Montag, 8. Februar 2010

IRAN – DAS GESICHT DER ZUKUNFT

Vortrag im „Institut für Kurdologie – Wien“ am 6. Februar 2010.

Von Birgit Cerha

Bei einer meiner Reisen in den Iran vor etwa zehn Jahren hatte ich ein Erlebnis, das mich damals sehr beeindruckte. Es erschien mir schon damals als Fingerzeig für eine Entwicklung, die der „Islamischen Republik“ eines Tages zum Verhängnis werden dürfte. Heute gewinnt diese Vorahnung zunehmende Bedeutung.

Ich besuchte das Mausoleum der 72 Märtyrer, jener führenden Männer der Revolution, die 1981 durch einen Bombenanschlag ums Leben gekommen waren. Als ich in die riesige Halle trat, unter deren Boden die Toten ruhen, tobten dort Zehnjährige einer Teheraner Schulklasse mit ihrem Fußball über den Gräbern. Fast wäre der Ball mitten in ein Porträtbild des Prominentesten unter den Toten, Ayatollah Beheschtis geprallt, das an einer der Wände ganz vorne prangte. Und: Über einem der Grabsteine dieser Revolutionäre, die dem „Großen Satan“ USA ewige Feindschaft geschworen hatten, hing lässig die kleine Kappe eines der Schüler. Nike stand darauf, der Inbegriff des verhaßten amerikanischen Imperialismus.

Die Szene erscheint mir heute symbolhaft für die Macht dieses größten Problems der herrschenden Gottesmänner: Irans Jugend.

Irans Jugend, die Studenten waren die Vorhut der Revolution 1979. Sie besitzt traditionell eine enorme politische Kraft und dies heute mehr denn je, sind doch 70 Prozent der Bevölkerung unter 30, dank eines von Khomeini angetriebenen Baby-Booms, der eine „neue islamische Generation“ hervorbringen sollte. Dieses Ziel hatte sich auch eine umfassende Kulturrevolution gesetzt.

Doch die neue Generation, im Schatten Khomeinis herangewachsen, mauserte sich zur gefährlichsten Geißel des Regimes. Die Gehirnwäsche der Ayatollahs verfehlte unter einem beträchtlichen Teilen der Jugend nicht nur ihre Wirkung, sondern erreichte das Gegenteil: totale Ablehnung des Systems, das ihr nicht nur keine Perspektive bietet, sondern auch jede Lebensfreude raubt. Die heutigen Führer der islamischen Republik gestehen diesen dramatischen Fehlschlag sogar indirekt ein, wenn sie nun zu einer raschen Bildungsreform drängen. Die Opposition spricht von einer zweiten Kulturrevolution, die Präsident Ahmadinedschad seit seiner Amtsübernahme 2005 eingeleitet hatte, für die er nun – angesichts der demonstrierenden Jugend – allerhöchste Eile geboten sieht, um die für das Regime so gefährliche teuflische „Kulturabweichung“ zu vermeiden. Dabei verfolgt er die Vision einer neuen Generation, die niemals über die engen Grenzen einer höchst restriktiven islamistischen Ideologie hinausblickt. So wir eine schärfere Indoktrinierung in den Schulen eingeleitet, Geschlechtertrennung, die Vermittlung anti-westlicher und anti-säkularer Werte. Ein zentraler Teil der Reformen ist die Stationierung von Angehörigen der paramilitärischen Bassidsch so quasi als ideologische Einpeitscher in den Schulen. Mädchen sollen künftig ausschließlich mit Blick auf die Ausübung der traditionellen Rolle der Frau in dieser patriarchalischen Gesellschaft ausgebildet werden. Durch Quotenregelung soll der Anteil der Studentinnen an den Universitäten radikal reduziert werden. Damit hofft das Regime wohl, die seit der Revolution 1919 überdurchschnittlich gut ausgebildeten Frauen – sie stellen heute mehr als 60 Prozent der Universitätsstudenten – wieder in an Heim und Herd zurückzudrängen, denn die Iranerinnen erweisen sich seit langem als die unbequemste Herausforderung des Regimes und sie spielen – bemerkenswerter Weise – auch in der nun so gefährlichen „Grünen Bewegung“ eine führende Rolle.

Auf Befehl des „Geistlichen Führers“ Khamenei werden Schulbücher und Lehrmethoden radikalen Veränderungen unterzogen, um der jungen Generation die islamischen Werte, wie sie das Regime versteht, in die Herzen einzupflanzen. Die vom tödlichen Reformvirus infizierten Geistes- und Sozialwissenschaften sollen nach dem Willen des „Geistlichen Führers“ Khamenei am besten ganz aus den Universitäten und dem Iran insgesamt verbannt werden. Mit der Säuberung liberaler Professoren, die fast drei Jahrzehnte nach der ersten Kulturrevolution wieder an den Universitäten lehrten, wurde bereits begonnen.

