Mittwoch, 9. Februar 2011

Ägyptens Protestbewegung verstärkt den Druck

Führungslosigkeit und Zersplitterung der Opposition gegen das Regime erweist sich als Schwäche und als Stärke zugleich

von Birgit Cerha

Scharfe Worte des ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman, die Regierung in Kairo „kann die fortgesetzten Proteste nicht länger verkraften“, verknüpft mit einer Warnung vor einem Putsch mit unabsehbaren Konsequenzen, illustrieren deutlich die enorme Nervosität und Frustration, in die die fortgesetzten Demonstrationen im Herzen Kairos das ägyptische Regime stürzen. Die „Zuckerln“, die Suleiman in ersten Gesprächsrunden einigen Vertretern der Opposition in Form von Versprechen hinwarfen, verfehlten ihre Wirkung. Die Bewegung der Demonstranten bleibt unbeeindruckt, ja sie wächst sogar. Dienstag und Mittwoch schlossen sich der „Zeltstadt“ auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos noch eine große Zahl von Menschen an, darunter nach Aussagen der Demonstranten, viele, die bisher zu Hause geblieben waren. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Suleiman konnte mit seinen Reformversprechen nicht überzeugen, da die Opposition in keinen Kontrollmechanismus eingeschlossen ist. Viele Demonstranten befürchten, wenn sie einmal die zentrale Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit verlören, würden – wie seit Jahrzehnten vom Regime gehandhabt – die Zusagen unerfüllt bleiben. Zudem nehmen nur Vertreter der dem Regime seit langem nahe stehenden Oppositionsbewegungen an der Erarbeitung einer Übergangsregelung teil. Alle Anzeichen sprechen vorerst dafür, dass Mubarak und sein Stellvertreter ungeachtet des internen und internationalen Drucks nach Kräften suchen, so viel wie möglich von dem so lange herrschenden System zu erhalten. Und ihre Manöver, die Massen vom Tahrir-Platz zu verjagen schlugen bisher nicht nur fehl, sondern erweisen sich als Bumerang. So erzürnte der Auftritt des berühmten arabischen Popstars Tamer Hosni Mittwoch auf dem Platz, wo er die Menge aufforderte angesichts der „Zugeständnisse“ Mubaraks heim zu gehen, die Demonstranten derart, dass er damit deren Protestenergie weiter steigerte. Als wichtiger Stimulator wirkte vor allem aber Wael Ghonim, einer der führenden Internetspezialisten Ägyptens, wegen seiner intensiven Aufrufe zu gewaltlosen Protesten gegen das autokratische System im Volksmund „Google Gandhi“ genannt. In mehrtägiger Haft durch die Sicherheitskräfte zum „nationalen Helden“ gemacht, beklagte er nach seiner Freilassung Dienstag in einem Interview die rund 300 Toten der Protestgewegung und rief die Demonstranten zum Durchhalten auf. Viele von ihnen bekräftigen weiterhin, sie wollten ausharren, bis Mubarak das Land verlassen habe.



Dabei geht es unterdessen längst nicht mehr um den alten Autokraten. Sein Vize, von den Demonstranten wegen dessen Karriere als Geheimdienstchef mit Hauptverantwortung für systematische Folter im Lande hämisch „Sheik-al-Torture“ genannt, ist de facto bereits in Mubaraks Fußstapfen getreten und der Protestbewegung wegen seiner Nähe zum Präsidenten und seiner Laufbahn mindestens ebenso inakzeptabel.

Mit diversen Methoden, wie der Komposition einer „Revolutionshymne“ versucht die Demokratie-Bewegung ihre Moral zu steigern. „Wir werden von Tag zu Tag mutiger. Unsere Bewegung wächst und wächst“, gibt sich einer der Sprecher der Aktivisten, Ahmad Salah, zuversichtlich.

Doch die Bewegung hat viele Sprecher, da spontan gebildet und rasant gewachsen fehlt ihr jeglicher Zusammenhalt. Führer gibt es keinen und nur ein Ziel eint sie: der Abtritt Mubaraks. Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei unterstützt zwar die Demonstranten, doch präsentierte sich nie als „politischer Retter“. Vielmehr betont er wiederholt, es seien die Ägypter, diese Jugend, die ihre eigene Revolution machen müsse. Im Volk fehlt ihm wegen seiner Jahrzehntelangen diplomatischen Auslandskarriere der Rückhalt. Er vermochte ihn nicht zu finden, weil er kein politisches Charisma besitzt. Die Moslembrüder wurden selbst von der Masse der jugendlichen Demonstranten und ihrer entschiedenen Forderungen überrumpelt und hinken bestenfalls hinterher. Und die jugendlichen Aktivisten setzen ihre Eigeninitiativen und scharen sich nicht hinter einem Führer.

Diese Zersplitterung und Führungslosigkeit kann sich als Segen und Gefahr zugleich erweisen. Sie bietet den Vorteil, dass das Regime keine Einzelpersonen oder kleine Grüppchen verhaften kann, um damit die Bewegung zu zerschlagen. De facto steht Suleiman den Demonstranten, die immer wieder neue Sprecher hervorbringen, machtlos gegenüber. Doch eine politische Strategie für Verhandlungen mit dem Regime und die Gestaltung des Übergangs zur Demokratie lässt sich auf diese Weise nicht erarbeiten.

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