Sonntag, 27. Oktober 2013

„Frauenverschwörung à la Saudia“

Sanfte Proteste gegen das strikte Fahrverbot vermögen nicht nicht an einem der brutalsten patriarchalischen Systeme zu rütteln
 
von Birgit Cerha
 
Auch wenn nur 60 Frauen, vielleicht sogar weniger, Samstag  dem Aufruf saudischer Aktivistinnen gefolgt waren und sich hinter das Lenkrad ihres Autos gesetzt hatten, die Initiatoren dieses dritten Protestes seiner Art in der Geschichte Saudi-Arabiens, feiern solchen Mut als beträchtlichen Erfolg. Immerhin hatten die Behörden des puritanischen Königsreiches und insbesondere die allmächtige Ulema (die hohe Geistlichkeit) in den vergangenen Tagen eine massive Einschüchterungskampagne betrieben, um einen starken öffentlichen Protest gegen die Verletzung des Grundrechts auf Mobilität zu verhindern.  Mit Strafen wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“, Verhaftungen und Gefängnis hatten sie gedroht, Telefonterror betrieben und selbst einige erzkonservative saudische Männer hatten physische Attacken auf Frauen angekündigt, die sich demonstrativ diesem in der Welt einzigartigen Verbot des Autofahrens widersetzen würden. Mehr als hundert Geistliche protestierten vor dem Königspalast in Riad gegen diese „Verschwörung“ der Frauen, die mit ihrer Aktion „das Land gefährden“.
Irritiert durch die harsche Reaktion von Behörden und Ultras im Königreich hatten die Initiatorinnen  den Aktionstag abgesagt und den Beginn einer unbefristeten Kampagne verkündet. Unterdessen wurden  mindestens 14  Frauen in Riad und anderen Landesteilen festgenommen. Einige Aktionistinnen hatten sich bei ihren Autofahrten filmen lassen und stellten die Clips auf YouTube.
Die  Gruppe „Women2Drive“ feiert ihre Aktion dennoch als Erfolg. Immerhin hat sie im Vergleich zu ihrem ersten Protest 1990 Veränderungen, allerdings minimalste, erzielt, die sie als „Fortschritte“ feiert.  Vor 23 Jahren hatten sich nur etwa 50 Frauen dem Fahrverbot widersetzt, die meisten von ihnen waren verhaftet worden. An dem zweiten Protest beteiligten sich 2011  lediglich 40 Frauen, zwei wurden festgenommen und eine von ihnen zu zehn Peitschenhieben verurteilt. König Abullah hob die Strafe jedoch auf. Alle Teilnehmerinnen wurden zur Unterschrift unter ein Garantieversprechen gezwungen, nie wieder ein Auto zu steuern. Eine der Organisatorinnen verlor ihre Arbeit in einem öffentlichen Amt mit der Begründung: „Es besteht die Sorge, dass sie die Gedanken der Frauen vergiftet.“
Diesmal fühlen sich die Frauen ermutigt durch eine – wie sie behaupten – wachsende Zahl von Männern, die mit ihrem Anliegen sympathisieren. Ja selbst der Chef der gefürchteten „Religionspolizei“ hätte nach Aussagen der Aktivistinnen eingestanden, dass das „islamische Recht“ den Frauen das Autolenken nicht verbiete. Nicht nur konnte „Women2Drive“ über die sozialen Netzwerke 17.000 Unterschriften für eine Petition zu r Aufhebung des Fahrverbots sammeln, zum erstenmal haben die Aktivistinnen auch Verbündete in der Regierung. Zwei der dieses Jahr vom König  ernannten weiblichen Mitglieder des bisher ausschließlich von Männern besetzten, politisch allerdings zahmen „Shura-Rates“ unterstützten offen die Aktion.
Doch die mächtige Geistlichkeit und Teile des erzkonservativen Hauses Saud wollen von solcher, wie von jeglicher „Liberalisierung“ absolut nichts wissen.  Sie weisen auf ein auch in einer Fetwa (islamisches Rechtsgutachten) verankertes Gebot, das Frauen vorschreibt, nie ohne Begleitung eines männlichen Verwandten das Haus zu verlassen. So argumentieren Islamgelehrte u.a. autofahrende Frauen würden „die Familie und die gesamten Gesellschaft zerstören“. Der 89-jährige König  zeigt zwar ein wenig Sympathie für diese Wünsche der Frauen und hat bereits  einige vorsichtige Liberalisierungen durchgesetzt (Einzug von Frauen in den Shura-Rat, das Recht in Lokalwahlen zu wählen und zu kandidieren), doch das strikte patriarchalische Vormundsystem bleibt unberührt. Und der designierte Nachfolger des greisen Königs ist weit reaktionärer als Abdullah.
Dieerzkonservativen Kräfte im Königreich befürchten, eine Aufhebung des absurden Fahrverbotes würde  eine Welle von Liberalisierungen vom Zaum brechen, die den islamischen Charakter des Landes radikal verändern könnte. Die Aktivistinnen haben diese Ängste berücksichtigt, betonen ihre Loyalität zum König und ihre Entschlossenheit, hier nicht eine Revolution auszulösen. Dazu fehlt ihnen tatsächlich die Kraft, zumal eine starke Elite im Königreich mit zunehmender Entschlossenheit autoritäres islamisches Gedankengut nicht nur im eigenen Land, sondern mehr und mehr in der gesamten Region den Menschen aufzuzwingen sucht.

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