Einer der Aktivisten der Studentenbewegung, Abed Tavancheh, erklärte in einem Interview mit „Der Spiegel“ am 14. September 2009 : „Was wir jetzt erleben, ist nur die letzte Stufe dieser iranischen Kulturrevolution. Schon jetzt stellen die Revolutionsmilizen einen Teil der Lehrenden. Unter den Studenten sorgen sogenannte Ordnungskomitees dafür, dass Studienverbote wie Herbstlaub auf die Studenten fallen.“. Und er fügt hinzu: „Manche (Studenten) haben sich an die Führung verkauft, die anderen aber stehen hinter uns. Etliche Professoren mussten schon für ihre Haltung büßen. Sie wurden vorzeitig in den Ruhestand geschickt.“

Der Soziologieprofessor Said Paivandi, der an der Pariser Universität lehrt, ist davon überzeugt, dass zwar ein Teil der Jugend die Indoktrination in sich aufnehmen wird. Doch er weist auf Erfahrungen aus der Vergangenheit hin, die zeigten, dass sie dies nur auf eine kleine Minderheit beschränken werde. Der Rest, das heißt die große Mehrheit, wird eine offenere Gesellschaft erstreben, Freiheit und eine moderne Lebensweise, das heißt genau die gegenteiligen Ziele, die das Regime setzt. Dies kann nur die Entfremdung zwischen der heranwachsenden Generation und schließlich fast der gesamten Gesellschaft auf der einen und dem Regime auf der anderen Seite dramatisch verstärken.

Soviel als einleitende Erklärung über den Nährboden aus dem eine Befreiungs- und Demokratie-bewegung im Iran kurz – mittel-, vor allem aber auch langfristig ihre Kraft schöpfen wird. Das neue Gesicht des Iran läßt sich bereits erahnen. Die Despotie der Theokraten hat keine Chance mehr.

Das bedeutet jedoch nicht, dass das System unter Führung Khameneis in den nächsten Wochen zusammenbricht. Es ist alles offen und kaum ein anderes Land entzieht sich derart jeglichen Prophezeiungen, wie der Iran. Das hat die jüngere Geschichte immer und immer wieder gelehrt.

Und dennoch müssen wir in Hochspannung auf den elften Februar blicken. Könnte sich dieser Tag, an dem vor 31 Jahren die „Islamische Republik“ gegründet wurde, erneut als schicksalhaft für den Iran erweisen? Die erste Exekution von zwei wegen der Organisation der im Juni begonnenen Proteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen verurteilten Männer in der Vorwoche haben als dramatischen Einschüchterungsversuch gegen all jene zu gelten, die sich durch die bisherigen massiven Repressionen nicht davon abhalten ließen, immer wieder in den Straßen gegen das Regime zu demonstrieren.

Der 37-jährige Reza Ali Zamani und der 19-jährige Arash Rahmanipour waren schon vor den Wahlen im Juni verhaftet worden, Rahmanipour sogar bereits im April und nach der glaubwürdigen Aussage ihrer Anwältin waren sie zu einem falschen „Geständnis“ vor Gericht gezwungen worden und wegen „Mohareb“, sowie Mitgliedschaft in einer bewaffneten monarchistischen Oppositionsgruppe zum Tode verurteilt worden. Mohareb bedeutet „im Krieg gegen Gott“, worauf nach iranischem Strafrecht die Todesstrafe steht. Es war einst Khomeini gewesen, der diesen Begriff für politische Gegner eingeführt hatte und damit die Basis für die Exekution Tausender Oppositioneller in den ersten Jahren nach dem Sieg der Islamischen Revolution geschaffen hatte. Auch nun rufen radikale Geistliche und Politiker immer lauter dazu auf, Organisatoren, ja die Führer der „grünen Bewegung“ wegen Mohareb zu exekutieren. Bereits elf Personen wurden deshalb zum Tode verurteilt. Das Regime versucht damit eine Atmosphäre von Angst und Terror zu erzeugen. Zugleich wurden auch neue Gesetze erlassen, die die Verwendung sozialer Netzwerke und die Verbreitung von Protest-Informationen per SMS streng bestrafen.

Zugleich begannen nun Prozesse gegen Dutzende an Ashura festgenommene Demonstranten. In zahlreichen Fällen beantragte der Staatsanwalt die Todesstrafe. In einem – wohl ganz gezielt im staatlichen Fernsehen angekündigten Prozeß – ist der Angeklagte der Sohn eines im Krieg gegen den Irak gefallenen „Märtyrers“. Auch hier ist die Botschaft klar: Niemand ist von härtester Strafe ausgenommen, so auch nicht Ali Reza Beheshti, einer der engsten Vertrauten des symbolischen Führers der „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi. Er ist kein Geringerer als der Sohn des bereits zu Beginn erwähnten Ayatollah Beheshti, des Mitbegründers der Islamischen Republik.

Der 11. Februar ist traditionell ein Tag der Massenkundgebungen, die das Regime in Erinnerung an den höchsten Triumph der Islamischen Revolution als Demonstration seiner Stärke organisiert. Da die Regierung aus Angst vor Massenprotesten seit vielen Monaten keine Kundgebungen mehr genehmigt, versucht die Opposition offizielle Gedenktage, an denen es keine Demonstrationsverbot gibt, zu ihren Protestaktionen umzufunktionieren, so geschehen etwa am „Jerusalem“-Tag im September, am Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft am 4. November oder vor allem am höchsten schiitischen Trauertag, Ashura, an dem die Gläubigen des Märtyrertodes von Hussein, des Enkels von Mohammed und fast aller seiner männlichen Verwandten in der Schlacht um Kerbala im Jahr 680 gedenken. Das selbe sollte nun am 11. Februar geschehen. Über ihre Websites und Facebooks rufen die Führer der „Grünen Bewegung“ ihre Anhänger auf die Straßen, ermahnen sie zugleich, Ruhe zu bewahren, während das Regime äußerste Härte gegen Demonstranten androht.

