Sonntag, 26. Mai 2013

Der Libanon gerät in den Strudel des Syrienkrieges


Raketen schlagen in Beirut ein, nachdem der Hisbollah-Chef volles Engagement zur Rettung Präsident Assads verhieß


von Birgit Cerha

Seit mehr als zwei Jahren versuchen die durch einen 15-jährigen Bürgerkrieg (1975 bis 1990) schwer gezeichneten Führer der diversen politischen Fraktionen des Libanons alles, um nicht in den blutigen Strudel des syrischen Krieges hineingerissen zu werden. Zwei Raketen, die Sonntagmorgen in dem von der schiitischen Hisbollah („Partei Gottes“) kontrollierten Süd-Beiruter Stadtviertel einschlugen und drei Menschen verletzten sind die ersten bedrohlichen Anzeichen, dass der kleine Levantestaat mit seinen starken Banden zum viel mächtigeren syrischen Nachbarn diesem Schicksal nicht entgehen kann.

Die Raketenattacke, möglicherweise von radikalen syrischen oder libanesischen Sunniten durchgeführt, werden in Beirut als Antwort auf eine feurige Rede von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gewertet, der von einem geheimen Standpunkt aus Samstagabend in einer Fernsehansprache erstmals die direkte Beteiligung seiner Hisbollah-Kämpfer an der Seite der syrischen Armee bestätigt und einen „großen Sieg“ seines Verbündeten Baschar el Assad verkündet hatte. Seine Hisbollahis würden für Assad „bis zum Ende des Weges“ kämpfen, bekräftigte Nasrallah, nachdem er zwei Jahre lang entschieden jegliche Bereitschaft zur Verwicklung in diesen Krieg geleugnet hatte. „Wenn Syrien in die Hände der USA, Israels und der Takfiris (sunnitische Islamisten, die Glaubensbrüder zur Tötung aller „Ungläubigen“ – d.h. auch der Schiiten - aufrufen) fällt, dann wird der Widerstand (der Hisbollah) besiegt und Israel wird (wieder) im Libanon einmarschieren und dem Land seinen Willen aufzwingen. Palästina wird verloren sein.“ Es gehe nicht um Fragen der Religionszugehörigkeit, bekräftigte der Schiitenführer, sondern um Verteidigung gegen radikale Gruppen.
Nasrallah hielt seine programmatische Rede am Abend jenes Tages, an dem die massivsten Kämpfe zwischen syrischen Rebellen und Assad-Getreuen um die strategisch wichtige Stadt Kusair, nahe der libanesischen Grenze, tobten. Heftige Bombardements aus der Luft, mit Raketen und Artillerie hielten Sonntag von drei Seiten der seit einer Woche durch die Regierungsstreitkräfte, und die vom Regime neugebildeten „Nationale Verteidigungskräfte“ (NVK) belagerten Stadt an. Die NVK sind nach informierten Kreisen eine vom Iran finanzierte, ausgebildete und mit Waffen versorgte Einheit von etwa 50.000 Kämpfern, die überwiegend der alawitischen Minderheit Assads angehören.
Über die aktive Beteiligung der Hisbollah am Krieg zur Rettung Assads gibt es seit langen Spekulationen. Diplomatische Beobachter vermuten, dass Hisbollah entscheidenden Anteil an den jüngsten bedeutenden Geländegewinnen der syrischen Regierungstruppen haben. Nasrallah hatte bisher stets behauptet, seine gutausgebildeten Kämpfer hätten sich in den vergangenen Monaten  lediglich zur Verteidigung von libanesischen Staatsbürgern in etwa 23 schiitischen Grenzdörfern und zwölf Farm nahe von Kusair engagiert, weil diese zunehmend von sunnitischen Rebellen attackiert worden waren. Der Fall von Kusair aber könnte sich für Assad als schicksalhaft erweisen. Für den Libanon aber bedeutet das offene Engagement der Hisbollah – rund 1.700 Hisbollahis sollen dort kämpfen und etwa 30 bereits gefallen sein - eine enorme Gefahr, voll in den Krieg hineingezogen zu werden. Die immer wieder – auch am vergangenen Wochenende – ausbrechenden Kämpfe zwischen Alawiten und Sunniten in der nordlibanesischen Küstenstadt Tripoli sind ein Alarmsignal, wiewohl gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen seit Jahren fast zum Alltag gehören und sich bisher nur auf Tripoli beschränkt haben. Doch der massive Zustrom von überwiegend sunnitischen Flüchtlingen aus Syrien droht ebenso wie das Eindringen sunnitischer Rebellen, die vom Libanon aus Ziele des Regimes in Syrien attackieren, das ohnedies so delikate Gleichgewicht zwischen den Bevölkerungsgruppen im Levantestaat mit unabsehbaren Konsequenzen zu zerstören.
Während politische Führer, wie der sunnitische Ex-Premier Saad Hariri, Hisbollah wegen der Aufgabe ihrer Neutralität im Syrienkonflikt scharf kritisieren, haben Führer der syrischen Rebellen und der radikalen al-Nusra-Front an ihre Anhänger appelliert, nach Kusair zu ziehen, um an der „Partei des Teufels“ (wie sie Hisbollah nennen) Rache zu üben. Und der radikale Prediger Ahmad Assir, neuer „starker Mann“ der libanesischen Sunniten, verkündete bereits, einige seiner Anhänger seien nach Kusair gezogen, um dort gegen Hisbollah zu kämpfen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen