Montag, 17. Mai 2010

LEXIKON: ENT-BAATHIFIZIERUNG

An diesem Konzept scheiden sich im Irak die Geister. Es erweist sich als eine der größten Hürden auf dem Weg zur nationalen Versöhnung. Am 11. Mai 2010 verkündeten führende Politiker in Bagdad, erneut, wie bereits mehrmals in der Vergangenheit, einen viermonatigen Stopp der Kampagne.

Vielfach wird im Irak und auch in westlichen Medien Ent-Baathifizierung mit Ent-Nazifizierung verglichen. Auch die Ideologie der „Baath“ (übersetzt: Wiedergeburt, Erneuerung) trägt starke faschistische Züge. Sie geht zurück auf den Griechisch-Orthodoxen Michel Aflaq und den Sunniten Alah Ad-Din al Bitar, die die panarabische Baath-Partei 1947 in Damaskus gegründet hatten. Ihr Motto lautet „Einheit (der Araber in einer arabischen Nation), Freiheit (Unabhängigkeit von den Kolonialmächten), Sozialismus“.
Im Irak wurde sie 1968 zur Staatsideologie und unter Saddam Hussein hoch-militarisiert, sowie ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Diktatur und massiver Repression. Mitgliedschaft in der Partei sicherte die Existenz insbesondere aller Staatsangestellten. Die genaue Zahl der Mitglieder ist unbekannt, wird aber auf etwa zwei Millionen der 24-Millionen-Bevölkerung geschätzt.

Nach dem Sturz Saddams 2003 wurde die Baath per Dekret des US-Administrators Paul Bremer verboten. Alle höherrangigen Parteimitglieder wurden von ihren Ämtern im Staatsdienst entlassen und die Streitkräfte, sowie die Geheimdienste mit ihren rund 500.000 Angehörigen aufgelöst. Eine im November 2003 eingesetzte „Oberste Nationale Ent-Baathifizierungs-Kommission“ suspendierte bis zu 10.000 hohe Parteimitglieder von ihren Ämtern, ohne Berufungsrecht und Zehntausende in niedrigeren Positionen. Viele unabhängige Beobachter sahen in diesen Massenentlassungen, die massenweise Existenzen zerstörten eine der Hauptursachen für den blutigen Widerstand, der bis heute nicht gebrochen ist.

Schließlich wurden von den rund 30.000 aus untergeordneteren Positionen entlassen Baathisten etwa die Hälfte nach einem Berufungsverfahren wieder zugelassen. Um das Offizierskorps der unter US-Leitung neugebildeten Sicherheitskräfte mit erfahrenen Militärs zu stärken, gestatteten die Amerikaner ab 2004 Baathisten-Militärs, die keine Verbrechen begangen hatten, die Rückkehr.

Die unterdessen in „Kommission für Rechenschaft und Gerechtigkeit“ unbenannte Institution wird von den sie dominierenden schiitischen Hardlinern zunehmend als politisches Instrument zur Ausschaltung von Rivalen, insbesondere Säkularisten und arabischen Sunniten, eingesetzt. So initiierte sie im Vorfeld der Parlamentswahlen am 7. März 2010 den Ausschluß von mehr als hundert Kandidaten, überwiegend Sunniten, aber auch einigen Schiiten und Kurden. Auf Betreiben des sich an die Macht klammernden Premiers Maliki wurden nach den Wahlen noch weitere 52 Kandidaten ausgeschlossen und neun Abgeordneten der siegreichen „Irakiyya“-Allianz unter Führung des von Sunniten unterstützen Rivalen Malikis, Iyad Allawi, droht der Verlust ihres Mandats. Zu den Plänen der Kommission für die nächste Zukunft zählt die „Säuberung“ von Tausenden Baath-Mitgliedern, die – so wird behauptet – die Sicherheitskräfte erneut infiltriert hätten und den blutigen Widerstand unterstützen würden. Die Kommission orientiert sich an dem Prinzip „Jobs und Präferenzen“ müssten im „neuen Irak“ den Opfern und nicht den Funktionären des alten Regimes reserviert sein.


von Birgit Cerha, 13.05.2010

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