Montag, 19. Juli 2010

IRAN: Vom „sanften zum harten Krieg“

Schon zeigen sich erste Auswirkungen der verschärften Sanktionen gegen den Iran – Doch sie könnten sich als zweischneidiges Schwert erweisen

von Birgit Cerha

Der Ton hat sich radikal gewandelt seit die UNO, die USA und die Europäer zu einer neuen, verschärften Sanktionsrunde gegen den Iran bliesen. Wie ein verwundeter Bär schlägt die Theokratie in alle Richtungen und stimmt das Volk auf Konfrontation ein. „Sie wollen uns die Angst einjagen, dass etwas sehr Gefährliches hinter ihren Drohungen steckt…. Wir müssen für alles bereit sein“, so die eindringliche Mahnung des „Geistlichen Führers“ Khamenei, zum „sanften“, aber auch zum „harten Krieg“. Zugleich versucht Präsident Ahmadinedschad die Sanktionen als „lästige Fliegen“ abzutun, sie glichen einem „gebrauchten Taschentuch“, böten aber die Chance, die Bevölkerung gegen „Verseuchung“ durch „ungläubige“ Kulturen zu schützen.


Doch massiv verschärfte Repressionen zeigen, dass das Regime nicht wirklich an Segnungen dieser Strafmaßnahmen glauben. Das Thema ist für die Medien tabu. „Der Druck auf die Presse hat unvorstellbare Ausmaße erreicht“, gesteht ein Journalist einer regimetreuen Zeitung ein. Es herrscht eine Atmosphäre der Hochspannung, und das Volk macht sich große Sorgen. Dass selbst Iran erzkonservative Herrscher in dieser neuen Konfrontationsrunde mit einem großen Teil der Welt gespalten sind, lässt sich durch erste differenzierte Kommentare erkennen. So gesteht der in den USA ausgebildete Chef des iranischen Atomprogramms, Ali Akbar Salehi, offen ein, dass die verschärften Sanktionen dieses Programm erheblich verlangsamen würden und Alaeddin Borujerdi, erzkonservativer Chef der parlamentarischen Sicherheitskommission, sagt offen schmerzliche Folgen voraus und spricht gar von der Möglichkeit, dass der Iran die heiß umstrittene Uran-Anreicherung bis zu 20 Prozent reduzieren könnte. Doch eine Abkehr vom Atomprogramm schließen alle aus.

Prominente Exil-Iraner wie Ex-Präsident Bani Sadr sind überzeugt vom enormen Schaden, der nun der Wirtschaft droht: galoppierende Inflation, Verschärfung der Armut. Nach einer Einschätzung der Teheraner Handelskammer dürfte das jährliche Wirtschaftswachstum von derzeit drei um 1,8 Prozent sinken. Das Arbeitsministerium fürchtet, dass täglich 3000 Jobs verloren gehen und eine für das Handelsministerium erarbeitete Studie schätzt gar, dass in den nächsten drei Jahre 40.000 Unternehmen, darunter einige große Firmen, schließen müssen.

Wiewohl die USA und ihre Verbündeten hohe Regierungsbeamte und vor allem die für das Atomprogramm verantwortlichen Revolutionsgarden – und nicht die Bevölkerung – unter Druck setzen wollen, herrscht unter Analysten, Aktivisten und Journalisten in Teheran wachsende Sorge, dass die Angehörigen der Mittelschicht Hauptleidtragende sein werden.

Wie sehr Irans Privatwirtschaft um ihre Existenz fürchtet, illustrierte ein tagelanger Streik der Bazaar-Händler gegen eine geplant Erhöhung der Mehrwertsteuer um 70 Prozent. Es war die erste große Protestaktion gegen das Regime, seit 1979, als die politisch einflussreichen Bazaaris durch ihre Unterstützung der islamischen Revolution entscheidend zum Sieg Ayatollah Khomeinis über den Schah beigetragen hatten. Diesmal quält die Händler vor allem die Sorge vor einer durch die Sanktionen ausgelösten Welle von Bankrotten, eine Gefahr, für die sie die Politik Ahmadinedschads verantwortlich machen.

