Freitag, 25. Januar 2013

Wie die Revolution die Ägypter verändert hat


Zwei Jahre nach Beginn der Massenproteste ist weithin die Hoffnung der Enttäuschung gewichen – Dem Land droht nun eine schwere Wirtschaftskrise

von Birgit Cerha

„Zwei Jahre voll Hoffnung, geschwächt durch wachsende Frustration“, Veränderung und Monotonie, Mut und Unfähigkeit, „zwei Jahre der Rechtschaffenheit,  mehr und mehr korrumpiert.“ Nicht nur Ägypten, die Region des Mittleren Ostens hat sich seit jenem 25. Januar 2011, als Zehntausende Bürger erstmals in die Straßen zogen, um ihre Stimmen gegen Diktator Mubarak zu erheben, radikal verändert, stellt der ägyptische Journalist Ziad Akl in einer Bilanz der vergangenen zwei Jahre fest. Die wichtigste Veränderung aber habe sich nicht im politischen System vollzogen, „sondern in den einzelnen Bürgern selbst“.  Der prominente Autor Alaa el Aswany stimmt zu. Welches Ende diese Revolution auch finden mag, „die Menschen haben die Mauer der Furcht durchstoßen. Das läßt sich nicht mehr rückgängig machen.“
Viele der engagierten, demokratiehungrigen jungen Ägypter, die über die sozialen Medien und ihr aktives Engagement in den Straßen die Protestbewegung angeführt hatten, fürchten heute um diesen revolutionären Geist. Sie glauben, der Aufstieg der Islamisten an die Macht verheiße dem Land unaufhaltsame‚ Turbulenzen und tiefe Spaltung. Unabhängige Beobachter warnen vor Trugschlüssen:  Die Geschichte lehre, dass keine Revolution, die wie jene Ägyptens das Land von jahrzehntelanger Diktatur befreite, in nur 24 Monaten ein neues, stabiles System von Freiheit, Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Achtung menschlicher Würde schaffen könne.
Immerhin hat die jahrzehntelang in politischer Lethargie dahindämmernde ägyptische Gesellschaft seit den 18 Tagen der Revolution, die im Sturz Mubaraks am 11. Februar ihren Höhepunkt fand, eine ungekannte politische Dynamik entwickelt. Ein lange geschlossenes Ventil öffnete sich und förderte die unterschiedlichsten politischen Ansichten und Ideologien zutage, von denen kaum einer ahnte, dass sie unter der Oberfläche des repressiven Staates überhaupt existierten.  Heute lassen sich drei Hauptströmungen erkennen: die eine hofft auf Realisierung der demokratischen Ziele der Revolution, während eine andere – eine keineswegs kleine Schichte der Profiteure des alten Systems – die endgültige Zerschlagung des demokratischen Widerstandes erstreben, um das alte Regime wieder aufzubauen und die immer noch existierenden korrupten Institutionen weiterhin zu erhalten. Dazwischen bauen sich die Moslembrüder als die weitaus stärkste und effizienteste politische Strömung unter Führung Präsident Mursis im Namen Allahs zu neuen Diktatoren auf. Die revolutionäre Jugend ringt um die verlorene politische Rolle. Ägypten ist heute ein Land, geführt von alten Männern und nur ganz wenigen Frauen.
Die für ihre Fantasie und ihren Humor berühmte Ägypter haben längst eine n Kosenamen für Mursi gefunden: „Mursilini“  nennen sie ihn unter Anspielung auf seine autokratischen Neigungen. All zu bitter hat der Präsident seit seiner Machtübernahme vor einem halben Jahr die Bevölkerung enttäuscht. Wiederholt mußte er unbedachte radikale Entscheidungen zurücknehmen, sein gemäßigter, versöhnlicher Ton ist geschwunden, zahlreiche wichtige Versprechen blieben unerfüllt: Kein Kopte und keine Frau wurden zu seinen Stellvertretern gekürt. Die Entscheidung sich vorübergehend absolute Macht zu sichern und von der Kontrolle durch die Justiz zu befreien , schockierte das Land, ganz zu schweigen von seiner Strategie, eine heißumstrittene Verfassung in einem Referendum durchzupeitschen, ohne  die Möglichkeit der Diskussion über das im Sinne der Islamisten verfasste  Dokument zu bieten. Wie in der Zeit Mubaraks läßt auch Mursi Menschenrechte mit Füßen treten, die Polizei nach Herzenslust foltern und die Medien zunehmend einschüchtern.
Während eine mögliche Revision der Verfassung als erster Punkt allerhöchster Priorität auf der Tagesordnung des in etwa einem Monat zu wählenden Parlaments steht, stellt sich die nach den zweijährigen revolutionären Turbulenzen in eine schwere Krise geschlitterte Wirtschaft als die größte Herausforderung für das Islamisten-Regime, das seine politische Stärke in der Unterstützung der strenggläubigen ländlichen Bevölkerung und der etwa 16 Millionen Armen findet. Als einzigen Ausweg aus der alarmierenden Verarmung der Bevölkerung, einem radikalen Sturz der Währung, ausbleibenden Investitionen und einem drastischen Rückgang im Tourismus sucht Mursi ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds, der für einen 4,8 Mrd.-Dollar-Kredit ein hartes Reformprogramm verordnet, das die schrumpfende Mittelschicht, aber auch die Armen empfindlich treffen würde. Doch die Opposition hat es bis heute nicht geschafft, sich diesen ägyptischen Massen als attraktive Alternative zu den Moslembrüdern anzubieten, die wahrscheinlich auch in Zukunft selbst Darbende durch religiöse Slogans bei der Stange zu halten vermögen.
Dennoch ist auch unter den Demokraten am Nil die Hoffnung nicht vollends geschwunden. Das neu erwachte politische Bewusstsein wird sich auch von den neuen islamistischen Autokraten nicht mehr unterdrücken lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen