Donnerstag, 8. Juli 2010

SYRIEN: Baschar el Assad, der vorsichtige Pragmatiker

Syriens Präsident hat sich in zehn Jahren an der Macht zu einem Führer aufgebaut, der sich nicht mehr ignorieren lässt
Als mehr als 97 Prozent der wahlberechtigten Syrer am 10. Juli 2000 den jungen, politisch völlig unerfahrenen Augenarzt Baschar el Assad in einem Referendum zum neuen Präsidenten Syriens kürten, da prophezeiten ihm so manche Kenner der Region eine kurze politische Lebensdauer. Baschar besäße keinerlei Chance, sich länger an der Spitze des Staates zu halten, weil sich die mächtigen Generäle der syrischen Armee niemals damit abfinden würden, dass dieses „Kind“ über sie herrsche. So lautete etwa die düstere Prognose Uri Lubranis, des einstigen Koordinators der israelischen Libanon-Politik und intimen Kenners des Damaszener Machtgefüges.

Ein Jahrzehnt später sitzt der heute 45-jährige Assad fest im Sattel, hat Syrien durch schwere regionalpolitische Krisen, externe Bedrohungen, Wirtschaftssanktionen und massiven diplomatischen Druck durch den Westen und Israel durchlaviert und sein Land aus quälender internationaler Isolation gezogen. Wie einst unter der 30-jährigen Herrschaft seines Vaters Hafez, des selbst von Gegnern bewunderten Meisters politischer Strategie, hat Syrien unter Bashar wieder einen zentralen Platz im regionalpolitischen Schlachtfeld eingenommen. Wieder, wie einst, lässt sich Syriens Diktator bei der Suche nach Frieden zwischen Israelis und Arabern und anderen wichtigen geopolitischen Fragen nicht ignorieren.

Dennoch fällt die Bilanz eines Jahrzehnts der Präsidentschaft Baschar el Assad auch vom syrischen Standpunkt keineswegs nur rosig aus. Das Schicksal hatte dem gewieften Machtpolitiker Hafez einen bitteren Streich gespielt, als sein ältester, in vielen Jahren zum Nachfolger gekürte Sohn Basil 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam. Baschar, der Zweitgeborene, musste seine Arztkarriere in London aufgeben und sich der Politik widmen, von der er sich nach eigenen Aussagen völlig fernhalten wollte. Der Vater starb plötzlich 2000, bevor er Baschars Machtübernahme vollends absichern konnte. Dennoch gelang der Wechsel an der Staatsspitze erstaunlich reibungslos. Rasch und ohne viel Diskussion wurde die Verfassung geändert, die ein Mindestalter für den Präsidenten von 40 Jahren vorgeschrieben hatte. Die alte Garde, die Elite in Militär und Politik, sahen in diesem unerfahrenen Diktatorsohn ohne eigener Machtbasis die beste Chance, ihre Positionen und Privilegien zu erhalten und zu stärken, begrub deshalb ihre Rivalitäten und stellte sich hinter Baschar. Dieser rasche, komplikationslose Übergang stärkte die Hoffnungen vieler Syrer auf eine neue Ära. Hatte Baschar sich doch, so lange der Vater lebte, als Reformer präsentiert, offen, modern, aufgeklärt, ein Internet-Freak, durch seine Studien in England vertraut mit dem Westen und dessen demokratischen Idealen, nach denen, zumindest einigen von ihnen, sich auch viele, vor allem junge und gebildetere Syrer, sehnten.

Baschar verhieß ihnen Liberalisierungen des politischen und ökonomischen Lebens und tatsächlich begannen schon bald die Blumen des „Damszener Frühlings“ zu sprießen, politische und kulturelle Foren, in denen engagierte Bürger in einer relativ offenen Atmosphäre über Demokratie und Freiheiten diskutierten. Doch die Ernüchterung kam rasch. Die um die Macht zitternde alte Garde zwang Baschar zur Gegenattacke. Schon nach wenigen Monaten wurden nicht nur die Foren verboten, sondern deren wortgewaltigsten Rhetoriker inhaftiert, manche bis heute. Die Tatsache, dass sich der junge Präsident dem Druck der mächtigen beugte, bewies nicht nur dessen politische Unerfahrenheit und Schwäche, sondern auch die fehlende Vision, eine unausgegorene Weltsicht, der es an Substanz mangelte.

Sehr rasch kehrte Syrien zu den alten Methoden des verstorbenen Diktators zurück, massive Restriktionen der Versammlungs- und Pressefreiheit, willkürliche Verhaftungen von Kritikern, Aufrechterhaltung des seit 1963 geltenden Kriegsrechts, das Festnahmen ohne Haftbefehl gestattet, Verfahren, die den Grundsätzen des Rechtsstaates Hohn sprechen und den Foltertraditionen keinerlei Einhalt gebietet. Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren hat das Regime seine Repressionen, die Inhaftierung politischer Gegner und Angehöriger der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivisten u.a. massiv verschärft. Wie einst unter dem Vater sind die Geheimdienste allmächtig und terrorisieren insbesondere die kurdische Minderheit.

Versprechungen politischer Liberalisierung, der Zulassung von Parteien blieben bis heute unerfüllt. Internet, Facebook, etc wird intensiv, doch teilweise erfolglos, blockiert.

