Mittwoch, 31. August 2011

Der Irak kommt nicht zur Ruhe


Extremistengruppen verschärfen ihren blutigen Kampf, um sich für die Zeit nach einem Abzug der US-Truppen zu positionieren

von Birgit Cerha

Hunderte Milliarden von Dollar haben die USA seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein zur Stabilisierung des Landes investiert. Doch auch nach acht Jahren ist die Bedrohung durch Aufständische nicht gebannt. Ganz im Gegenteil, so scheint es. Im August erlebten die Iraker die blutigsten koordinierten Terrorattacken seit einem Jahr. Immer noch sind wenige Regionen des Landes vor Gewalt sicher.
Al-Kaida im Irak (AKI) drohte Ende August „hundert Attacken“ im ganzen Land an, um den Tod ihres Idols Osama bin Laden zu rächen. Doch Experten sehen diese islamistischen Terroristen keineswegs als die Hauptschuldigen an der erneuten Terrorwelle. Der Tod des AKI-Führers Abu Omar al-Baghdadi und dessen Stellvertreter Abu Ayub al-Masri im Vorjahr hat die Organisation wesentlich geschwächt. Seither haben sich andere sunnitische Gewalttäter, vereint in der Gruppe „Jaisch Ridschal Tarikah al-Nakschabandi“ unter Führung von Offizierenn der gestürzten Baath-Partei zur gefährlichsten Terrorbande entwickelt. Sie spielen vor allem eine koordinierende Rolle zwischen den diversen Extremistengruppen.
Doch das Bild des Terrors hat sich verändert. Zwar hat sich im Juli die Zahl der versuchten Massenmorde auf 33 gegenüber den 20 des Vergleichsmonats 2010 erhöht. 259 Menschen starben. Der August erlebte gar noch eine Steigerung auf mehr als 40 Anschläge. Doch die Zahl der Toten bei den einzelnen Anschlägen sank gegenüber dem Vorjahr, weil die Extremisten mehr und mehr Selbstmordattentäter durch Autobomben ersetzen, die meist weniger Menschen das Leben kosten.
Viele Anschläge werden insbesondere seit Beginn der blutigen Revolutionen in der arabischen Welt vor sieben Monaten von der Weltöffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Es sind fast tägliche Kleinattacken , Morde an politischen Gegnern oder Racheakte für vergangene Bluttaten – ein Phänomen, das den Irak mit seinen Hundettausenden menschlichen Opfern noch lange quälen wird.

Viele der Anschläge haben lokale Motivationen, da geht es um die Kontrolle etwa von Polizeieinheiten oder Ortsverwaltungen in einem Land, in dem die Regierung immer noch durch Parteienstreitereien und gegensätzliche Machtinteressen weitgehend gelähmt ist. Ein Teil der Gewalt geht freilich immer noch auf den Kampf gegen die USA zurück. Hier spielen Splittergruppen der vom Iran unterstützten Bewegung des anti-amerikanischen Schiitengeistlichen Moktada Sadr, wie die Kataib Hezbollah und Asaib Ahl al-Hak, eine entscheidende Rolle. Sadr hingegen hat scharfe Drohungen, er werde den Kampf gegen US-Truppen wieder aufnehmen, sollten sie im Lande bleiben, zurückgezogen und versucht derzeit alles, die Regierung unter Premier Maliki nicht zu provozieren, um nicht erneut eine militärische Konfrontation mit den Sicherheitskräften zu riskieren, die ihm bereits vor Jahren schwere Niederlagen zugefügt hatten. AKI anderseits befürchtet, durch einen für Ende dieses Jahres geplanten Abzug der 46.000 noch im Irak verbliebenen US-Soldaten, ihre Hauptmotivation für anhaltenden Terror im Irak – Kampf gegen die verhasste Supermacht – zu verlieren. Gelänge es ihr, unter der Bevölkerung wieder Angst und Schrecken zu verbreiten, könnte sie vielleicht eine Verlängerung des US-Mandats erreichen und damit nach ihren Vorstellungen ihre Existenzberechtigung im Zweistromland.

Vier Monate nach dem 2008 mit den Amerikanern vereinbarten Truppenrückzug herrscht allerdings immer noch Unklarheit über die Zukunft der USA im Zweistromland. Während Washington offenbar auf eine weitere Militärpräsenz hofft, verkündete Maliki am 30. August, dass alle US-Truppen „wie geplant“ mit Jahresende das Land verlassen würden und dass auch ab nächstem Jahr keine US-Militärstützpunkte mehr geplant seien. Diese erstaunliche Kehrtwende des Premiers geht nicht nur auf dessen Wunsch zurück, sich als Nationalist dem Volk zu präsentieren, sondern vor allem auf die Sorge, eine Abstimmung im Parlament, die im Falle einer Mandatsverlängerung nötig wäre, zu verlieren und damit empfindlichen politischen Schaden zu erleiden. Doch Maliki braucht US-Unterstützung für Kampf seiner immer noch nicht selbständig effizient einsatzfähigen Sicherheitskräfte gegen Terrorgruppen. US-Ausbildner, so geben Regierungskreise zu verstehen, sollten weiterhin zu diesem Zweck im Lande bleiben. Dafür bedarf es keiner Billigung des Parlaments. Welche konkrete Funktionen sie übernehmen sollen, ob sie Immunität genießen werden, darüber wird noch heftig debattiert.

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