Sonntag, 9. Februar 2014

Das lange Martyrium von Homs

Warum das Schicksal der drittgrößten syrischen Stadt eng mit der Zukunft des Regimes und damit des gesamten Landes verknüpft ist
 
von Birgit Cerha
 
Hagere, total erschöpfte Gestalten, nicht mehr als 40, verließen Sonntag im Schutz von UNO und dem „Syrischen Roten Halbmond“ die Altstadt der zentralsyrischen Stadt Homs. Beobachter stellten deutliche Zeichen der Unterernährung der insgesamt 123 Frauen, Kinder und älteren Menschen fest, die nach mehr als 600 Tagen der Belagerung durch die Streitkräfte des Assad-Regimes aus der Hölle der Altstadt herausgeführt werden konnten.  Doch, wie bereits Samstag, gerieten auch Sonntag UN-Hilfkonvois, die den weiterhin Eingeschlossenen dringend benötigte Lebensmittel, Wasser und Medikamente brachten, unter schweren Beschuss. Das Assad-Regime und die Rebellen beschuldigen einander gegenseitig für diesen Bruch des erst vor zwei Wochen in der Schweiz getroffenen Abkommens über einen dreitägigen Waffenstillstand , der diese humanitäre Hilfe  - die erste seit Mai 2012 – ermöglichen sollte.
Die Umsetzung dieses Abkommens ist wichtigste Voraussetzung für die zweite Runde der Genfer Friedensgespräche, die Montag beginnt. Scheitert die Hilfsaktion, schwinden wohl auch die letzten kleinen Hoffnungsschimmer, dass die internationalen Vermittlungsbemühungen durch winzige und dennoch schwer errungene Verständigung auf humanitärem Sektor die Kriegsgegner allmählich für einen substantiellen Dialog zur Beendigung des dreijährigen Krieges gewinnen können. Wichtigster nächster Schritt, auf den sich die Gegner nun einigen müssten, ist das Schicksal der in der Altstadt von Homs zurückgebliebenen Zivilbevölkerung, an die 2.500 Menschen, von denen laut Aktivisten zahlreiche dem Hungertode nahe stünden, viele ernährten sich nur noch von Oliven und Gräsern.
Beide Seiten, Präsident Assad und seine Gegner, hegen größtes Interesse an der Kontrolle über die Altstadt, die seit mehr als zwei Jahren von Tausenden miteinander rivalisierenden Rebellen beherrscht wird. Denn das Schicksal von Homs ist entscheidend mit der Zukunft des Regimes und damit des gesamten Landes verknüpft.  Und starke Kräfte auf beiden Seiten haben kein strategisches Interesse an einem reibungslosen Erfolg dieser ersten in direkten Verhandlungen beschlossenen humanitären Aktion. Das Regime hat bisher alle in der Altstadt Eingeschlossenen als „Terroristen“ qualifiziert und damit gnadenlose Bombardements gerechtfertigt. Mit der Zustimmung zur Evakuierung des Stadtzentrums hat Assad indirekt eingestanden, dass dort zahlreiche unschuldige Zivilisten Ziel seiner militärischen Attacken und Aushungerungskampagne sind.  Zugleich fürchtet das Regime, dass von der UNO gelieferte Nahrungsmittel  in die Hände der Rebellen gelangen und deren Widerstand stärken. Die Opposition hingegen befürchtet, Assad habe der Evakuierung von Zivilisten nur zugestimmt um anschließend einen gnadenlosen Vernichtungsfeldzug gegen die Altstadt zu führen.
Homs war vor Ausbruch des Krieges mit 1,5 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Syriens, das wichtigste industrielle Zentrum, eine Metropole von enormer strategischer Bedeutung. Denn sie liegt an den wichtigsten Verbindungsstraßen zwischen Damaskus und den Grenzen zum Libanon und dem Irak, der größten, derzeit heißumkämpften Stadt Aleppo und der Mittelmeerküste. Zudem ist die Region um Homs auch Sitz der wichtigsten militärischen Institutionen des Regimes. Wer Homs verliert, riskiert die endgültige Niederlage in diesem Krieg.
Seit Jahrzehnten ist das von einer sunnitischen Mehrheit bewohnte Homs eine Hochburg der Opposition gegen die Assad-Regime. So schloss sich die Stadt auch als erste kurz nach Ausbruch der Rebellion Mitte März 2011 in der südwestlichen Stadt Deraa der Kampagne gegen den Diktator in Damaskus an. Wiederholte Phase heftigster Kämpfe und Bombardierungen durch das Regime folgten, bis diverse Rebellengruppen einen großen Teil der Stadt und ihrer Vororte unter ihre Kontrolle brachten. Das Blatt aber wendete sich entscheidend, als im Juni 2013 die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah Assad zu Hilfe eilte und Qusair, die strategisch wichtige, heißumkämpfte Grenzstadt zum Libanon, für das Regime rettete. Daraufhin begannen Assads Streitkräfte mit einer massiven Bombenkampagne gegen Homs und dessen Vororte. Bis zum Januar 2014 hatten Assads Streitkräfte die Umgebung von Homs und alle Stadtviertel mit Ausnahme des alten Zentrums wieder erobert. Tausende Menschen verloren ihr Leben, Hunderttausende flüchteten aus einer teilweise total zerstörten Stadt.  Von ihren Positionen in der Altstadt aus aber können die Rebellen weiterhin Regierungstruppen attackieren.  „Wenn das Regime (aber) Homs zur Gänze wieder unter seine Kontrolle zwingen kann“, analysiert Paul Salem vom angesehenen „Carnegie Endowment“, sei „seine Position für unabsehbare Zeit gesichert“.

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