Dienstag, 8. Mai 2012

Al Kaida gewinnt an Stärke im Jemen

Verfehlt der gemeinsame amerikanisch-jemenitische Anti-Terrorkrieg sein Ziel? – Der militärischen fehlt die politische Strategie

von Birgit Cerha


Amerikanische Anti-Terrorexperten hegen keine Zweifel: „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH), die weitaus widerstandsfähigste Gruppe in dem einst von Osama bin Laden geflochtenen Terrornetzwerk, wird immer stärker. Mit dem bevorstehenden Ende des mehr als zehnjährigen amerikanischen Militärengagements in Afghanistan verlagert sich der Anti-Terrorkrieg der Supermacht nur weiter nach Südwesten. Als jüngsten Beweis für die anhaltende Gefahr, die dem Westen, ja selbst dem amerikanischen „Heimatland“ vom südlichen Zipfel der Arabischen Halbinsel droht, liefert der US-Geheimdienst Bruchstücke von Informationen über die Planung eines „ambitionierten Bombenanschlags auf ein Flugzeug Richtung USA“, die zu vereiteln gelungen sei. Der Terrorakt sollte mit einer ausgeklügelten Weiterentwicklung der „Unterhosenbombe“ durchgeführt werden, die zu Weihnachten 2009 beinahe eine Passagiermaschine über Detroit zur Explosion gebracht hatte. Doch die Zündung der Bombe war fehlgeschlagen. Nach Erkenntnissen des US-Geheimdienstes führt auch diesmal die Spur wieder zur AKAH im Jemen und deren saudischen Bombenbastler Ibrahim al-Asiri, der den Mechanismus dieser nichtmetallischen, von Metalldetektoren auf Flughäfen nicht zu erkennenden Bombe verfeinert haben dürfte. Ob Vollkörperscanner eine solche Bombe, die ein Selbstmordattentäter in der Unterwäsche verstecken könne, entdecken würden, bleibt vorerst unklar.

Schon vor Wochen stellte John Brennan, Anti-Terror-Berater von US-Präsident Obama, alarmiert fest, dass AKAH im Jemen immer stärker Fuß fasse „sehr, sehr gefährlich“ sei und „enge Bindungen zum Al-Kaida-Kern in Pakistan“ unterhalte. Somit herrscht wenig Zweifel, dass sich der amerikanische Anti-Terror-Krieg in nächster Zukunft immer stärker auf das dahinsiechende Armenhaus auf der Arabischen Halbinsel konzentrieren wird.

Die mehr als einjährige demokratische Rebellion gegen den jahrzehntelangen Diktator Ali Abdallah Saleh hatte den Jemen in noch größeres Chaos gestürzt. AKAH verstand es, diese Situation für sich zu nutzen. Die Al-Kaida-Militanten schlugen sich verstärkt auf die Seite islamistischer Süd-Jemeniten, die gegen die Zentralregierung in Sanaa rebellieren. Heute lassen sich die Mitglieder dieser Ansar al Sharia kaum noch von AKAH unterscheiden. Gemeinsam haben sie südjemenitische Regionen in den Provinzen Abyan, Shabwa, Hadramout, Marib und Lahdsch unter ihre Kontrolle gebracht. Sogar die südjemenitische Hafenstadt Aden ist nach Aussagen unabhängiger Jemeniten „reif“ in die Hände der Al-Kaida zu fallen.

