Dienstag, 18. Oktober 2016

Iraks Zukunft steht auf dem Spiel

von Birgit Cerha

Die Schlacht um Mosul, die härteste und möglicherweise entscheidenste, die bisher gegen die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) geschlagen wurde, dürfte nicht nur das Schicksal dieser barbarischen Miliz im Irak besiegeln und damit den Traum von einem weltweiten „Kalifat“ zerstören. Nicht nur steht hier die Überlebenskraft dieser brutalen Organisation auf dem Spiel. Es geht um weit mehr: Kann dieser einst von Kolonialmächten geschaffene irakische Staat nach den enormen durch den IS seit 2014 ausgelösten militärischen, sozialen, ökonomischen und politischen Turbulenzen überhaupt noch überleben?
Kein Zweifel, die Niederlage des IS als Territorialmacht hätte dramatische Auswirkung auf das Schlachtfeld Syrien. Sie könnte das Assad Regime stärken oder auch andere islamische Rebellen, wie die mit Al-Kaida verbündete Jabhat Fatah al Sham. Unvorhersehbare Folgen sind seit langem die Konstanten dieses Konflikts.
Doch mindestens ebenso dramatisch sind die Konsequenzen für den Irak. Mosul besitzt eine tiefe Bedeutung für Kurden, arabische Sunniten und Schiiten. Die Rückeroberung dieser fast 3000 Jahre alten Stadt könnte die Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen – insbesondere zwischen arabischen Sunniten und der von Schiiten dominierten Regierung - unüberbrückbar vertiefen. Das militärische Arrangement, das die diversen lange miteinander rivalisierenden militärischen Gruppen für diese Schicksalsschlacht getroffen haben, gibt ein wenig Hoffnung.  Zwar verhinderten ihre politischen Konflikte die Bildung eines gemeinsamen Oberkommandos. Doch immerhin einigten sie sich, dass die Kurden, die einen Teil von Mosul beanspruchen, sowie die vom Iran unterstützte Hashd Al Shaabi-Miliz die von einer sunnitischen Mehrheit dominierte Stadt nicht betreten. Waren es doch die Greueltatene Shaabis und anderer schiitischer Milizen an Sunniten, die die Tore Mosuls dem IS öffneten. Lange sahen die von Bagdad schwer diskriminierten arabischen Sunniten der Region in diesen islamistischen Glaubensbrüdern, ungeachtet ihrer Radikalität, eine willkommene Schutzmacht. Dass sich dies wegen der barbarischen Herrschaft, die der IS in den von ihm kontrollierten Gebieten unterdessen ausübte, geändert hat, wird zunehmend erkennbar. Zuletzt hat der unter Sunniten, insbesondere unter einstigen Generälen und Angehörigen der Baath-Partei des gestürzten Diktators Saddam Husseins höchst einflussreiche  sufistische „Nakschbandi-Orden“ , der eine zentrale Rolle im Widerstand gegen die Regierung in Bagdad spielte, seine Anhänger zur Oppositiion gegen den IS aufgerufen. So könnten mehr und mehr Sunniten nun bereit sein, eine Kooperation mit der schiitischen Mehrheit und den Kurden zu riskieren.
Doch das Chaos seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 hat den Irak zutiefst korrumpiert. Brutalität, Machr- und Geldgier bestimmen den Alltag. Ebenso Rachdurst zwischen den Bevölkerungsgruppen, gesteigert durch Einflüsse von außen, die Saudis, die sich als Schutzmacht der Sunniten aufspielen und in Wahrheit Irans Einfluß im Irak blockieren wollen und die Türkei, die nun ebenfalls mit militärischem Engagement dasselbe zu erreichen hofft;  militante Schiiten, die all dies verhindern wollen.
Die Befreiung Mosuls vom IS löst nur eines der irakischen Probleme. Nur die Überwindung des tiefen Misstrauens zwischen den Bevölkerungsgruppen, die Bereitschaft zur nationalen Versöhnung und die Kontrolle radikaler Kräfte kann das Land retten. Premier Abadi lässt dafür bis heute kein Konzept erkennen.

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