Sonntag, 10. April 2011

Ägypter wehren sich gegen die Konterrevolution

Demokratie-Aktivisten werden ungeduldig und das Militär droht offen mit Gewalt

von Birgit Cerha


Die Flitterwochen zwischen dem ägyptischen Militär und der Bevölkerung, die die Revolution gegen das Regime Mubarak so relativ friedlich gestaltet hatten, neigen sich dem Ende zu. Spannungen und Sorge um die Zukunft am Nil wachsen, seit die Streitkräfte Samstag morgen gewaltsam eine seit Freitag am Kairoer Tahrir-Platz protestierende Menge zu verjagen gesucht und dabei vier Menschen getötet und Hunderte verletzt hatten. Freitag hatten Zehntausende Ägypter in der größten Demonstration seit dem Sturz Mubaraks am 11. Februar ihren Ärger und die Frustration über die politische Stagnation der vergangenen Wochen kundgetan. Wieder schlugen Aktivisten auf dem zentralen Platz Kairos ihre Zelte auf, zum Bleiben entschlossen, bis zumindest ein Teil ihrer wichtigsten Forderungen erfüllt sind. Die Polizei riegelte den Ort der Proteste mit Stacheldraht ab, auch das dort gelegene Kairoer Museum, größte Attraktion für ausländische Touristen, bleibt geschlossen. Und unter vielen Ägyptern wächst die Sorge vor der Zukunft, während General Adel Emarah, Mitglied des regierenden Militärrats, den Protestierenden „Härte und Gewalt“ androht, um „die Normalität“ im Zentrum Kairos wieder sicherzustellen.„Ich kam zu Tahrir-Platz, weil wir eine Konterrevolution erleben“, begründet ein Mitglied des „Jugend-Revolutionsrates“ - einer der größten Gruppen, die aus der wochenlangen Protestbewegung gegen Mubarak hervorgegangen ist – die erneuten Demonstrationen. Sie sollen den Druck auf den Militärrat verstärken, der bisher nur einen Bruchteil der langen Forderungsliste der Opposition erfüllt hat. Besonders verärgert die Opposition, dass zwar der Diktator gestürzt ist, doch viele seiner Erfüllungsgehilfen immer noch an den Hebeln der Macht sitzen. Zudem wurden bis heute die Verantwortlichen für den Tod von etwa 800 Menschen während der Demonstrationen gegen Mubarak nicht zur Rechenschaft gezogen.

Um die aufgebrachten Aktivisten zu beschwichtigen, hatte der Militärrat in der Vorwoche die Chefredakteure einiger der größten Publikationen, die sich durch starke Loyalität zu Mubarak hervorgetan hatten, sowie dessen Plan, seinen Sohn Gamals zum Nachfolger zu küren, abgelöst. Doch dieser Schritt reicht den jugendlichen Demokraten nicht, da die ehemaligen Chefredakteure als „Beraster“ weiterhin Einfluss ausüben.

Sonntag erfüllte der Militärrat wenigstens teilweise eine wichtige Forderung, indem er einige der einst von Mubarak ernannten Provinzgouverneure entließ. Unterdessen halten an der Kairoer Universität Demonstrationen von Studenten nun schon seit Wochen an, die, wie auch an anderen hohen Lehranstalten des Landes, die Absetzung der Rektoren und Dekane fordern, da diese von Mubarak nach Billigung des für brutalste Repressionen verantwortlichen, unterdessen aufgelösten Staats-Sicherheitsdienstes ernannt worden waren. „Es war leichter, den Diktator zu stürzen, als sich seiner Elite zu entledigen“, klagt eine Studentin. „Die Revolution geht weiter.“

Auf dem Tahrir-Platz konzentrieren sich die Forderungen nun darauf, Mubarak und seine Familie, die in ihrem Domizil in Scharm el-Scheich unter Hausarrest stehen, so rasch wie möglich wegen Korruption vor Gericht zu bringen. Der Militärrat hat zumindest einmal ein Komitee eingesetzt, das diese Frage studieren soll. ‚Doch die Demonstranten haben nun eine neue Forderung auf ihre Liste gesetzt: den Abgang des Chefs des Militärrats, Feldmarschall Tantawis, der seit 1991 als einer der engsten Mitstreiter Mubaraks das Amt des Verteidigungsministers ausgeübt hatte. Die Oppositionsbewegung aber ist in dieser Frage gespalten. Ein Teil fürchtet nämlich, eine Verschärfung der Spannungen mit dem Militär könnte enorme Probleme für den bis Jahresende geplanten Übergang zu einer demokratischen Zivilregierung schaffen.

Doch das Militär, in der Phase der Revolution der „Liebling des Volkes“, schafft sich zunehmend Feinde. Ägyptische Menschenrechtsaktivisten, wie etwa Mona Seif, haben Dokumente von insgesamt 5.000 Fällen zusammengetragen, in denen Militärs Demonstranten wegen falscher oder weit übertriebener Vorwürfe in überfüllten Gefängnissen festhalten und vor Militärgerichte stellen. Verletzung der Ausgangssperre, Tragen von Waffen, Beleidigung der Sicherheitskräfte werden mit jahrelangem Gefängnis bestraft. Wer sich, wie die meisten, keinen seriösen Anwalt leisten kann, ist in einem politischen Zwecken dienenden Justizsystem verloren.

Das Militär agiert weiterhin auf der Basis von Dekreten aus der Mubarak-Ära und – so der weitverbreitete Vorwurf – schützt nach Kräften die Elite eines Regimes, das auch den Streutkräften ungeheure Privilegien und Macht gesichert hatte.

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