Dienstag, 26. August 2014

„Islamischer Staat“ konsolidiert seinen Machtbereich

Nach der Eroberung des Militärflughafens im syrischen Rakka kämpfen die Jihadis um die Kontrolle des Grenzgebietes zur Türkei
 
von Birgit Cerha
 
[Bild: Rakka]
 
Und wieder feiern die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) einen Triumph. Über die Lautsprecher von Moscheen in der ostsyrischen Stadt Rakka verkündeten sie jubelnd die Eroberung des nahegelegenen Militärflughafens Tabka, während Jihadis die geköpften Häupter von Soldaten der Regierungsstreitkräfte im Zentrum der Stadt präsentierten. Nach heftigen Kämpfen, bei denen allein Sonntag etwa 500 Menschen, darunter mindestens 346 IS-Jihadis getötet wurden, fiel der letzte strategisch wichtige Militärstützpunkt des Assad-Regimes in Ost-Syrien in die Hände von IS, für das Regime ein empfindlicher militärischer und psychologischer Schlag. Von Tabka aus hatte Assads Luftwaffe Angriffe gegen Rebellen im Norden und Osten des Landes geflogen und nun mit diesem Flughafen die erste syrischen Provinz zur Gänze an IS verloren.  IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi hatte die schon vor Monaten eroberte Hauptstadt Rakka zum Zentrum des von ihm ausgerufenen „Islamischen Staates“ erhoben. Sie kann nun als sicherer Rückzugsort auch für aus dem Irak flüchtende IS-Kämpfer dienen.
IS kontrolliert heute etwa ein Drittel des Gebietes von Nord- und Ost-Syrien, zahlreiche Städte und Dörfer entlang des Euphrat, sowie wichtige Regionen der anschließenden irakischen Provinzen. Die Eroberung militärischer Zentren, sowie der Staatsbank der nordirakischen Stadt Mosul im Juni ermöglichte IS, der in einem Rivalitätskampf wichtige Regionen an die mit dem Al-Kaida Netzwerk verbündete Nusra-Front, sowie die gemäßigtere „Islamischen Front“  verloren hatte, das Blatt wieder mehr und mehr zu seinen Gunsten zu wenden. So gelang IS jüngst die Eroberung von drei syrischen Militärbasen. Anfang August besiegten die Jihadis die 93. Brigade der syrischen Armee bei deren Versuche zur Rückeroberung Rakkas. Zugleich brachte IS wichtige Regionen in der Provinz Aleppo, aus denen sie von Nusra und deren Verbündeten vertrieben worden war, wieder unter Kontrolle.
2013 war IS (damals noch „Islamischer Staat im Irak und Syrien“, ISIS, genannt) zur stärksten militanten Rebellenorganisation gegen das Assad-Regime aufgestiegen. Der Westen hatte die von ihm zaghaft unterstützte „Freie Syrische Armee“ (FSA), Nusra und die Islamische Front ermutigt, gemeinsam diese radikalen Islamisten zu bekämpfen. Doch viele Brigaden liefen zu Baghdadi über, teilweise angezogen durch dessen militärische Erfolge, teilweise aus Zorn über die ausbleibende Hilfe des Westens. Der größte Teil der in Syrien kämpfenden ausländischen, insbesondere tschetschenischen, Jihadis hat sich IS angeschlossen, dem es unterdessen – dank neuer Waffen und Finanzmittel aus Mosul und Arrangements mit Kämpfern rivalisierender Gruppen - gelang, wichtige Regionen in der Anfang 2014 verlorenen Ostprovinz Deir Ezzor wieder unter Kontrolle zu bringen.
Unterdessen zog IS seine Kämpfer aus der Zentralregion um Homs ab, offenbar, um sich voll auf den Nordosten des Landes zu konzentrieren. Ziel ist die Kontrolle des nordwestlichen Grenzgebietes zur Türkei, die „Hauptarterie“ für Kämpfer aus dem Ausland und den Schmuggel von Waffen und Öl. Am Wochenende erreichte IS die syrische Grenzstadt Marea, stürmte sie jedoch nicht, sondern begann Verhandlungen mit den Bewohnern für einen friedlichen Zugang. Im Januar hatten syrische Rivalen nach blutigen Kämpfen ISIS aus dieser Region, die ihm als  Sammelpunkt für ausländische Kämpfer gedient hatte, verjagt. Die sechswöchigen Gefechte kosteten 2.500 Rebellen das Leben und ermöglichten dem Assad-Regime Aleppo vom Nordwesten her einzukreisen. Seine Gegner in den Kampf gegeneinander zu treiben und damit empfindlich zu schwächen, ist Assads Hauptstrategie. So ließ er denn auch lange ISIS ungestört gewähren und förderte damit indirekt seinen Aufstieg.
Seit Baghdadis Jihadis aus dem Grenzgebiet verjagt wurden, hat sich der Zustrom an ausländischen Kämpfern, die überwiegend über die Türkei zu IS stießen, entscheidend verringert. Das soll nun anders werden. Zudem ist die türkische Grenze der wichtigste Schmuggelweg für Öl aus den eroberten syrischen und nordirakischen Quellen und Waffen. Bisher hat sich die Türkei westlichem Drängen nach Blockierung dieses für IS lebenswichtigen Schmuggelweges beharrlich widersetzt.
 

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