Dienstag, 5. April 2011

JEMEN: Nur schlechte Optionen für den Jemen

Anhaltende blutige Turbulenzen bieten dem aggressivsten Al-Kaida-Zweig ungeahnten neuen Aktionsraum

von Birgit Cerha

Während die Gewalt den Jemen, dieses strategisch so wichtige Land am Roten Meer, mehr und mehr in Flammen setzt und sich die USA vom schwer bedrängten Präsident Saleh, ihrem langjährigen engen Partner im Anti-Terrorkrieg nach langem Zögern zu distanzieren beginnen, steht fest: dem arabischen Armenhaus bieten sich nur schlechte Optionen und damit zugleich auch der westlichen Welt. Denn der Jemen beherbergt den aggressivsten Zweig des Al-Kaida Terrornetzwerkes, das in den vergangenen eineinhalb Jahren seine tödlichen Fühler nach Europa und bis in die USA ausstreckte. Zunächst allerdings ohne Erfolg. Doch die nun schon wochenlang anhaltende Rebellion freiheits- und demokratiehungriger Jemeniten gegen die Diktatur Salehs öffnet der „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) ungeahnte neue Chancen.

Wie immer der Aufstand der Opposition auch enden mag, AKAH, die sich aus jemenitischen und aus Saudi-Arabien vertriebenen Jihadisten, sowie einigen Gesinnungsgenossen aus anderen islamischen Ländern zusammensetzt, bieten sich nun ungeahnte neue Chancen, die für die Al-Kaida nach Pakistan wichtigste Basis entscheidend auszuweiten.

Gelingt es dem Überlebenskünstler Saleh, sich noch einige Monate an der Macht zu halten, dann wird er jedoch kaum die in den vergangenen Wochen verlorene Kontrolle über weite Landesteile und insbesondere über die unterdessen gespaltenen Streitkräfte voll zurück gewinnen können. Zieht er sich zurück, wird es lange dauern, um das sich öffnende Machtvakuum zu füllen und mit einem ordnungsgemäßen Übergang zu einem modernen Staat auch nur zu beginnen. Viele befürchten, der Jemen, ein Land mit einer Bevölkerung von 23 Millionen und – nach Berichten – 60 Millionen Schusswaffen, könnte sich in einem endlosen Bürgerkrieg selbst zerfleischen.

Die USA stehen im Jemen vor einem großen Dilemma. Denn Saleh hatte sich insbesondere in den vergangenen eineinhalb Jahren als extrem williger Partner im Anti-Terror-Krieg erwiesen, nachdem er zunächst Al-Kaida weitgehend gewähren ließ, ja sie sogar immer wieder bei der Verfolgung seiner höchsten Prioritäten – dem Kampf um die Einheit des Landes und seine Macht – einsetzte, etwa gegen südjemenitische Separatisten oder gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Norden. Doch seit 2009 gestattete er den Amerikanern eine stete Ausweitung ihres Luftattacken gegen vermeintliche Al-Kaida-Stützpunkte, bei denen immer wieder unzählige Zivilisten ums Leben kamen und die die ohnedies wenig amerika-freundliche Bevölkerung zunehmend gegen die Supermacht aufbrachte. Ihre Anti-Terror-Operation haben die USA nun offenbar angesichts der internen Turbulenzen eingestellt. Dass ein Nachfolgeregime ihnen ähnlich großen Aktionsraum bietet, erscheint höchst unwahrscheinlich. Hält sich Saleh noch länger an der Macht, könnte der Zorn in der Bevölkerung auch auf die den Diktator stützende Supermacht mehr und mehr Menschen in die Arme der islamistischen Extremisten treiben.

In jedem Fall hat AKAH begonnen, ihre Positionen in Gebieten auszubauen, die mehr und mehr der Kontrolle des Präsidenten entgleiten, während Saleh Armee-Einheiten zur Verteidigung seiner Macht nach Sanaa ruft. Ende März übernahm AKAH gemeinsam mit der „Aden-Abyan Islamischen Armee“ (AAIA) die Kontrolle über Jaar, die historischen Hauptstadt der südlichen Provinz Abyan, in der auch eine große Waffenfabrik steht. AAIA setzt sich aus Mudschaheddin zusammen, die in den frühen 90er Jahren aus Afghanistan heimgekehrt waren, zunächst das Regime Saleh unterstützt hatten, sich jedoch schließlich mit ihm überwarfen und sich im Südjemen für einen unabhängigen Staat engagieren. Sie misstrauen AKAH, die dieses nationalistische Ziel nicht verfolgt, doch der gemeinsame Feind könnte sie mehr und mehr einen und stärken.

Die Warnung Salehs, sein Rücktritt werde AKAH enorm stärken und den Jemen in eine „Zeitbombe“ verwandeln, tun die jugendlichen Demonstranten, die all die Brutalitäten des Diktators bisher nicht von ihren friedlichen Aktionen abschrecken konnten, jedoch als machterhaltende Taktik ab. „Saleh übertreibt“, betont Adel al-Sarabi, einer der Oppositionssprecher. „Er wird gehen und wir sind der neue Jemen.“

Fest steht jedoch, dass militante Gruppen sich umso freier bewegen können, je mehr die staatliche Autorität zerfällt. Und sie gewinnen enorme Möglichkeiten, Geld und Waffen zu erobern, je länger dieses Chaos anhält.

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