Montag, 14. Januar 2013

„Frühling“ nun auch im Irak?


Anhaltende Massenprotest bringen Premier Maliki vor wichtigen Wahlen  in schwere Bedrängnis
 
 von Birgit Cerha

„Die Weisheit von heute:  Der Galgen ist das Ende einer Diktatur – vergiss das nicht!“ Tausende arabische Sunniten schwingen in Falludscha, 50 km westlich von Bagdad, Banner mit dieser  an Schiitenpremier Nuri al Maliki gerichteten Drohung.  Demonstranten  halten eine Karikatur in die Höhe, die den Regierungschef zeigt, wie er  mit einer Tasche voll von Dollarscheinen auf einem iranischen Flugzeug aus dem Zweistromland flüchtet. Immer lauter erschallt der Ruf nach dem Sturz Malikis, einem Ende der iranischen Dominanz über dem Irak, während Massendemonstrationen, die vor drei Wochen in der Sunnitenprovinz Anbar begonnen hatten, kein Ende finden.All dies vor wichtigen Provinzwahlen im März und der Diskussion um vorgezogene Parlamentswahln.
Iraks Regierung, ja das gesamte politische Systemsteckt in der schwersten Krise seit die von den USA angeführte Invasion des Landes vor fast einem Jahrzehnt Diktator Saddam Hussein gestürzt hatte. Die Regierung ist im Chaos, der Präsident, der eine wichtige Stabilitätsfunktion ausübt, krank im Ausland, Parlament und Kabinett sind gelähmt; kein Budget für 2013, die Verfassung konfliktgeladen und Interpretationen vorbehalten; die politische Elite liegt sich in den Haaren. Das Land steckt in der Sackgasse. Während der Irak sich ein Jahr nach dem vollständigen Abzug der US-Truppen wieder auf der internationalen Bühne zu behaupten sucht, wird er politisch durch rivalisierende Kräfte und  divergierende Einflüsse der Nachbarn in gegensätzliche Richtungen gezerrt.
Als nach der Verhaftung des Leibwächters von Finanzminister Rafa al-Issawi, des höchsten sunnitischen Regierungsmitglieds seit dem Ausscheiden von Vizepremier Tarek al-Hashemi und dessen mehrfacher Verurteilung zum Tode wegen der  angeblichen Gründung von Todesschwadronen im Vorjahr, Zehntausende arabische Sunniten ihren tiefen Frustrationen über den Regierungschef Luft machten, spekulieren Kommentatoren darüber, ob sich der Geist des „arabischen Frühlings“ nun auch der von den USA eingesetzten demokratische Ordnung des Zweistromlandes zusetzt.
„Wir akzeptieren nicht zu Bürgern zweiter Klasse“ reduziert zu werden, fasst der sunnitische Parlamentarier Ahmed al Missari den Zorn der durch den Sturz Saddam Husseins von der Macht gedrängten Minderheit zusammen. Sie fühlt sich diskriminiert, vom politischen Prozess ausgeschlossen, ökonomisch vernachlässigt, durch die Maliki weitgehend treu ergebene Justiz schikaniert und durch die von den Schiiten des Premiers dominierten Sicherheitskräfte terrorisiert. Die Aussicht, vollends unter Kontrolle des Irans zu geraten, steigert ihre Zukunftsängste. Immer häufiger schwenken sunnitische Demonstranten die Nationalfahne der Ära Saddam Hussein und sie bekamen jüngst offenbar gar Unterstützung von Saddams einstigen Stellvertreter Izzat Ibrahim al Douri, dem einzigen hohen Mitglied des gestürzten Regimes, das noch auf der Flucht ist und im Untergrund den gewalttätigen Widerstand organisieren dürfte. Eine Videobotschaft konnte allerdings von unabhängigen Quellen nicht verifiziert werden.
An der Autobahnverbindung nach Syrien und Jordanien haben zornige Sunniten eine Zeltstadt als Zentrum ihrer Protestbewegung  errichtet und einen Forderungskatalog an den Premier gerichtet, dem sie vor allem despotische Herrschaftsmethoden vorwerfen. Durch  kleine Zugeständnisse, wie die Freilassung einiger sunnitischer Frauen, die die Sicherheitskräfte festgenommen hatten, um deren Ehemännern habhaft zu werden, konnte Maliki aber seine aufgebrachten Gegner nicht beschwichtigen. Andere Forderungen, wie die Freilassung aller, auch jene wegen Terrordelikten inhaftierten Sunniten oder die Annullierung des Beschäftigungsverbots von Mitgliedern der gestürzten Baath-Partei in öffentlichen Ämtern lehnen Maliki und seine Anhänger energisch ab, weil sie neuen Terror und eine Rückkehr der verhaßten Batthisten an die Macht befürchten.
Sunnitische Geistliche und Aktivisten versuchen in einer Pendelmission zwischen der Zeltstadt in Anbar und Bagdad eine Lösung auszuhandeln. Und sie versprechen den Tausenden Aktivisten, dass es diesmal nicht wieder wie in der Vergangenheit geheime Absprachen mit Bagdad geben werde. „Das ist eine Revolution der Jugend, nicht der Stämme“, betont Scheich Ali Hatem. „Die Scheichs können sie nicht länger kontrollieren.“
Es ist aber auch längst keine sunnitische Revolte mehr. Andere, insbesondere der mit Maliki in der Regierung verbündete Schiitengeistliche Moktada Sadr, hat sich den Unzufriedenen angeschlossen. Sie hoffen auch die Kurden, die ihre eigenen schweren Konflikte mit dem Regierungschef austragen, voll auf ihre Seite zu ziehen. Im Parlament soll Maliki demnächst Rede und Antwort stehen. Doch seine Gegner sind zersplittert, jeder auf seine Gruppeninteressen konzentrier und damit wohl zu schwach, einen machtgierigen Mann zu Fall zu bringen, der den von Saddam befreiten Irak zu einem der korruptesten Staaten der Welt aufgebaut hat. Ein Ende der Turbulenzen läßt sich nicht erkennen.

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