Einen Schock unter der gebildeten Mittelschicht löste die Suspendierung von englischen Sprachtests im Iran durch das amerikanische „Educational Testing Service“ (ETS) aus, da die neuen US-Finanz-Sanktionen die Bezahlung unmöglich machten. Iraner klagen, dass auf diese Weise genau jene Schichte junger, moderner und zur Außenwelt hin orientierter Menschen getroffen werde, die sich nach Demokratie sehnten, und gegen die Despotie wehren wollten. Die ETS-Examen öffneten bisher vielen Iranern das Tor zur Welt. Eine Schwächung dieser Bevölkerungsschichte liegt freilich durchaus im Interesse des Regimes, das die Sanktionen auch nützen könnte, um den Druck auf diese politischen Gegner nun auch noch ökonomisch zu verschärfen.

Der Weltsicherheitsrat hatte am 9. Juni die Liste iranischer Organisationen und Einzelpersonen, die finanziellen Restriktionen und Einreiseverboten unterworfen werden erweitert und das bisher schärfste Waffenembargo verhängt. Kurz darauf verschärfte der US-Kongreß radikale Strafen gegen Firmen und andere Institutionen, die der iranischen Ölindustrie Güter und Dienstleistungen zur Verfügung stellen und raffinierte Ölprodukte liefern, sowie Restriktionen im Finanzbereich. 16 iranische Banken wurden auf die schwarze Liste gesetzt. Auch die EU wird bis Ende Juli eine neue Serie von Sanktionen gegen Irans Handels-, Finanzsektor, Öl- und Gasindustrie in Kraft setzen.

Schon weigerte sich British Petroleum (BP), auf mehreren Flughäfen weltweit iranische Maschinen aufzutanken und ließ den Vertrag mit Iran Air Ende Juni auslaufen. Große Ölkonzerne, wie Shell, Total und Repsol stoppten ihre Lieferung von Raffinerie-Produkten an die Islamische Republik oder beschlossen, wie die italienische ENI und Russlands Lukoil, sich derzeit um keine neuen Investitionen im Iran zu bewerben. Andere, darunter die norwegische Statoil, wollen sich aus dem Iran zurückziehen, sobald begonnene Projekte fertig gestellt sind. Erste Probleme bei den Rohölexporten stellen sich ein. Um Käufer zu gewinnen, sucht Teheran zu Preisnachlässen Zuflucht. Niedrigere Ölerträge drohen die Devisenreserven binnen einen Jahres auf einen kritischen Stand reduzieren und das Regime entweder zu einer Abwertung der Landeswährung oder zu anderen drastischen Entscheidungen zwingen würden.

Besonders schmerzt der Boykott von Raffinerieprodukten, deren heimischen Bedarf der Iran zu 40 Prozent durch Importe decken muss. Nach einer Expertenstudie könnten die Sanktionen etwa ein Defizit von 88.000 Barrel des Tagesbedarfs von 128.000 importierten Benzins bewirken. Schon stiegen die Importkosten um zehn Dollar pro Tonne, was allein im Juli drei Mio. Dollar ausmachen wird. Vorläufig bieten sich noch einige Alternativquellen an: China, Venezuela, die Türkei, sogar Russland zeigt sich zur Lieferung bereit, ebenso die energiereichen zentralasiatischen Nachbarn. Schmuggel über die Grenze verspricht lukrative Geschäfte für illegale Händler auf beiden Seiten, doch höhere Preise für die Bevölkerung.

