mit ihren Gegnern einzugehen. Dies wiederum scheint den Amerikanern nicht annehmbar.
Auch ISI behält beständig ein Eisen im Feuer der Kontakte und Verhandlungen. Die Gefangennahme des Taleban Waffen- und Einsatzchefs, des Mullah Beradar, durch die Pakistaner im Februar 2010 und ihre Weigerung, den Gefangenen den Amerikanern zur Verfügung zu stellen, bis sie selbst ihn verhört hatten, gehört in den Zusammenhang dieser Kontakte. Durch ihr Vorgehen unterstrichen die Pakistani (stets unter der Leitung von ISI), dass sie in Gesprächen, wie jene, welche die Amerikaner indirekt über Saudi Arabien eingeleitet hatten, auf keinen Fall übergangen werden wollten. 4)
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4) Es gibt viele autorisierte Stimmen, die mahnen, es sei jetzt die Zeit zu verhandeln, auch für die Amerikaner. Dies müssten Gespräche über Versöhnung mit den Taleban sein und möglicherweise ihrer Beteiligung an der Macht in Kabul, nicht solche über Kapitulation, wie sie die Amerikaner immernoch forderten. S. z.B. reconciliation efforts (PDF), von Matt Waldmann. Ouch die Ausführungen von Barnett R. Rubin and Ahmed Rashid, in Foreign Affairs Nov./Dec. 2008: From the Great Game to Grand Bargain, Ending Chaos in Afghanistan and Pakistan. Sowie: Interview mit Matt Wadmann, Time to talk to the Taliban: Council of Foreign Relations, 14/7.10 Viewpoint, Time for US to join talks with Taleban. http://www.cfr.org/publication/22708/time_to_talk_to_the_taliban.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed
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Die Beziehungen zwischen Karzai und den Pakistanern waren angespannt bis vor wenigen Wochen. Pakistan warf ihm vor, sich allzu eng mit den Indern einzulassen. Seine Regierung hatte die Öffnung von indischen Konsulaten in Afghanistan zugelassen und erhält – relativ - wirksame Entwicklungshilfe aus Indien. Doch dann scheint eine Umpolung stattgefunden zu haben. Anlässlich eines Besuches des Oberkommandanten der pakistanischen Streitkräfte, des Generals Kayani, in Kabul wurde deutlich, dass Karzai nun gedenkt sich auf die Pakistani abzustützen. Ob er wirklich die indischen Konsulate schliesst, wie Pakistan das offen forderte, bleibt noch abzuwarten. Doch jedenfalls sind die Beziehungen herzlicher geworden. Dies sei Vorbedingung gewesen, sagten die Pakistani, um den Wunsch Karzais zu erfüllen, mit den Taleban Kontakt aufzunehmen. 5)
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5) Vgl. Washington Post foreign service 21/7/2010Joshua Partlow, Afghanistan building up strategic partnership with Pakistan. Und bbc 22.3.2010 Militants hold peace talks in Kabul.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/8579380.stm

siehe auch: Lyse Doucet: Pakistan pushes for new role in Afghanistan, bbc Feb. 19/ 2010 http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/8521823.stm und Stephen M. Walt, meanwhile at Kabul, March 24/2010, in http://walt.foreignpolicy.com/blog/2072 und ausführlicher: http://www.nytimes.com/2010/03/24/world/asia/24afghan.html?ref=world

vgl. Ahmed Rashid: making war and peace in Afghanistan, bbc march 10/2010
http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/8550129.stm

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Man kann vermuten, dass diese Formel genauere Abmachungen verbirgt, nach denen Karzai, wenn er mit den Taleban spricht, die Pakistani auf dem Laufenden zu halten hätte. Das gleiche dürften die Pakistani auch von den Taleban erwarten. Sie wären dadurch in der Lage, solche Gespräche weitgehend fernzusteuern.
Fernziel Pakistans dürfte sein, dass nach dem Abzug der Amerikaner eine Machtkonstellation in Kabul übrig bleibt, die den Weisungen Islamabads Gehör schenkt und nicht den „Einflüsterungen“ Indiens. Als sie in den Jahren von 1994 bis 96 die Taleban zum ersten Mal zur Macht in Kabul beförderten, scheinen sich die Strategen von ISI insofern verrechnet zu haben, als ihre Schützlinge ziemlich viel Eigeninitiative entfalteten. Ob sie diese Lehre heute in Rechnung stellen und dafür sorgen wollen, dass auch die Taleban in einem künftigen Afghanistan nicht Alleinherrscher werden, oder ob sie gewillt sind, erneut eine volle Talebanherrschaft in Kabul anzustreben, muss vorläufig offen bleiben.


