Mittwoch, 22. Mai 2013

Iran: “Stabilität” vor Legitimität

Der Weg zur Wahl eines erzkonservativen Getreuen Khameneis ist geebnet und damit ist zugleich  die Hoffnung auf allmählichen Wandel im “Gottesstaat” zerstoben

von Birgit Cerha

Irans „Geistlicher Führer“ Ali Khamenei hat die Lehre aus den blutigen Turbulenzen der umstrittenen Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads 2009 gezogen. Jedes Risiko einer Wiederbelebung der „Grünen“-Protestwelle, die vor vier Jahren die Grundfesten der „Islamischen Republik“ erschüttert hatte, soll nach dem Willen des „Führers“ ausgeschaltet werden. Die Gefängnisse sind mit Journalisten gefüllt, das Internet ist bereits mehr als vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl am 14. Juni auf langsamste Geschwindigkeit reduziert, verschärfte Repression und immer wiederkehrende Appelle zu friedvoller Einigkeit vermitteln den Eindruck einer zutiefst verängstigten geistlichen Führung.
Nun hat der „Wächterrat“ aus von Khamenei ernannten Geistlichen und islamischen Rechtsgelehrten, die über die Kandidatur von Bewerbern entscheiden, in einem einzigartigen Schritt auf jeden Anschein einer freien Wahl verzichtet. Die Auswahl von acht der insgesamt 686 Bewerber ebnet den Weg zum Aufstieg eines erzkonservativen Getreuen Khameneis ins Präsidentenamt und lässt den Iranern de facto keine echte Wahl. Denn sechs der Kandidaten, allen voran der derzeitige Atomunterhändler Jalili, der ehemalige Parlamentspräsident Adel und Teherans Bürgermeister Qalibaf, gelten als kompromisslose Vertreter der Linie des „Führers“ und zwei etwas reformfreudigeren Bewerbern, dem ehemaligen Atomunterhändler und engen Mitstreiter Ex-Präsident Rafsandschanis, Rohani, sowie  Aref, mangelt es für einen Sieg an Charisma und Überzeugungskraft.
Vor allem der Ausschluss von zwei prominenten Kandidatenbewerbern – Ex-Präsident Rafsandschani und dem Vertrauten Präsident Ahmadinedschads, Maschaie - versetzt der seit 2009 stark angeschlagenen Legitimität des Systems einen erneuten schweren Schlag.
Die Blockade von Maschaie überrascht nicht. Machaie, von Ahmadinedschad seit Jahren intensiv mit dem Ziel gefördert, sich selbst weiterhin starken politischen Einfluss und nach Unterbrechung einer Amtsperiode vielleicht die erneute Wiederwahl zu sichern, hatte durchaus Siegeschancen. Zahlreiche Minister unterstützten ihn und Ahmadinedschads höchst effiziente populistische Propagandamaschine hätte ihm insbesondere auf dem Land und unter der armen Stadtbevölkerung viele Stimmen gesichert. Doch eine Fortsetzung der Ära seines einstigen Proteges Ahmadinedschad will Khamenei zweifellos unter allen Umständen verhindern. Denn der scheidende Präsident hatte sich in seiner zweiten Amtsperiode zu einem eigenwilligen Widersacher gemausert, der – wie auch Maschaie - zunehmend eine nationalistische Linie verfolgt, die dem Islam nicht die höchste Priorität einräumt und vor allem die Geistlichen allmählich aus dem politischen Entscheidungsprozess zu drängen sucht. Als Vertreter einer „abweichlerischen Strömung“ von Khameneis Anhängern und einem beträchtlichen Teil der Geistlichkeit verteufelt, hatte Khamenei vor vier Jahren seine konstitutionelle Macht eingesetzt, um die Ernennung von Maschaie zum Vizepräsidenten zu verhindern. Maschaie hätte sich zweifellos nicht gescheut, in seinem Wahlkampf offen das System zu kritisieren.
Hingegen kommt für viele das Veto gegen Rafsandschani überraschend, zählte der Ex-Präsident doch zu den Gründervätern der Islamischen Republik und hatte einst Khamenei den Weg zum höchsten Amt des Staates geebnet und ihn in dessen Ausübung jahrzehntelang unterstützt. Sachliche Argumente für eine Disqualifikation, wiewohl diese vom Wächterrat nicht begründet wird, bieten sich damit nicht an. Doch Rafsandschani hatte mit seiner Kandidatur dem Wahlkampf eine neue Richtung, vielen wegen der anhaltenden Repressionen und Konfrontation mit dem Westen, aber auch der extrem chaotischen Präsidentschaft Ahmadinedschads tief frustrierten Iranern neue Hoffnung auf einen Wandel, auf einen Ausweg aus einer zunehmend schmerzlichen Krise gegeben. Spontane Sympathiekundgebungen für Rafsandschani, der sich in den vergangenen vier Jahren zunehmend offen für Reformen eingesetzt und auch die Unterstützung Ex-Präsident Khatamis gewonnen hatte, weckten in Kreisen des herrschenden Establishments erneute Ängste vor einer Konfrontation mit reform- und freiheitshungrigen Bevölkerungskreisen. Denn der Ex-Präsident hätte sich möglicherweise zu einem mächtigen Magnet für Gegner der herrschenden Geistlichkeit und zu einer Herausforderung der Autorität Khameneis entwickeln können.
Vor allem aber hätte Rafsandschani ernsthaft die Wahl eines der Getreuen Khameneis blockieren können oder das Regime zu krassen Manipulationen gezwungen. Zudem bestand die Gefahr, dass Rafsandschani im Wahlkampf an der Politik, insbesondere gegenüber dem Westen und in der Atomfrage, offene Kritik üben könnte. Immerhin ist er der höchste Politiker des Landes, der offen die Sinnhaftigkeit der entschlossenen Unterstützung für den schwerbedrängten syrischen Präsidenten Assad in Zweifel zieht. Eine Disqualifizierung Rafsandschanis, erläutert der einflussreiche Parlamentarier Ali Motahari, rüttle an den „Prinzipien unserer Revolution“.
Die Disqualifikationen sind allerdings noch nicht endgültig. Zwar gibt es beim Wächterrat kein Vetorecht, doch Appelle an ihn hatte Khamenei in der Vergangenheit gelegentlich stattgegeben. Rafsandschani aber will sich dem Urteil des Rates fügen.  Diese Entscheidung könnte die politische Karriere dieses größten Überlebenskünstlers der „Islamischen Republik“ beenden. So manche Kommentatoren sehen ein wichtiges Blatt in der Geschichte des „Gottesstaates“ gewendet. Denn nicht nur hat die breite Strömung der reformhungrigen Bürger eine große Hoffnung auf Veränderung verloren. Rafsandschanis in den 80er Jahren aufgebaute gemäßigt-konservative Basis könnte sich nun den Reihen der Opposition gegen das Establishment anschließen und mit ihr viele einflussreiche Kreise, von den Basarhändlern (die einst entscheidend zum Sturz des Schahs beigetragen hatten) über breite Wirtschaftskreise bis zu hohen Geistlichen.
Maschaie hingegen und Ahmadinedschad sind entschlossen, den Entscheid des „Wächterrates“ anzufechten. Und der wenig konfliktscheue Präsident hat bereits gedroht „geheime Machenschaften“ der Familie Khameneis zu entlarven, sollte Maschaie ausgeschlossen bleiben.

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