Freitag, 7. Oktober 2011

Tawakul Karman: Das Gewissen des Jemen

Die mutige Aktivistin versucht ihrer patriarchalischen Gesellschaft und der Welt zu beweisen, „dass die Frauen alles erreichen können“

von Birgit Cerha

An den Wänden ihres Büros in Sanaa, der Hauptstadt des seit acht Monaten von unermüdlichen Protesten gegen die Diktatur Ali Abdullah Salehs erschütterten Jemen, hängen Porträts von Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Tawakul Karman ist eine überzeugte Verfechterin des gewaltlosen Widerstandes selbst gegen die schußbereiten, schwerbewaffneten Sicherheitskräfte eines skrupellos seine Macht verteidigenden Despoten. „Wir lehnen Gewalt ab. Wir wissen, dass Gewalt unserem Land zahllose Probleme beschert hat.“
Die Nachricht, dass sie, gemeinsam mit zwei Frauenaktivistinnen aus Liberia, den Friedensnobelpreis 2011 erhält, erreichte die 32-jährige Jemenitin auf dem „Platz der Veränderung“ im Herzen von Sanaa, wo sie seit Monaten in einem Protest-Zelt ihre Bleibe aufgeschlagen hat, um mit unzähligen Gesinnungsgenossen den Abtritt Salehs durchzusetzen.
Schon lange ist Karman das „Gesicht“ des „arabischen Frühlings“ der Jemeniten und durch ihr unerschrockenes, kompromissloses Engagement für Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen hat sie begonnen auch im Westen das Image des Jemen zu verändern, dieses ärmsten aller arabischen Länder, durchsetzt vom gewalttätigen Fanatismus der Al-Kaida, dominiert von einer erzkonservativen Stammesgesellschaft, ein Land, das den Frauen wie fast kein anderes auf der Welt, gleiche Rechte verwehrt. Umso erstaunlicher, dass gerade dort eine Frau die friedliche Revolte gegen 30-jährige Despotie, gegen Korruption, Vetternwirtschaft, Repression, gravierende soziale Mißstände und die Hoffnungslosigkeit der Jugend inspirierte und in entscheidendem Maß führt.

Durch ihren unerschrockenen, konsequenten Einsatz für ihre Ziele hat Kerman mehr und mehr nicht nur Geschlechtsgenossinnen aus ihren Heimen zum Protest in die Straßen gezogen, sondern sich auch Anerkennung in der jemenitischen Männerwelt erworben. „Sie ist eine der tapfersten Personen in diesem Land“, rühmt sie der Anwalt und Demokratie-Aktivist Khaled al-Anesi. Gerade in einem Land wie dem Jemen sei es besonders schwer für eine Frau in den Straßen für Veränderung zu agitieren.

Tawakul wurde in der südjemenitischen Stadt Taiz in eine große Familie der oberen Mittelschichte geboren. Ihr Vater hatte Saleh als Minister für Rechtsangelegenheiten gedient, bis er sich nach dem Bürgerkrieg zwischen Nord- und Süd-Jemen 1994 der Opposition gegen den zunehmend autokratischen Herrscher anschloß. Tawakul studierte in Sanaa Psychologie, wurde Mitglied der größten Oppositionspartei, der islamistischen Islah und begann als Journalistin wortgewaltig ihre Ideen von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie zu verbreiten. Als Vorsitzende einer Organisation „Frauenjournalisten ohne Ketten“ verteidigt sie seit Jahren Menschenrechte, Meinungsfreiheit und das Recht auf Protest. Schon vor Beginn des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien im Dezember2010 erwies sie sich als schmerzender „Stachel im Fleisch“ des Präsidenten, indem sie sich mit einer Gruppe von Gesinnungsgenossen durch wöchentliche Sitzstreiks vor der Universität von Sanaa, oft lautstark, für die Freilassung von politischen Gefangenen, darunter häufig Journalisten, einsetzte.

Sie entschied sich nach eigenen Aussagen für den „revolutionären (gewaltlosen) Weg“, als sie Zeuge einer Vertreibung von 30 Familien aus ihrem Dorf und das Land dieser Menschen dem Präsidenten nahestehenden Stammesführern zugeschlagen wurde. Ihre Proteste und Forderungen an Saleh blieben stets unbeantwortet. „So wurde mir klar“, erzählte sie einmal, „dass das Regime fallen muß“.

Ihre Tätigkeit als Aktivismus empfand sie zunehmend unvereinbar mit der jemenitischen Tradition, die Frauen zum Tragen des Gesichtsschleiers zwingt. Sie legte ihn ab und verhüllt nun lediglich ihre Haare mit einem Tuch. Die Mutter von drei Kindern fühlt sich gestärkt durch die Unterstützung ihres Ehemanns, der oft bei Demonstrationen an ihrer Seite agiert. Das Regime versuchte zunächst, Karman durch Bestechung auf seine Seite zu ziehen. Vergeblich. Daraufhin wurde sie verhaftet, doch zwei Tagen wegen Protesten von 5000 Menschen wieder freigelassen. Den Gefängnisaufenthalt wertet Karman als Erfahrung, die es ihr ermöglicht, weibliche Mitgefangene mit ihren Ideen aufzuklären. Morddrohungen gegen sie und ihre Familie folgten, doch die Freiheitsaktivistin laßt von ihren Zielen – Demokratie, , Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Ende der Unterdrückung der Frauen – nicht ab, während der Präsident immer mehr auf Gewalt gegen seine Gegner und Kritiker setzt. „Wir werden beweisen“, sagte sie jüngst, „dass die Frauen alles erreichen können“.

Karman hat einer lebendigen Demokratiebewegung auf die Sprünge geholfen und nicht nur Jemens Frauen, vor allem der orientierung- und chancenlosen Jugend neue Hoffnung gegeben. Die höchste internationale Auszeichnung für Friedensengagement wird ihr und ihren Mitstreitern noch mehr Kraft geben um sich in einem noch lange nicht gewonnenen Kampf gegen die Übermacht der Depoten und Patriarchen erfolgreich zu schlagen.

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