Als Abd-Rabbu Mansur al-Hadi nach langen mühseligen amerikanisch-saudischen Vermittlungsbemühungen im Februar Saleh im Präsidentenamt ablöste, schwor der neue Herrscher über fast unregierbar gewordenen Staat, den Kampf gegen al-Kaida mit offener und wohl auch geheimer US-Hilfe wesentlich zu verstärken. Doch dafür müßte er zuerst einmal die seit dem Sturz Salehs zersplitterten Streitkräfte wieder einen – ein äußerst schwieriges Unterfangen. Dennoch haben die Attacken auf Islamisten-Ziele und deren Gegenangriffe seit Februar dramatisch zugenommen. Und die USA setzen wieder verstärkt Dohnen und Raketen gegen mutmaßliche Stellungen der Extremisten ein. Sie verfolgen damit das Ziel, AKAH in der Hoffnung zu köpfen, das Terrornetzwerk damit schließlich völlig auszuschalten. Doch die jüngsten Entwicklungen lassen eine gegenteilige Wirkung befürchten. AKAH erweist sich als äußerst widerstandsfähig. So manches deutet darauf hin, dass sie die Gruppe vom Tod ihres in den USA geborenen „geistlichen Führers“ Anwar al-Awlaki und dem Chefredakteur des Propaganda-Magazins „Inspire“, Samir Khan durch eine US-Drohne vergangenen September wieder erholt hat. Nach siebenmonatiger Pause erschien eben wieder eine Ausgabe dieser Internetzeitschrift, die vor allem Islamisten in westlichen Ländern Instruktionen für Terrorakte erteilt. Auch die Lücke, die der Tod des seit langem wegen seiner Beteiligung am Terroranschlag gegen das US-Kriegsschiff Cole im Jahr 2000 gesuchten AKAH-Führungsmitglieds Fahd al-Kuso riss, wird die Gruppe rasch wieder schließen. Al-Kuso war Sonntag durch eine Rakete getötet in einer einsamen südjemenitischen Gebirgsregion getötet worden.

Die Erfahrungen im Jemen geben Kritikern des Einsatzes von Drohnen im Anti-Terror-Krieg zumindest teilweise recht. Trotz des verstärkten Einsatzes von Drohnen zur Tötung von mutmaßlichen Extremisten hat sich die Zahl der AKAH-Militanten laut jemenitischem Außenministerium seit 2009 von 300 auf tausend erhöht. Wieviele Zivilisten dabei ums Leben kamen, bleibt Schätzungen vorbehalten. Unter ihnen ist der 16-jährige Sohn Awlakis, der vergangenen Oktober durch eine US-Drohne getötet worden war und nachweislich nicht in Terroraktivitäten verwickelt war. Trotz der zivilen Opfer hat Obama Ende April entschieden, die Drohnenangriffe weiter auszuweiten. Der US-Geheimdienst CIA darf künftig bei bloßem Terrorverdacht Drohneneinsätze fliegen. Bisher durften nur auf Terroristen gezielt werden, die auf Geheimdienst- und Militärlisten geführt werden. Nun muß nicht mehr eindeutig feststehen, wer bei den Anschlägen getötet werden könnte.

Washington ist drauf und dran im Jemen die Fehler von Afghanistan zu wiederholen, mit möglicherweise fatalen Folgen. Fundierte Kenner des Landes, wie der Amerikaner Gregory Johnson, beklagen die ausschließliche Konzentration der US-Führung auf den militärischen Kampf gegen Al-Kaida im Jemen, wo man vollends des fruchtbaren Nährboden für extremistische Gedankengut außer acht läßt. So findet AKAH vor allem in den Regionen des Süd-Jemen starken Zulauf, die seit Jahrzehnten zunächst von der Regierung in Aden und dann von jener des vereinten Jemen in Sanaa vollends vernachlässigt wurden. Mehr als in anderen Gebieten fehlt es dort an Strom und sauberem Wasser, an Arbeitsplätzen und anderen Einkommensquellen. Nach dem Vorbild der Taleban in Afghanisten versucht AKAH gemeinsam mit ihren lokalen Gesinnungsgenossen, die hier den Kern eines islamischen Staates errichten wollen, die Lücke zu füllen. Sie versorgen die bitterarmen Menschen mit überlebenswichtigen Gütern, liefern kostenlos Strom und Gas, versuchen die Not zu lindern. Wenn die von den USA unterstützten Streitkräfte des jemenitischen Staates, der sie so sträflich vernachlässigt, dann gegen die al-Kaida-„Wohltäter“ losschlagen und dabei immer wieder auch Zivilisten treffen, machen sie sich die Bewohner dieser Regionen zu ihren Erzfeinden. Dabei spielt die Tatsache, dass die Islamisten islamisches Recht auch gewaltsam durchzusetzen suchen, eine untergeordnete Rolle.

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