Donnerstag, 3. Februar 2011

JEMEN: Explosives Gemisch von Hunger und Korruption

von Birgit Cerha

Ägypten hat schon einmal das Schicksal des Jemen bestimmt – Der Staat steht heute am Rande des Zusammenbruchs
(Foto: Ali Abdullah Saleh
)

Die Parallelen drängen sich auf. Wie sein autokratischer Kollege Mubarak in Ägypten, will Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh die Macht nicht lassen. Durch „die Straße“ in die Enge getrieben, verspricht er Verzicht auf eine Wiederwahl 2013 und will auch seinen Sohn nicht an seine Stelle treten lassen. Der große Bruder Ägypten hatte schon einmal Jemens Schicksal bestimmt, als Präsident Nasser im Bürgerkrieg gegen die gestürzten islamischen Royalisten (1962 bis 1969) den Republikanern zu Hilfe kam und der damalige Nord-Jemen eine Republik nach ägyptischem Vorbild aufbaute. Wie Nasser, war auch Saleh Armee-Offizier, als er 1978 durch einen blutigen Putsch die Macht an sich riß. Bis heute stehen die Streitkräfte bedingungslos loyal zu ihrem Präsidenten.Traditionell ist in diesem von stark auf ihre Eigenständigkeit pochenden Stämmen und diversen islamischen Gruppierungen zersplitterten Land die Macht der Zentralregierung schwach. Saleh verstand es jedoch, sich durch ein ausgeklügeltes System von Vergünstigungen in Form von Bargeld, Jobs, Entwicklungsprojekten, sowie die Strategie des Teile und Herrsche drei Jahrzehnte lang die Macht abzusichern. Dabei treibt die Korruption Hochblüten. Doch eine durch Misswirtschaft, sinkende Erträge aus den zur Neige gehenden Ölreserven und alarmierend versiegende Wasserquellen zusammenbrechende Ökonomie untergräbt nun Salehs Strategie und damit seine Macht. Immer mehr fehlt es an Geld, um Rivalen oder rebellische Stämme zu kaufen, während die sozialen Probleme das Land an den Rand des Abgrunds reißen. Zudem verschlingen noch ein sechsjähriger Bürgerkrieg gegen die zaidischen Houthis (eine schiitische Richtung des Islams) im Norden, die wachsende Schar der sich nach der 1990 durch die Vereinigung der beiden Jemen wieder nach Eigenstaatlichkeit sehnenden Süd-Jemeniten und gewalttätigen Islamisten der Al-Kaida große Summen und Energie, die dringend in die Entwicklung dieses ärmsten aller arabischen Länder investiert werden sollten.

Die Lebensbedingungen der Jemeniten – Armut, Infrastruktur, Dienstleistungen des Staates - sind weit schlimmer als jene der Ägypter. Fast die Hälfte der 23,4 Millionen-Bevölkerung ist unter 15 Jahre. 45 Prozent müssen mit weniger als zwei Dollar im Tag auskommen. Unterernährung, ja Hunger nimmt bedrohliche Ausmaße an, verschärft durch jüngst rasant gestiegene Nahrungsmittelpreise. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 40 Prozent, nahezu die Hälfte der vergeblich Beschäftigung Suchenden sind Jugendliche.

Bei einer Analphabetenrate von rund 50 Prozent verfügt der Jemen nur über eine äußerst schwache Zivilgesellschaft, ein Faktum, das dem Präsidenten nützen könnte. Die politische Opposition, wiewohl groß an Zahl, ist gespalten in eine politische Bewegung und eine Volksbewegung. Seit 1990 hat Saleh die Oppositionsparteien an den Rand gedrängt und die wichtigsten Schlüsselpositionen im Staat, in den Streitkräften und in dem ziemlich effizienten Geheimdienst mit Familienmitgliedern besetzt. Dennoch will sich die politische Opposition u.a. aus gemäßigten Islamisten, Sozialisten, Nasseristen und Reformern – vorerst – mit einem von Saleh angebotenen Dialog und mit Reformen begnügen: Die Probleme „friedlich zu lösen ist besser für den Jemen, denn jeder besitzt hier Waffen“, meint der Chef des „Gemeinsamen Forums“ der fünf größten Oppositionsparteien, Mohammed al-Mutawakel.

Doch Mitglieder der – führerlosen – Volksbewegung, Studenten, Menschenrechtsaktivisten, kritisieren die Taktik der politischen Opposition. Saleh, so meinen viele vor allem unter der Jugend, sei niemals bereit, die Macht zu teilen, freie Wahlen zu garantieren, den Nepotismus zu beenden und das politische System zu öffnen. Sie sehen in den Kraftimpulsen, die nun von Nordafrika ausgehen eine einzigartige Chance, sich gegen die Übel des Landes zu erheben. Doch ein politisches Vakuum könnte den von Waffen strotzenden Jemen in blutiges Chaos stürzen – eine Aussicht, die die benachbarten Ölpotentaten, insbesondere Saudi-Arabien in Panik versetzt.

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