Dienstag, 15. September 2009

Birgit Cerha: „Meine Heimat ist immer noch ein Gefängnis“

Gefeiert und geehrt gewinnt der irakische „Schuhwerfer“ wieder die Freiheit, entschlossen, sich künftig den Kriegsopfern zu widmen

„Ich bin kein Held. Ich gebe das offen zu. Ich bin lediglich ein Mensch mit einer festen Überzeugung. Ich habe gesehen, wie mein Land in Flammen aufging.“ Mit diesen Worten versuchte der irakische Journalist Muntazer al-Zaidi in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme nach seiner Freilassung von neunmonatiger Gefangenschaft, seine Position klar zu stellen. Hochemotional verteidigte dabei der junge Mann seine aufsehenerregende Tat als Racheakt an einem „Kriegsverbrecher“.

Der 30-jährige Mitarbeiter bei „Al Baghdadiya“, einer kleinen privaten Fernsehstation mit Sitz in Kairo, war am 14. Dezember 2008 mit einem Schlag zur Weltberühmtheit geworden, als er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Premier Malikis mit dem zu einem Besuch in Bagdad weilenden US-Präsidenten seine beiden Schuhe auf Bush warf, der sich rasch duckte, und dazu die Worte rief: „Dies ist ein Geschenk von den Irakern; das ist ein Abschiedskuss, du Hund“. Diese Worte und die Tat sind zählen nach mittelöstlichem Verständnis zu den größten Beleidigungen. Die dreijährige Haftstrafe, zu der Zaidi für diesen „barbarischen Akt“ (so Maliki) wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“ verurteilt worden war, wurde später zu einem Jahr verkürzt und der junge Mann konnte schließlich das Militär-Gefängnis wegen „guten Führung“ vorzeitig verlassen.

Bis heute ist dieser Zwischenfall, der Zaidi nicht nur in Teilen des Iraks, sondern insbesondere auch in der arabischen Welt zu einem Helden machte, für Maliki mit enormer Peinlichkeit verbunden. Deshalb verbot die Regierung der Familie und Freunden den Freigelassen mit großen Freudenfeiern zu empfangen. Dennoch opferten seine Angehörigen und Freunde nach arabischer Tradition sechs Schafe und behingen ihn mit Siegeskränzen. Ungebrochen bekannte sich der durch Gefängnis und Misshandlungen physisch angeschlagene junge Mann zu seiner Tat, erzählte, wie er nächtelang weil ihn die Bilder der Toten und „die Schreie der Verwundeten, die Tränen der Witwen“, die Zerstörungen und Demütigungen durch die Okkupation so quälend verfolgt hätten. „Ich habe den Opfern geschworen, Rache zu nehmen.“ Die Pressekonferenz hätte ihm eine „Gelegenheit geboten, die ich nicht versäumen durfte“.

Zaidi, der unmittelbar nach seiner Tat von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen und abgeführt worden war, bestätigte Folterberichte seiner Familie. Zuerst hätte man ihm die Schulter gebrochen, dann sei er wiederholt geschlagen, mit Zigaretten, durch Elektroschocks und simuliertes Ertränken gequält worden. Seine Nase und mehrere Rippen hätte man ihm gebrochen. Als erstes will er sich nun auf Beschluss seiner Familie einer medizinischen und psychologischen Therapie in Griechenland unterziehen.

Nicht alle im Irak und in der arabischen Welt betrachten Zaidi freilich als Volkshelden. Insbesondere in Journalisten- und anderen Intellektuellen-Kreisen sieht man die Tat als primitive Reaktion auf als so schwer empfundene Demütigungen. Warum, so eine wiederholt gehörte Frage, habe Zaidi nicht die Chance ergriffen, den US-Präsidenten durch Fragen in die Enge zu treiben. Andere weisen darauf hin, dass die heftigen Reaktionen auf Zaidis Tat die enorme Schwäche der Araber spiegle. Denn während sich die arabische Öffentlichkeit über die so ungewöhnlich „mutige Aktion“ ereiferte, unterzeichnete der US-Präsident ein Sicherheitsabkommen mit dem Irak, dessen Inhalt in den Medien fast völlig von der Affäre Zaidi verdrängt wurde.

Doch die Mehrheit der Araber begeistert dieser „Mut des Davids gegenüber dem Goliath“.

Zaidi kann sich seither der Geschenke, Versprechungen und Freundschaftsbezeugungen kaum erwehren. Seine Fernsehstation kaufte ihm eine neue Wohnung. Libyens Staatschef Gadafi öffnete ihm die Tore seines Wüstenreiches, während eine von seiner Tochter geführte Gruppe Zaidi eine Auszeichnung für besonderen Mut verlieh. Unzählige arabische Väter bieten ihm ihre Töchter zur Verehelichung, Präsident Hugo Chavez offeriert ihm 100.000 Dollar und die venezolanische Staatsbürgerschaft, arabische Medien drängen ihn zur Mitarbeit und irakische Politiker zur Kandidatur für die Parlamentswahlen im Januar.

„Heute bin ich frei, doch mein Heimatland ist immer noch ein Gefängnis“, betonte Zaidi. Und nach Aussagen seines Uday will er „etwas tun, um dem irakischen Volk zu helfen, nicht im Journalismus und nicht in der Politik, sondern durch eine Menschenrechtsgruppe, die er gründen wolle. Und weil er auch seine Folterer zur Rechenschaft ziehen, deren Namen in den nächsten Tagen bekannt geben will, fürchte er nun um sein Leben, meinen Familienangehörige, im von Saddam Hussein befreiten Irak, in dem die Menschenrechte immer noch mit Füßen getreten werden.

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