Donnerstag, 23. Juni 2011

Mit dem Lenkrad in eine neue Ära

Können saudische Frauen die konservativste aller Monarchien endlich modernen Lebensformen öffnen?

von Birgit Cerha


„Das ist unser Moment, um Veränderungen einzuleiten“, gibt sich Eman al Nafjan, die bekannte saudische Bloggerin, fest entschlossen. Die Stürme des „arabischen Frühlings“ haben nun auch die konservativste aller Monarchien erreicht, wiewohl erst als schwache Lüftchen. Doch sie wecken Hoffnung auf einen Ausbruch aus dem starren System. Viele Frauen Saudi-Arabiens, viele unter ihnen hoch gebildet, hat der mutige Aktivismus ihrer Geschlechtsgenossinnen in Tunesien, in Ägypten, im Jemen, wo sie eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Diktatoren und für demokratische Rechte übernahmen, endlich angesteckt. Vorerst geht es nur um das demütigende, freiheitsberaubende Fahrverbot für Frauen, eine weltweit einzigartige Bestimmung, an der das Haus Saud in enger Allianz mit den mächtigen, erzkonservativen Geistlichen der Wahhabiten, einer puritanischen Richtung des Islams, seit Jahrzehnten hartnäckig festhält.
Am 17. Juni begannen mehrere Dutzend (genaue Zahlen sind nicht bekannt) mutige Frauen, viele von ihren Ehemännern unterstützt, über die Facebook-Seite „Women2Drive“ aufgerufen, sich hinter das Lenkrad ihrer Autos zu setzen. Polizisten schlossen die Augen, auch als sich einige Frauen in den folgenden Tagen wieder ans Steuer ihrer Fahrzeuge wagten. „Ich glaube, die Gesellschaft ist bereit, uns willkommen zu heißen“, bemerkt eine der Fahrerinnen über Facebook und die Organisatorinnen zeigen sich entschlossen, weiter zu machen, „bis ein königliches Dekret zur Fahrerlaubnis für Frauen erlassen ist“. Moralischen Aufwind erhielten „Women2Drive“ durch eine lange erwartete Sympathiebezeugung von US-Außenministerin Hillary Clinton, die den „Mut“ der Frauen preist, der sie „berührt“ und betont, „ich unterstütze sie“. So wagen sich die Aktivistinnen einen Schritt weiter vor und rufen den „Subaru“ Auto-Konzern von Fuji Heavy Industries auf, sich aus dem Königreich zurückzuziehen, bis das Fahrverbot aufgehoben sei. Die Kampagne soll auf „General Motors“ und Hyundai“ ausgedehnt werden.

Die Aktionen lösen heftige Diskussionen im Königreich aus. Sie begannen mit der Verhaftung der 32-jährigen Manal al Scharif am 22. Mai, einen Tag, nachdem die beim Ölgiganten Aramco arbeitende IT-Expertin ein Video in Facebook und You Tube gestellt hatte, das sie hinter dem Lenkrad eines Autos in der östlichen Stadt Khobar zeigte. Mit dieser „freiwilligen Kampagne“ wolle sie „Mädchen in diesem Land“ helfen, „zumindest in Notfällen“ selbst aktiv werden zu können. ‚“Was, wenn der Fahrer einen Herzinfarkt erleidet?“ Über Facebook, das rasch 12.000 „User“ gewann, rief sie saudische Frauen auf, Fahren zu lernen. Binnen zwei Tagen nach ihrer Verhaftung hatten an die 500.000 Menschen ihr Video gesehen. Scharif wurde nach neun Tagen mit dem erzwungenen Versprechen freigelassen, nie wieder ein Auto zu steuern. Doch ihre Aktion brach eine jahrzehntelange Mauer des Schweigens und weitgehender Apathie. Nur einmal, 1990, hatten es 47 saudische Frauen, sorgfältig in ihre schwarzen Abayas gehüllt, gewagt, sich demonstrativ dem Fahrverbot zu widersetzen. Sie wurden zwar nur kurz festgenommen und verhör, doch anschließend fast drei Jahre lang von ihren öffentlichen Ämtern suspendiert und von erzkonservativen Scheichs und Imamen in Moscheen als „Prostituierte“, „amerikanische Säkularisten“ und „Kommunisten“ beschimpft.

Für die Frauen bedeutet das Fahrverbot eine drastische Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Nur wenige können sich die hohen Kosten für Visum (rund 3000 Dollar) und Gehalt (bis 600 Dollar im Monat) eines Chauffeurs leisten, der dann alle Fahrten mit ihnen unternimmt. Aktivistinnen weisen auf den grotesken Widerspruch hin, der auch diese erzwungene Lösung in einem Land in sich birgt, das strikteste Trennung der Geschlechter durchsetzt und die Frauen so weit entmündigt, dass sie ohne Genehmigung ihres Gatten oder engsten männlichen Verwandten weder ausreisen, noch öffentliche Verkehrsmittel im Königreich benützen dürfen. „Wir dürfen studieren, Ärztinnen werden, aber wenn unser Kind krank ist, können wir es selbst nicht ins Spital führen“, klagt eine junge Medizinerin. Solch gravierende Restriktionen lösen starke Gefühle der Hilflosigkeit aus – und dies, obwohl nach jüngster saudischer Statistik heute mehr als 120.000 saudische Frauen Autos besitzen, um 60 Prozent mehr als 2003. Nur in privaten Anlagen und auf dem Land, insbesondere in Gegenden, wo Beduinen leben, gilt das Fahrverbot gar nicht oder nur beschränkt.

