Sonntag, 13. Februar 2011

ÄGYPTEN: In Ägypten beginnt die Suche nach Gerechtigkeit

Wie die Familie Mubarak das Land um Milliarden beraubte, während fast die Hälfte des Volkes in verzweifelte Armut versank

von Birgit Cerha

„Korruption“, „Räuber“, „Diebe“. In den 18 Tagen der ägyptischen Revolution übertönten diese Worte alle anderen Rufe Hunderttausender in Kairo, Alexandria und anderen Städten am Nil. Nun, da die erste Welle der Euphorie über den Sturz des verhassten Präsidenten Hosni Mubarak erebbt, beginnt die Suche nach Gerechtigkeit. Wo sind die Milliarden geblieben, die der „Pharao“ in drei Jahrzehnten dem Volk geraubt hat während fast die Hälfte der Bevölkerung in bitterer Armut versank?
Ägypter der älteren‚ Generation erinnern sich an jene schicksalhaften Tage im Oktober 1981, als der ehemalige Luftwaffengeneral im Schock des tödlichen Attentats auf Präsident Sadat die Macht übernahm. In seiner ersten Rede als neuer Präsident versprach Mubarak, „sich nichts zu verpflichten, was ich nicht in die Tat setzen kann, niemals die Wahrheit vor dem Volk zu verheimlichen und niemals gegenüber Korruption und Chaos nachsichtig zu sein“. Getreu seinem Versprechen rückte er Wucher und illegaler Profitmacherei energisch zu Leibe. Dutzende prominente Mitglieder des engen Kreises um Sadat wurden wegen krimineller Machenschaften und Machtmissbrauchs vor Gericht gestellt. Ja Mubaraks Säuberungskampagne machte selbst vor der Familie des Ermordeten nicht Halt. Sadats Halbbruder und dessen Söhne wanderten ins Gefängnis und mussten für illegale Geschäfte in gigantischem Ausmaß hohe Kompensationen bezahlen. Lange galt Mubarak als ein Führer von unbeugsamer persönlicher Integrität.

Doch drei Jahrzehnte der Macht haben auch diesen einst als so aufrecht geltenden Herrscher verändert. Auch Hosni Mubarak konnte nicht, wie so viele andere orientalische Autokraten, den Verlockungen von Geld und Gold widerstehen. Nach außen hin gab er sich bis zu seinem Rücktritt am 11. Februar allerdings weit bescheidener als so manche seiner Amtskollegen in der Region. Seine Villa in Sharm el Scheich am Roten Meer, in die er sich nun zurückzog, ist schlicht etwa im Vergleich zu der nahegelegenen der saudischen Multi-Milliardär-Familie Bin Laden.

In westlichen und arabischen Medien geisterten in den vergangenen Tagen gigantische Summen des vermeintlichen Reichtums herum, den Mubarak über die Jahrzehnte angehäuft haben soll. Von bis zu 70 Milliarden Dollar ist die Rede ein Betrag freilich, der nach Aussagen eingeweihter Kreise weit übertrieben ist. Weniger als ein Zehntel davon dürfte der Realität näher kommen. Genau weiß dies niemand. Doch auch drei oder fünf Milliarden sind Beträge, die die armen ägyptischen Massen, von denen 40 Prozent mit nicht einmal zwei Dollar im Tag auskommen müssen, empören.

Wie in der Ära Sadat wurde auch unter Mubarak Korruption ein fester Bestandteil der Wirtschaft. Sie ist allgegenwärtig, die Familie des Herrschers und ein kleiner Kreis seiner Vertrauten profitierten ebenso, wie hohe Offiziere im Militär. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International (TI) erzielt Ägypten kaum mehr als drei von zehn Punkten und rangiert damit an 70. Stelle. Schon lange empörte die Masse der Ägypter die Tatsache, dass es nur jene mit engen Bindungen zum System am Nil zu Wohlstand bringen konnten.

Mubaraks persönlicher Reichtum begann, als seine beiden Söhne, der Investmentbanker Gamal und sein älterer Bruder und Geschäftsmann Alaa in der Wirtschaft des Landes voll aktiv wurden, insbesondere als Ägypten mit Hilfe der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds ein umfangreiches Privatisierungsprogramm begann. Die beiden Präsidentensöhne naschten offenbar eifrig mit. Gamal, der Investmentbanker, profitierte insbesondere durch Beratungen für Auslandsinvestoren, von denen unzählige einer von Gamal gegründeten Firma Kommissionen in Höhe von fünf bis 20 Prozent bezahlen mussten. Einen beträchtlichen Teil des Familienvermögens vermochten die Mubaraks durch ein Gesetzt anzuhäufen, das ausländische Firmen, die in Ägypten investieren zwingt, 51 Prozent der Anteile heimischen Unternehmen zu überlassen. Die Mubaraks und einige prominente Mitglieder der „Nationalen Demokratischen Partei“ Mubaraks fungierten auf diese Weise als Sponsoren und streiften hohe Erträge ein.

Die Familie soll in verschiedenen Teilen der Welt, darunter auch London, zahlreiche Häuser und Hotels besitzen. Als die Volksrevolution bedrohlich an seiner Macht zu rütteln begann, hat Mubarak nach Informationen aus Finanzkreisen offenbar einen beträchtlichen Teil seiner Vermögenswerte außer Reichweite potentieller künftiger Ermittler gebracht. Die Konten der Mubaraks in der Schweiz wurden unterdessen gesperrt.

Teile der ägyptischen Opposition sind entschlossen, das Vermögen der Mubaraks aufzuspüren, den gestürzten Präsidenten, seine Familie und seine engsten Mitstreiter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Abrechnung mit der Diktatur wird sich als eine der großen Herausforderungen einer demokratischen Regierung erweisen, die aus den ersten freien Wahlen, irgendwann in den kommenden Monaten, hervorgehen wird.

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