Montag, 25. April 2011

JEMEN: Krise im Jemen verschärft

Jugend-Opposition schwört Eskalation der Proteste, während Vermittlungsversuche der Golfstaaten in der Sackgasse landen

von Birgit Cerha

Wieder mündeten Montag Protestkundgebungen gegen Jemens Präsidenten Ali Abdullah Saleh in ein Blutbad. Dutzende Menschen wurden in der Stadt Taez verwundet, als regimetreue Sicherheitskräfte in die Menge schossen. Die Jugendbewegung, die seit zwei Monaten die Speerspitze der Volksrevolution gegen Saleh bildet, hatte am Wochenende eine Eskalation ihrer Aktionen gegen den Präsidenten angekündigt, um dessen sofortigen Rücktritt zu erzwingen.

Ein von den USA und der EU unterstützter Vermittlungsplan des Golfkooperationsrates (GCC) hat die Krise im Jemen, die bisher bereits an die 130 Menschenleben forderte, nur noch verschärft. Denn der Plan sieht einen „ehrenhaften“ Abgang des seit 33 Jahren herrschenden Diktators vor, den ihm die jugendlichen Demokratie-Aktivisten nicht gewähren wollen. Zudem fand das tiefe Misstrauen gegen den politischen Überlebenskünstler Saleh unter den Demonstranten am Wochenende erneute Nahrung. Zunächst akzeptierte der Präsident laut einem Palastsprecher Samstag den GCC-Plan, der die sofortige Bildung einer Übergangsregierung zwischen Salehs das Land dominierenden „Allgemeinen Volkskongress“ und der „Opposition“ (wie es im Plan heißt) vorsieht. Erst drei Monate später sollte der Präsident selbst aus der Politik ausscheiden, während ihm und seiner Familie auch danach Straffreiheit wegen Machtmissbrauchs, dem Tod unzähliger friedlicher Demonstranten, Vetternwirtschaft und hemmungslosen Diebstahls aufkosten des bitterarmen Volkes zugesichert werden soll.

Die Gegner des Präsidenten hatten in den vergangenen Wochen eine erstaunliche Einheit gefunden. Nicht nur protestierten Angehörige diverser Bevölkerungsgruppen unter jugendlicher Führung friedlich auf Hauptplätzen jemenitischer Städte, es schlossen sich ihnen auch die seit langem im Parlament vertretenen Parteien an, die mit Saleh kooperiert hatten und deshalb unter vielen Jemeniten wenig Vertrauen genießen. Als besonders bemerkenswert aber ist die Position der weitgehend autonomen, miteinander traditionell rivalisierenden Stämme, der weitaus stärksten gesellschaftspolitischen Kraft des Landes, zu werten. Selbst lange miteinander verfeindete Stammesgruppen begruben plötzlich ihr Kriegsbeil und verzichteten selbst auf uralte Gepflogenheiten der Blutrache angesichts der zahllosen Toten und Verwundeten, um gemeinsam, unter Erhaltung des friedlichen Charakters ihre Aktionen, Saleh zum Abtritt zu zwingen. Kenner des Jemens sehen darin einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Doch noch steht keineswegs fest, ob dieser Kooperationswille auch anhält, sobald das Hauptziel – Sturz Salehs – erreicht ist.

Und schon zeigten sich Montag erste Sprünge in der neuen Einigkeit. Während die im „Gemeinsamen Forum“ zusammengeschlossenen sieben Oppositionsparteien den GCC-Plan grundsätzlich begrüßten, wiewohl sie noch über Änderungen diskutieren wollen, stieß der Vorschlag bei der „Straße“ auf Empörung. Jugendsprecher stoßen sich vor allem daran, dass ihre Massenbewegung und deren Forderungen völlig ignoriert werden. Es ist im Plan nur von der Regierungspartei und der (etablierten) Opposition die Rede. Deren Bereitschaft, sich auf Kompromisse einzulassen könnte, so befürchten die Aktivisten, dem raffinierten Taktiker Saleh neue Chancen bieten, seine Macht doch noch zu retten, zumal das GCC-Projekt die Jugendbewegung ihrer effizientesten Waffe beraubt: Demonstrationen und Sitzstreiks, die mit Unterzeichnung des Dokuments sofort eingestellt werden sollten.

Die am Wochenende skandierte Forderung „keine Regierung, kein Dialog – Rücktritt (Salehs) oder Flucht“ stützt sich auf den begründeten Verdacht, dass der Jemen nur dann eine Chance auf Wandel zur Demokratie besitzt, wenn der Diktator und seine die Machtzentren kontrollierenden Familienmitglieder ausgeschieden sind. Die vergangenen Wochen haben dies bewiesen. Trotz des Absprungs hoher Offiziere, einflussreicher Mitglieder seines „Allgemeinen Volkskongresses“, des Parlaments und der Regierung, sitzt Saleh immer noch im Sattel, zum Bleiben entschlossen. Solange sein Sohn und sein Neffe die schlagkräftigsten Armee-Einheiten und Sicherheitskräfte kontrollieren, verfehlen friedliche Demonstrationen die erwünschte Wirkung. Dennoch schlittert so das Land und seine ohnedies schon danieder liegende Wirtschaft immer tiefer ins Chaos. Eine rasche Lösung ist deshalb dringend geboten. Doch niemand, das gestehen nun auch Vertreter der Opposition ein, vermag heute mehr „die Straße“, die einen totalen Bruch mit der korrupten Saleh-Ära anstrebt, zu kommandieren oder zu kontrollieren.

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