Sonntag, 6. Februar 2011

Ägyptens Moslembrüder werden „salonfähig“

Durch Verhandlungen mit einigen Oppositionsgruppen und Zugeständnisse spaltet das Regime seine Gegner und sichert Mubarak den vorläufigen Verbleib an der Macht

von Birgit Cerha

Eben noch hatte Ägyptens schwer bedrängter Präsident der von ihm jahrzehntelang verteufelten, verbotenen und von den Sicherheitskräften brutal verfolgten Moslembruderschaft (MB) die Hauptverantwortung für die blutigen Demonstrationen zugeschoben, die das Land seit 13 Tagen lähmen. Und nun sitzt sein neu ernannter Vizepräsident, Omar Suleiman mit den Brüdern als Teil einer Delegation der Oppositionsgruppierungen am Verhandlungstisch. Der Wandel in den Positionen beider Seiten ist ebenso erstaunlich wie radikal und er wird im Rest der arabischen Welt mit möglichen Konsequenzen auf andere Länder mit Argusaugen verfolgt.

Suleimans Gesprächsangebot an die MB war ein kluger Schachzug. Die Bruderschaft ringt verzweifelt seit Jahrzehnten, seit sie der Gewalt abschwor und den Weg politischer Mäßigung einschlug, um Anerkennung durch das Regime und Einschluss in die Politik am Nil. Sie scheiterte bis heute an der Entschlossenheit des Regimes, der Bruderschaft jede politische Rolle zu versagen aus Sorge, sie werde Ägypten zu einem radikalen islamischen Staat führen. Mubarak benutzte die Brüder auch als Schreckgespenst gegenüber dem Westen, um sich – erfolgreich – dem Druck nach demokratischer Öffnung des Landes zu widersetzen.

Der nun so plötzlich ausgestreckten Hand Suleimans konnten die Brüder nicht widerstehen. Doch sie riskieren damit Glaubwürdigkeit unter ihren Anhängern zu verlieren. Hatten sie doch gerade noch hartnäckig jedes Gespräch mit dem Regime abgelehnt, solange Mubarak an der Macht bleibt. Nach der ersten Verhandlungsrunde am Sonntag, an der für die Proteste mitverantwortliche jugendliche Anhänger des Friedensnobelpreisträgers Mohammed el Baradei, einige kleinere linke und liberale Gruppierungen teilnahmen, verkpündete ein Sprecher der MB gar, die Option, das Mubarak an der Macht bleibe, um Verfassungsreformen für freie Wahlen einzuleiten, garantiere Ägypten mehr „Sicherheit“.

Suleiman macht Sonntag eine Reihe von Zugeständnissen, wie die Freilassung aller in den vergangenen Tagen Verhafteten, versprach, Anti-Regime Proteste nicht mehr zu stören, Pressefreiheit und Internetzugang zu garantieren und vor allem das seit drei Jahrzehnten herrschende Kriegsrecht aufzuheben, sobald es die Sicherheitslage gestatte – seit langem eine Hauptforderung der Opposition.

Durch die Teilnahm der MB, der größten Oppositionsbewegung des Landes, gelang es dem Regime, seine Gegner empfindlich zu spalten. Tausende wollen immer noch auf dem Tahrir-Platz in Kairo ausharren, bis Mubarak das Land verlasst und halten die Zugeständnisse für den bloßen Versuch, Zeit zu gewinnen, um de facto durch kleine Reformen auch nach Mubaraks Abgang vielleicht im September die Macht des Systems zu erhalten. Ein Komitee aus Juristen und Politikern soll nun Verfassungsänderungen erarbeiten, die die Kandidatur mehrer Personen für die Präsidentschaft ermöglichen. Baradei, der an den Gesprächen nicht teilnahm, zeigt sich beunruhigt über die Absicht Suleimans, schon im September auf Basis solcher Reformen Präsidentschaftswahlen durchzuführen. Seiner Ansicht nach bedarf es einer Übergangszeit von mindestens einem Jahr, um das in Jahrzehnten zementierte System ernsthaft demokratisch zu öffnen. Ein Präsidentschaftsrat und eine Übergangsregierung sollten in dieser Zeit die Geschicke des Landes leiten.

Nicht eingehaltene Reformversprechen des Regimes sind am Nil bei weitem nichts Neues. Doch nun gespalten, verlieren die Demonstrierenden ihre Durchsetzungskraft und in Ägypten beginnt eine gefährliche Interimsphase, in der die Zeit gegen die Demokratieströmung arbeitet.

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