Mittwoch, 7. September 2011

Irrelevant, doch immer noch gefährlich

Zehn Jahre nach 9/11 ist Al-Kaida empfindlich geschwächt, doch der „Arabische Frühling“ bietet auch den Jihadis neue Chancen

von Birgit Cerha

Osama bin Laden, der Drahtzieher der Terrorakte, die2001 die Supermacht USA tief ins Mark trafen, ist seit vier Monaten tot. Den zweiten Mann des Terrornetzwerkes Al-Kaida, Atiyah al-Rahman, traf Ende August eine amerikanische Rakete in Pakistan tödlich. Zahlreiche andere Terrorführer sitzen in Gefängnissen. Bin Ladens Nachfolger Ayman al Zawaheri die Jihadis in aller Welt auf, durch Attacken auf die USA den Tod des „Emirs“ (wie die Anhänger ehrfurchtvoll Bin Laden nennen) zu rächen. Doch die angedrohten spektakulären Terrorakte blieben bisher aus.

Der zehnjährige von den USA geführte Antiterrorkrieg, der Tod Bin Ladens und die Extremisten weit weniger inspirierende Persönlichkeit Zawaheris, der – im Gegensatz zu Bin Laden - als trocken und streitsüchtig gilt, haben Al-Kaida nach Einschätzung von Experten empfindlich geschwächt. Dennoch wissen selbst Experten die wahre Gefahr, die heute der freien Welt durch das Terrornetzwerk droht, nicht klar einzuschätzen. Kein Zweifel besteht daran, dass die Al-Kaida Zentral im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zwar kaum noch in der Lage sein dürfte, wie einst Extremisten auszubilden, zu trainieren und große Operationen zu organisieren. Doch ihre Zweigorganisationen insbesondere in der arabischen Welt stellen nach Einschätzungen des US-Geheimdienstes FBI immer noch eine tödliche Gefahr dar, insbesondere, da sich die Extremisten als sehr „anpassungsfähig“ an neue Situationen erweisen.
Al-Kaida verfügt heute über ein Netzwerk von autonomen Untergrundzellen in etwa hundert Ländern der Welt, darunter auch in den USA, wiewohl es den Sicherheitsbehörden im Laufe der vergangenen Jahre gelungen war, solche Zellen in England, den USA, Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Albanien und Uganda u.a. aufzubrechen. Doch, so stellt der pakistanische Journalist Ahmed Rashid fest: Die Grundphilosophie der Al-Kaida bleibt bestehen: „Ein Mann, eine Bombe!“
Zehn Jahres seit dem 11. September hat sich das Umfeld der Al-Kaida aber noch aus einem anderen Grund radikal verändert. Eines der Hauptziele Bin Ladens – der Sturz arabischer Autokraten und Diktatoren – beginnt sich zu erfüllen. Damit eröffnen sich für Al-Kaida neue Chancen, aber auch neue Gefahren. Die Revolutionen in der arabischen Welt haben eine gravierende Irrelevanz der Jihadis und ihrer Ideologie und ihrem Ziel der Errichtung islamischer Staaten zutage gebracht. Al-Kaida spielte und spielt nicht nur keine Rolle bei den Aufständen in Ägypten, im Jemen oder in Syrien. In Libyen wurde der Führer der „Islamischen Kampfgruppe“, Abdelhakim Belhadsch zwar Sicherheitschef des Nationalen Übergangsrats. Doch er leugnet, dass seine Organisation je Befehl von Bin Laden entgegengenommen habe und bekennt sich zu einem „zivilen Staat mit echten Freiheiten und Achtung von Recht und Ordnung“. Al-Kaidas Terminologie und Propaganda ist auch in Libyen nun nicht gefragt. Demokratie, Säkularismus, Pluralismus und Freiheit sind die Ziele, die derzeit in der arabischen Welt hoch im Kurs stehen.

Die Al-Kaida Zentral versucht verzweifelt auf den dahinrasenden Revolutionszug aufzuspringen. Demonstrativ verkündet Zawaheri seine Unterstützung für die protestierenden Araber und einer seiner führenden Jünger, der Ägypter Abu Ubaqydah Abdallah al-Adm schwärmt von der bevorstehenden Gründung islamischer Staaten, die durch diese Revolutionen beschleunigt, jedoch erst nach einer vielleicht 50 Jahre währenden Phase des Chaos verwirklicht sein würde. „Gott hat diese Revolutionen vorangetrieben“, schwärmt Adm und der globale Jihad baut darauf, die Früchte eines Tages zu ernten.

Doch der Sturz der Diktatoren, insbesondere im Jemen, der Zusammenbruch der Sicherheitssysteme bietet den islamistischen Extremisten neue Möglichkeiten. So konnte die im Jemen stationierte„Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) ihren Aktionsraum in den vergangenen Monaten wesentlich erweitern. AKAH gilt derzeit als die gefährlichste Al-Kaida Gruppe, die bereits sogar Attacken innerhalb der USA durchgeführt hatte. Trotz regelmäßige von jemenitischen Streitkräften mit aktiver US-Unterstützung durchgeführte Angriffe auf ihre Stützpunkte erwies sich AKAH erstaunlich widerstandskräftig und anpassungsfähig. Ihre Führer entwickelten eine neue Strategie, durch die sie mit kleinen, einfachen Operationen gegen US-Ziele die Supermacht zu zermürben hoffen. US-Antiterrorexperten befürchten insbesondere den Einsatz von Kleinflugzeugen. Zudem berichten Geheimdienste über jüngste Versuche der AKAH, das hochgiftige Rizin zu erwerben, es in kleine Sprengköpfe einzupacken, um diese an begrenzten öffentlichen Plätzen, wie Einkaufszentren, U-Bahnstationen oder Flughäfen zur Explosion zu bringen.

Während die lange so aggressive Al-Kaida im Irak stark geschwächt, doch weiterhin aktiv ist, nutzen auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel Terroristen ein Sicherheitsvakuum und die tiefen Frustrationen der Beduinen, um eine neue Zweiggruppe der Al Kaida aufzubauen, während in Algerien die „Al Kaida im Islamischen Maghreb“ (AKIM) ihre Operationen jüngst wesentlich verstärkt hat. Ihre Ziele sind vorwiegend staatliche Institutionen und Sicherheitskräfte, was darauf schließen läßt, dass AKIM sich – vorerst? – nicht einer internationalen Terrorkampagne anschließen dürfte. Bisher gibt es auch keine Hinweise darauf, dass Waffen aus den riesigen Lagern im chaotischen Libyen in die Hände der Jihadis jenseits der Grenzen des von Diktator Gadafi befreiten Landes gelangt sein dürfte. Das aber kann sich rasch ändern.
Ungeachtet des historischen Aufbruchs in der arabischen Welt spricht vorerst wenig dafür, dass die Jihadis ihrem Hauptziel der Errichtung eines Netzes islamischer Staaten in diesem Raum näher rücken. Der in der arabischen Welt aber immer noch ungebrochene Zorn auf die Supermacht erhält aber trotz dem überwältigenden Wunsch nach Gewaltlosigkeit und Freiheit eine Atmosphäre, die der Al-Kaida die Rekrutierung neuer Terroristen ermöglicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen