Sonntag, 28. Juli 2013

Ägypten wartet auf die blutige Kollision

Anhänger Mursis mauern sich ein, während der Innenminister die „baldige“ Räumung des Protestlagers androht
 
von Birgit Cerha
 
Das Ultimatum der ägyptischen Streitkräfte zur Aufgabe des fast einmonatigen Sitzstreiks Tausender Anhänger des am 3. Juli gestürzten Präsidenten Mursi ist abgelaufen. Innenminister Ibrahim drohte Sonntag erneut, dass das Protestlager vor der Rabaa al-Adawiya-Moschee in Kairo geräumt werde: Wir werden sehr entschlossen jedem Versuch entgegentreten, die Stabilität zu untergraben.“ Doch Tausende Demonstranten, die die Wiedereinsetzung Mursis fordern, lassen sich nicht einschüchtern, obwohl bei Massendemonstrationen, zu denen Verteidigungsminister und Armeechef Al-Sisi aufgerufen hatte, in der Nacht auf Samstag nach ersten offiziellen Angaben 72 Menschen, überwiegend Anhänger Mursis, ums Leben gekommen waren. Die Demonstranten errichteten unterdessen Steinmauern, in der vagen Hoffnung, ihre Zeltstadt vor den zu erwartenden Angriffen der Sicherheitskräfte zu verteidigen. In Kairo sieht man voll Bangen den nächsten Stunden entgegen. Eine Attacke der Sicherheitskräfte  würde weit mehr Menschenleben fordern als die Zwischenfälle Samstag früh. Dennoch haben sich viele Demonstranten für ihre selbstmörderische Aktion mit der ganzen Familie, auch kleinen Kindern, verschanzt. „Wir geben nicht nach. Macht nur weiter und erschießt uns – Zehntausende, Zwanzigtausende, wir sind dafür bereit“, ruft Wafaa al-Hefni, einer der führenden Aktivisten der Mursi-Anhänger.
Eine Analyse des Blutbades vom Samstag ist vorerst angesichts krass widersprüchlicher Standpunkte nicht möglich. Tatsache ist, dass die Toten und Verletzten fast nur im Lager der Mursi-Anhänger zu beklagen sind. Das Innenministerium weist jedoch entschieden die Kritik zurück, Polizisten hätten scharfe Munition eingesetzt, vielmehr habe man lediglich mit Tränengas ein Vordringen der Demonstranten über eine Nilbrücke verhindert, da es dabei zu Zusammenstößen mit Anrainern dieses Viertels gekommen sei. Videoaufnahmen zeigen jedoch schießende Polizisten, vor allem aber auch auf deren Seite mit Gewehren bewaffnete Männer in zivil.
Der ägyptische Fotojournalist Mosa’ab Elshamy berichtete als einer der ersten Zeug über Facebook direkt aus Rabaa. Auch ihm blieb der Auslöser der Gewalt unklar, doch er bestätigt, dass Mursis Anhänger auf dem Platz – abgesehen von Steinen, Feuerwerkskörpern und Tränengaskanistern, die sie Polizisten entgegenschleuderten, unbewaffnet gewesen seien. Hingegen hatte er beobachtet, wie Polizisten und bewaffnete Zivilisten wahllos und ohne Hemmungen in die Menge schossen. Ärzte in eine große Zahl von Verwundeten en versorgten zeigten sich völlig schockiert über die Vielzahl von Schusswunden.
Ibrahim weist die Anschuldigungen entschieden als „Lüge“ zurück, durch die sich die Moslembrüder wachsende Sympathie im In-, vor allem aber auch im Ausland für ihr Anliegen erhoffen. Zwei prominente Persönlichkeiten, die die Intervention des Militärs gegen Mursi  offen befürwortet hatten – der Großimam von Al-Azhar – der höchsten Autorität des sunnitischen Islam -, sowie der Vizepräsident der Übergangsregierung, El-Baradei kritisierten die „exzessive Gewalt“  durch die Sicherheitskräfte.
Die Offiziere  setzen wohl auf die brütende Sommerhitze, die während des gegenwärtigen Fastenmonats Ramadan den Widerstandsgeist der Demonstranten schwer zusetzt.  Zudem dürfte wohl die schwindende Sympathie unter weiten Kreisen der Bevölkerung für den anhaltenden Konfrontationskurs der Moslembruderschaft, der die Stabilität des Landes weiter empfindlich untergräbt, Mursis Anhänger zusätzlich demoralisieren.  Doch Ibrahims Drohungen zeigen, dass die Sicherheitskräfte die Geduld verlieren.
Unterdessen beginnt sich im Land eine dritte Kraft zu formieren, viele säkulare, liberale Aktivisten der Revolution von 2011 gegen Präsident Mubarak, die weder auf der Seite des Militärs, noch jener der Moslembruderschaft stehen bei der gegenwärtigen für Ägypten so gefährlichen Kraftprobe  weitgehend schweigend daheim bleiben.  Ihre Sprecher betonen, dass in einem Straßenkampf mit der Moslembruderschaft nur die Armee gewinnen kann und viele fürchten, dass dann die Ideale der Revolution – Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben.

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