Freitag, 26. Februar 2010

IRAK: Kein „gescheiterter Staat“ mehr?


Sieben Jahre nach Kriegsbeginn blockieren immer noch gigantische Probleme den Weg zum Ölgiganten und den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes


von Birgit Cerha

Ungeachtet manch blutiger Rückschläge verdrängt die Politik im kriegsgequälten Irak mehr und mehr die Gewalt. Und damit wächst die Hoffnung, dass das Zweistromland mit seinen unermesslichen Natur- und Bodenschätzen endlich den Weg zur Stabilität einschlägt und die durch Diktatur, Kriege und internationale Sanktionen so lange gequälten Bürger Hoffnung auf ein würdevolles Leben und einen gerechten Anteil am Reichtum ihrer Heimat schöpfen können.

Während sieben Jahre nach Beginn des von den USA geführten Feldzugs gegen Diktator Saddam Hussein am 20. März 2003 die Träume der neo-konservativen Herrscher in Washington unter dem damaligen Vizepräsidenten Cheney von einem Irak verflogen sind, dessen riesige Ölfelder sich US-Konzernen grenzenlos öffnen, schwelgt die Regierung in Bagdad in Visionen raschen Reichtums, Eroberung des internationalen Ölmarktes und neuer geostrategischer Macht.

Der Irak, so meinen denn auch US-Diplomaten, sei heute kein „gescheiterter Staat“ mehr. Und zehn internationale Ölkonzerne, die im Vorjahr harte Bedingungen für die Entwicklung riesiger Ölfelder akzeptiert hatten, beginnen nun mit einer gigantischen Arbeit. In nur sieben Jahren soll Iraks Ölproduktion auf zwölf Millionen Barrel im Tag fast verfünffacht werden. Damit will Bagdad Saudi-Arabien von der Weltspitze der Ölproduzente verdrängen. In den Verträgen mit den Konzernen sichert sich Bagdad den Hauptgewinn und besteht zugleich darauf, dass mindestens 85 Prozent der in diesem Bereich Beschäftigten Iraker sein müssen. Arbeitsplätze für 1,3 Millionen Bürger sollen so geschaffen werden.

Iraks Ölindustrie leidet unter den Folgen jahrzehntelanger Vernachlässigung und seit 2003 immer wiederkehrender Sabotageakte. Deshalb liegt die Produktion immer noch mit etwa 100.000 Barrel pro Tag unter dem Vorkriegsstand. Dass sich dies rasch ändern könnte, wagen aber nur die größten Optimisten zu hoffen. Noch ist die Terrorgefahr nicht vollends gebannt, Infrastruktur und Logistik müssen von Null aufgebaut, lange Straßenverbindungen durch die Wüste gezogen, Hunderte Kilometer von Pipelines verlegt, unzählige Pumpstationen errichtet werden. Auch die Exporteinrichtungen stellen die Industrie vor enorme Probleme. Der einzige Terminal, bei Umm Kasr am Persischen Golf ist gefährlich altersschwach. Der internationale Anlagenbaukonzern Foster Wheeler verlegt derzeit drei neue Pipelines und baut vier Offshore-Verankerungssysteme für Tanker nahe der Hafenstadt Basra. Doch dies reicht längst nicht aus. Eine Erweiterung der bestehenden Pipeline von der nördlichen Ölstadt Kirkuk in die Türkei wird erwogen. Doch Gespräche darüber haben noch nicht einmal begonnen. Eine Pipeline nach Syrien kann wegen politischer Schwierigkeiten nicht repariert werden.

In anderen Sektoren lassen sich aber Fortschritte erkennen. So gibt es vor allem im Süd-Irak ein funktionierendes Bankensystem. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Entwicklung basiert hier auf Vertrauen und schiitischen Netzwerken. Insgesamt laufen jetzt Aufträge im Milliardenbereich für Infrastrukturprojekte an. Beinahe 10.000 ausländische Firmen und Investoren sind im Irak registriert, US-Unternehmen an der Spitze.

Der Nachholbedarf ist gigantisch. Immer noch können nur 73 Prozent des landesweiten Strombedarfs gedeckt werden, trotz enormer amerikanischer und irakischer Investitionen.

Die Kraftwerke arbeiten im Schnitt nur mit halber Kapazität. Einerseits werden sie aufgrund einer jahrelangen Dürre nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt. Anderseits fehlt es für effizientes Management an irakischen Fachkräften, da bis zum Krieg 2003 Iraks Energiesystem überwiegend von Ausländern betreut wurde, die das Land längst verlassen haben. Viele Anlagen werden deshalb seit Jahren nicht gewartet, sind beschädigt oder ineffizient.

Der Nachholbedarf ist gigantisch. Immer noch können nur 73 Prozent des landesweiten Strombedarfs gedeckt werden, trotz enormer amerikanischer und irakischer Investitionen.

Die Kraftwerke arbeiten im Schnitt nur mit halber Kapazität. Einerseits werden sie aufgrund einer jahrelangen Dürre nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt. Anderseits fehlt es für effizientes Management an irakischen Fachkräften, da bis zum Krieg 2003 Iraks Energiesystem überwiegend von Ausländern betreut wurde, die das Land längst verlassen haben.

Mangel an Fachkräften quält auch andere Sektoren, denn Krieg und Gewalt haben mehr als zwei Millionen Iraker, insbesondere der gebildeteren Schichten, ins Ausland getrieben. Die wenigsten wagen sich bisher wieder heim. So haben die USA seit 2003 im Irak für etwa 53 Mrd. Dollar zahlreiche Spitäler, Wasseraufbereitungsanlagen, Schulen und Brücken gebaut. Immer wieder, wenn Projekte, wie etwa das Ibn Sina Spital in Bagdad, das größte militärische Gesundheitszentrum der Amerikaner im Land, der Regierung übergeben wurden, konnte sie den Betrieb nicht aufnehmen, weil es an ausgebildetem Personal und Ausstattung fehlte.