Mit allen nur erdenklichen Methoden versuchen Khamenei und Ahmadinedschad ein Blutbad, eine unabsehbare Katastrophe am 11. Februar zu verhindern. Es ist für die Sicherheitskräfte schier unmöglich unter den zu erwartenden demonstrierenden Massen die Anhänger und Gegner zu identifizieren, auf die sie dann in voller Brutalität einschlagen würden, wie insbesondere in den ersten Wochen nach den Wahlen. Die Strategie des Regimes zur Verhinderung des Schlimmsten ist Zuckerbrot und Peitsche, Angst und Terror, wie eben beschrieben, bei gleichzeitigen Manövern, die Opposition zu spalten und zu schwächen und dem Zuckerbrot plötzlicher Freiheiten. So ertönt plötzlich in Teheraner Restaurants und Kafees die vor allem unter Ahmadinedschad wieder so verpönte westliche Musik, Frauen werden nicht mehr wegen schlechten „Hedschabs“ (dem etwas nach hinten verrutschten Kopftuch) belästigt, und Irans Künstlerwelt erlebt eine kleine Revolution mit der unerwarteten Entscheidung des Kulturministeriums, öffentliche Ausstellungen in Gallerien ganz ohne Genehmigung zu veranstalten. Die Botschaft an die Masse der Dissidenten ist klar: Wir könnten euch das Leben erleichtern, solange ihr uns nur an der Macht läßt.

Bisher zeigt sich die Oppositionsbewegung erstaunlich unerschrocken. Ihre Pläne für künftige Aktionen bleiben weitgehend unklar. Sie erhält sich damit das Überraschungselement.

Was und wen repräsentiert die „Grüne Bewegung“? Wie stark ist sie? Was sind ihre Ziele und ihre Methoden. Und wie lassen sich ihre Erfolgschancen überhaupt einschätzen??

Zunächst ein Wort zur Farbe Grün. Es war eine äußerst kluge Wahl, die Mussawi getroffen hatte. Er sagt selbst, er habe sich für Grün entschieden, weil dies die Farbe des Propheten Mohammed und dessen Familie ist und das Symbol eines Islam der Verbundenheit und Liebe. Damit bekräftigt er seine Treue zur Religion und zieht auch breite konservative, wie nichtpolitisch religiöse Schichten an.

Es besteht kein Zweifel, dass Irans „Grüne Bewegung“ die größte und effektivste, zugleich auch die mutigste Bürgerrechtsbewegung ist, die sich im 21. Jahrhundert weltweit formiert hat. Allein aus diesem Grund verdient sie ganz besondere Aufmerksamkeit. Es ist auch die erste Oppositionsbewegung, die in einer harten Diktatur von den neuen elektronischen Medien profitiert und es mit enormem Geschick versteht, sich auf diese Weise zu organisieren und die Mauern zu durchstoßen, die das Regime zwischen ihr und der Außenwelt errichtet hat. Wie Mussawi sagt: „In der Grünen Bewegung ein Werbeträger“.

Ein ganz kleiner Rückblick zur Erinnerung: Die durch das Scheitern des Reformpräsidenten Khatami seit der Wahl Ahmadinedschads zum Präsidenten in politische Lethargie versunkenen Iraner, insbesondere die junge Generation und ein großer Teil der Frauen, schöpften in der Kampagne um die Präsidentschaftswahlen im Juni plötzlich neue Hoffnung, als Mussawi, einst treuer Jünger Khomeinis und Premier in der harten Kriegszeit der 80er Jahre seine Gegenkandidatur anmeldete und politische Reformen, wiewohl zaghafte, verhieß. Allerdings spaltete er durch seine Kandidatur das Lager der Reformer, da auch der ehemalige Parlamentspräsident, der sich seit Jahren für ein gewisses Maß an Demokratisierung einsetzte, Mehdi Karrubi, kandidierte. Noch bevor die Stimmen am Wahlabend überhaupt ausgezählt werden konnte, verkündete Khamenei den überwältigenden Sieg Ahmadinedschads. Der Wahlbetrug war offensichtlich. Doch die neumotivierten Anhänger Mussawis, wie jene Karrubis wollten eine derart massive Manipulation nicht hinnehmen und gingen mit den Rufen „Wo ist meine Stimme?“ auf die Straßen. Damit begann eine Serie von Massendemonstrationen, die durch Verhaftungen und Schauprozesse insbesondere gegen die Führer der Reformbewegung vorübergehend zu erlahmen schien, doch durch unglaubliche Brutalitäten des Regimes und dessen Sicherheitskräften, Massenverhaftungen, Einschüchterungen, Folter, Vergewaltigungen und Morde in Gefängnissen, zu neuer Kraft erstarkte.

Eines der bestialischstenen Verbrechen möchte ich hier besonders erwähnen, nämlich jenes an dem 26-jährigen Ramin Pourandarjani, einem gerade frisch promovierten Arzt, der bei den Revolutionsgarden seine Wehrpflicht erfüllte und im Kahrizak-Gefängnis bei Teheran eingesetzt wurde. In dieser Haftanstalt waren Hunderte oppositionelle Demonstranten festgehalten und gefoltert worden waren, mindestens drei, darunter der Sohn eines prominenten Konservativen, Mohsen Ruholamini, kamen dabei zu Tode und Khamenei musste das Gefängnis nach heftigen Protesten schließen lassen. Nach Aussagen der Opposition versuchten Vertreter der Justiz Pourandarjani zu zwingen, bei einer parlamentarischen Anhörung auszusagen Ruholamini sei an Meningitis gestorben. Der Arzt aber bezeugte, der Gefangene sei den Folterqualen erlegen. Daraufhin erhielt er nach Aussagen seiner Angehörigen Todesdrohungen und starb wenig später. Offiziell hieß es einmal, er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, dann durch einen Herzinfarkt und schließlich durch Selbstmord. In Wahrheit besteht unterdessen kein Zweifel, dass er vergiftet wurde.

Der Umgang des Regimes mit dem Skandal von Kahrizak ist symptomatisch für das Fehlen einer klaren Strategie im Kampf gegen diese an den Grundfesten der Islamischen Republik rüttelnden Krise, wie auch für die Uneinigkeit der heute im Iran herrschenden Despoten.

Einerseits setzte Parlamentspräsident Ali Laridschani, ein Rivale Ahmadinedschads, eine Untersuchungskommission ein, die im Jänner zu dem ersten öffentlichen Eingeständnis von Misshandlungen führte. Die Kommission stellte fest, dass die Tode in Kahrizak nicht durch Meningitis, sondern durch die katastrophalen Bedingungen verursacht worden waren, die im Gefängnis herrschten, wo 147 Demonstranten vier Tage lang in einem 70 m2 großen Raum ohne entsprechender Belüftung, in der Hitze des Sommers bei unzureichender Nahrung und physischer Misshandlung festgehalten worden seien. Als Hauptschuldiger für die Mi´stände wurde der frühere Chefankläger Teherans, Said Mortazavi identifiziert und zum Chef der Anti-Schmuggel-Behörde degradiert. Doch es gibt keine Anzeichen, dass er, geschweige denn der stellvertretende Teheraner Polizeichef Ahmad Reza Radan, der die Foltersitzungen in Kahrizak geleitet hatte, für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Entwicklung zeigt, dass das Regime einerseits bemüht ist, gerade auch mit Blick auf den 11. Februar die aufgebrachten Gemüter in der Bevölkerung zu beruhigen, anderseits aber den Missbräuchen kein Ende setzen will. Radikale Kreise innerhalb der herrschenden Schicht treten für volle Härte ein und lehnen strafrechtliche Verfolgung von Folterern und Mördern im Staatsdienst ab, weil damit andere, die mit der Niederschlagung der Demonstrationen betraut sind, Mut und Sicherheitsgefühle verlieren könnten.

Irans „Grüne Bewegung“ ist nach Ansicht iranischer Intellektueller ein völlig neues, ein post-modernes Phänomen, denn sie hat keine Führer. Mussawi, Karrubi und noch mehr der weit ängstlichere Khatami sind in Wahrheit jene, die von dieser einzigartigen Bürgerrechtsbewegung geführt, getrieben werden. Zögernd passt sich Mussawi einem Teil der Forderungen an, Karrubi tritt weit entschlossener und mutiger auf, Khatami verfolgt seine eigene, schon kläglich gescheiterte Strategie. Diese drei Männer waren stets treue Diener des Systems, von diesem hervorgebrachte Jünger Khomeinis. Niemals wollten sie an den Grundfesten der Islamischen Republik rütteln, sie wollen ihr nur ein etwas menschlicheres Gesicht geben. Sie schwiegen lange konsterniert, als sich der Zorn der Massen über die Brutalitäten der theokratischen Despoten bis zum Bruch der heiligsten Tabus steigerte: der Unantastbarkeit des „Geistlichen Führers“. Der Ruf „Tod Khamenei“ gehört inzwischen zum Alltagsprogramm der Demonstranten. Bis heute aber achten alle drei symbolischen Führer sorgfältig auf die Unantastbarkeit Khameneis, in der Hoffnung wohl, doch noch einen Kompromiß, eine Einigung zu finden, die die islamische Republik retten und dem Iran eine blutige Revolution ersparen könnte.

Längst ist damit klar, dass es – wie auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi betont – das Volk ist und nicht eine einzelne Persönlichkeit, das die „Grüne Bewegung“ führt. Und längst hat diese Strömung alle Schichten, alle Altersgruppen, Liberale, Laizisten, Gläubige ebenso erfasst wie die Mittelschicht und die große Masse der Armen, die Ahmadinedschad durch seine nicht gehaltenen sozialen Versprechen bitter enttäuschte und deren Los sich nun durch die jüngste Entscheidung der Regierung, staatliche Subventionen drastisch zu kürzen, noch wesentlich verschimmern wird. Frustration, Perspektivlosigkeit, Verzweiflung und Zorn kennt keine sozialen Grenzen mehr. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass nicht noch Millionen Iraner hinter dem Regime stehen, denn auch die Schichte der Profiteure des Regimes, auch jener, bei denen die jahrzehntelange Gehirnwäsche Erfolg hatte, die durch einen Sturz der Theokratie Privilegien und Vorteile verlieren würden, geht in die Millionen. Dennoch zeigt sich aber, dass es Khamenei und seinen Getreuen nicht mehr gelingt, unübersehbare Massen zu seiner Unterstützung zu mobilisieren. Der 11. Februar wird dafür ein Test sein.

Viele, vor allem führende Intellektuelle in Irans Grüner Bewegung sind davon überzeugt, dass ihr nur dann dauerhafter Erfolg beschieden sein kann, wenn sie ihre Ziele gewaltlos verfolgt. Bei den Ashura-Demonstrationen schwappten die Emotionen über und erstmals verübten Demonstranten auch Gewaltakte gegen Polizeistationen etwa. Auch hier wird der 11. Februar zeigen, ob es sich hier nur um unglückliche Einzelfälle gehandelt hatte.

Die Methoden des gewaltlosen Widerstandes, des zivilen Ungehorsams sind phantasiereich und schmerzlich für das Regime. Sie verheißen aber keinen raschen Erfolg. Dessen ist man sich weithin auch bewusst und man spricht von einer „langsamen Revolution“, die Monate, ja vielleicht ein, zwei Jahre dauern kann. In die Lehre gehen die Iraner dabei bei dem pensionierten Harvard-Professor Gene Sharp, der zahlreiche Anleitungen des gewaltlosen Widerstandes verfasste und Oppositionsbewegungen in der Tschechoslowakei ebenso inspirierte wie Aktivisten gegen die Militärdiktatur in Burma. Das islamische Regime fürchtet Sharp und das Schreckgespenst der „Samtenen Revolution“ schon lange, studierte seine Bücher und versucht sich in paranoider Panik gegen eine gewaltlose Unterminierung seiner Macht durch immer brutalere Methoden zu schützen, treibt damit einen Teufelskreis an, der ihm, soweit lasst sich eine Prognose doch auch seriös wagen, früher oder später zum Verhängnis werden muß.

Die Methoden sind eindrucksvoll. Eine wichtige Rolle bei der Anleitung des Widerstandes spielen Exiliraner, allen voran der einstige Mitstreiter Khomeinis Mohsen Sazegara. Mitbegründer der Revolutionsgarden, geriet er schon in den 80er Jahren in Konflikt mit den autoritären Zügen des Systems und lebt nun in den USA. Fests davon überzeugt, dass das islamisch-demokratische Experiment gescheitert ist, versucht er nun die „Grüne Bewegung“ mit Hilfe von täglich zehnminütigen über das Internet verbreiteten Videoaufnahmen in Methoden des zivilen Ungehorsams auf der Basis der eigener Erfahrungen aus der islamischen Revolution zu instruieren.

Eine empfohlene Methode ist das Gespräch mit Angehörigen der Revolutionsgarden aus der Nachbarschaft, die öffentliche Darstellung der Repressionen auf Plakaten, um die Sicherheitskräfte zu demoralisieren. Ein Effekt lässt sich bereits erkennen: Nicht Protestierende verhüllen ihre Gesichter, sondern die auf sie einschlagenden paramilitärischen Bassidsch und Revolutionsgarden.Sazegaras Ratschläge sollen täglich an die 500.000 Iraner hören und sehen.

So erfährt man, dass Demonstranten etwa die sie attackierenden Bassidsch, die für ihre bezahlten gewalttätigen Einsätze speziell vom Regime angeheuert werden, so lange in Diskussionen verwickeln, ihre Motivationen infrage stellen, bis immer wieder beschämte Schläger mit ihren Brutalitäten einhalten und einfach abziehen.

Höchstens eine kleine extreme Randgruppe träumt heute von einem raschen, gewaltsamen Umsturz. Nach Revolutionswirren und achtjährigem äußerst verlustreichen Krieg gegen den Irak ist das Letzte, was die Iraner wollen, eine neue Revolution. Sie bauen auf die langsame Zermürbung von Innen. Und tatsächlich lassen sich Anzeichen dafür erkennen. Khamenei, von Eingeweihten als extrem paranoid charakterisiert, hat durch seine bedingungslose Allianz mit Ahmadinedschad seine Rolle als über den Parteien stehender Velayat-e Fagih (Oberster Rechtsgelehrter) preisgegeben, damit den sozialen Pakt, der seit der Revolution zwischen zumindest einem Teil des Volkes und der politischen Führung besteht, zerstört und so drastisch an politischen Spielraum verloren. Er hat sich in die totale Abhängigkeit der wahren neuen Machthabern begeben, den Revolutionsgarden, die heute als katastrophale Berater dominierenden Einfluß auf ihn ausüben.

Seit Juni hat Khamenei Fehler um Fehler begangen. Er weigerte sich unerschütterlich der Opposition auch nur einen kleinen Schritt entgegen zu kommen, auf den Ruf der „Grünen Bewegung“ nach Neuwahlen, nach Freilassung der Gefangenen oder objektiverer Berichterstattung des staatlichen Fernsehens einzugehen. Ein Schritt in dieser Richtung hätten die Spannungen ein wenig entschärft und die die Opposition zu spalten begonnen. Mit seiner Unnachgebigkeit und Härte aber erreichte er das Gegenteil. Warum? Darauf findet die unabhängige iranische Politologin Farideh Farhi eine schlüssige Antwort: Nach einer im Iran weit verbreiteten Überzeugung, hatte der Schah zu Beginn der Massendemonstrationen gegen ihn 1978 durch wichtige Zugeständnisse die Revolutionäre derart ermutigt, dass sie damit letztlich den Sieg errangen. Khamenei, selbst einer dieser Revolutionäre, habe die Lehre aus der Geschichte gezogen. Unnachgiebigkeit, Härte und Mobilisierung eigener Anhänger zählten deshalb zu den Rezepten, die einen erneuten Umsturz verhindern sollten, auch um den Preis eines Bürgerkrieges. Mit dieser Strategie hat Khamenei den Zorn der Massen von Ahmadinedschad auf sich gelenkt. Noch im Sommer vorigen Jahres wäre der Ruf „Tod Khamenei“, der heute allabendlich von Häuserdächern Teherans erschallt, völlig undenkbar.

Immer mehr treue Diener des Systems springen ab. In Norwegen suchte ein iranischer Diplomat um Asyl an, was nur die Spitze eines Eisberges tiefen Unbehagens über die Brutalitäten des Regimes sein dürfte. Besondere Beachtung verdient aber die Stimmung in der hohen iranischen Geistlichkeit Auch hier wächst mit zunehmender Repression gegen friedlich Demonstrierende der Wunsch, sich von Khamenei und dem Regime zu distanzieren. Ein Teil der führenden Geistlichkeit in der heiligen Stadt Qom hatte ohnedies stets Zweifel an der religiösen Qualifikation Khameneis für das höchste Amt im Gottesstaat gehegt. Der im Dezember verstorbene, hochangesehene Großayatollah Montazeri hatte dies als nahezu einziger auch offen ausgesprochen und dafür mit seiner ganzen Familie Freiheit eingebüßt und bittere Schikanen erlitten. Die Mehrheit der Ayatollahs hüllte sich aber in Schweigen, weil Khamenei sie vor allem auch in finanzielle Abhängigkeit gezwungen hatte. Die gravierenden Verletzungen der Menschenrechte zwingen nun aber immer mehr hohe Geistliche, ihr Schweigen aus Gewissensgründen zu brechen. Ein Beispiel ist symptomatisch für eine Entwicklung, die Khameneis Schicksal besiegeln könnte. Ayatollah Mohammad Taghi Khalaji, einst Gefangener des Schah, dann engagierter Anhänger Khomeinis, wurde am 12. Jänner in seinem Haus in Qom verhaftet und schmachtet nun in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, ohne Anwalt, ohne Kontakt zur Familie. Sein „Verbrechen“ geht auf den Tod der zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung erhobenen 27-jährigen Neda Agha-Soltan zurück, die am 20. Juni bei einer friedlichen Demonstration von einem Bassidschi erschossen wurde. Diese ungeheuerliche Tat erschütterte den hohen Geistlichen bis ins tiefste Mark. Sein Sohn, Mehdi Khalaji, Iran-Experte des amerikanischen Think-Tanks „The Washington Institute for Near East Policy“, schildert in einem Artikel die Laufbahn und die Gedankengänge seines Vaters, mit dem er bis kurz vor dessen Verhaftung ausführliche Telefongespräche geführt hatte. Er könne nachts nicht mehr schlafen, klagte der Ayatollah im Juni mit dem Bild der schönen Neda stets vor Augen. Er habe sich nicht gegen den Schah erhoben, um einem Regime an die Macht zu verhelfen, das friedliche Demonstranten niederschlägt und unschuldige Menschen erschießt. So entschloß er sich schließlich, seine politische Abstinenz, die er – wie viele seiner geistlichen Kollegen – jahrelang eingehalten hatte – aufzugeben und sprach in einer Predigt in Nord-Teheran den Wunsch aus, dass die Islamische Republik überleben möge. Doch iranische Führer, wenn sie dem Beispiel des Islam, seines Propheten und seiner Imame folgen wollten, könnten nur mit dem Willen des Volkes herrschen. Seinem Sohn sagte er später, dass er sich vor Gott für die Revolution verantwortlich fühle und daher nicht schweigen könne, wenn die Menschenrechte im Namen des Islam mit Füßen getreten würden.

Insbesondere seit dem Tod Montazeris werden zunehmend Ayatollahs, die ihre Stimme gegen die Repressionen erheben bedroht, schikaniert und sogar physisch attackiert. Ayatollah Taghi Khaljis Schicksal läßt noch Schlimmeres befürchten.

Es herrsche kein Zweifel, meint Mehdi Khalaji, durch die Brutalitäten gegen friedliche Demonstranten und Repressionen gegen die erste Generation der Islamischen Republik habe das Regime sowohl seine islamische, wie auch seine revolutionäre Legitimität diskreditiert. Es setze damit sein Überleben aufs Spiel.

Was bedeuten all diese Entwicklungen für Irans Minderheiten? Am 28. Dezember erschien in der New York Times ein Artikel, in dem der Autor die Ansicht vertrat, die größte Gefahr drohe dem islamischen System nicht von der demokratischen Oppositionsbewegung, sondern von den zunehmend unruhigen (in der Zeitung hieß es aggressiven separatistischen) Kurden, Belutschen, Azeris und Arabern, die gemeinsam etwa 44 Prozent der von Persern dominierten Bevölkerung des Irans stellen. Nun, was separatistische Ziele betrifft, übertreibt der Autor maßlos. Irans ethnische Minderheiten werden in diesem zentralistisch regierten Staat traditionell um ihre Bürgerrechte beraubt und wenn sie sich regen, so geht es primär einmal darum und nicht um die Loslösung vom iranischen Staat.

