Sonntag, 3. November 2013

Hochspannung vor Prozess gegen Mursi

Dem gestürzten Präsidenten droht die Todesstrafe – undt Ägypten eine neue Welle der Gewalt und  anhaltende Instabilität
 
von Birgit Cerha
 
Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften, mindestens 20.000 Offiziere und Soldaten,  halten sich bereit, um das Land vor einem erneuten Ausbruch blutiger Gewalt zu bewahren, wenn heute, Montag, der Prozess gegen den am 3. Juli nach Massendemonstrationen vom Militär gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und 14 andere Führer seiner Moslembruderschaft in Kairo beginnt. Viele Ägypter sehen mit Bangen dem Tag entgegen, für den die Moslembruderschaft den Beginn von zeitlich unbegrenzten  Massendemonstrationen in der Hauptstadt und anderen Landesteilen angekündigt hat. Bereits in den vergangenen Tagen kam es zu Zusammenstößen zwischen Anhängern Mursis und Sicherheitskräften, bei denen mehrere Menschen verletzt wurden.
Der Prozess beginnt in einer Atmosphäre  schärfster Repression gegen Islamisten. An die 2000 Personen, darunter alle führenden Köpfe der Moslembruderschaft, sitzen nun hinter Schloss und Riegel, während die vom Militär gestützte Regierung eine drastische Verschärfung des Demonstrationsgesetzes plant. Das Innenministeriumwarnte unterdessen, dass Demonstranten, die in den Gerichtssaal einzudringen suchten, auf „entschlossene Gewalt“ stoßen würden. Aus Sorge, fanatisierte Anhänger Mursis könnten versuchen, das Verfahren gewaltsam zu stören, wurde bisher der Ort des Prozesses nicht bekannt gegeben. Auch fürchten die Behörden den Ausbruch heftiger Emotionen, wenn Mursi das erstemal seit seinem Sturz in der Öffentlichkeit erscheint. Er wird seit dem 3. Juli vom Militär an einem geheimen Ort in totaler Isolation gehalten. Weder Anwälte, noch Familienmitglieder konnten ihn bisher besuchen. Nur zweimal durfte er in den vergangenen vier Monaten mit seiner Familie telefonieren.
Das Gericht hat bisher die Anklagepunkte gegen Mursi und 14 mitangeklagte hohe Funktionäre der Moslembruderschaft nicht veröffentlicht. Laut staatlicher Wochenzeitschrift „Al-Ahram Al-Arabi“ wird den Angeklagten Aufstachelung zur Gewalt, Tötung und Folter von Demonstranten außerhalb des Präsidentenpalastes im Dezember 2012 vorgeworfen. Gegen Mursi läuft zudem ein Verfahren  wegen seiner Flucht aus einem Gefängnis, die ihm in Kooperation mit der mit den Moslembrüdern verbündeten palästinensischen Hamas während der Revolution gegen Präsident Mubarak im Februar 2011 gelang.
Es waren die Ereignisse vom späten November 2012, die Mursis Niedergang einleiteten. Damals löste der Präsident durch eine Verfassungsdeklaration, in der er sich das letzte Wort in allen politischen Fragen sicherte und das Justizsystem total entmachtete, Massendemonstrationen und Sitzstreiks auch vor dem Al-Ittihadiya Präsidentenpalast aus. Nach Presseberichten über den Ausgang der Untersuchungen der Vorfälle hatte Mursi den Kommandanten der Republikanischen Garden, und den damaligen Innenminister beauftragt, die Protestierenden zu verjagen. Aus Sorge vor einem Blutbad weigerten sich die beiden Männer jedoch den mehrmals wiederholten Befehl des Präsidenten auszuführen. Der damalige Direktor des Präsidentenbüros Ahmed Abdel-Atti, sowie dessen Stellvertreter Asaad Al-Sheikha – beide unter den Mitangeklagten – führten schließlich Mursis Befehl gegen friedliche Demonstranten aus Es kam zu einem Blutbad.
Während intensiver Verhöre  hatte Mursi jegliche Aussage verweigert und erkennt nach informierten Kreisen die Rechtmäßigkeit des Gerichts nicht an. Die Moslembruderschaft bezeichnet seine Verhaftung als Entführung und beharrt auf seiner Position als legitim gewählter Präsident. Während Mursis Anhänger den Prozessbeginn als Chance sehen, ihre Position in der ägyptischen, wie in der internationalen Öffentlichkeit zu stärken, ist für das Ansehen der neuen Herrscher die Frage der Fairness dieses Prozesses, den die Moslembrüder als Farce brandmarken, von entscheidender Bedeutung. Menschenrechtsgruppen sehen als ersten Test die Frage, ob der Richter die Verlegung Mursis von seinem geheimen Aufenthaltsort in ein reguläres Gefängnis entscheidet und ob durch TV-Übertragung für Transparenz gesorgt wird. Unabhängig davon hat die Justiz eine äußerst harte Aufgabe, ihre Objektivität gegenüber einem Mann zu beweisen, der mit ihr während seiner einjährigen Herrschaft härteste Machtkämpfe geführt hatte.  Als Vorsitzender des Gerichts fungiert jener Richter, der Mubaraks letzten Premierminister, Ahmed Shafik des Korruptionsvorwurfs freigesprochen und ihm damit die Präsidentschaftskandidatur 2012 ermöglicht hatte.
Im Falle einer Verurteilung drohen Mursi lebenslange Haft oder die Todesstrafe.

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