Sonntag, 9. Februar 2014

LEXIKON: Homs – die „Hauptstadt der Revolution“

Keine der großen Städte Syriens bekam in den drei Jahren des Krieges zwischen Diktator Assad und seinen Gegnern die Wut des zunehmend in die Enge getriebenen Regimes schmerzlicher zu spüren als Homs. Noch lassen sich die menschlichen Tragödien, lässt sich die Zahl der Todesopfer, der physisch und seelisch Verwundeten, der Verhungerten kaum erahnen  Erschütternde Bilder ausgemergelter Gestalten, offenbar an Hunger Gestorbener finden den Weg ins Internet.  Wie viele Menschen aus der Hölle dieser seit etwa zwei Jahren von Regierungstruppen belagerten Stadt flüchteten, wie viele ihre Heime verloren und in den Trümmern zerbombter Häuser Unterschlupf fanden, weiß vorerst niemand. Homs ist nur eine der Stätten erbarmungsloser Grausamkeit in diesem Krieg, in dem die Brutalität keine Grenzen kennt. Doch Homs steht nun im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit. Ein erster kleiner Schritt – Waffenstillstand, der humanitäre Hilfe für 2.500 Eingeschlossene ermöglichen soll – könnte, wenn erfolgreich, den Weg zu weiteren – zunächst winzigen, doch vielleicht zunehmend größeren Schritten der Verständigung zwischen den Todfeinden ebnen.
Unabhängig von dieser symbolischen Bedeutung, spielt Homs eine zentrale Rolle in diesem Krieg um Syriens Schicksal.
Schon die geografische Lage inmitten einer fruchtbaren Region am Orontes-Fluss, dem natürlichen Tor von der syrischen Mittelmeerküste in das Landesinnere, hat Homs von alters her zu einem wichtigen Handelszentrum gemacht. Schon im dritten Jahrtausend v.Chr. wurde der Zitadellenhügel  besiedelt. Später entstand dort eine Stadt mit dem Namen Emsa, die in der frühen römischen Kaiserzeit dank ihrer Lage an der Karawanenstraße zum Persischen Golf und weiter nach Indien und China einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung erfuhr. Unter byzantinischer Herrschaft  wurde die Stadt zu einem Zentrum der Christenheit und bis zu Beginn der Rebellion gegen das Assad-Regime lebten in Homs mehr als hunderttausend Christen, überwiegend in dem seit mehr als 600 Tagen belagerten historischen Stadtkern.
Mit einer Bevölkerung von geschätzten 1,5 Millionen war Homs bis zu Kriegsbeginn die drittgrößte Stadt Syriens, mehrheitlich von Sunniten bewohnt. In südöstlichen Stadtvierteln leben jedoch auch geschätzte 370.000 Alewiten, Angehörige der Minderheit, die mehr als drei Jahrzehnte unter Führung des Assad-Clans das Land beherrschte. Wiewohl eine Hochburg der sunnitischen Moslembruderschaft, die 1982 einen mit ungeheurer Brutalität niedergeschlagenen Aufstand gegen das Assad-Regime in Hama gewagt hatte,  herrschte bis 2011 in Homs weitgehende Harmonie zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Stadt entwickelte sich zu einem wichtigen Industriezentrum des Landes. Es ist aber insbesondere die strategische Lage an den Hauptverbindungsstraßen von Damaskus zur syrischen und irakischen Grenze, zur größten Stadt des Landes, Aleppo und zum Mittelmeer, die die volle Kontrolle von Homs für jene unverzichtbar macht, die Syrien beherrschen wollen. Zudem ist die Region um Homs auch Sitz der wichtigsten Militärinstitutionen des Staates.
Dass unter der ruhigen Oberfläche der Stadt in der sunnitischen Bevölkerung der Zorn auf das Regime brodelte, zeigte sich bald nach den Protesten in der südwestlichen Stadt Deraa, die Mitte März die Revolution gegen Assad auslösten. Innerhalb von wenigen Wochen erhoben sich in Homs Tausende Menschen . Wiederholte Demonstrationen wurden brutal von Sicherheitskräften niedergeschlagen, Dutzende Tote bezahlten ihren Zorn mit dem Leben.  Doch Assads Gegner in der Stadt ließen sich nicht einschüchtern. Für die syrische Opposition wurde Homs mit seiner mutigen Bevölkerung zum Symbol, zur „Hauptstadt der Revolution. Rebellengruppen eroberten einen Großteil der Stadt und dem Regime gelang es erst 2013, dank Unterstützung der libanesischen Hisbollah, Stadtviertel um Stadtviertel, wie auch die strategisch wichtigen Vororte zurück zu erobern. Nur die Altstadt bleibt von Tausenden Rebellen kontrolliert, deren Widerstandskraft Assad durch hemmungslose Bombardements und eine Aushungerungskampagne zu brechen hofft. Aktivisten berichten von gravierender Unterernährung, verzweifelten Menschen, die sich mit Gras, Pflanzen oder Oliven vor dem Hungertod zu retten suchen. Teile der Stadt gleichen einer Trümmerwüste.
Die Harmonie zwischen den Bevölkerungsgruppen ist längst geschwunden. Christen werden, wie in anderen Teilen Syriens, Ziel islamistischer Rebellen.  Wenn Regierungssoldaten Positionen der Opposition in der Stadt angriffen, attackierten Rebellen die alawitischen Stadtviertel. Wiewohl die Alawiten der Stadt bis 2011 zu jenem Teil der Minderheit zählten, die vom Regime nicht privilegiert wurde und ihm deshalb auch geringe Sympathie entgegenbrachte, wurden sie nach Ausbruch der Rebellion von den Sunniten pauschal als Feinde angesehen, die zudem nicht zu den ursprünglichen Einwohnern von Homs zählten, weil sie erst nach der Machtübernahme von Hafez el Assad in den 1960er Jahren aus nahegelegenen Dörfern in die Stadt gezogen waren. Doch wachsende Überlebensängste lassen der  Minderheit nun keine Wahl als sich voll hinter das Assad-Regime zu stellen, um dessen Sieg in Homs zu sichern.
 

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