Dabei ist es Baschar mehr und mehr gelungen, sich aus den Fangarmen der machtgierigen alten Garde zu lösen und seine Position abzusichern. Vorsichtig, Schritt für Schritt, doch mit zunehmendem Selbstvertrauen wagte er mutige Entscheidungen auch gegen den Rat und die Interessen der alten Elite. Gegen sie, die bedingungslos an der Widerstandsstrategie gegen Israel festhalten, setzte er eine Politik des vorsichtigen Pragmatismus durch, etwa wenn er sich – zunächst geheim – zu indirekten Gesprächen mit Israel in der Türkei entschied.

Er überstand die schwere Demütigung des erzwungenen Abzugs seiner Truppen aus dem Libanon 2005 und schaffte es, politisch und über seine Geheimdienste sich heute wieder die Kontrolle über den kleinen strategisch so wichtigen Nachbarn weitgehend zu sichern. Seit der US-Invasion des Iraks 2003 belagert, massiv unter Druck und international, sowie auch in der arabischen Welt isoliert, begann er 2008 eine Reihe mutiger Initiativen. Er verstärkte zuvor nur zaghaft eingeleitete wirtschaftliche Reformen und entschied sich nach intensiven internen Debatten für eine ausgewogenere Politik gegenüber dem Irak, eine schärfere Kontrolle der Grenzen, um den blutigen Widerstand gegen die die US-Truppen und die Bagdader Führer zu schwächen. „Er entscheidet in der Außenpolitik“, meint ein Syrien-Kenner, allerdings bleibt Baschars Spielraum eng begrenzt, gilt es immer noch, Widerstand der alten Garde gegen Pragmatismus und Reformen zu brechen.

Heute ist es Assad gelungen, wie einst sein Vater zu einem hofierten Staatsmann in der arabischen Welt aufzusteigen. Selbst Washington unter Präsident Obama hat erkannt, dass es für eine Entschärfung der schweren Spannungen in der Region der Hilfe des Syrers bedarf. Der enge Bund Assads mit einem regionalpolitisch erstarkenden Iran macht Assad zu einem unverzichtbaren Verhandlungspartner und potentiellen Vermittler. Eine sich neu heranbildende Dreierallianz - Türkei-Iran-Syrien – könnte das jahrzehntelange strategische Gleichgewicht in der Region erstmals zum gravierenden Nachteil Israels verschieben, eine Aussicht, die den um die Rückgabe des von Israel besetzten Golans bangenden Assad mit neuem Mut und Selbstvertrauen erfüllt.

In den vergangenen zwei Jahren hat Baschar auch mehr und mehr das von seinem Vater für dessen Ansprüche geformte Staatssystem zu reformieren begonnen. Mehr und mehr umgibt er sich mit jungen Technokraten, viele darunter aus dem Ausland heimgeholt, die seine Ideen, seine Reformgedanken teilen. Eine der wohl wichtigsten personellen Veränderungen gelang ihm 2008, als er seinen mächtigen Schwager Asef Shawkat, den lange als unantastbar geltenden Chef des militärischen Geheimdienstes, von vielen als der eigentliche „starke Mann Syriens“ angesehen, absetzte. Heute halten in Syrien viele junge, der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Männer die Zügel der Macht in ihren Händen. Und es ist ihnen gelungen, neue Hoffnung aufkeimen zu lassen. Die Haltung eines Geschäftsmannes mit engen Bindungen an das Regime mag symptomatisch erscheinen. Gegenüber der International Crisis Group erklärte der Mann, der ungenannt bleiben wollte, Anfang 2009: „Bisher vertrauen wir ihm (Baschar) nicht so wie seinem Vater.“ Wenige Monate später gestand er: „Syrien bewies, dass es in der Region nicht ignoriert werden kann. Mein Vertrauen zum Präsidenten ist gewachsen. Vielleicht war es teilweise Glück, waren teilweise die Umstände dafür verantwortlich, doch er hat seine Fähigkeiten bewiesen. Wir hätten das selbe Schicksal erleiden können wie der Irak.“

An der Oberfläche scheint auch ökonomisch in Syrien ein Boom einzusetzen. Eine Verschönerungskampagne lässt Damaskus heute grüner und sauberer erscheinen. „Selbst streunende Katzen sehen gut aus“, berichtet ein Besucher begeistert. Und gerade rechtzeitig zum zehnten Jahrestag der Machtübernahme Baschars gab die Zentralbank in Damaskus bekannt, dass die Wirtschaft im Vorjahr um 5,9 Prozent, um 2,3 Prozent mehr als erwartet, angewachsen sei. Doch die Korruption treibt unvermindert ihre Hochblüten und die Kluft zwischen Armen und einer winzigen Schichte Superreicher wird immer tiefer. 2,3 Millionen der etwa 20 Millionen Syrer leben heute in extremer Armut.

Allmählich wird sich Assad energischer darauf besinnen müssen, wofür er vor einem Jahrzehnt angetreten ist: die Modernisierung Syriens, ökonomisch, sozial und politisch. Hier werden seine Führungsqualitäten ihrem eigentlichen Test unterzogen.

Bildquelle: pbase.com

1 Kommentar:

  1. Nur 97 Prozent? Das ist aber zu wengi für so ein Jungen Diktator, der die macht von seiner Vater geerbt hat ohne Wahlen und mit 0 Prozent haben sie für ihn die Verfassung in 10 Minuten geändert so das einer wie er mit 35 syrischer President werden kann.

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