Sonntag, 5. Februar 2017

Iran-USA: Eskalierender Kampf um Hegemonie

Ist die „Islamische Republik“ wirklich ein so mächtiger „Förderer des Terrors“ wie die Trump-Administration behauptet?
 
von Birgit Cerha
 
„Wenn wir den kleinsten Fehltritt der Feinde bemerken, werden unsere dröhnenden Raketen auf ihre Köpfe fallen.“ Mit diese Drohung begleitete Brigardegeneral Amir Ali Hadschizadeh am Wochenende Militärmanöver der mächtigen Revolutionsgarden, die den USA demonstrieren sollen, dass sie die „Islamische Republik“ nicht einschüchtern können. Auch verbal eskaliert Teheran die Kraftprobe mit der neuen US-Administration, der sie Dilettantismus vorwirft, nachdem sie als Reaktion auf einen iranischen Raketentest Sanktionen gegen den Iran verhängt hatte. Die neuaufgeflammten Spannungen zwischen dem  Iran und den USA lösen tiefe Beunruhigung unter der iranischen Bevölkerung aus, die nach Abschluss eines Atomabkommens mit den Weltmächten 2015 endlich aus jahrzehntelanger Isolation ausgebrochen waren und nun erstmals selbst einen Krieg unter der Führung des so unberechenbar erscheinenden US-Präsidenten fürchten.
Unabhängige Analysten sind sich weitgehend einig, dass der Hauptgrund für die rasche und scharfe Eskalation der Spannungen zwischen den beiden uralten Erzfeinden nicht das von Trump verteufelte Atomabkommen und dessen angebliche Verletzung durch Teheran ist, sondern vielmehr Irans wachsende geostrategische Macht im Mittleren Osten. Wiewohl unabhängige Experten seit Jahren den vom sunnitischen Salafismus Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten inspirierten und geförderten Terror des „Islamischen Staates“ (IS) und der Al-Kaida u.a.  als die größte Bedrohung nicht nur für die Stabilität in der Region, sondern auch für den Westen insgesamt erkennen und eine von den USA angeführte internationale Allianz gegen diese mörderischen Netzwerke seit Jahren Krieg führt, obwohl schiitische Milizen unter Anleitung und mit Unterstützung der iranischen Revolutionsgarden dabei auf dem Boden insbesondere im Irak, aber auch in Syrien wichtige militärische Hilfe leisten und beträchtliche Opfer zu beklagen haben, identifiziert die neue US-Administration den Iran als den „größten staatlichen Terror-Sponsor“ (so US-Verteidigungsminister Mattis) und er wirft Teheran „destablisierendes Verhalten im Nahen Osten“ vor, während der republikanische Senator McCain warnt, dass der Iran weiterhin „die Region, von Syrien, Irak bis zum Jemen nach seinem Image neu modelliert“.
Wiewohl die Hardliner in der „Islamischen Republik“ an solcher Überschätzung ihrer Errungenschaften großen Gefallen finden, sich zudem im internen Machtkampf damit erneut gestärkt fühlen, zeigt eine Studie iranischer Aktivitäten in der Region doch ein ganz anderes Bild. Danach ist der Iran keineswegs der militärische oder ideologische Gigant, als den ihn derzeit führende Kreise in den USA, inspiriert durch israelische Hardliner vom Schlage Premierminister Netanyahus, darstellen. Nicht nur liegen die militärischen Kapazitäten des Irans, wie auch sein Rüstungsbudget weit unter jenen seiner wichtigsten regionalpolitischen Rivalen, allen voran Saudi-Arabiens. Auch politisch entsprechen Behauptungen, die schiitischen Bevölkerungsgruppen der Region ließen sich von Teheran manipulieren,bzw. kooperierten, um den Iran als stärkste Macht der Region aufzubauen, keineswegs der Realität.
Selbst im Lande des Erzrivalen am Golf, Saudi-Arabien pflegt die diskriminierte schiitische Minderheit, wiewohl seit langem vom Königshaus als „fünfte Kolonne“ des Irans denunziert, zum großen schiitischen Nachbarn lediglich symbolische Beziehungen. Im Irak, wo Teheran eben den führenden General der Revolutionsgarden, Iraj Masjedi, zum Botschafter ernannte, haben die Garden zwar schiitische Milizen zu schlagkräftigen Militäreinheiten aufgebaut, die eine wichtige Rolle im Kampf gegen den IS spielen. Doch die Tatsache, dass sie mehr als nur formell der irakischen Militärführung unterstehen und religiös, wie mitunter auch politisch auf den im irakischen Nadschaf residierenden Großayatollah Sistani hören, schränkt Teherans Spielraum durchaus ein.
In Syrien haben sich der Iran und die von ihm unterstützte libanesische Schiitenmiliz Hisbollah (von den USA als Terrororganisation eingestufter Erzfeind Israels) in den vergangenen Jahren zweifellos an Kriegsverbrechen des Assad-Regimes beteiligt. Dennoch lassen sich Irans Aktionen in Syrien nicht einfach als aggressives Expansionsstreben interpretieren. Für Teheran besitzt Syrien enorme strategische Bedeutung in der gesamten Region und es geht darum, diese alte Allianz, die auf chemische Attacken des Iraks im Iran-Irak-Krieg in den 80er Jahren zurückgeht, zu retten.
Hisbollah ist Irans schlagkräftigster und wohl seit Jahrzehnten auch treuester Verbündeter, der durch seine Präsenz an der Grenze zu Israel der „Islamischen Republik“ wichtigen geopolitischen Einfluss sichert und sich von Israel auch in den brutalsten Feldzügen bis heute, dank iranischer Hilfe, nicht militärisch besiegen ließ. Dennoch ist Hisbollah nicht ein willenloser Handlanger Teherans. Die Organisation läßt sich nicht vom Iran gegen ihre internen Interessen einsetzen. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der politischen Stabilisierung des Landes und gewann deshalb auch die Unterstützung sogar von vielen Mitgliedern der einflussreichen christlichen Minderheit.
Völlig inkorrekt ist auch der weitverbreitete Vorwurf, die jemenitischen Houthi-Rebellen, gegen die eine arabische Allianz unter Führung Saudi-Arabiens seit zwei? Jahren einen brutalten Krieg mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung führt, seien „Handlanger des Irans“.  Zwar bekennen sich die Houthis zu einer schiitischen Glaubensrichtung, dem Zaidismus. Doch dieser unterscheidet sich stark von dem Zwölfer-Schiismus des Irans. Traditionell pflegten die Zaiditen keine engen Beziehungen mit Teheran. Militärisch dramatisch in die Enge getrieben, haben sie jüngst zwar kleinere Hilfslieferungen angenommen, doch die Behauptung Michael Flynns, des US-Sicherheitsberaters, die Houthis seien eine „Terrorgruppe“ im Dienste des Irans entspricht keineswegs der Realität eines Krieges, der zudem primär lokale Ursachen hat. Dennoch lassen die Hinweise, Trump könnte sich in diesem von der Welt vergessenen Katastrophe voll auf die Seite des saudischen Aggressors schlagen nicht nur für das fast völlig zerstörte Armenhaus der Region das Schlimmste befürchten, sondern den Nahen Osten noch tiefer ins Schlamassel stürzen.