Donnerstag, 4. April 2013

Glorreiche Zeiten für Grabräuber am Nil

Als Folge der Revolution erlebt Ägypten  katastrophale Kampagne zur Zerstörung seiner Geschichte – Welche Rolle spielen die neuen islamistischen Herrscher?
 
von Birgit Cerha

Frische Spuren von Motorrädern und LKWs im Wüstensand, sich rasant vermehrende Erd- und Sandhaufen nahe von Ausgrabungsstätten, weite Gebiete durchlöchert, wie eine Mondlandschaft: Mit blankem Entsetzen beobachten ägyptische und internationale Archäologen die katastrophalen Folgen der seit dem Sturz von Diktator Mubarak vor mehr als zwei Jahren errungenen „Freiheiten“ auf das Welterbe der Pharaonen. Ein Vergleich der vor und viele Monate nach der Revolution geschossenen Satellitenbilder lässt die Experten im Schock erstarren. „Unsere  einzigartigen Monumente sind in höchster Gefahr“, klagt Dr. Zahi Hawass, einer  der einflussreichsten Ägyptologen des Landes. „Ich habe große Angst um Ägyptens reiches archäologisches Erbe.“
Wenn die Sonne sinkt beginnt unter Ägyptens riesiger Schar von Grabräubern hektisches Treiben. Denn glorreiche Zeiten sind angebrochen, seit der „moderne Pharao“ Hosni Mubarak vom Thron stürzte und sein Nachfolger das so entstandene Macht- und Sicherheitsvakuum nicht zu füllen vermag.
Plünderungen von Grabstätten  sind so alt wie die Geschichte Ägyptens. Im berühmten Ägyptischen Museum in Kairo erinnert u.a. eine Inschrift auf einem 4.000 Jahre alten Kenotaph ((Scheingrab) an eine Rebellion gegen König Mentuhotep, in der die Armen Königsgräber gewaltsam öffneten und Gold, wie Juwelen raubten.  Hawass weist darauf hin, dass Räuber über die Jahrhunderte Mumien aus Gräbern entfernten, die kostbaren Grabbeigaben an sich nahmen und später ihre Familienangehörigen in denselben Gräbern, ebenfalls mit Wertgegenständen versehen, bestatteten. Und Generation um Generation von Grabräubern taten es ihnen gleich. „Das einzige im Laufe der Geschichte völlig unberührt gebliebene Grab, das bisher entdeckt wurde, ist jenes des jungen Königs Tutankhamun aus dem 13. Jahrhundert v.Chr, das 1922 in Luxor geöffnet wurde.
 
Doch noch nie in der Geschichte, sagen ägyptische und internationale Experten, seien Ägyptens einzigartige Schätze derartig massiven Attacken ausgesetzt gewesen wie  seit 2011. Im Zuge der Revolutionswirren und des Zusammenbruchs der staatlichen Autorität hatte sich die weithin wegen ihrer Brutalität gehasste und gefürchtete Polizei aus den kulturhistorischen Stätten, die sie in der Ära Mubarak bewacht hatten, zurück gezogen. Wer sich mit den alten Schätzen bereichern wollte, witterte darauf hin einzigartige Chancen. Doch es sind keineswegs nur Gelegenheitsräuber, die Archäologen in Panik versetzen. Die Plünderer agieren professionell, viele sind mafios organisiert, arbeiten mit den modernsten Geräten, sind bewaffnet und bereit, Menschenleben aufs Spiel zu setzen, zugleich mutig und hemmungslos wie nie zuvor. Sie scheuen sich nicht, nahe der berühmtesten kulturhistorischen Stätten Löcher und Tunnels zu graben, mitunter auch in hellem Tageslicht mit LkWs anzufahren und geraubte Schätze einzulagern. In der Nähe der  Pyramiden von Gizeh entstanden in den vergangenen Monaten Hunderte von Löchern, von denen viele zu unterirdischen Tunnels führen.  Die Polizei entdeckte jüngst ein riesiges Tunnelnetz im südägyptischen Luxor. Die Plünderer beginnen ihre Grabungen häufig in der Anlage nahe berühmter Tempel oder in Wohnhäusern, um nichtgleich entdeckt zu werden. 
 
