Donnerstag, 3. Februar 2011

IRAN: „Die Revolution des Bewusstseins“

Wiewohl brutal zur Stille gezwungen, ist Irans „Grüne Bewegung“ gegen die Diktatur der Geistlichen „unzerstörbar“

von Birgit Cerha

Die Herrscher der „Islamischen Republik“ frohlocken. Endlich werden arabische Verbündete des „Großen Satans“ (USA) ins Mark getroffen. Dass die Massen in Tunesien, Ägypten, dem Jemen dem Beispiel folgen, das die „Grüne Bewegung“ Hunderttausender im „Gottesstaat“ 2009/10 mit ungeheurem Mut gesetzt hatte, wird freilich geflissentlich verschwiegen.

Eineinhalb Jahre nachdem Iraner aus allen Bevölkerungsschichten erstmals offen in Massendemonstrationen ihrer Sehnsucht nach Freiheit und einem besseren Dasein Luft gemacht und dafür ungeheure Opfer auf sich nahmen, ist es still geworden um die „Grüne Bewegung“. Mit beispielloser Brutalität hat sich die in ihren Grundfesten erschütterte Theokratie, die durch eine Volksrevolution unter Führung Ayatollah Khomeinis 1979 die Herrschaft gewonnen hatte, zur Wehr gesetzt. Sie hat damit eine Aussöhnung zwischen dem Staat und einem großen Teil der sich nach Veränderung sehnenden Bevölkerung unmöglich gemacht. Und die „Grünen“ haben den Iran nachhaltig verändert.
Zum erstenmal seit 32 Jahren wird das von Khomeini gegründete System des „Velayat e Faghih“ (des obersten islamischen Rechtsgelehrten) offen infrage gestellt. Die Position des „Geistlichen Führers“ Khamenei ist schwer angeschlagen. Kein einziger der führenden Ayatollahs, die Glaubwürdigkeit im Volk genießen stellt sich heute voll hinter Khamenei und das von ihm repräsentierte System. Jene, die ihn unterstützen, gelten in der Bevölkerung als verhasste „Hardliners“ oder als korrupte Profiteure des Regimes.

Mehr und mehr wendet sich der „Gottesstaat“ von den Idealen seines Gründers ab. Khomeini hatte einst den Streitkräften, den Revolutionsgarden den heiligen Auftrag erteilt, sich vollends aus der Politik herauszuhalten. Doch die Garden und die paramilitärischen Bassidsch hatten Ahmadinedschad 2005 auf den Präsidentenstuhl gehievt und sich damit eine entscheidende Rolle in den Institutionen des Staates gesichert und die Dominanz in der Wirtschaft weiter augebaut. Dass sie längerfristig die Geistlichen von der Macht jagen wollen, um diese auch offen selbst zu übernehmen, ist höchst wahrscheinlich.

Das Regime ist durch interne Machtkämpfe zwischen der Clique um Ahmadinedschad und den pragmatischen Konservativen empfindlich geschwächt und sucht sich durch blutigen Terror, eine dramatische Eskalation der Exekutionen, gegenüber der Zivilbevölkerung abzusichern. Dennoch wagte der Präsident den sozialpolitisch riskanten Schritt einer Streichung staatlicher Subventionen für Treibstoff und Nahrungsmittel und trifft damit vor allem die Unterschicht, die Arbeiterklasse. Sie ist die „unsichtbare Hand“, auf die die „Grüne Bewegung“ hofft. Ein Generalstreik der Arbeiter hatte sich einst als entscheidend für den Sturz des Schahs erwiesen. Doch die sozial Schwachen finden wenig Attraktives bei den „Grünen“, deren Führer Mussawi nur vage von sozialer Gerechtigkeit spricht und wirtschaftlichen Liberalismus predigt.

Irans Zukunft aber liegt in den Händen der Jugend. Zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25. Wiewohl gut ausgebildet wie noch nie (70 Prozent der Jungen besuchen Sekundarschulen, die Alphabetisierung liegt bei 80 Prozent), haben nur jene eine Perspektive, die eng mit dem Regime verbunden sind. Sogar das Bildungsministerium gesteht offen ein, dass 90 Prozent der hochbegabten Studenten ins Ausland gehen, drei Viertel davon in die USA. Wer keine Beziehungen zum Regime hat, bleibt Außenseiter. Jährlich wächst die Zahl der arbeitslosen Absolventen um eine Million.

Irans Zukunft aber liegt in den Händen der Jugend. Zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25. Wiewohl gut ausgebildet wie noch nie (70 Prozent besuchen Sekundarschulen), haben nur jene eine Perspektive, die eng mit dem Regime verbunden sind. Jährlich wächst die Zahl der arbeitslosen Absolventen um eine Million. Die geistlichen Machthaber haben einer großen Zahl von diesen Kindern der Revolution den Islam ausgetrieben. Immer mehr setzen sich für eine Trennung von Religion und Politik ein und sympathisieren mit der „Grünen Bewegung“. Diese sei „keine klassische Art des revolutionären Widerstandes“, meint der Iran-Experte Daryoush Hanayan. „Sie ist eine Revolution des Bewusstseins.“ Mit der vorherrschenden Kultur könne das Land nicht mehr regiert werden, daher wolle die Bewegung das politische Denken im Iran verändern. Sie tut dies nun in der Stille. Ungeachtet der Repression sei sie „unzerstörbar“, meint Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie wirkt wie ein soziales Netz und beginnt zunehmend auch in die Institutionen des Staates – sogar in die Revolutionsgarden – einzudringen. Und sie schöpft Kraft aus den Worten des hoch angesehenen Großayatollah Montazeri, der kurz vor seinem Tod 2009 vorhersagte: „Am Ende wird der Staat keine Wahl haben, als gegenüber der Grünen Bewegung zu kapitulieren“. Ein Beispiel für die Frustrierten anderer Länder.

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