Dienstag, 19. Juni 2012

Saudi-Arabiens Nachfolge-Dilemma

Inmitten einer turbulenten Region, muss das Ölreich endlich einen Ausweg aus der lähmenden Gerontokratie suchen

von Birgit Cerha

[Bild: Fünf Söhne vn Abdul Aziz haben bisher den saudischen Thron bestiegen]

Die Fotos gebeugter, kränklicher Prinzen, geführt von dem auf einen Gehstock gestützten, von hohem Alter gezeichneten König, der nun zum zweiten Mal in nur neun Monaten einen Nachfolger für seinen verstorbenen Kronprinzen bestellen musste, erinnere viele Saudis „an die letzten Jahre der Sowjetunion“, bemerkt die prominente saudische Anthropologin und politische Analystin Mai Yamani. Damals, in den 90er Jahren, war ein kränklicher Führer rasch auf den nächsten gefolgt, für eine kurze, inaktive Amtsperiode. Viele Saudis glauben in ihrem Land nun dasselbe Muster fortdauernder Ungewissheit und Erstarrung zu erkennen.“ Dies erscheint vielen umso beunruhigender, als die Flammen der Revolution und des Aufruhr große Teile der Region erfasst haben. Der 86-jährige König Abdullah reagierte rasch auf den – zumindest für die Öffentlichkeit – unerwarteten Tod des Kronprinzen Nayef, der Sonntag in Riad begraben wurde. Nayefs jüngerer Bruder, Prinz Salman, Verteidigungsminister und ein Halbbruder des Königs, wird in den nächsten Tagen auf Vorschlag Abdullahs vom Thronrat zum designierten Nachfolger des Monarchen ernannt werden. Die Wahl überrascht nicht. Salman genießt einen Ruf als asketischer, kompetenter und hart arbeitender Staatsmann , der innerhalb der großen Familie der al-Sauds streng für Disziplin sorgt und ein Sondergefängnis für amok laufende Prinzen verwaltet. Im Gegensatz zum erzkonservativen Nayef, der, besessen von Ängsten vor iranischem Expansionismus nach informierten Kreisen einen „sunnitischen Frühling“ der Rebellion gegen die von Teheran gestützte irakischen Herrscher in Bagdad unterstützt hatte, gilt Salman als Gemäßigter in politischen und religiösen Fragen, der allerdings von der Unvereinbarkeit demokratischer Prinzipien mit der saudischen Kultur überzeugt ist. Er erwies sich im vergangenen halben Jahrzehnt als hervorragender Administrator, der die Verwandlung der verschlafenen 200.000 Bewohner zählenden Kleinstadt Riad in eine moderne Metropole für 5,5 Millionen Menschen überwachte und als Gouverneur verwaltetea. Er hat auch sein eigenes Medienimperium mit der populären und in der gesamten arabischen Welt sehr einflußreichen Tagreszeitung „Asharq al-Awsat“ an der Spitze, aufgebaut.

Salman aber ist bereit 76 und, wie der König, bei schlechter Gesundheit. 2010 mußte er sich einer Wirbelsäulenoperation unterziehen und erlitt mindestens einen Schlaganfall.

Mit der Entscheidung für Salman, hat Abdullah die immer drängender werdende drängende Frage der Zukunft des Königshauses aufgeschoben. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, dass Salman den Thron besteigt, groß, doch wer ihm vielleicht schon bald danach nachfolgen könnte, bleibt ungeklärt.

Das 1932 von Abdul Aziz ibn Saud gegründete Königreich gleicht einem Familienunternehmen. Nachdem es Ibn Saud gelungen war , das riesige Gebiet der Arabischen Halbinsel zu erobern, ihm seinen Namen zu geben und seine Brüder und Vettern durch die Strategie des „Teile und Herrsche“ zu kontrollieren setzte er die Nachfolgeregel fest, nach der die Herrschaft direkt auf seine Söhne (einst an die 70) übergeht. Nach Ibn Sauds Tod schafften es seine Söhne, ungeachtet so mancher interner Konflikte, diese Regel strikt einzuhalten. Das ist nun aber bald nicht mehr möglich. Etwa ein Dutzend Söhne des Reichgründers sind heute noch am Leben, doch die meisten sind für das höchste Staatsamt ungeeignet, entweder krank, politisch völlig unerfahren oder bekannt durch ihre Missachtung islamischer Lebensregeln. Nur der nun zum Innenminister ernannte Bruder Salmans, Prinz Ahmed gilt als fähig für das höchste Staatsamt, ebenso wie der 67-jährige Sohn ibn Sauds, Geheimdienstchef Prinz Mukrin.

Doch Mukrin gilt für führende Prinzen als ungeeignet, weil seine Mutter Jemenitin ist, während der heute 71-jährige Prinz Ahmed wahrscheinlich, wenn er eines Tages an die Macht käme, die Gerontokratie fortsetzen würde. Damit ergibt sich die dringende Notwendigkeit, junge Vitalität in das Königshaus einzuschleusen. Doch der Sprung zur nächsten Generation ist nicht vielversprechend. Die meisten politisch erfahrenen Enkel Ibn Sauds nähern sich auch schon den 70ern oder sind krank oder politisch für die wahabitischen Geistlichen, die durch ihren Bund mit den Al-Sauds die Stabilität des Königreiches garantieren, inakzeptabel. Ein Übergang zu den Urenkeln wäre gefragt, doch er birgt die enorme Gefahr, das Ölreich in seinen Grundfesten erschütternder Machtkämpfe. Denn unter den heute etwa 7000 Prinzen, hegt eine beträchtliche Zahl zumindest mittelfristig Machtansprüche, all dies vor wachsenden Forderungen der Bevölkerung nach politischer Mitbestimmung und der vom Iran unterstützten schiitischen Minderheit nach einem Ende der Diskriminierung. Doch die Verantwortlichen des Königshauses stecken den Kopf in den Sand.

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