Dienstag, 1. Februar 2011

ÄGYPTEN: „Marsch der Millionen“ gegen den „Pharao“

Mubarak spielt auf Zeit für einen gesichtswahrenden Abgang, doch für Ägypten kann sich dies als Katastrophe erweisen

von Birgit Cerha

Mit ihren kleinen Kindern an der Hand, oder gar am Rücken von Kamelen versammelten sich Hunderttausende Ägypter Dienstag zum „Marsch der Millionen“ im Zentrum von Kairo und anderen Städten des Landes. Ob die von der Opposition erhofften Millionen zusammengeströmt waren, bleibt dahingestellt. Jedenfalls war es die größte Massendemonstration, die das Land am Nil vielleicht je erlebt hat. Doch sie reichte offenbar nicht, um den Willen des „Pharao“, der seit drei Jahrzehnten das 80-Millionen Volk beherrscht, zu brechen. Vorerst. Vielleicht, so hoffen zumindest die oppositionellen Aktivisten und mit ihnen Hunderttausende, ereilt den Präsidenten in drei Tagen das Schicksal, am „Freitag der Abreise“, an dem die Massen den Druck auf den Diktator weiter verstärken wollen.In nur sieben Tagen hat sich die Welt am Nil in schier unglaublicher Weise gewandelt. Als vor einer Woche Zehntausende Ägypter erstmals die Jahrzehnte alte Barriere der Furcht durchstießen und auf die Straßen strömten, protestierten sie gegen Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, hohe Preise und gigantische soziale Ungerechtigkeiten. Niemand glaubte damals, dass das Regime ernsthaft gefährdet sein könnte. Heute hat sich der Protest personalisiert. Die Massen wollen nichts weniger, als den sofortigen Abtritt Mubaraks und viele machen ihrer Entschlossenheit Luft, solange in den Straßen auszuharren.

Man sollte glauben, in den vergangenen Tagen habe sich ausreichender Druck angesammelt, um den 82-jährigen, vom Alter schwer gezeichneten Herrscher zur Aufgabe zu bewegen: der Hass der Massen, der in dieser Intensität alle überraschte; die Stichhaltigkeit ihrer sozialen Frustrationen, die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich; die einwöchige Lähmung des größten arabischen Landes; und zuletzt die Position des Militärs, das seit dem Sturz der von den Briten gestützten Monarchie 1952 die Stabilität des Landes und dessen Regime garantierte. Wie Nasser 1952 kamen auch seine Nachfolger Sadat und Mubarak aus den Reihen der Offiziere, die dieses System aufbauten, schützten und – auch zu ihrem Vorteil – erhielten. Mubarak konnte sich sicher fühlen. Seit Montag nicht mehr.

„Das Volk und die Armee sind eins“ lautet einer der populärsten Slogans. Die Streitkräfte ermöglichten Hunderttausenden Dienstag, ihren Protest gegen den Diktator in festlicher Form zu zelebrieren, vor und mit den von den USA gelieferten Panzern. Denn die Armeeführung hatte Montag abend zu verstehen gegeben, dass sie keine Gewalt gegen die für die Durchsetzung „ihrer legitimen Forderungen“ demonstrierenden Menschen anwenden werde, um Mubarak zu schützen. Unterstützt sie nun das Verlangen nach Abreise Mubaraks? Doch noch haben die in diesem System hoch privilegierten Offiziere den Präsidenten nicht fallen gelassen. Offensichtlich geht es auch der Mehrheit im Offizierskorps darum, Mubarak einen gesichtswahrenden Abgang zu sichern. Und der „Pharao“ wehrt sich hartnäckig gegen öffentliche Demütigung, koste es was es wolle, auch den Zusammenbruch der Wirtschaft.

So versucht Mubarak vorerst, mit Hilfe des neuen Vizepremiers, Ex-General Omar Suleiman, Zeit zu gewinnen, verspricht erstmals der Opposition, auch den verhassten Moslembrüdern (MB), einen Dialog und Maßnahmen zur Linderung sozialer Nöte, in der Hoffnung, eine kläglich schwache Opposition werde ohnedies keine zielführenden Verhandlungen führen können. Doch einige der wichtigsten politischen Bewegungen, darunter die sich zumindste verbal zu pluralistischer Demokratie bekennenden Moslembrüder, schlossen sich zu einer „Nationalen Versammlung der Veränderung“ zusammen. Ideologisch völlig unterschiedlich, eint sie die Forderung nach sofortigem Rücktritt Mubaraks und vage Grundideen von demokratischer Veränderung und sozialer Gerechtigkeit. Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei ist ihr Sprecher. Doch das Verhandlungsangebot wollen sie erst akzeptieren, wenn Mubarak das Land verlassen hat.

Das Verhalten der höchsten Offiziere wird den Fortgang der Ereignisse entscheiden. Noch suchen einige von ihnen offenbar eine für Mubarak milde Lösung. Im September sind ohnedies Präsidentschaftswahlen angesetzt. Diese sollen frei sein und einen „natürlichen“ Abtritt des „Pharaos“ ermöglichen. Davon aber will die Opposition nichts wissen und für die Wirtschaft, die bereits gravierende Schäden erlitt, könnte sich ein derart aufgeschobener Wandel als Katastrophe erweisen.

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