Mittwoch, 11. Dezember 2013

Saudi-Arabien schickt Millionen Gastarbeiter heim

Schwere Misshandlungen und humanitäre Tragödien in der größten Deportationswelle der jüngsten Zeit
 
von Birgit Cerha
 
Eine Kolonne von Bussen erreicht, von der saudischen Hauptstadt Riad kommend, die Grenze zum Jemen, an Bord Hunderte jemenitische Arbeiter, deren sich das glitzernde Ölreich entledigen will. Es sind die jüngsten der inzwischen auf mehr als 100.000 Menschen angeschwollenen Migranten, die das königliche Regime in Riad aus seinem Land verbannt. Viele der Verjagten sind total erschöpft, völlig dehydriert und  „in schlechter gesundheitlicher Verfassung“, klagt ein Vertreter der „International Organisation for Migration“ (IOM), die sich der ver Heimkehrer annimmt. Manche zeigten Spuren schwerer Schläge und brutaler Misshandlungen, die sie in Deternierungslagern erlitten.  Auch zahlreiche Tote gibt es zu beklagen. Zeugen erzählen wie saudische Arbeitgeber, Polizisten oder zivile Schlägertrupps die fremden Arbeiter brutal quälten.
Im Frühjahr hatte das saudische Regime seinen mehr als acht Millionen Gastarbeitern eine siebenmonatige Frist gesetzt, ihren Aufenthalt im Königreich soweit nötig zu legalisieren und strikte Maßnahmen all jenen angedroht, die sich weiterhin illegal im Land aufhielten. Die Frist war am 3. November abgelaufen. Trotz der Vorwarnungen löste die exzessive Brutalität, mit der Sicherheitskräfte die Deportationen begannen, einen Schock aus. Inder, Bangladeschi, Jemeniten, Äthiopier und andere Afrikaner sowie Südostasiaten werden heimgeschickt, Zehntausende in 64 eigens zu diesem Zweck eingerichtete Lager gezerrt. „Sie behandeln uns wie  Tiere“, klagt eine junge Frau. Die größte Deportationswelle der Region der jüngeren Geschichte hat begonnen.
Das Königshaus verteidigt das Vorgehen mit der Notwendigkeit, im Zuge einer radikalen Reform seiner alten Arbeitsgesetze der weitverbreiteten Schwarzarbeit ein Ende zu setzen.
Es war zu Beginn des Ölbooms in den 1970er Jahren, dass Saudi-Arabien, wie auch andere Ölstaaten am Persischen Golf Arbeiter, Gastarbeiter vor allem aus den ärmsten Ländern der Welt holten. Sie ermöglichten den Bürgern ein Leben in luxuriöser Bequemlichkeit, indem sie die niedrigsten, die schmutzigsten, die gefährlichsten Arbeiten und Dienstleistungen verrichteten und dies vielfach gegen niedrigen Lohn und unter härtesten Bedingungen. Viele wurden mit noch schlechterer Bezahlung illegal beschäftigt. Die plötzliche zwangsweise Abreise Zehntausender Arbeiter brachte Bauarbeiten zum Stillstand. Leichen werden nicht gewaschen, einige Schulen mußten schließen, weil die Hauswarte verschwanden  und niemand die Gebäude säubert. In Jeddah lief eine Kläaranlage  über, weil das gesamte Personal die Flucht vor einer angedrohten Polizeirazzia ergriffen hatte. Anderswo türmt sich in den Straßen der Müll und Mütter aus der saudischen Mittelschicht beklagen den plötzlichen Verlust ihrer Kindermädchen und Chauffeure.
Die Behörden aber sind entschlossen, die Kampagne fortzusetzen und  bis zu zwei Millionen Gastarbeiter zu deportieren. Politische Analysten sehen diese Maßnahme als Reaktion auf die Turbulenzen des „Arabischen Frühlings“, dessen teils gravierende Folgen das Königreich bisher weitgehend abwehren konnte. Doch auch in Saudi-Arabien gärt die Unzufriedenheit unter der jungen, überwiegend gebildeten Generation. Weit über 20 Prozent der unter 30-Jährigen findet keine Arbeit, während Gastarbeiter etwa die Hälfte der arbeitsfähige Bevölkerung stellen.  Doch die Deportation treffen Arbeitskräfte aus dem Dienstleistungssektor und ungebildete Schwerarbeiter, sowie Kinder und Hausmädchen, alles Beschäftigungen die die im Luxus herangewachsenen Söhne kaum zu verrichten bereit sein werden.
„Wir werden zwei Jahrzehnte brauchen, um wieder den Stand der 1970er Jahre zu erreichen“, prophezeit Turki al-Hamad, Publizist in der ost-saudischen Ölstadt Dammam, wo Saudis einst auf den Aramco-Ölfeldern gearbeitet hatten. „Unsere Wirtschaft hat sich entwickelt, doch sozial geht es uns viel schlechter.“ Für die Hunderttausenden Arbeiter, die sozialem Elend in einigen der ärmsten Länder der Welt zu entkommen suchten, bedeuten die Deportation eine Katastrophe. Sie kehren heim in bittere Armut und Aussichtslosigkeit für sich und ihre Familien. Allein im Oktober und November verlor etwa der Jemen fünf Millionen Dollar an Gastarbeiterüberweisungen, die Lebensbasis für Tausende Familien. Und Saudi-Arabien, eines der reichsten Länder der Welt, hofft, durch die Vertreibungen die jährlichen Gastarbeiter-Überweisungen um ein Viertel – d.h. sieben Mrd. Dollar – zu reduzieren.

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