Besonders beunruhigen Experten systematischer Raub in der Nekropolis von Dahschur,  40 km südlich von Kairo, wo die ersten der klassischen ägyptischen Pyramiden stehen. Das Gebiet war bis 1996 geschlossene Militärzone. Archäologen konnten deshalb nie eine Bestandsaufnahme machen. Man vermutet Hunderte Grabstätten unter dem Wüstensand, wiewohl wahrscheinlich nicht so grandios wie jene im Tal der Könige bei Luxor. Ein bisher unberührtes Grab wurde jüngst gänzlich ausgeraubt, Mumien wurden ,zerfetzt, in den Wüstensand geschleudert und niemand weiß, welche kostbare Beigaben dieses Grab geborgen hatte.  
 
Die Zahl der illegalen Grabungen seit Februar 2011 dürfte in die Zehntausende gehen. Allein im ersten Jahr nach dem Sturz Mubaraks wurden 130 Versuche von Antiquitätenschmuggel registriert. Der Schwarzhandel blüht. Der Großteil  freilich bleibt unentdeckt. In Israel etwa wurde ein grandioser Sarkopharg-Deckel aus der Zeit der Pharaonen beschlagnahmt. 2011 wurde ein Jordanier geschnappt, als er 3.753 Artefakte aus Ägypten zu schmuggeln versuchte. Experten fürchten nicht die Zerstörung dieser Schätze, denn Illegale Sammler wollen sich ja an ihnen erfreuen und Schmuggler hegen sie, um den größtmöglichen Profit zu erzielen. Aber, so ein ägyptischer Archäologe deprimiert, der historische Kontext gehe auf diese Weise für immer verloren.
Nach dem Sturz Mubaraks wurden monatelang gezielt, oft in hellem Tageslicht unzählige Lagerhäuser an archäologischen Stätten ausgeraubt. Meist schritt niemand ein. Aber auch illegale Bauten auf historischem Gelände gefährden Ägyptens einzigartige Schätze, wie etwa jener einer hastig errichteten Moschee nahe von Sakkara, wo die älteste Pyramide Ägyptens steht.
 
Die Motive für diese hemmungslosen Plünderungen sind vielschichtig. Armut, Unwissenheit, Gleichgültigkeit gegenüber der großen Geschichte Ägyptens, die Überzeugung, dass diese Reichtümer allen Ägyptern gehören und vor allem die Armen ein Recht besitzen, sich mit ihrer Hilfe ein besseres Leben zu sichern, die Hoffnungen auf plötzlichen großen Reichtum in einer Zeit wachsender Armut und Hoffnungslosigkeit treiben viele Ägypter zu dieser so vielversprechenden Beschäftigung, die heute  gar zu einer Art Volkssport geworden ist. Vielleicht sind es auch Rachegefühle an der jahrzehntelangen Schikanen durch Polizei und Behörden, die  so manchen die Hemmungen für diese Raubzüge nahmen.
 
Archäologen und andere Intellektuelle werfen dem islamistischen Präsidenten Mursi sträfliche Gleichgültigkeit gegenüber der vor-islamischen Vergangenheit des Landes vor. Tatsächlich hatte sich Mursi bis heute weder in Wort noch in Tat für den Schutz der bedrohten Kulturgüter der Pharaonen eingesetzt. Steckt da Ideologie dahinter? Darüber sind sich Analysten noch nicht im Klaren. Viele Islamisten streben nach einem Bruch mit der pharaonischen Vergangenheit. Und voll Unbehagen erinnert man sich am Nil an das Schicksal der großen Sphinx, die die Pyramiden bewacht. Ihre Nase wurde nach historischen Berichten schon  im 14. Jahrhundert vom Sufisten Mohammed Saim ad-Dahr aus Ärger darüber, dass Bauern immer noch diese Ikone der vor-islamischen Vergangenheit Ägyptens verehren, abgeschlagen. Sogar Ägyptens jüngst zurückgetretener Großmufti Ali Gomaa, einer der einflussreichsten  Islamwissenschaftler , verbot 2006 in einer Fetwa (einem islamischen Rechtsgutachten) altägyptische Statuen in Heimen aufzustellen. Und erst jüngst setzte sich ein salafistischer Prediger energisch für die totale Zerstörung der Pyramiden und anderer „ Produkte einer verdorbenen Zivilisation“ ein.  Viele Ägypter nannten Mubarak „Pharao“, um damit ihren  Hass auf einen brutalen Diktator auszudrücken.

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