Staatliche Dienstleistungen funktionieren höchst mangelhaft. In Kut etwa klagen Bewohner, „die Stadt schläft auf einem Berg von Müll.“ Nach Angaben der Regierung haben mehr als 40 Prozent der Iraker immer noch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Zudem sind Experten davon überzeugt, dass die Unfähigkeit der Politiker, wichtige Wirtschaftsgesetze zu verabschieden, endlose Querelen unter den ethnischen und religiös orientierten Gruppen dem Land Milliarden von Dollar kosten. Auch in diesem Jahr klafft im staatlichen Budget ein Loch von 19,6 Mrd. Dollar. Zudem versackte ein erheblicher Teil des Geldes durch Inkompetenz und Korruption (der Irak ist laut „Transparency International“ unter US-Schutz heute einer der korruptesten Staaten der Welt) oder floss in den Krieg gegen den Widerstand.

Trotz massiven Drängens der USA konnte das Parlament bis heute kein Ölgesetz verabschieden, obwohl man erkennt dass dies „essentiell für die Zukunft des Landes“ ist (so Amira al Baldawi, Mitglied der parlamentarischen Wirtschaftskommission). Es gibt keine geordnete Steuergesetzgebung, keine Zollregelungen. Irakische Märkte werden mit importierten Waren zu niedrigsten Preisen überschwemmt, Dumping wird durch keine gesetzlichen Regelungen verhindert. „Dies“ – so klagt der Chef der irakischen Handelskammer, Rgheb Bulaybel – „wird Tausende (dem Dumping) schutzlos ausgelieferten irakische Fabriken vernichten.“ Die Wirtschaft, so Bulaybel, „steckt in einer sehr schweren Krise, denn wir wollten mit der totalitären Wirtschaftspolitik“ Saddam Husseins brechen. Doch das „für einen reibungslosen Übergang“ zu einer freien Marktwirtschaft nötige Klima würde bis heute nicht geschaffen.

Ob eine aus den Parlamentswahlen am 7. März hervorgegangene neue Regierung das Land aus seiner politischen Lähmung zu reißen vermag, wird sich als schicksalhaft für die Zukunft des Iraks erweisen.
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Iraks Ölschätze

Der Boden des Zweistromlandes birgt nach Expertenschätzungen mindestens doppelt so viel Öl wie die bisher nachgewiesenen 115 Mrd. Barrel. Der Irak würde damit vom viertgrößten Ölstaat nach Iran, Kanada und Saudi-Arabien auf den ersten Platz rücken.

Zehn internationale Konzerne hatten in zwei einzigartigen Auktionen im Juni und im Dezember 2009 harte irakische Bedingungen akzeptiert und Aufträge zur Entwicklung riesiger Ölfelder errungen. Royal Dutch Shell und die staatliche Petronas aus Malaysia zählten zu den Hauptgewinnern und werden gemeinsam die Förderung aus dem riesigen Majnoon-Feld mit seinen nachgewiesenen 12,5 Mrd. Barrel von derzeit 46.000 auf 1,8 Mio. Barrel im Tag steigern. Die russische Lukoil und die norwegische Statoil erhielten Zuschläge für das ebenso große West-Qurna-2-Feld und Gazrpom (Russland) China National Petroleum, Sonangol (Angola) sowie Total (Frankreich) kamen ebenso mit Bagdad groß ins Geschäft. Nur zwei US-Ölkonzerne, Exxon Mobil und Occidental Petroeum gewannen Förderaufträge im neuen Irak. Im Öl-Service-Sektor, der in den kommenden zwei bis drei Jahren riesige Aufträge erhalten wird, stehen amerikanische Firmen allerdings an vorderster Front.

Die Ölkonzerne werden lediglich einen fixen Prozentsatz für jedes geförderte Fass, und nicht einen Prozentsatz des Verkaufsertrages erhalten. Premier Maliki bekräftigte eben, dass keine neuen Verträge mit ausländischen Ölkonzernen mehr geschlossen werden.

Armut inmitten des „schwarzen Goldes“

Nach einer Studie der Universität Basel leben zehn Millionen Iraker – etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung – heute in absoluter Armut. Sie müssen mit weniger als zwei Dollar im Tag auskommen. Die Mehrheit dieser sozial Schwachen sind junge Menschen unter 30. Die Rate der „extrem Armen“ liegt bei fünf Prozent. Der Krieg gegen Saddam Hussein und die darauffolgende Gewalt haben eine durch 13-jährige internationale Sanktionen extrem geschwächte Gesellschaft in die Katastrophe gerissen. Misswirtschaft, Nepotismus und Korruption der neuen Herrscher haben die Kluft zwischen Arm und Reich dramatisch geöffnet. Die Arbeitslosigkeit liegt inoffiziell bei 50 Prozent. Seit 2003 fehlen jegliche soziale Einrichtungen. Der Zusammenbruch des Bildungssystems hat die Analphabetenrate dramatisch gesteigert.Verlässliche Zahlen gibt es vorerst nicht.

Immer noch liegt die Zahl internen und externen Flüchtlinge bei etwa vier Millionen. Nach einer Studie der „Disabled Peoples’ International“ in Zusammenarbeit mit den irakischen Ministerien für Arbeit und Gesundheit ist heute einer von 25 Irakern körperbehindert.

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