Samstag, 11. Juni 2011

Im Orient kein Platz mehr für Christen?

Der „arabische Frühling“ steigert quälende Existenzängste unter den nicht-muslimischen Minderheiten

von Birgit Cerha

„Wenn die Situation so bleibt, dann sind die Christen hier zum Martyrium bereit.“So fasst der koptische Pater Tharwat die Stimmung unter vielen Glaubensbrüdern seit dem Sturz Präsident Mubaraks am 11. Februar zusammen. Inzwischen nämlich hat sich der „arabische Frühling“ für die nicht-muslimischen Minderheiten zu einem eisigen Winter gewandelt.Vorüber scheint die Zeit, als Kopten, zehn Prozent der Bevölkerung, auf dem Kairoer Tahrir-Platz gemeinsam mit Muslimen den Sturz des Autokraten erzwangen. Damals schien es der so lange an den Rand der Gesellschaft gedrängten Minderheit, sie werde endlich den ihren gebührenden Platz in einer künftigen ägyptischen Demokratie erobern. Dochwar Mubarak vom Thron gefegt, wurden die Kopten Ziel blutiger Attacken. Muslimisch-christliche Spannungen eskalierten zur größten Gefahr für die Stabilität im nach-revolutionären Ägypten.

Viele Christen befürchten, der Zusammenbruch des Polizeistaates habe ein Ventil geöffnet und drohe, lange schwelende Spannungen zur Explosion zu bringen, eine Entwicklung, die den Charakter der gesamten Region verändern könnte. „Die Kopten sind ein entscheidender Testfall“, meint denn auch Heba Morayef vom Kairoer Büro der „Human Rights Watch“.

„Die Geschichte hat uns bewiesen, dass es Christen in der Region stets besser ergeht unter Herrschern, die im Westen als Diktatoren angesehen werden“, erläutert der syrisch-orthodoxe Erzbischof Cyril Aphrem Karim. So hat auch in Ägypten Kopten-Papst Shenouda die Patronanz des säkularen Diktators gepflegt. Ähnlich agierten die Christen im Irak unter Saddam Hussein und in Syrien. Wie im Irak fühlen sich die Kopten nun schutzlos, eine Lage, die sich noch durch den Zusammenbruch der Polizei und das Zögern des herrschenden Militärrates verschärfte. Ängstlich bedacht, Blutvergießen zu vermeiden, sahen die Generäle wochenlang tatenlos den Attacken gegen Kopten zu.

In dieser Atmosphäre gewannen die von Mubarak massiv unterdrückten islamistischen Salafisten enormen Auftrieb. Durch Attacken gegen die Kopten hoffen sie, ihre Position von einer Randgruppe wesentlich zu stärken. Nach Erkenntnissen der Sicherheitskräfte sind aber an den blutigen Attacken l mehrheitlich Kriminelle beteiligt gewesen, offensichtlich von Anhängern des Mubarak-Regimes angeheuert. Viele Kopten befürchten aber auch, dass dieerstarkenden Moslembrüder eine Degradierung des Status der Christen zu Bürgern zweiter Klasse durchsetzen. Zutiefst verängstigt, wollen sie nicht an den moderaten Charakter dieser Bewegung glauben, die eben in ihrer neugegründeten politischen Partei einen prominenten protestantischen Christen zum stellvertretenden Vorsitzenden erkoren hat.

Hoffnungsschimmer lassen sich erkennen. Der Militärrat begann sich erstmals der gesetzlichen Diskriminierung der Kopten zuzuwenden . Ein Entwurf wurde erarbeitet, der u.a. die scharfen Restriktionen für Kirchenbauten lockern soll. Zudem wird die von Mubarak verhängte Sperre von 50 Kirchen überprüft, wie auch die explosive Frage der häufigen Zwangskonversionen koptischer Mädchen zum Islam. Provokative Versammlungen vor Kirchen und Moscheen sollen verboten werden. „Wir haben dies seit ewigen Zeiten gefordert,“ erläutert der christliche Anwalt Amir Ramzy. „Hier liegen die Wurzeln der Spannungen und dies ist der richtige Weg, sie endlich auszureißen.“

Die dramatischen Entwicklungen der Revolution in Syrien mit mehr als 1.300 Toten, stürzen die 1,5 Millionen Christen in ein schweres Dilemma. Viele befürchten, ein erfolgreicher „arabischer Frühling“ könnte das christliche Element in der arabischen Welt auslöschen. Während der 40-jährigen alawitischen Minderheits-Herrschaft der Assad-Dynastie erfreuten sich die Christen weitgehender Religionsfreiheit und eines Aufstiegs in die Mittel- und Oberschichte. Seit hundert Jahren bietet Syrien verfolgten Christen der Region, zuletzt Zehntausenden vor Massakern im Irak Geflüchteten Schutz. Solche Toleranz und das Bekenntnis zu einem säkularen Staat freilich wurde vom Regime stets als Argument dafür benutzt, die sunnitische Mehrheit durch anti-demokratische Methoden in Schach zu halten.

Einige Christen hatten sich zu Beginn an den Demonstrationen für Demokratie-Reformen beteiligt. Die Mehrheit aber hielt sich aus Sorge, ein Sturz Assads könnte das Land in ein blutiges Chaos reißen, passiv im Hintergrund und verärgerte damit zunehmend radikalere muslimische Aktivisten. So attackierten Regierungsgegner immer wieder christliche Gemeinden, die auch Drohbriefe erhielten, sich entweder den Protesten anzuschließen oder das Land zu verlassen. Mehrmals aufgetauchte Slogans wie „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut“ steigern weitverbreitete Ängste vor einem Chaos oder der Machtübernahme durch fanatische Sunniten, sollte Assads Regime stürzen. Diese Gefahr wird allerdings vom Regime aus Selbsterhaltungstrieb hochgespielt und treibt nicht wenige Christen in eine Paranoia.

Christliche Würdenträger drängen nun ihre Glaubensbrüder, sich nicht länger an den Rand der Gesellschaft zu stellen, sich für „Bürgerrechte für jeden“ einzusetzen.. In einem eindringlichen Appell rufen die syrischen Jesuiten zu einem Ende der Gewalt und der Suche nach friedlichem Zusammenleben in einem nationalen Dialog auf.

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