Samstag, 27. August 2016

Die Yeziden verlieren ihre Zukunft

Von unvorstellbaren Gräueltaten gezeichnet fordert die kleine kurdische Religionsgemeinschaft Gerechtigkeit und Frieden, während der Genozid immer noch anhält
 
 von Birgit Cerha

Im August 2014 erreichte der Terror der radikalen Miliz des „Islamischen Staates“ (IS) im Irak eine neue Dimension. Der größte Teil der Weltgemeinschaft zweifelt unterdessen nicht mehr daran, dass es Genozid war, als fanatisierte IS- Islamisten Tausende Männer und ältere Frauen der alten kurdischen Religionsgemeinschaft der Yeziden im nord-irakischen Sindschar massakrierten, die Kinder von den Müttern trennten und 5.000 jüngere Frauen und Mädchen in sexuelle Sklaverei zwangen. Etwa 1.800 von ihnen konnten seither flüchten oder wurden für Tausende Dollar von ihren Familien oder wohlwollenden Bürgern freigekauft. Doch etwa 3.200 Frauen und Mädchen bleiben bis heute in der Gewalt barbarischer Jihadis, die sie in den immer noch von ihnen kontrollierten Gebieten Süd-Sindschars, in Mosul oder auch in syrischen Regionen gefangen halten.
 
„Es handelt sich um Massenversklavung in industriellem Maßstab“, erläutert  der  Rechtsexperte für Kriegsverbrechen, Bill Wiley, und er weist darauf hin, dass Sex-Sklaverei  für ihn und seine Kollegen ein neuartiges Verbrechen sei. Die immer noch gefangenen Frauen hätten seit 2014 Hunderte von Vergewaltigungen erlitten und ihre Pein habe kein Ende. Angehörige der Opfer klagen, dass die von den USA geführte internationale Allianz seit der Vertreibung des IS von Sindschar-Stadt im November 2015 nichts mehr unternähme, um die noch festgehaltenen Yeziden zu befreien. Während das Herrschaftsgebiet des IS im Irak und in Syrien radikal schrumpft, verstärken die Terroristen ihren Druck auf die Gefangenen. Um die Yezidinnen von Fluchtversuchen abzuschrecken, verbrannten sie im Juni  zahlreiche Frauen in Käfigen. Nach Informationen aus der Region werden die Sklavinnen nun  viel strenger bewacht als zuvor. Nur noch ein paar Dutzend von ihnen gelang in den vergangenen Monaten die Flucht, während Männer, die versuchen, die Opfer aus ihren Gefängnissen herauszuschmuggeln, schwerstens bestraft werden. Immer noch werden mehr als tausend Kinder in IS-Trainingslagern intensiver Gehirnwäsche unterzogen, um eine kommende Generation von Terroristen heranzuziehen.
 
Rund 500.000 Yeziden haben ihre Heime verloren. Die meisten von ihnen leben unter katastrophalen hygienischen Bedingungen in Flüchtlingslagern im autonomen kurdischen Nord-Irak. Sie fühlen sich von der Welt vergessen. Hoffnungslosigkeit breitet sich aus. Ganz wenige kehrten in das befreite Sindschar zurück, denn die Stadt liegt in Trümmern, es gibt weder Wasser noch Strom und keine Hilfe für den  Wiederaufbau.  Viele der einstigen Bewohner hält auch die Angst fern, denn die Front zum IS der immer noch 30 Prozent des yezidischen Landes beherrscht, liegt nahe, immer wieder schlagen Raketen in Sindschar ein - und was, wenn die Terroristen zurückkehren? Die Entschlossenheit des IS, diese Angehörigen der im islamischen Recht nicht anerkannten Religion vollends zu vernichten, ist ausreichend dokumentiert. Das beweisen auch die Massengräber, von denen bisher 35 entdeckt wurden und Dutzende mehr in dem vom IS kontrollierten Gebiet vermutet werden.
 
Viele Yeziden fürchten, sie hätten als Gemeinschaft ihre Zukunft verloren. Um ihre Würde wieder zu erlangen und ihr Überleben als Gemeinschaft zu sichern, kämpfen sie nun für Gerechtigkeit, die internationale Anerkennung dieses Genozids – eine UN-Untersuchungskommision und das US-Repräsentantenhaus haben dies u.a. bereits anerkannt – und ein Verfahren gegen die Hauptverantwortlichen vor internationalen Institutionen. Es ist ein langer juristischer Weg mit vielen Hürden. Diese zu überwinden, bedarf es intensiver Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die dem Massensterben tatenlos zusah.
 

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