Ich möchte mich jetzt aber aus gegebenem Anlaß kurz auf die Kurden konzentrieren. Ich hatte 1978/79, damals noch nicht als Korrespondentin im Orient, sondern außenpolitische Redakteurin der SN, intensiv die islamische Revolution verfolgt und hatte enge Kontakte zu Kurden, vor allem aus dem Irak allerdings, die in Österreich lebten. Ich sah ihre Begeisterung als der Schah stürzte und mit einem Schlag der Traum von Freiheit, von dem stets so brutal verwehrten Recht auf Selbstbestimmung in Erfüllung zu gehen schien, in einem von einem kaiserlichen Despoten befreiten Land. In seinem Pariser Exil hatte Khomeini den Kurden und anderen Minderheiten noch vage Versprechungen gemacht. Doch nachdem das Volk die Ayatollahs unter Führung Khomeinis an die Spitze des Staates hievte, da sah alles plötzlich ganz anders aus. Die Kurden präsentierten ihre Forderungen von Autonomie und wagten sich damit – wie sich bald herausstellte – viel zu weit vor. Khomeini antwortete mit Jihad, einem „Heiligen Krieg“, der Tausenden kurdischen Zivilisten das Leben kostete. Dieser Jihad tobt heute im iranischen Kurdistan immer noch – von der Welt ignoriert. Ein kurze Phase kultureller Lockerungen – mit Publikationen von kurdischen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern – in der Ära Mohammed Khatamis (zwischen 1997 und 2005) fand ein abruptes und äußerst brutales Ende, als Ahmadinedschad Khatamis Nachfolge antrat. Seither nimmt die Repression immer brutalere Formen an – und dies, obwohl verschiedene kurdische Bewegungen im Iran – ausgenommen die im Nord-Irak stationierte Pjak – längst jeglicher Gewalt abgeschworen haben und nicht mehr als Autonomie in einer iranischen Republik erstreben. Seit Jahren werden kurdische Intellektuelle massiv verfolgt und in jüngster Zeit auch in zunehmenden Zahlen hingerichtet. Seit den Wahlen im Juni verschärfte sich die Repression nicht nur in Kurdistan, auch in Belutschistan und dem von Arabern bewohnt Khusistan, offensichtlich mit dem Ziel, Irans ethnische Minderheiten noch massiver einzuschüchtern und damit zu verhindern, dass sie sich der „Grünen Bewegung“ anschließen. Bisher erzielten sie damit Erfolg. Die Kurden – abgesehen davon, dass sie, wie auch anderswo, nicht einig sind, halten sich zurück, warten ab, auch aus Angst vor neuer Enttäuschung. Denn wer weiß, ob aus der gegenwärtigen Oppositionsbewegung nicht iranische Nationalisten hervorgehen, die eine Fortsetzung der zentralistischen Herrschaft Teherans erstreben. Immerhin hat sich über die Jahre der Herrschaft der Ayatollahs der Nationalismus im „Gottesstaat“ kräftig neu belebt – Nationalismus freilich aber keineswegs in einem radikalen Sinn, nur mit zu wenig Verständnis für die Sehnsüchte ethnischer Minderheiten.

Dennoch birgt die „Grüne Bewegung“ für die nicht-persischen Völker des Irans, wie für die gesamte Bevölkerung nach meiner Einschätzung durchaus eine neue Chance – nämlich im Rahmen einer demokratischen Entwicklung.

Noch ein kurzes Wort zu den Zielen der Grünen Bewegung. Wie bereits erläutert, handelt es sich um eine sehr breitgefächerte, eine – ich zitiere jetzt Abdel Karim Soroush, den islamischen Philosophen, den ich auch mehrmals in Teheran interviewen durfte. Soroush war durch seine Abhandlungen über Reform des Islams in schweren Konflikt mit dem Regime geraten und lehrt seit einiger Zeit an einer amerikanischen Universität. Er steht Mussawi nahe und charakterisiert die „Grünen“ als eine „pluralistische Bewegung“ der sich Gläubige und Nicht-Gläubige, Sozialisten und Liberale“, Kommunisten der Tudeh, wie Monarchisten – nicht aber bemerkenswerter Weise ethnische Minderheiten - angeschlossen haben. Die Bewegung hat längst ihre Eigengesetzlichkeit, wächst nicht durch Werbung, sondern durch spontanen Anschluß all jener, die sich plötzlich in ihrem Zorn, in ihren Sorgen und Nöten zusammenfinden. Mussawi als symbolischer Führer hatte all dies nicht geplant und nicht einmal geahnt, wohl auch gar nicht gewollt, da ein Sieg der Grünen wahrscheinlich den politischen Untergang dieses Mannes besiegeln wird, der doch nichts anderes als ein paar magere Reformen wollte.

Vielleicht aber ist Mussawi doch ein wenig in seine Rolle hineingewachsen und wenn er jetzt ein Ende der Folterqualen, der Exekutionen und des Schreckens durch ein tödlich bedrängtes Regime spricht, dann spricht er zweifellos den Massen aus dem Herzen. Doch seine politischen Forderungen, die er erst nach langem Schweigen aufstellte, sind relativ mild:, Dienstag aber übte Mussawi die bisher schärfste Kritik an den Zuständen im Iran. Er bezeichnete die islamische Revolution als gescheitert, „weil die Wurzeln von Tyrannei und Diktatur aus der Zeit der Monarchie immer noch existierten. Der Iran stehe heute da „wie jedes andere tyrannische Regime der Welt“. Eine Diktatur im Namen der Religion, „das ist überhaupt das Schlimmste.“ Der klarste Beleg dafür sei der Missbrauch von parlament und Justiz. Und offenbar rückte Mussawi nun auch von der Forderung nach Einhaltung der Verfassung ab, die er reformiert sehen will.

Weil er sich so lange Zeit läßt, seine eigenen Vorstellungen zu formulieren und ohnedies vollends isoliert, jeden Kontakt selbst mit seinen engsten – unterdessen alle verhafteten – Beratern verlor, haben sich fünf führende iranisch-islamische Intellektuelle, die seit kurzem im Ausland leben zu einem Forderungsmanifest zusammengefunden. Es sind Soroush , der dissidente Geistliche Mohsen Kadivar, der ehemalige Kulturminister unter Khatami Ataollah Mohajerani und der Journalist Akbar Gandji, der wegen seiner Aufdeckung der Verbrechen des Regimes unter Rafsandschani in den 80er und 90er Jahren lang im Gefängnis saß und dort fast gestorben wäre. Die Fünf fühlten sich nach Aussagen Soroushs Mussawi nahe genug, um seine Ideen zu kennen und zugleich auch einen gemeinsamen Nenner für jene der verschiedenen sozialen Strömungen zu finden.