Dabei haben Frauen seit uralten Zeiten auch in jenen Gebieten, die heute unter der Herrschaft des saudischen Königshauses stehen, Kamele und Esel geritten. „Das Öl ist ein Fluch“, analysiert die prominente saudische Sozialanthropologin Mai Yamani. Vor den 1950er Jahren, bevor das „schwarze Gold“ zu sprudeln begann, seien die Frauen mit traditionellen Beschäftigungen in das Berufsleben eingegliedert gewesen. Dann habe man sie „in goldene Käfige gesteckt“, „golden“ freilich nur für einen Teil der Bevölkerung.

Aktivistinnen weisen darauf hin, dass es kein geschriebenes Gesetz gibt, das den Frauen das Autofahren verbietet. In Saudi-Arabien gilt das islamische Recht, Scharia, es ist unkodifiziert. Es gilt, was die Regierung oder die Richter verfügen, Bestimmungen, die sich von Tag zu Tag ändern können. Das Fahrverbot geht auf eine Fetwa (Rechtsgutachten) des Muftis, des höchsten Wahhabi-Geistlichen, aus den frühen 1990er Jahren zurück. Es wurde darauf hin, auch vom Innenminister bestätigt. Doch es ist umstritten, ob die Fetwa des Mufti oder die Erklärung des Innenministers bindenden Charakter haben.

Und das schwerste Dilemma für das Königshaus ist sein Pakt mit den Wahhabiten, die ihm die Macht absichern. Eine von den Wahhabiten gestellte Religionspolizei (die Mutawas), deren Führer in Ministerrang in der Regierung vertreten ist, genießt seit langem das Recht, die Frauen in aller Öffentlichkeit zu demütigen und sie tut dies mit vollem Eifer. Um in der ersten Phase des „arabischen Frühlings“ im März auch in Saudi-‚Arabien drohende Proteste im Keim zu ersticken, erweiterte König Abdullah per Dekret auch noch die ohnedies beträchtlichen Machtbefugnisse der Mutawas.

Doch, so betont Yamani, auch die Rute dieser religiösen Sittenpolizei versagt im Kampf gegen die Globalisierung. So „chatten“ neunjährige Mädchen online, wiewohl ihnen eine Fetwa ohne männlichen Aufseher den Zugang zum Internet verbietet.

Das Wahhabi-Dogma, das die Schullehrbücher dominiert und das Justizsystem prägt, wurde seit Generationen zum Schutz und zur Stärkung des patriarchalischen Systems eingesetzt und erweist sich damit als stärkstes Hindernis für die Gleichberechtigung saudischer Frauen. Dennoch meinen Kenner Saudi-Arabiens, dass ein großer Teil der Elite, wie auch der gebildeten Mittelschichte eine Aufhebung diverser Restriktionen für die Frauen, insbesondere das Fahrverbot, befürwortet. Das Königshaus aber ist gespalten, auch an der Spitze. Während der Monarch bereits vor einigen Jahren betonte: „Der Tag wird kommen, an dem Frauen auto-fahren dürfen“ – ein Ausspruch, den „Women2Drive“ auf ihre Facebook-Seite setzte, stellte Innenminister Naif, der übernächste in der Thronfolge, wiederholt klar, dass es „zum Besten unserer Töchter“ sei, „wenn sie nicht fahren“. Hingegen unterstützt der prominente Neffe des Königs und internationale Investor, Prinz Al-Walid bin Talal offen die Aufhebung des Fahrverbots: Saudi-Arabien könne auf diese Weise 750.000 Fahrer heimschicken. Das Königreich „will die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte reduzieren, …. so weshalb dieses Zögern?“

Ultras freilich starteten längst eine Gegenkampagne, rufen in Facebook Männer auf, fahrende Frauen zu schlagen oder warnen im Internet, wie Scheich al-Barrak, dass diese „verwestlichten Frauen die Schlüssel zum Übel in diesem Land“ würden.

„Die königliche Familie“, meint Yamani, „steht nun vor einem ganz großen Test. Die Weltmeinung läßt sie nicht gleichgültig, doch die Wahhabiten zu erzürnen, wird der Monarch nicht wagen, insbesondere in diesen dramatischen Zeiten der arabischen Welt. Fahren die Frauen weiterhin ungestraft, werden sich immer mehr Mitbürgerinnen hinter das Steuer wagen. Gelänge es ihnen, so spekuliert Yamani, die Aufhebung des Verbots durchzusetzen, „könnten sie sich an die Spitze einer neuen politischen Kraft stellen“, die sich nicht mehr auf gesellschaftliche Forderungen beschränkt, sondern nach politischen Reformen ruft.

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