Mittwoch, 6. April 2011

LIBYEN: Tödliches Patt nützt Gadafi

Kein militärischer Ausweg aus der libyschen Katastrophe – Der Diktator spielt mit Versöhnungsangeboten auf Zeitgewinn

von Birgit Cerha

„Die Menschen in Misrata sterben“, Libyens drittgrößte Stadt erlebe einen „Genozid“ durch die Truppen Diktator Gadafis. Nur wenige Wochen nach Beginn der alliierten Luftangriffe zum Schutz der Zivilisten vor den mörderischen Angriffen ihres Herrschers, fühlen sich die Aufständischen von einer ihrer Ansicht nach zögernden NATO im Stich gelassen. Heftige Kämpfe toben um Misrata, die einzige west-libysche Stadt immer noch in Rebellenhand, vermutlich nicht mehr lange.
Längst steht fest, dass dieser blutige Konflikt zwischen dem politischen Überlebenskünstler Gadafi und den sich nach Freiheit sehnenden Libyern militärisch nicht zu lösen ist. Obwohl die NATO nach eigenen Angaben ein Drittel der militärischen Kapazitäten der Regierungstruppen ausgeschaltet hat, gelingt es diesen doch immer wieder, den Vormarsch der Rebellen zurückzuschlagen. Doch in die befreiten Städte und Regionen im Osten können sie nicht eindringen. Hier scheint der Hass auf den Despoten universell. Im Westen hingegen kann sich Gadafi immer noch auf Anhänger stützen, ob aus Furcht, aus Opportunismus oder echter Überzeugung bleibt dahingestellt.

Wie lässt sich das Grauen vor den Toren Europas stoppen? Könnte das Regime tatsächlich von innen her auseinander bersten, wie westliche Strategen hoffen und stolz auf erste Erfolge verweisen. Der spektakulärste ist jener des Außenministers Musa Kusa, der sich in der Vorwoche nach London absetzte, Geheimdienstchef Abdullah al Senussi und andere hohe Mitglieder des Gadafi-Kreises stehen ebenfalls in Kontakt mit London und Washington. Der US-Geheimdienst CIA agiert auf libyschen Boden eifrig, um Rebellen zu ermutigen, zu stärken, zu trainieren, zu finanzieren und überhaupt erst einmal festzustellen, wer diese überhaupt sind. Ein Haufen von Fanatikern, von Al-Kaida unterwandert, wie Gadafi dem Westen weismachen will? Sind die Amerikaner dabei, wie einst im falle der gegen die Sowjets in Afghanistan kämpfenden Mudschaheddin ihre eigenen Todfeinde aufzupäppeln, ja vielleicht sogar mit Waffen auszustatten, was laut jüngster Libyen-Resolution des Weltsicherheitsrates ohnedies illegal wäre? Europäische Beobachter, wie der BBC-Journalist John Simpson, der einige Wochen unter den Rebellen in Ost-Libyen verbracht hatte, konnte allerdings kaum Spuren von Fundamentalismus entdecken. Dennoch, ein großes Maß an Unsicherheit bleibt bestehen.

Bröckeln die Grundfesten des Gadafi-Regimes? Wichtige Mitstreiter springen ab, das Geld werde knapp, frohlocken die Gegner und die Söhne schmieden Kompromisslösungen. All dies riecht nach ausgeklügelter Taktik dieses Diktators, der sich in schwierigsten Umständen 42 Jahre lang durch Schläue und Brutalität die Macht gesichert hatte. Er hat Doppelzügigkeit und Desinformationspolitik in solchem Maße zur Meisterschaft entwickelt, dass er international schon lange als „verrückt“ oder „irrational“ charakterisiert wird. In Wahrheit aber hat ihn diese Methodik am libyschen Thron gehalten.

So zählen für sein politisches Überleben heute nicht so sehr Männer wie Kusa oder Senussi, sondern die engsten Familienmitglieder, auf die er sich nun in vollem Maße stützt, insbesondere die untereinander zerstrittenen Söhne. Erwartungen, diese, insbesondere der im Westen ausgebildete Saif al Islam, könnten den Vater verraten, gehen in die Irre. Der in der New York Times veröffentlichte Plan Saifs, den Vater von der Macht zu drängen und selbst in einer Übergangszeit das Land zu führen, ist zweifellos mit dem Diktator abgesprochen. Ein Sturz des Vaters würde unter den derzeitigen Umständen ein Ende der Familienherrschaft bedeuten. Für die Söhne käme dies politischem Selbstmord gleich. Und den unermäßlichen Reichtum würden sie auch verlieren, denn Muammar Gadafi hält diesen in weiser Voraussicht voll unter seiner Kontrolle.

Gadafi spielt zweifellos auf Zeit, durch Versöhnungs- und Dialogangebote, die die Opposition ohnedies entschieden ablehnt, durch Lösungsvorschläge, die seine Diplomaten dem Westen unterbreiten. Damit hofft der Diktator die „Allianz der Willigen“ allmählich zu sprengen und sich des militärischen Drucks zu entledigen. Vorübergehend könnte er wohl die Teilung Libyens in Kauf nehmen und allmählich seine Macht im Osten wieder konsolidieren. Dann müsste er nur politisch lang genug durchhalten, um die Einheit seiner Gegner zu zerstören und schließlich das Land wieder voll unter seine Kontrolle zu bringen.

Eine katastrophales Beispiel auch für die Demokratiebewegungen in anderen von Despoten beherrschten arabischen Ländern.

Bildquelle: BBC

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