Das Manifest der Fünf enthält zehn Punkte:

1. Rücktritt Ahmadinedschads und Neuwahlen;

2. Freilassung aller politischen Gefangenen.

3. Abschaffung der Zensur und der Filterungen im Internet:

4. Anerkennung aller rechtmäßig zustande gekommen Bewegungen.

5. Unabhängigkeit der Universitäten

6. Strafrechtliche Verfolgung aller die Unschuldige gefoltert, ermordet und derartige Verbrechen in den vergangenen sieben Monaten angeordnet haben

7. Unabhängigkeit der Justiz und Abschaffung der Sondergerichtshöfe etwa für Geistliche, die hinter verschlossenen Türen urteilen

8. Verbot der Einmischung der Polizei, des Militärs und der Sicherheitskräfte in Politik, Wirtschaft und Kultur

9. Wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der islamischen Seminare und Maßnahmen die die Politisierung der Geistlichen verhindern

10. Wahl aller hohen Beamten, die sich der Kritik stellen müssen und deren Amtszeit zeitlich begrenzt ist.


Das Manifest freilich läßt viele Fragen offen. Soroush betonte, es sei keineswegs beabsichtigt, die Verfassung abzuändern. Dies hieße, man wolle an der Institution des Obersten Rechtsgelehrten – derzeit von Khamenei besetzt – nicht rütteln. Der Widerspruch ist offensichtlich, denn das Manifest hebt hervor, dass eine Politisierung der Geistlichen verhindert werden soll. Mussawi hält Forderungen nach Verfassungsreform „extremistisch“ und „schädlicher“ für seine Bewegung als der „Extremismus der autoritären“ Regierung und gibt sich überzeugt, dass die Mehrheit der Iraner eine totale Verfassungsänderung ablehnt. So manches deutet auch darauf hin, dass Mussawi, Karrubi und vor allem Khatami einen Deal mit Khamenei suchen, um die Situation zu entspannen und die Islamische Republik zu retten, einen internen Versöhnungsprozeß einzuleiten und die Schar der konservativen Gegner Ahmadinedschads auf ihre Seite zu ziehen. Systemwechsel Nein, wiewohl Personenwechsel. Karrubi erklärte jüngst gegenüber der Financial Times, er glaube nicht, dass Ahmadinedschad seine Amtsperiode beenden könne.

Kein Zweifel besteht aber daran, dass eine wachsende Zahl der hohen Geistlichen eine Trennung von Politik und Moschee wünschen, weil die Religion mit dieser Verquickung in den vergangenen drei Jahrzehnten im Iran enormen Schaden erlitten hat.

Besondere Aufmerksamkeit gebührt in diesem Zusammenhang der Haltung Großayatollah Ali Sistanis. Dieser im irakischen Nadschaf lebende Iraner gilt heute als die höchste Instanz der schiitischen Geistlichkeit. Er gehört der Richtung der Quietisten an, die den Griff der Geistlichen nach politischer Macht entschieden ablehnt. Da Geistliche fehlbar sind, können sie den Gläubigen nur als Ratgeber, nicht als Herrscher den Weg weisen, lautet seine Sicht. Dass Sistani die Demokratie für den besten Weg hält, bewies er durch seine Position im Irak, wo er den Amerikanern nach dem Sturz Saddam Husseins die ersten freien Wahlen abtrotzte. Bisher hat Sistani zu den Verbrechen, die in seiner Heimat im Namen des Islams geschehen geschwiegen. Er wird es nicht mehr lange können, macht das Regime die Drohungen von weiteren Exekutionen und Brutalitäten wahr. Eine offene Kritik an Khamenei durch Sistani würde Irans geistlichen Führer vollends auch in den Augen der gesamten schiitischen Welt diskreditieren.

Steht dem Iran eine neue blutige Revolution bevor? Eine Antwort muß offen bleiben. Noch ist das Regime keineswegs am Ende. Noch kann Khamenei die Justiz kontrollieren, Hunderttausende Bassidsch als Schlägertrupps kommandieren und noch steht er im engsten Bund mit den Revolutionsgarden, die – so meinen manche – in Wahrheit herrschen. Die Grüne Bewegung will Geduld zeigen, die Garden durch stete kluge Nadelstiche demoralisieren, wie Sazegara sagt: „Wir spielen Schach mit den Garden, die nur eine Methode kennen: Unterdrückung, Haft und Folter. Das Volk aber hat viele Optionen.“ Doch ob es sich angesichts der wachsenden Brutalitäten auch weiterhin nicht zu Gewalt provozieren läßt, erscheint immer fraglicher. So tauchen uralte Ängste auf, dass Gewalt neue Gewalt gebäre. Der vom Schah verübten Gewalt folgte blutige Rache durch das islamische System und eine neue Diktatur. Wird sich die Geschichte wiederholen und den Iran von einer Despotie in die nächste reißen?

Und dennoch gibt es Hoffnung. Vor drei Jahrzehnten beherrschte die revolutionäre islamische Ideologie den Diskurs. Heute dominieren die Abscheu vor Despotie, Ideen von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten, Toleranz und friedlicher Koexistenz mit dem Rest der Welt, insbesondere auch mit dem Westen die Diskussionen unter den unterschiedlichsten politischen und sozialen Gruppen. Die Grüne Bewegung ist auf dem besten Weg ein Beispiel an politischer Reife, Humanismus und Toleranz zu setzen, das auf die gesamte von Diktatoren beherrschte Region aufrütteln wird. Sie ist bereit, dafür ihr höchstes Gut, das Leben, zu opfern. Ihr gebührt Bewunderung, Hochachtung.



Vortrag im „Institut für Kurdologie – Wien“ am 6. Februar 2010

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