Freitag, 4. Januar 2013

„Kein Frühling ohne Blumen“

Um die Früchte ihres Freiheitskampfes betrogen, beginnen Frauen der arabischen Welt den „zweiten Frühling“
von Birgit Cerha
Sie standen an vorderster Front der friedlichen Proteste gegen die Diktatoren, auf dem Kairoer Tahrir-Platz ebenso, wie in der Habib Bourghiba Avenue in Tunis, dem Märtyrer-Platz in Tripolis und dem Platz der Veränderung in Sanaa. An der Seite der Männer kämpften die Frauen arabischer Länder viele Monate lang entschlossen und mutig für einen demokratischen Neuanfang. Die angesehene  libanesische Zeitung „An Nahar“ kürte 2012 zum „Jahr der arabischen Frau“.
Zwei Jahre, nachdem der Sturz des ersten arabischen Despoten, Bourghiba in Tunesien, eine Kettenreaktion ausgelöst hatte, sehen sich die Araberinnen aber mit der bitteren Realität konfrontiert, dass der Fall der Tyrannen für sie noch lange nicht das Tor zu Freiheit und Gleichberechtigung geöffnet hat. In Tunesien, in Ägypten, in Libyen und im Jemen ringen heute  bitter enttäuschte Bürgerinnen gegen tiefverwurzelte erzkonservative Kulturnormen und das Bestreben der neuen, islamistisch geprägten Machthaber, sie auch noch der wenigen Rechte zu berauben, die deren autokratische Vorgänger ihnen gewährt hatten. Zugleich aber wagen es Frauen in den vom „arabischen Frühling“ bisher unberührten Ländern, dennoch den Versuch, von der Demokratiebewegung zu profitieren, um ihren sozialen und rechtlichen Status zu verbessern.
Die Revolutionärinnen, die sich in unerschütterlichem Engagement über die sozialen Netzwerke für Würde und Freiheit ihrer Mitbürger eingesetzt hatten, sehen sich nach dem Sturz der Despoten politisch an den Rand gedrängt, mit einem Schlag gewann die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter wieder sekundäre Bedeutung und insbesondere in Ägypten verschlechterte sie sich unter Führung des islamistischen Präsidenten Mursi gar noch. Dort garantiert die neue Verfassung ausdrücklich keine Gleichberechtigung der Geschlechter, während auch  in dem ebenfalls von Islamisten regierten Tunesien die seit den 1950er Jahren verfassungsrechtlich gesicherte Gleichberechtigung in ernster Gefahr ist. Auch in Libyen und im Jemen bleiben die Tore zur politischen Arena den Frauen weitgehend verschlossen. Insbesondere in Ägypten, wo erstmals in der Geschichte die „First Lady“ nur mit einem islamischem Kopfschleier auftritt,  aber auch in anderen Ländern des arabischen Frühlings, sind keineswegs nur Aktivistinnen, sondern Frauen insgesamt in alarmierendem Maße willkürlicher Gewalt durch Männer ausgesetzt, während die staatlichen Behörden meist tatenlos zusehen. Im Jemen mehren sich Berichte von Todesdrohungen gegen Frauen, die sich politisch engagieren.
Doch die Araberinnen geben nicht auf. Dalia Ziada, von „Newsweek“ zweimal als eine der einflussreichsten und furchtlosesten Frauen der Welt bezeichnet, setzt in Ägypten entschlossen den Kampf für Bürgerrechte, religiöse Freiheiten und Toleranz fort. Sie will neue Gesetze zur Stärkung der Rechte, zur Förderung der ökonomischen Unabhängigkeit ihrer Geschlechtsgenossinnen durchsetzen, doch noch wichtiger ist es ihrer Ansicht nach, die Denkmuster von Männern, aber auch von Frauen auf der Basis zu verändern. Sonst, so meint die 26-jährige Aktivistin, werde der „Arabische Frühling“ sein Potential nicht erreichen. Denn, so fügt sie unter Bezug auf die Rechte der Frauen hinzu, „es gibt keinen Frühling ohne Blumen“.
In Libyen hat die 22-jährige Ärztin Alaa Murabit auf der Basis einer umfangreichen Befragung von Frauen im ganzen Land in einer „Libysche Frauencharta“ die  spezielle Bedürfnisse und Forderungen  von Libyerinnen aufgelistet, die in einer neuen Verfassung Niederschlag finden sollen. Frustriert über die physischen Misshandlungen  von protestierenden Frauen durch Regimeanhänger, ebenso wie durch Revolutionäre in verschiedenen Teilen der arabischen Welt, haben zwei junge Libanesinnen, gemeinsam mit einer Ägypterin und einer Palästinenserin das Facebook „Uprising of Women in the Arab World“ gegründet und in kürzester Zeit Tausende User angezogen. Di8e Hälfte der arabischen Gesellschaft schreit zur anderen Hälfte: „Ich bin genauso gut wie du“, und immer mehr Frauen schließen sich dieser virtuellen Kampagne an, um ihre Ängste darzulegen und, bestärkt durch den Erfolg der sozialen Netzwerke im Kampf gegen Diktatoren, in einem „zweiten Frühling“ die Befreiung von jahrhundertealten patriarchalen Zwängen einzuleiten.

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