Sonntag, 26. Juni 2011

Syrien steht am Rande des Abgrunds

Rebellion verschärft dramatisch ökonomische und soziale Probleme – Können Sanktionen dem Regime den Todesstoß versetzen?

von Birgit Cerha

Der Terror der syrischen Sicherheitskräfte nimmt kein Ende. Während das Regime Truppen an den Grenzen zum Libanon und zur Türkei verstärkt, flüchteten in den vergangenen Tagen wieder Hunderte syrische Zivilisten aus ihren Dörfern verjagt, in Todesangst in die beiden Nachbarstaaten, nicht wenige durch Schüsse von Präsident Assads Elite-Einheiten verwundet. Und so manche erzählen lokalen Reportern Horrorgeschichten von sadistischen Verstümmelungen durch Soldaten, Serien-Vergewaltigungen an jungen Mädchen, brutalen Morden.In der Hoffnung, dem Grauen ein Ende zu setzen, hat der EU-Gipfel in der Vorwoche Sanktionen gegen die syrische Herrscher-Elite verschärft und auch auf einige führende, das Regime unterstützende Unternehmen ausgeweitet. Assads Achillesferse – die Wirtschaft – soll damit getroffen werden. Bricht die Wirtschaft zusammen, reißt sie das Regime mit oder zwingt es zumindest zu radikalen Reformen und einem Ende des Mordens. Dann – so die optimistische Kalkulation – könnte Syrien als Modell für westliche Reaktion auf Freiheitsforderungen der Bevölkerung in anderen Ländern dienen.

Doch ob solche Kalkulation aufgeht, ist höchst ungewiß.

Freilich, die mehr als dreimonatige Rebellion hat bereits tiefe Spuren hinterlassen. „Das gesamte Wirtschaftsleben ist zum Stillstand gekommen“, klagt ein syrischer Ökonom, der in dieser hochangespannten Atmosphäre lieber ungenannt bleiben will. Am schwersten betroffen ist der Tourismus, mit acht Mrd. Dollar im Jahr die lukrativste Devisenquelle des Landes, die 320.000 Menschen Arbeit und einer weiteren Million indirekt Einkommen sichert. Ausländische Besucher bleiben dem Land fast völlig fern und zahlreiche Hotels mußten bereits ihre Tore schließen. Geschäfte, die Privatwirtschaft insgesamt spüren die Krise immer schmerzlicher, sehen sich zu Entlassungen oder zumindest zu Lohnkürzungen gezwungen, während Produzenten mit wachsenden Sicherheitsproblemen kämpfen, um ihre Waren überhaupt ausliefern zu können.

Das Pfund ist um etwa 17 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen, während nach Schätzungen von Ökonomen bisher etwa acht Prozent der Bankreserven von verängstigten Syrern ins Ausland transferiert wurden. Die so dringend benötigten Auslandsinvestitionen bleiben fast vollständig aus.

In seiner jüngsten Rede warnte Assad offen vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Dabei hatte die Ökonomie des Landes schon vor Beginn der Massenproteste mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Seit 2005 eingeleitete Liberalisierungen trieben die Inflation auf 15 Prozent und mehr in die Höhe, während billige Produkte aus der Türkei und China die Märkte überschwemmten und Produzenten, insbesondere im traditionellen Textilbereich in den Bankrott zwangen. Hinzu kommen die Folgen einer seit Jahren anhaltenden Dürre, die zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion von 25 Prozent führte und etwa 1,5 Millionen Menschen in die Städte trieb, wo die meisten keine Arbeit fanden. Während Assad im Zuge seiner ökonomischen Liberalisierung staatliche Subventionen für Treibstoff und Nahrungsmittel kürzte, öffnete sich die Schere zwischen den superreichen Profiteuren des Regimes, allen voran dem Assad-Clan, und einem großen Teil der 21-Millionen-Bevölkerung immer weiter. Nach Schätzungen syrischer Ökonomen sind heute etwa 30 Prozent aller Familien auf Regierungsunterstützung angewiesen.

Die Proteste gegen das Regime und dessen gravierende Korruption und Vetternwirtschaft wurden ursprünglich primär von den wachsenden wirtschaftlichen Nöten gespeist, einer Arbeitslosigkeit unter der Jugend von etwa 30 Prozent. Assad reagierte wie seine Amtskollegen auf der Arabischen Halbinsel: Erhöhung der Gehälter öffentlich Bediensteter, Versprechen von neuen Arbeitsplätzen in dem bereits überbordenden öffentlichen Sektor, machte die Subventionskürzungen wieder rückgängig und erhöhte drastisch die Löhne der Sicherheitskräfte. Doch im Gegensatz zu den ölreichen Golfstaaten fehlen die Deviseneinkünfte des Staates, um diese enormen Ausgaben zu decken. Syrische und westliche Beobachter sind geteilter Meinung über die ökonomische Widerstandskraft des Landes. Während einige Experten meinen, die Wirtschaft könne diese gravierenden Verluste höchstens noch vier Monate überstehen, weisen andere auf Devisenreserven von 17 Mrd. Dollar hin, die dem Land eine Verschnaufpause schenken könnten.

In der Geschäftswelt von Damaskus und Aleppo, die wichtigste Stützte des Regimes, die Assad bisher die Stange gehalten hat, breiten sich Ungeduld und Zukunftsängste aus. Ohne Stabilität kein Geschäft. Schließt sich dieser Sektor der Bevölkerung den Protesten an, dann könnte das Schicksal des Regimes besiegelt sein. Und so manche meinen, sollte die Assad-Clique politisch die Rebellion überleben, der langfristige Schaden für die Wirtschaft würde ihr das Genick brechen.

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