Ahmadinedschad will in all diesen Problemen eine große Chance sehen, um die Industrialisierung voranzutreiben. Neben möglicher verschärfter Benzinrationierung und Preiserhöhungen (derzeit kostet Benzin weniger als die vergleichbare Menge Mineralwassers) verheißt der Präsident dem Volk Autarkie bei Raffinerieprodukten bis zum Jahresende. Einige Anlagen werden ausgeweitet, neue Projekte begonnen. In Ermangelung westlichen Know-hows hofft Teheran auf die Chinesen. Doch viele Hürden und der enorme Finanzbedarf könnten die Pläne entscheidend verzögern und damit soziale Unruhen bewirken.

Einen großen Erfolg im Kampf um die Durchsetzung der verschärften Sanktionen haben die Amerikaner bereits erzielt: Irans jahrelang wichtigste „Hintertür“, Dubai, beginnt sich zu schließen. Durch seine schwere Finanzkrise im Vorjahr empfindlich geschwächt und unter Druck des großen Bruders und Retters Abu Dhabi begann der Emir dem regen Re-Export in den Iran zu Leibe zu rücken. An die 8000 iranische Firmen operieren seit vielen Jahren von Dubai aus. Allerlei Güter, erlaubte und verbotene, gelangen seit langem in kleinen Booten, den Dhows, an die iranische Küste. Insgesamt wurden in Dubai und anderen Scheichtümern der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Dutzende Firmen wegen illegaler Geschäfte geschlossen, 41 Bankkonten von führenden Vertretern des Teheraner Regimes gesperrt und 30 verdächtige Schiffs- und Flugzeugs-Ladungen beschlagnahmt.

Doch iranische Geschäftsleute in den VAE klagen, diese Maßnahmen träfen legale Händler und nicht die eigentlichen Übeltäter: die Revolutionsgarden, die durch viele Tricks ungestört ein höchst lukratives Schmuggelgeschäft betrieben. Tatsächlich meinen Iraner, wie auch unabhängige Experten, die Sanktionen könnten ihr eigentliches Ziel - Zerschlagung des Machtapparats der Revolutionsgarden - nicht nur verfehlen, sondern dieses Mafiaimperium gar noch stärken. Die Garden, die heute 30 bis 40 Prozent der iranischen Wirtschaftsaktivitäten dominieren, haben seit drei Jahrzehnten eine riesige Schmuggelindustrie von heute geschätzten fast zwölf Mrd. Dollar im Jahr aufgebaut und ausgeklügelte Methoden entwickelt. Dazu zählen die regelmäßge Neugründung oder Umbenennung von Firmen, Neubeflaggung von Schiffen, die Eröffnung von Scheinfirmen zur Maskierung illegaler Geschäfte, sowie Geldwäsche. „Sie haben überall ihre Finger drin“, meint der heute in den USA lebende Mohsen Sazegara, der einst entscheidend mitgeholfen hatte, die Garden aufzubauen. In dem Versteckspiel mit dem Westen genießen sie dank ihrer langjährigen Schmuggel-Praxis enormen taktischen Vorsprung.

Im Iran selbst verschaffen ihnen die Sanktionen tatsächlich die Chance, ihr Imperium – mit Hilfe Ahmadinedschads – weiter auszubauen. Indem sich westliche Firmen zurückziehen verlieren die Garden bei der Vergabe höchst lukrativer Staatsaufträge ihre wichtigsten Konkurrenten. Zunehmend übernehmen sie auch Großprojekte in der Öl- und Gas-Industrie. Wo ihnen die Expertise fehlt, holen sie Subunternehmer etwa aus China und lassen sich dafür reichlich bezahlen. „Sie gleichen einem Riesen, der allmählich die ganze Nation verschlingt“, meint ein Ökonom in Teheran.

Fest steht allerdings, dass sich vorerst die Auswirkungen der Sanktionen nicht abschätzen lassen. „Wenn die Regierung entschlossen und geschickt agiert“ glaubt Sohrab Razzaghi, einst Kabinettsmitglied von Präsident Khatami, „dann kann sie die Bevölkerung“ in einem aufwallenden Nationalismus „hinter sich scharen. Gelingt dies nicht, dann könnte das Regime zusammenbrechen.“

Bildquelle: Oneworldnews

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen