Mittwoch, 11. Dezember 2013

LEXIKON: Gastarbeiter in Saudi-Arabien

„Als ob ich kein menschliches Wesen wäre“-  Wurzeln und Auswirkungen der „modernen Sklaverei“ 
Verzweifelte Männer und Frauen suchen seit Jahrzehnten der Perspektivlosigkeit und bitteren Armut in ihrer Heimat Südostasien und Ostafrika zu entfliehen und sich in den Ölmonarchien am Persischen Golf eine Lebensexistenz für sich und ihre Familien daheim  zu  schaffen. Mit ihrer unermüdlichen Arbeit sichern sie den durch den Ölboom der 1970er Jahre mit unermesslichen Reichtum gesegneten Wüstensöhnen ein Leben in Bequemlichkeit und Müßiggang. Selbst die Mütter übertragen mit Vorliebe die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder Mädchen aus den Philippinen und Sri Lanka.
Fast neun Millionen ausländische Arbeitskräfte, etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung  und mehr als die Hälfte der erwerbsfähigen Saudis, leben heute in Saudi-Arabien, Hunderttausende davon illegal, den stolzen Einheimischen stets zu Diensten mit Jobs, die die Saudis meist selbst nicht übernehmen wollen.  Sie kommen aus Pakistan und Indien, Bangladesch, Sri Lanka, den Philippinen und dem Horn von Afrika, Äthiopien, Somalia, einigen arabischen Ländern, vor allem dem benachbarten, bitterarmen Jemen, mit dem Saudi-Arabien eine  1.800 km lange, teilweise völlig unkontrollierbare Grenze teilt. Viele von ihnen sind ungelernt. Der saudische Privatsektor engagiert heute aber auch Hunderttausende Fachkräfte aus dem Libanon, Syrien und Ägypten, sowie Europa. Nach jüngsten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wurden in den letzten vier Jahren von zwei Millionen neuen Jobs 1,5 Millionen an Nicht-Saudis vergeben. Gesamte Bereiche der Wirtschaft werden von Ausländern kontrolliert.
Internationale humanitäre Organisationen brandmarken seit langem die katastrophalen Bedingungen, denen Gastarbeiter aus den armen Ländern Südostasiens und Ostafrikas im Königreich, aber auch in anderen arabischen Ländern des Persischen Golfs ausgesetzt sind. In einem 133-seitigen Bericht unter dem Titel „Als ob ich kein menschliches Wesen wäre“ kritisiert „Human Rights Watch“ die „exzessive Arbeitslast“ der etwa 1,5 Millionen Hausgehilfinnen, die oft monate- bis jahrelang auf die Bezahlung ihrer Löhne warten müssen, oft sieben Tage in der Woche täglich 18 Stunden im Einsatz sind. Tatsächlich praktiziert das Königshaus eine moderne Form der Sklaverei. Der saudische Wissenschafter Ali al-Ahmed analysiert schonungslos, dass in seiner Heimat bis heute „eine Kultur der Sklaverei“ fortlebt. Offiziell wurde die Sklaverei im Königreich erst 1964 abgeschafft. Die Zahl der Sklaven wurde damals auf 30.000 geschätzt. Doch, so meint Ahmed, die barbarische Praktik , Menschen wie einen Besitz zu missbrauchen, existiere bis heute in der Form des international verurteilten „Kafala“-Systems, das ausländische Arbeitskräfte vollends an einen allmächtigen heimischen Sponsor bindet. Dieser nimmt dem Gastarbeiter den Pass ab, sichert ihm die Aufenthaltsgenehmigung, die nur an ihn gebunden ist und erhält damit totale Kontrolle über diesen Menschen. Nach diesem System konfiszieren Arbeitgeber nicht nur Pässe, Geld und Mobiltelefone von Neuankömmlingen .  Diese können nur mit dessen Zustimmung  ihre Arbeit wechseln oder vorzeitig heimreise, eine Genehmigung, die ihnen meist verweigert wird.  Insbesondere weibliche Angestellte sind damit sexueller Gewalt durch Arbeitgeber ausgesetzt, dem sie vollends ausgeliefert sind. Werden sie, was häufig vorkommt, vergewaltigt oder gar schwanger drohen ihnen – und nicht dem Arbeitgeber - meist noch Gefängnisstrafen durch die Behörden. Verzweiflung, Krankheiten und psychische Probleme bis zum Selbstmord sind oft die Folge. Wer unentdeckt flüchtet, kann aber ohne Pass und ohne gültiges Ausreisevisum das Land nicht verlassen.
Misshandlungen durch saudische Arbeitgeber haben oft auch rassistischen Charakter. Alle Migranten werden pauschal als „schwarz“ gebrandmarkt. Äthiopier etwa stehen am unteren Ende der Hierarchie, nicht nur weil sie aus Afrika kommen, sondern auch noch Christen sind.  Hinzu kommt ein extrem unfaires Justizsystem, das etwa Gastarbeiter, die es schaffen, ihren gewalttätigen Arbeitgebern zu entkommen kriminalisiert, Opfer willkürlicher Verhaftungen, unfairer Gerichtsverfahren und harter Gerichtsurteile werden, kritisiert Human Rights Watch. Laut Amnesty International warten derzeit 120 Menschen im Königreich  nach einem Todesurteil auf ihre Hinrichtung, die meisten sind Ausländer. Im Vorjahr wurden 79 Menschen, darunter fünf Frauen exekutiert. Eine von ihnen erhielt das Todesurteil wegen Zauberei und ohne Zugang zu einem Anwalt.
Die Anfang November begonnenen Massendeportationen illegal im Lande lebender Gastarbeiter haben immerhin eine – vorerst noch schwache – Diskussion in den saudischen Medien ausgelöst und so manche Stimmen beginnen sich zu erheben und die große Bedeutung der Gastarbeiter für  die Wirtschaft und die Bequemlichkeit der Bürger zu betonen und zugleich auf die Ungerechtigkeit im Migrationssystem hinzuweisen. Bis zu deren Abschaffung aber ist noch ein weiter Weg.

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