Sonntag, 12. Mai 2013

Rafsandschani greift nach den Zügeln im Iran

Der Ex-Präsident präsentiert sich als Hoffnungsträger und verändert durch seine Kandidatur radikal den Kampf um die Präsidentschaft
 
von Birgit Cerha
 
„Ich bin gekommen, um zu dienen. Es ist das Recht des Volkes, mich zu wählen oder auch nicht. Doch ich bin überzeugt, dass meine Präsenz in den (Präsidentschafts-)Wahlen (am 14. Juni) unserem System und der islamischen Revolution nützen und dazu beitragen werde, unsere Probleme zu lösen.“ Mit diesen Worten begründete Ali Akbar Haschemi Rafsandschani Samstag seine Entscheidung, wenige Minuten vor Beendigung des Nominierungsprozesses für die Präsidentschaftskandidatur, sich erneut ins Rennen zu stürzen. Der Beschluss dieses Meisters im politischen Schachspiel, des größten Überlebenskünstlers der „Islamischen Republik“ , erneut nach den Zügeln der Macht zu greifen, hat mit einem Schlag  die politische Szene des Landes nur ein Monat vor den Wahlen radikal verändert.  Das Feld schien bereit für einen unabwendbaren Sieg eines der zahlreichen Mitstreiter des „Geistlichen Führers“ Khamenei. Dutzende  Politiker aus diesem Lager der „Prinzipalisten“, darunter viele Prominente, wie der langjährige Außenminister Ali Akbar Velayati und zuletzt der Atomunterhändler Said Jalili, schlossen sich der Schar von insgesamt 680 Bewerbern an.
Die Reformer, seit den monatelangen Protesten und deren blutiger Unterdrückung nach der bis heute weithin als manipuliert  eingeschätzten Wiederwahl des nun scheidenden Präsidenten Ahmadinedschad 2009 zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, fanden keinen eigenen Bewerber, da die Führer der „grünen (Reform-)Bewegung“ , Meir Hussein Mussawi und Mehdi Karubi, seit mehr als zwei Jahren unter Hausarrest stehen und  Ex-Präsident Khatami, durch seine erzkonservativen Gegner eingeschüchtert, keine erneute Kandidatur wagte.  Als einzige echte Alternative zu den „Prinzipalisten“ bot sich Ahmadinedschads „Erbe“ an, Esfandiar Rahim Maschaie, den der Präsident vielleicht als Art Statthalter nach dem russischen Modell  „Putin-Medwedjew“ mit aller Kraft an die Macht zu hieven sucht, da er sich selbst nicht einer dritten unmittelbar aufeinanderfolgenden Wiederwahl stellen darf. Das Lager Ahmadinedschad-Maschaie  ist wegen seiner nationalistischen Doktrin, die den Einfluss der Geistlichkeit radikal verdrängen will, im klerikalen Establishment zutiefst verhasst.
Rafsandschani ist der einzige Kandidat, der als eine Art Brückenbauer zwischen den beiden das Land spaltenden Lagern wirken kann, der Stimmen von den Prinzipalisten, wie jenen, sich nach Reformen sehnenden Iranern anziehen kann, die in Ermangelung einer attraktiveren Alternative bereit gewesen wären, für Maschaie zu stimmen. Auch Khatami stellte sich unterdessen offen hinter Rafsandschani. Die Prinzipalisten hatten versucht die Rafsandschani-Gefahr durch eine Wahlgesetzreform abzuwenden, die auch eine Altersgrenze für Kandidaten von 75 Jahren festgelegt hätte. Sie waren aber im Parlament gescheitert. Rafsandschani ist 78.
Dennoch, die Herzen der Iraner fliegen diesem Ayatollah, im Volksmund „der Hai“ genannt,  keineswegs zu.  Rafsandschani gilt nicht nur als ein Meister der Machtspiele sondern auch als Symbol der Korruption, die den Iran seit Jahrzehnten, schon  lange vor der Gründung der „Islamischen Republik“ 1979 quält. Er schaffte es gemeinsam mit seiner Familie durch Pistazienproduktion und Handel, sowie unzählige andere Geschäfte (nicht zuletzt auch intensiven Waffenhandel seiner Söhne) zu unermesslichem Reichtum. Skrupellos im Kampf gegen seine Gegner während seiner Präsidentschaft von 1989 bis 1997, bewies er jedoch starken Pragmatismus und die Fähigkeit, schwere politische Krisen zu meistern.  Er zählte – in untergeordneter Rolle – zu den Gründervätern der „Islamischen Republik“ und arbeitete sich empor zum engsten Berater und Vertrauten Revolutionsführer Khomeinis. Ihm gelang es, Khomeini 1988 zum Trinken des „Giftbechers“ (so Khomeini) zu bewegen: der Zustimmung zum Waffenstillstand nach achtjährigem, ungeheuer blutigen Krieg gegen den Irak. Es folgten Jahre wirtschaftlichen Aufschwungs, eine Entwicklung, die heute wohl viele unter heftigen internationalen Sanktionen und den Folgen katastrophalen Mismanagements durch Ahmadinedschad leidende Iraner dazu bewegen könnten, Rafsandschani ihre Stimme zu geben.  Auch außenpolitisch bewies der Ex-Präsident bereits in der Vergangenheit seinen Pragmatismus und nährt damit die Hoffnung auf eine Entspannung im zunehmend bedrohlichen Atomkonflikt mit der internationalen Gemeinschaft.
 2005, als er die Präsidentschaftswahlen gegen den von den konservativen Religiösen und den mächtigen Revolutionsgarden unterstützten Ahmadinedschad verloren hatte, begann sein politischer Stern zu sinken. Wiewohl jahrzehntelang engster Vertrauter Khameneis, dessen Wahl zum „Geistlichen Führer“ er nach dem Tod Khomeinis 1989 entscheidend geebnet hatte, führten grundsätzliche Spannungen zwischen den beiden fast zum offenen Bruch, nachdem Rafsandschani bei den Wahlen 2009 Mussawi unterstützt und anschließend die Repression gegen die gewaltlos für Reformen demonstrierenden Massen heftig verurteilt hatte.  Er verlor den Vorsitz über den „Expertenrat“, der den „Geistlichen Führer“ überwacht und dessen Nachfolger wählt und erlitt die schwerste Demütigung im Vorjahr durch die Verhaftung  von zwei seiner Kinder wegen regimekritischer Aktivitäten und Korruption. Beide sind unterdessen wieder frei. Doch er bekleidet weiterhin den Vorsitz des mächtigen „Schlichtungsrates“ und genießt  beträchtliche Unterstützung auch in der Geistlichkeit.
Seit Wochen hatte Rafsandschani klargestellt, dass er nur  mit Zustimmung Khameneis kandidieren werde, da eine Aktion gegen den „Führer“ dem Land schaden würde. Politische Beobachter vertreten die Ansicht, dass  die beiden mächtigen Politiker im letzten Moment einen Deal geschlossen hätten. Khamenei dürfte die enormen Gefahren erkannt haben, die die tiefe Kluft in der iranischen Gesellschaft für die Suche nach einer Lösung vor allem in der Atomkrise mit der internationalen Gemeinschaft bedeuten. Rafsandschani könnte vielleicht als einziger als Brückenbauer fungieren. Und er bewies in der Vergangenheit, dass er für die Wahlen Massen mobilisieren kann. Noch freilich muss der „Wächterrat“ seine Kandidatur und die Bewerbung von Hunderten anderen billigen oder verwerfen.

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