Sonntag, 18. September 2011

Zersplittert, zerstritten und immer noch führungslos

Kann ein erneuter Einigungsanlauf die syrische Opposition zu einer glaubwürdigen Alternative aufbauen?

von Birgit Cerha

Tausende einfache Bürger trotzen Gewehrkugeln und Panzern in den Straßen syrischer Städte - seit sechs Monaten schon, todesmutig, unerschrocken und in immer größeren Zahlen. Solch eindrucksvoller Entschlossenheit im Ringen um Freiheit und Würde steht die Unfähigkeit oppositioneller Führer entgegen, sich als glaubwürdige und attraktive Alternative zu einer Diktatur zu präsentieren, die das Land seit fünf Jahrzehnten mit brutaler Gewalt als Geisel hält. Eben aber wagten 200 Gegner des Regimes Assad bei einem Treffen in einer privaten Farm außerhalb von Damaskus den jüngsten in einer Serie von Versuchen, eine gemeinsame Strategie zum Sturz des Diktators zu entwerfen. Donnerstag hatten Oppositionelle in Istanbul, wie bereits mehrmals zuvor, die Gründung einer geeinten Vertretung des Widerstandes gegen das Assad-Regime bekannt gegeben. Dem neuen „Syrischen Nationalrat“, der sich vor allem gegenüber dem Ausland als Repräsentant und Sprachrohr der syrischen Opposition präsentiert, gehören 140 Mitglieder, Technokraten, Intellektuelle, Aktivisten, an, die Hälfte in der Diapsora. Wie repräsentativ dieser jüngste Einigungsversuch ist, bleibt vorerst unklar.

Die Zersplitterung und Führungslosigkeit der syrischen Opposition erweist sich wohl als eine der größten Stärken des Regimes. Der Gegensatz zu Libyen, wo ein ähnlich repressiver Diktator 42 Jahre lang das Volk beherrscht hatte, ist krass. Während der syrische Widerstand ein halbes Jahr lang vergeblich um eine gemeinsame Repräsentanz rang, war es den libyschen Rebellen schon nach zwölf Tagen gelungen, einen Übergangsrat zu formieren, der sich als Alternative zu Muammar Gadafis Regime und als Ansprechspartner für das Ausland präsentierte.

In Syrien aber ist die Ausgangsposition für die Rebellen weit schwieriger. Im Gegensatz zu Libyen setzt sich die Bevölkerung aus einemreichen Mosaik unterschiedlicher religiöser und ethnischer Gruppen zusammen, insbesondere die sunnitische Bevölkerungsmehrheit seit Jahrzehnten butig unterdrückt von der alawitischen Minderheits-Herrschaft. Grausame Bürgerkriege im benachbarten Libanon und im Irak mit seiner ähnlichen Bevölkerungsstruktur haben den Syrern, insbesondere den Angehörige der Minderheiten, tiefe Ängste vor einem ähnlichen Schicksal eingejagt, sollte die Diktatur Assad zusammenbrechen.

Zudem hat es das Regime über die Jahrzehnte verstanden, auch nur den leisesten Dissens mit voller Härte zu vernichten. Oppositionelle Strukturen, die Basis für eine Zivilgesellschaft fehlen vollends. Führende Oppositionelle leben im Exil, darunter auch die Vertreter der möglicherweise stärksten politischen Gruppierung, der (sunnitischen) Moslembruderschaft, die Baschar el Assads Vater Hafez vor drei Jahrzehnten mit ungeheurer Brutalität zur Bedeutungslosigkeit im Land zerschlagen hatte. Demokraten, freiheitssuchende Intellektuelle innerhalb Syriens, wie Riad Seif, die für ihre Überzeugung über die Jahre enorme Opfer bringen mußten, wurden in den vergangenen Monaten durch junge Aktivisten der Revolution an den Rand gedrängt. Diese jungen, namenlosen Revolutionäre, in diversen Komitees zusammengeschlossen, mißtrauen der Exil-Opposition zutiefst. Sie wehren sich vehement dagegen, dass Syrer im Ausland, die nicht das tödliche Risiko der Revolution durchstehen müssen, sich zu Entscheidungsträgern für die Zukunft aufbauen.

In wochenlangen mühseligen Verhandlungen sei es gelungen, die volle Unterstützung maßgeblicher Oppositionskräfte innerhalb Syriens, wie auch diverser Exilgruppen – der den syrischen Arabern mißtrauenden Kurden ebenso, wie der mit syrischen Säkularisten in Konflikt stehenden Moslembrüder – für den nun in Istanbul gegründeten „Nationalrat“ zu gewinnen. Das zumindest behauptet der in Washington stationierte syrische Menschenrechts-Anwalt Yasser Tabbara, einer der Drahtzieher dieser Initiative. Er will den Nationalrat nicht als „Übergangsrat“, als „Regierung in Wartestellung“ verstanden wissen, sondern als „ersten Schritt, der uns zur Gründung einer Institution führt, die wahrhaft im Namen der in Syrien lebenden Menschen spricht“.

Als Hauptziel nennt Tabbara die Unterstützung der Revolution zum Sturz des Regimes und die Suche nach einem friedlichen Weg zu einem demokratischen und pluralistischen Syrien. Von ausländischer Intervention wollen diese Oppositionellen, ebenso wie wohl die Mehrheit der Aktivisten innerhalb Syriens absolut nichts wissen, auch nicht von einer Abkehr der Strategie der Gewaltlosigkeit, die unterdessen einige angesichts der anhaltenden Brutalitäten des Regimes zutiefst frustrierten Revolutionäre fordern. Den Syrern steht noch eine lange, blutige Kraftprobe bevor.

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