Pakistans Krieg mit den eigenen Taleban

Die heute für Pakistan höchst verderbliche und gefährlich gesteigerte Aktivität der sogenannten Pakistanischen Taleban, einer eigenen Organisation, die im wesentlichen aus den radikalen Pakistanischen Jihad Gruppierungen hervorgeht, wird von den pakistanischen Offizieren offenbar als eine Entwicklung angesehen, die durch die amerikanischen Eingriffe in den paschtunischen Grenzgebieten provoziert worden sei. „Nicht gerade als Rache dafür, aber doch als indirekte Konsequenz“, wie eine ihrer Formeln lautet.

Vielleicht schliesst sich an solche Vorstellungen die Hoffnung an, dass die islamistischen Terroristen in Pakistan auch wieder zur Botmässigkeit unter ISI und zum Einschreiten gegen Indien zurückgebracht werden könnten, wie dies vor dem afghanischen Krieg der Amerikaner gewesen war, als ISI eine weitgehende Kontrolle über die radikalisierten Kampfgruppen Pakistans ausübte und diese bei Bedarf richtung Kaschmir steuerte.

Die Offensiven, welche Pakistan in den paschtunischen Stammesgebieten des Nordens, wahrscheinlich unter Druck durch die Amerikaner, mit blutigen Opfern durchführte, ergaben gemischte Resultate. Die Kämpfer wichen jedes Mal aus in benachbarte Bezirke und re-infiltrierten, nachdem die Armeeoffensiven abgeklungen waren. So gross die pakistanische Armee sein mag, ist sie mannschaftsmässig doch nicht in der Lage, sämtliche Stammesgebiete auf einmal zu besetzen und dadurch die aufständischen Radikalen überall gleichzeitig niederzuhalten. Die Aktionen der pakistanischen Armee haben jedes Mal zur Massenflucht der Bevölkerungen aus den betroffenen Regionen geführt (Swat, Waziristan, Buner) und das dadurch entstandene Flüchtlingselend belastet den armen Staat Pakistan. Die Armee hat angekündigt, dass sie (gegenwärtig oder definitiv blieb unklar ) nicht gedenke, weitere Grossoffensiven in den Grenzregionen durchzuführen.


Kein Raum für eigene Meinungsbildung

Bei aller Vielfältigkeit der Beweggründe und Motive bleibt festzuhalten: Was immer die afghanische Landbevölkerung und grosse Teile der Stadtbevölkerungen desgleichen, eigentlich möchte, ist nicht wirklich relevant, solange die Taleban in der Lage sind, sie individuell in ihren Häusern und Siedlungen zu bedrohen und ihre Drohungen, im Bedarfsfalle wahr zu machen. Unter solchen Umständen bleibt eine möglicherweise vorhandene Entscheidung der grossen Mehrzahl der Afghanen für die „Freiheit“ der Amerikaner nicht mehr als eine undurchführbare Theorie. Zuerst müssen die Betroffenen sich am Leben erhalten. Die Amerikaner stehen vor einem inneren Widerspruch: um das Land von den Taleban zu befreien, brauchten sie die Hilfe und Mitarbeit der Bevölkerung, jedoch: um die Mitarbeit und Hilfe der Bevölkerung zu erhalten, müssten sie zuerst das Land von den Taleban reinigen.

Um dieser Falle zu entkommen, hatten die Amerikaner eine Strategie von Flecken für Flecken entworfen. Eine bestimmte Zone sollte durch die amerikanischen Kampftruppen von den Taleban gereinigt werden, dann besetzt gehalten bis zu dem Zeitpunkt, an dem die einheimischen Sicherheitskräfte, die afghanische Armee und Polizei, dort die Sicherheitsverantwortung übernehmen könnten. Dann wäre der nächste Flecken an die Reihe gekommen. Diese Strategie sollte im Februar 2010 mit vermehrten Offensivtruppen der Amerikaner und Engländer in Helmand erprobt werden. Die damals viel erörterte Offensive nach Marja im südlichen Helmand (Südwesten Afghanistans) begann in dieser Absicht. Die Armeesprecher verkündeten auch schon, als zweites Ziel, nach Marja, sollten die Provinz und die Grosstadt Kandahar an die Reihe kommen, der Sitz der Hauptmacht der Taleban. Doch die geplante Offensive musste zurückgestellt werden, weil es bis jetzt offensichtlich nicht gelungen ist, in Marja die Aktivitäten der Taleban Kämpfer so weit zu drosseln, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Amerikaner dort ablösen könnten. Ausserdem bestehen grosse Zweifel daran, dass die junge afghanische Armee und die als höchst korrupt geltende Polizei in absehbarer Frist überhaupt in der Lage sein könnten, derartigen Absicherungsaufträgen erfolgreich nachzukommen.

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