Sonntag, 9. Oktober 2011

Syriens Regime provoziert die Kurden

Mord an prominentem Politiker öffnet eine gefährliche neue Phase im blutigen Kampf des Diktators gegen sein freiheitshungriges Volk

von Birgit Cerha

„Der Mord an meinem Vater wird der Nagel sein im Sarg des Regimes.“ Mit diesen Worten kommentierte Fares Tammo gegenüber der New York Times die dramatische Eskalation der Gewalt in Syrien. Der Vater des jungen, in die Sicherheit des nordirakischen Kurdistan geflüchteten Kurden, war Freitag von vier Bewaffneten, die sein Haus in der nordsyrischen Kurdenstadt Qamishli gestürmt hatten, ermordet worden Ein Sohn und ein politischer Mitstreiter wurden bei dem Überfall verletzt. Das Begräbnis des 53-jährigen Maschaal Tammo wurde Samstag zu einer Protestkundgebung Zehntausender Kurden, die keine Zweifel daran hegen, dass hier das Regime Assad in skurpeloser Brutalität gemordet hat. Und wieder, wie bei so vielen Begräbnissen von getöteten Demonstranten, schossen die Assads Schergen in die unbewaffnete Trauergemeinde. Wieder starben Unschuldige.Der Mord ist von enormer Tragweite für die Entwicklungen im krisengeschüttelten Syrien. Er bedeutet eine offene Provokation der etwa zwei Millionen Menschen zählenden kurdischen Minderheit, die sich seit sieben Monaten größtenteils von den Demonstrationen gegen das Regime ferngehalten hatte. Und Oppositionskreise, wie politische Analysten werten die Tat als Signal für eine neue, noch blutigere Phase im Kampf des schwer angeschlagenen Regimes zur Erhaltung seiner Macht: gezielter Mord an führenden Gegnern. Tammo ist der erste prominente Oppositionspolitiker, der seit Beginn der Revolution getötet wurde. Am selben Tag wurde ein anderer berühmter Gegner Assads, Raid Seif, in Damaskus so brutal zusammengeschlagen, dass er ins Spital eingeliefert werden mußte.

Politische Beobachter befürchten, das Regime sei nun – ermutigt durch die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem monatelangen Blutvergießen in seinem Land – entschlossen, die von Hunderttausenden Demonstranten niedergerissene Mauer der Furcht wieder aufzubauen. Drohungen an all jene Länder, die den jüngst gegründeten „Syrischen Nationalrat“, einen Dachverband der Opposition, anerkennen, sind ein weiterer Beweis für die Entschlossenheit des Diktators, seine Macht um jeden Preis zu retten.

Dazu zählt wohl auch die Provokation der Kurden. Denn greift die Minderheit zu den Waffen, kann Assad mit gesteigerten Ängsten vor allem seines eben abgesprungenen türkischen Verbündeten rechnen, den nichts so sehr beunruhigt als die Möglichkeit eines Aufstands der um ihre Rechte betrogenen Kurden in Syrien, der auch die unterdrückten ethnischen Brüder in der Türkei mitreißen würde. Auf diese Weise könnte Assad vielleicht wieder die Unterstützung Ankaras sichern, das sich in den vergangenen Wochen offen gegen sein Regime gestellt hat.

Auch in Syrien fristen die Kurden, wie in der Türkei und im Iran traditionell ein Dasein in gravierender Unterdrückung und Diskriminierung. Kurdisches Radio und Fernsehen sind ebenso verboten, wie Unterricht in der kurdischen Sprache. Aus Angst vor einem gemeinsamen Kampf mit den Kurden der Türkei um ihre Rechte hat Hafez el Assad, Bashars Vater, bereits in den 70er Jahren entlang der 350 km langen Grenze einen 15 km breiten „arabischen Gürtel“ angelegt, Kurden vertrieben und Araber auf kurdischem Land angesiedelt.

Zu Beginn der Proteste gegen sein Regime versuchte Assad die Kurden auf seine Seite zu ziehen, indem er eine ihre langjährigen Forderungen zu erfüllen versprach: die Vergabe der Staatsbürgerschaft an etwa 300.000 Kurden ohne Dokumente. Wie andere Versprechen des Diktators blieb auch dieses bis heute unerfüllt. Dennoch haben sich die elf – inoffiziellen – kurdischen Parteien bisher nicht offen der Revolution angeschlossen. Denn sie fürchten die Wut des Diktators würde sie – wie in der Vergangenheit durchlitten – noch viel schlimmer treffen als ihre arabischen Mitstreiter. „Wir wollen nicht zu Sündböcken werden“, argumentieren Kurdenvertreter. Zugleich aber konnte die arabische Opposition die Kurden nicht davon überzeugen, dass sie nach dem Sturz Assads der Minderheit die ihr zustehende Rechte garantieren. Wenn Islamisten und arabische Nationalisten den Ton angeben, dann – so die Sorge – könnten die Kurden erneut um ihre Ansprüche betrogen werden. Nach langem Tauziehen aber entschlossen sich Syriens Kurdenparteien, sich doch dem in Istanbul gegründeten Oppositionsrat anzuschließen.

Dass das Regime gerade auf Tammo gezielt hatte, überrascht nicht. Der erst im Sommer nach dreijährigem Gefängnis in die Freiheit entlassene Kurdenführer kämpfte mit eindrucksvollem Mut für seine Vision eines säkularen, demokratischen Syrien, das auch den Kurden die ihnen zustehende Rechte garantieren solle. Er spielte eine entscheidende Rolle bei Bemühungen jugendliche Demonstranten mit der Opposition zusammenzuschließen. Erst vor einem Monat war ein Attentat auf ihn fehlgeschlagen, das ihn nach eigenen Worten nicht von seinem Kampf zu Verwirklichung seiner Vision abhielt. Sein Mord dürfte Syriens zerstrittene Kurden zum Kampf gegen Assad einen.

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