Donnerstag, 14. August 2014

Das Ende des Iraks

Militärisch lassen sich die IS-Terroristen nicht besiegen – Für den dringend nötigen Prozess der nationalen Versöhnung könnte es aber zu spät sein
von Birgit Cerha
Jihadis des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) jubeln über Twitter: „Diese Krise ist ein großes Geschenk“.  Die Entscheidung US-Präsident Obamas, im Irak-Krieg militärisch durch Luftangriffe einzugreifen, ermögliche ihnen, ihren größten Erzfeind direkt zu bekämpfen.  Von großem moralischem Auftrieb ist die Rede und davon, dass nun Jihadis aus der ganzen Welt zu ihnen in den Irak eilen würden.
Tatsächlich konnten US-Attacken und militärische Hilfe für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer dem Kriegseifer des IS – bisher – nichts anhaben. Während die Kurden kleine Gebiete zurückeroberten, setzen die Jihadis nun ihren Vormarsch weiter im Südosten fort, offenbar mit dem Ziel, die Front zum autonomen Kurdistan zu erweitern und die nord-irakischen Ölquellen als finanzielle Basis für ihr Terror-„Kalifat“ unter Kontrolle zu bringen. Eine Entspannung an der humanitären Front zeichnet sich nicht ab, wiewohl – endlich - langsam internationale Hilfe einsetzt. Die Schätzungen der durch IS in den vergangenen Monaten Vertriebenen reichen schon bis zu einer Million. Das Gesicht des Iraks hat sich damit dauerhaft verändert, denn viele, vor allem Angehörige der Minderheiten, die den Schrecken durch Terror und qualvollem Tod entronnen sind, werden nicht mehr zurückkehren.
Erstmals in seiner 82-jährigen Geschichte ist die territoriale Integrität des irakischen Staates ernsthaft bedroht. Doch weit dramatischer, weit gefährlicher für seine Bewohner, die Region und darüber hinaus für den gesamten Westen ist die Kontrolle eines großen ölreichen Territoriums, die barbarischen Terroristen unbegrenzten Handlungsspielraum bescheren könnte. Der Alptraum erscheint real. Und dennoch lassen sich vielleicht gravierende Schwächen des IS erkennen. In Irak und Syrien kämpfen die IS-Terroristen gegen eine wachsende Schar von Feinden: die Streitkräfte des syrischen Präsidenten Assad, Einheiten der syrischen Kurden, ihre syrischen Jihadi-Rivalen der „Nusra-Front“ , die libanesische Hisbollah, iranische Revolutionsgarden; im Irak die Peschmerga, denen kurdische Brüder aus dem Iran, Syrien und der türkisch-kurdischen Guerillaorganisation PKK zu Hilfe kamen, versprengte Einheiten der demoralisierten irakischen Streitkräfte und zahlreiche hochmotivierte, teilweise vom Iran unterstützte schiitische Milizen halten sich für die militärische Konfrontation um Bagdad und weiter südlich bereit. Die bisherigen Geländegewinne gelangen IS in mehrheitlich von arabischen Sunniten bewohnten Gebieten, in denen sie sich auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung stützen konnten. Fehlt diese, erscheint ein Vormarsch fraglicher.
Vor allem aber kommandiert IS-Chef Al-Baghdadi eine Vielzahl von arabisch-sunnitischen Gruppierungen – neben IS u.a. „Ansar al-Islam“, den 80 sunnitische Stämme vertretenden „Militärrat der Stämme des Iraks“, die „Armee der Männer des Nakschbandi-Ordens“ (ehemalige Offiziere und hohe Beamte des gestürzten Baath-Regimes) – die nur der Sturz des mit dem Iran verbündeten Regimes unter  dem noch amtierenden Maliki eint. Schon aber beginnen gravierende ideologische und politische Meinungsunterschiede, bis zum Hass gegeneinander, aufzubrechen. Zudem zeigen sich erste Anzeichen, dass arabisch-sunnitische Stämme, schockiert über den IS-Terror, der auch ihren Angehörigen in dem von IS kontrollierten Gebieten zum Verhängnis wird, sich dem Kampf der Peschmerga gegen IS und zur Verteidigung ihres Heimatlandes anschließen wollen.  Und der arabisch-sunnitische Gouverneur der vor Monaten von IS eroberten westirakischen Provinz Anbar appellierte an die USA um Unterstützung für den Kampf gegen IS, da die lokale Bevölkerung dazu nicht mehr ausreichende Kraft besäße.  Gelingt dem designierten schiitischen Premier Abadi nun ein Neuanfang in Bagdad, indem er durch ein radikales politisches Reformkonzept die gravierenden Fehler seines Vorgängers Maliki korrigiert, Sunniten und Kurden voll in den politischen Prozess eingliedert, dann – so die Hoffnung vieler, insbesondere der USA – könnte IS den Rückhalt in der sunnitischen Bevölkerung verlieren und damit, wie ihr mit dem Al-Kaida Terrornetzwerk verbündete Vorgänger 2007, besiegt werden.
Doch dieser Plan erscheint all zu optimistisch. Zunächst könnte der sich immer noch an die Macht klammernde Maliki, Abadis Bemühungen um eine Regierung der nationalen Einheit durch Taktik oder gar – wie er androhte – Gewalt zunichte machen. Ist diese Gefahr gebannt, bedürfte es eines langwierigen Prozesses, um das insbesondere in den acht Regierungsjahren Malikis geschaffene tiefe Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen so weit abzubauen, dass deren Vertreter zu politischer Kooperation bereit sind. Die Last einer ungewöhnlich blutigen Vergangenheit trennt die Menschen des Iraks , die die Kolonialmacht einst zum Zusammenleben gezwungen hatte. Zuletzt haben auch die Amerikaner und die nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein demokratisch gewählten irakischen Führer die wichtigste Voraussetzung für eine friedliche Zukunft ignoriert:  einen Prozess der nationalen Versöhnung. Und dazu erscheint es nun bereits zu spät.

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