Donnerstag, 21. Juli 2011

Bleibt Ägypten ein Militärstaat?

Hitzige Debatte über die zentrale Rolle der Streitkräfte, Beschützer oder Feind der Demokratie -Türkei könnte als Modell dienen

(Bild: Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, Vorsitzender des Militärrates)



von Birgit Cerha

Die politische Landschaft am Nil ist höchst konfus und die Emotionen heizen sich immer weiter auf. Seit vor mehr als fünf Monaten eine 25-köpfige Militärjunta Präsident Mubarak zum Rücktritt zwang und in Ägypten die Macht übernahm, folgt der politische Prozeß einem höchst ungewöhnlichen Muster: Besorgt, das Übergangsregime beraube sie um die Früchte ihrer Revolution versammeln sich Demokratie-Aktivisten auf dem inzwischen legendär gewordenen Tahrir-Platz im Zentrum Kairos, um politische Forderungen durchzusetzen; die Regierung, der Höchste Militärrat reagieren mit Zugeständnissen. Sie reichen den Revolutionären nicht. Es folgen erneute Proteste und erneute Zugeständnisse. Jüngster Stand: Ent-Mubarakisierung der Regierung durch die Ernennung von 14 neuen Ministern, deren Angelobung allerdings mehrmals verschoben wurde. Ein weiterer Beweis der Konfusionen.Unter den „Gesäuberten“ aber ist nicht das von den Aktivisten meistgehaßte Regierungsmitglied: Innenminister Mansour El Essawy, dem allzu starkes Zögern bei der Strafverfolgung von Mubarak und dessen Clique, sowie im Kampf gegen die Kultur der Repression und Willkür in der Polizei vorgeworfen wird. „Zu wenig und zu spät“, lautet denn auch der Kommentar der Protestführer zu Premier Essam Scharafs Kabinettsumbildung. Scharaf, so die weitverbreitete Ansicht, sei zu schwach, um sich gegen die Militärs durchzusetzen.

Tatsächlich müssen Ägyptens Revolutionäre mehr und mehr erkennen, dass ein Wechsel der Personen, der Abtritt des autokratischen Herrschers nach drei Jahrzehnten dem Land noch keineswegs den ersehnten Wandel beschert. Denn Ägyptens Problem ist systemimmanent. Es konzentriert sich auf das riesige Militärestablishment, das seit sechs Jahrzehnten die Macht aufeinander folgender Diktatoren untermauerte und sich damit die Dominanz über den Staat, aber auch die Wirtschaft des Landes sicherte.

„Die Armee und das Volk sind eins“, brüllten Zehntausende während der 18-tägigen Revolte gegen Mubarak. Das entsprang Wunschdenken. In Wahrheit ging es den Offizieren primär darum, ihre durch den Volkshaß auf den Präsidenten dramatische bedrohte Macht und ihre Privilegien zu sichern, das Land wieder zur Stabilität zu führen. Sie wandten und wenden bis jetzt dabei altbewährte repressive Methoden an. Mehr als 7.000 weitgehend friedliche Demonstranten wurden seit dem Sturz Mubaraks verhaftet und viele nach glaubwürdigen Berichten gefoltert, unzählige Zivilisten von Militärgerichten abgeurteilt. Das repressive Staatssicherheitssystem wurde nur oberflächlich verändert.

Nur sechs Monate wolle die Junta an der Macht bleiben, hatten die Offiziere im Februar verkündet. Doch erst am 19. Juli ernannten sie eine Kommission, die die ersten Parlamentswahlen der neuen Epoche, nun von September auf November verschoben, vorbereiten soll. Die zwei Monate, die neu formierende, überwiegend säkulare und liberale Parteien damit zur Wahlvorbereitung gewinnen, reichen wohl nicht, um ihre Chancen auf die seit langem hervorragend organisierte Moslembruderschaft zu verbessern. Doch den Ängsten dieser Kreise, die Moslembruderschaft werde das neue Parlament dominieren und einem von diesen gebildeten Komitee zur Erarbeitung einer neuen Verfassung seine – undemokratischen - Wünsche aufzwingen, versucht der Militärrat nun zu zerstreuen. Ein Expertenkomitee erarbeitet nun eine „Erklärung von Grundprinzipien“ für die Erarbeitung einer neuen Verfassung. Danach soll keine politische Gruppierung das Verfassungskomitee dominieren, sollen alle Kräfte der Gesellschaft repräsentativ vertreten sein. Im Zuge dieser Vorbereitungen ist eine heftige Diskussion über die künftige Rolle der Streitkräfte am Nil entbrannt. Hohe Offiziere gaben zu verstehen, dass sie eine Sonderrolle der Streitkräfte in der Verfassung verankert sehen wollen. Das Militär solle der zivilen Kontrolle entzogen bleiben, ein Vetorecht über den demokratischen Prozeß erhalten und – ähnlich wie die türkischen Kollegen – auch das Recht auf Intervention nach eigenem Ermessen, sollten der Säkularismus (durch Islamisten) oder die nationalen Interessen Ägyptens gefährdet sein. Während demokratische Kräfte nun befüchten, nicht eine echte Demokratie, sondern nur eine reformierte Version des vom Militär gestützten autokratischen Regimes werde die Herrschaft Mubaraks ersetzen, , hat das Expertenkomitee keine Sonderrolle der Streitkräfte in seinen Entwurf der „Erklärung von Grundprinzipien“ eingeschlossen. Doch das letzte Wort hat die Junta.

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